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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Beispiele von Hallucinationen.
oder der Kranke beklagt sich bitter, dass ihm durch fremde Bosheit,
durch eingenommene Medicamente u. dergl. solche schlimme Erschei-
nungen "gemacht" werden, womit er auf seine Weise die Ueberwäl-
tigung durch ein psychisches Ereigniss, das seinem Ich noch als
fremdes gegenüber steht, ausdrückt. Die merkwürdigsten Fälle aber
sind die, wo der Kranke sogar die subjective Entstehung der Hallu-
cinationen anzugeben weiss, aber sie doch für reell hält. Einzelne
geben an, die Stimmen gehen in ihrem Kopfe vor sich; *) anderemale
und nicht ganz selten ist es dem Kranken, als entstehen die Stimmen
im Epigastrium, und als werde von dort aus, freilich nicht auf ge-
wöhnliche, sondern eine ganz neue Weise zu ihm gesprochen. **)
Bei allen diesen Angaben kommt sehr viel auf die grössere oder
geringere Fähigkeit des Individuums, sich zu beobachten und sich
Rechenschaft von seinen Seelenzuständen zu geben, an.

Wir wollen noch einige Beispiele von Hallucinationen bei Nicht-Irren
anführen. (Patterson l. c.)

Herr H. las eines Tages in Commines Geschichte von Burgund. Nach dem
Fenster aufblickend gewahrte er auf einem Stuhle am Fenster einen Schädel; er
wollte läuten und sich erkundigen, wer denselben hergebracht habe, gieng aber
vorher darauf zu, um ihn zu untersuchen. Als er mit der Hand darnach griff,
war er verschwunden. H. erschrack dann fast bis zur Ohnmacht. Vierzehn
Tage darauf sah H. in einem Hörsaale der Universität Edinburg wieder den
Schädel auf einem Pulte liegen, so dass er zu seinem Nachbar sagte: Zu was
mag wohl der Professor heute einen Schädel brauchen? -- Ein andermal hatte
H. der Section eines Jugendfreundes beigewohnt. Drei Monate nachher wollte
er eben zu Bette gehen, als er auf seinem Tisch eine Einladung zum Leichen-
begängniss der Mutter jenes Freundes fand. Kaum hatte er das Licht gelöscht,
so fühlte er sich am Arm unterhalb der Schulter gepackt und diesen stark an
die Seite gedrückt. Er suchte sich loszumachen und rief: Lasst meinen Arm.
Nun hörte er eine deutliche Stimme: Fürchtet Euch nicht. Er erwiederte sogleich:
Erlaubt, dass ich ein Licht anzünde. Dann ward der Arm losgelassen, H. stand
auf, empfand aber heftigen Schwindel und grosse Schwäche. Als er Licht ge-
macht hatte, sah er an der Thüre das Gesicht jenes Jugendfreundes, doch nicht
vollständig deutlich, als ob ein Schleier darüber läge. Die Gestalt wich zurück,
je mehr H. sich ihr näherte, dieser verfolgte sie die Treppe hinab, bis an die
Hausthüre, wo er aus Schwindel niedersank. Später trat ein heftiger Schmerz
über den Augenbraunen, Fieber und Schlaflosigkeit ein.

*) "C'est un travail qui se fait dans ma tete." Leuret. l. c. p. 162.
Auch wir haben erst neuerlich einen solchen Fall gesehen. Der Kranke hörte
mehre Menschen in seinem Kopfe mit einander sprechen; er glaubte auch
mehrmals in der Gegend seiner Herzgrube sitze ein ganzer Tisch voll Personen
am Essen.
**) Leuret. l. c. p. 177. In einem anderen Fall (Lafargue, Gaz. med. 1841.
p. 713) kamen dio Gehörshallucinationen aus der Herzgegend.

Beispiele von Hallucinationen.
oder der Kranke beklagt sich bitter, dass ihm durch fremde Bosheit,
durch eingenommene Medicamente u. dergl. solche schlimme Erschei-
nungen „gemacht“ werden, womit er auf seine Weise die Ueberwäl-
tigung durch ein psychisches Ereigniss, das seinem Ich noch als
fremdes gegenüber steht, ausdrückt. Die merkwürdigsten Fälle aber
sind die, wo der Kranke sogar die subjective Entstehung der Hallu-
cinationen anzugeben weiss, aber sie doch für reell hält. Einzelne
geben an, die Stimmen gehen in ihrem Kopfe vor sich; *) anderemale
und nicht ganz selten ist es dem Kranken, als entstehen die Stimmen
im Epigastrium, und als werde von dort aus, freilich nicht auf ge-
wöhnliche, sondern eine ganz neue Weise zu ihm gesprochen. **)
Bei allen diesen Angaben kommt sehr viel auf die grössere oder
geringere Fähigkeit des Individuums, sich zu beobachten und sich
Rechenschaft von seinen Seelenzuständen zu geben, an.

Wir wollen noch einige Beispiele von Hallucinationen bei Nicht-Irren
anführen. (Patterson l. c.)

