Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Verschiedenes Verhalten zu den Hallucinationen. Zu solchen Hallucinationen nun verhält sich der Gesunde ent- Hallucinationen allein, auch wenn sie für wahr gehalten wer- Von den Geisteskranken werden die Hallucinationen fast immer während der Abfassung dieses Capitels, wo zum ersten und bis jetzt einzigen Male eine Gehörshallucination, nur aus einem einzigen Worte bestehend, aber mit höchster Deutlichkeit, auftrat. Der Eindruck war kaum verschieden von dem, den die Worte bei einer Unterredung machen -- nur dem Ohre näher schien die Stimme zu sein. *) Auch Shakespeare lässt Hamlet dem Horatio auf seine Frage, wo er das
Gespenst sehe, erwiedern: Im Auge meines Geistes. Verschiedenes Verhalten zu den Hallucinationen. Zu solchen Hallucinationen nun verhält sich der Gesunde ent- Hallucinationen allein, auch wenn sie für wahr gehalten wer- Von den Geisteskranken werden die Hallucinationen fast immer während der Abfassung dieses Capitels, wo zum ersten und bis jetzt einzigen Male eine Gehörshallucination, nur aus einem einzigen Worte bestehend, aber mit höchster Deutlichkeit, auftrat. Der Eindruck war kaum verschieden von dem, den die Worte bei einer Unterredung machen — nur dem Ohre näher schien die Stimme zu sein. *) Auch Shakespeare lässt Hamlet dem Horatio auf seine Frage, wo er das
Gespenst sehe, erwiedern: Im Auge meines Geistes. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0089" n="75"/> <fw place="top" type="header">Verschiedenes Verhalten zu den Hallucinationen.</fw><lb/> <p>Zu solchen Hallucinationen nun verhält sich der Gesunde ent-<lb/> weder ruhig betrachtend, indem er sie als subjectiv entstanden an-<lb/> erkennt (Nicolai, etc.); oder er glaubt an ihre Realität, indem ent-<lb/> weder seiner Reflexion die Prämissen fehlen, nach denen diese Phä-<lb/> nomene beurtheilt sein wollen, indem Aberglaube, Trägheit des<lb/> Denkens, Lust am Wunderbaren die richtige Auffassung trüben und<lb/> hemmen, oder gewisse Stimmungen, Leidenschaften und Affecte,<lb/> Furcht, Zorn, Freude u. dergl. die Besonnenheit und die ruhige<lb/> Betrachtung überhaupt aufheben, oder auch, indem Hallucinationen<lb/> mehrer Sinne, des Gesichts, Gehörs, des Hautsinns, sich unterstützen<lb/> und so die Mittel zur Berichtigung des einen Irrthums selbst ver-<lb/> fälscht werden.</p><lb/> <p>Hallucinationen <hi rendition="#g">allein</hi>, auch wenn sie für wahr gehalten wer-<lb/> den, genügen noch durchaus nicht, um geisteskrank zu sein; hiezu ist<lb/> weiter eine allgemeine, tiefe psychische Verstimmung, oder es sind<lb/> ausgebildete Wahnvorstellungen erforderlich. Aber für wahrgehaltene<lb/> Hallucinationen sind allerdings ein sehr naher Schritt zum Irresein,<lb/> und besonders da, wo schon eine krankhafte Verstimmung besteht,<lb/> in den noch mässigen Anfangsstadien des Irreseins, haften und zün-<lb/> den die Hallucinationen so leicht, dass sie dann sehr häufig für <hi rendition="#g">Ur-<lb/> sachen</hi> der ganzen Krankheit gehalten werden. Nach unserer Be-<lb/> trachtungsweise möchten wir ihnen nur in seltenen Fällen diese Stel-<lb/> lung anweisen, wir glauben vielmehr die Hallucinationen schon als<lb/><hi rendition="#g">Symptome</hi> der, wenn gleich oft noch mässigen Gehirnreizung, an-<lb/> sehen zu müssen. Jedenfalls aber ist die Thatsache richtig, dass<lb/> sie sehr häufig gerade in der ersten Periode des Irreseins auftreten<lb/> und dass mit ihnen, mit der Verfälschung der Aussenwelt, der Kranke<lb/> häufig erst anfängt, wirklich zu deliriren.</p><lb/> <p>Von den Geisteskranken werden die Hallucinationen fast immer<lb/> für Realitäten gehalten; doch geben sie in einzelnen Fällen, nament-