Herr H. las eines Tages in Commines Geschichte von Burgund. Nach dem
Fenster aufblickend gewahrte er auf einem Stuhle am Fenster einen Schädel; er
wollte läuten und sich erkundigen, wer denselben hergebracht habe, gieng aber
vorher darauf zu, um ihn zu untersuchen. Als er mit der Hand darnach griff,
war er verschwunden. H. erschrack dann fast bis zur Ohnmacht. Vierzehn
Tage darauf sah H. in einem Hörsaale der Universität Edinburg wieder den
Schädel auf einem Pulte liegen, so dass er zu seinem Nachbar sagte: Zu was
mag wohl der Professor heute einen Schädel brauchen? — Ein andermal hatte
H. der Section eines Jugendfreundes beigewohnt. Drei Monate nachher wollte
er eben zu Bette gehen, als er auf seinem Tisch eine Einladung zum Leichen-
begängniss der Mutter jenes Freundes fand. Kaum hatte er das Licht gelöscht,
so fühlte er sich am Arm unterhalb der Schulter gepackt und diesen stark an
die Seite gedrückt. Er suchte sich loszumachen und rief: Lasst meinen Arm.
Nun hörte er eine deutliche Stimme: Fürchtet Euch nicht. Er erwiederte sogleich:
Erlaubt, dass ich ein Licht anzünde. Dann ward der Arm losgelassen, H. stand
auf, empfand aber heftigen Schwindel und grosse Schwäche. Als er Licht ge-
macht hatte, sah er an der Thüre das Gesicht jenes Jugendfreundes, doch nicht
vollständig deutlich, als ob ein Schleier darüber läge. Die Gestalt wich zurück,
je mehr H. sich ihr näherte, dieser verfolgte sie die Treppe hinab, bis an die
Hausthüre, wo er aus Schwindel niedersank. Später trat ein heftiger Schmerz
über den Augenbraunen, Fieber und Schlaflosigkeit ein.

*) „C’est un travail qui se fait dans ma tête.“ Leuret. l. c. p. 162.
Auch wir haben erst neuerlich einen solchen Fall gesehen. Der Kranke hörte
mehre Menschen in seinem Kopfe mit einander sprechen; er glaubte auch
mehrmals in der Gegend seiner Herzgrube sitze ein ganzer Tisch voll Personen
am Essen.
**) Leuret. l. c. p. 177. In einem anderen Fall (Lafargue, Gaz. med. 1841.
p. 713) kamen dio Gehörshallucinationen aus der Herzgegend.
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[76/0090] Beispiele von Hallucinationen. oder der Kranke beklagt sich bitter, dass ihm durch fremde Bosheit, durch eingenommene Medicamente u. dergl. solche schlimme Erschei- nungen „gemacht“ werden, womit er auf seine Weise die Ueberwäl- tigung durch ein psychisches Ereigniss, das seinem Ich noch als fremdes gegenüber steht, ausdrückt. Die merkwürdigsten Fälle aber sind die, wo der Kranke sogar die subjective Entstehung der Hallu- cinationen anzugeben weiss, aber sie doch für reell hält. Einzelne geben an, die Stimmen gehen in ihrem Kopfe vor sich; *) anderemale und nicht ganz selten ist es dem Kranken, als entstehen die Stimmen im Epigastrium, und als werde von dort aus, freilich nicht auf ge- wöhnliche, sondern eine ganz neue Weise zu ihm gesprochen. **) Bei allen diesen Angaben kommt sehr viel auf die grössere oder geringere Fähigkeit des Individuums, sich zu beobachten und sich Rechenschaft von seinen Seelenzuständen zu geben, an. Wir wollen noch einige Beispiele von Hallucinationen bei Nicht-Irren anführen. (Patterson l. c.) Herr H. las eines Tages in Commines Geschichte von Burgund. Nach dem Fenster aufblickend gewahrte er auf einem Stuhle am Fenster einen Schädel; er wollte läuten und sich erkundigen, wer denselben hergebracht habe, gieng aber vorher darauf zu, um ihn zu untersuchen. Als er mit der Hand darnach griff, war er verschwunden. H. erschrack dann fast bis zur Ohnmacht. Vierzehn Tage darauf sah H. in einem Hörsaale der Universität Edinburg wieder den Schädel auf einem Pulte liegen, so dass er zu seinem Nachbar sagte: Zu was mag wohl der Professor heute einen Schädel brauchen? — Ein andermal hatte H. der Section eines Jugendfreundes beigewohnt. Drei Monate nachher wollte er eben zu Bette gehen, als er auf seinem Tisch eine Einladung zum Leichen- begängniss der Mutter jenes Freundes fand. Kaum hatte er das Licht gelöscht, so fühlte er sich am Arm unterhalb der Schulter gepackt und diesen stark an die Seite gedrückt. Er suchte sich loszumachen und rief: Lasst meinen Arm. Nun hörte er eine deutliche Stimme: Fürchtet Euch nicht. Er erwiederte sogleich: Erlaubt, dass ich ein Licht anzünde. Dann ward der Arm losgelassen, H. stand auf, empfand aber heftigen Schwindel und grosse Schwäche. Als er Licht ge- macht hatte, sah er an der Thüre das Gesicht jenes Jugendfreundes, doch nicht vollständig deutlich, als ob ein Schleier darüber läge. Die Gestalt wich zurück, je mehr H. sich ihr näherte, dieser verfolgte sie die Treppe hinab, bis an die Hausthüre, wo er aus Schwindel niedersank. Später trat ein heftiger Schmerz über den Augenbraunen, Fieber und Schlaflosigkeit ein. *) „C’est un travail qui se fait dans ma tête.“ Leuret. l. c. p. 162. Auch wir haben erst neuerlich einen solchen Fall gesehen. Der Kranke hörte mehre Menschen in seinem Kopfe mit einander sprechen; er glaubte auch mehrmals in der Gegend seiner Herzgrube sitze ein ganzer Tisch voll Personen am Essen. **) Leuret. l. c. p. 177. In einem anderen Fall (Lafargue, Gaz. med. 1841. p. 713) kamen dio Gehörshallucinationen aus der Herzgegend.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/90>, abgerufen am 27.11.2024.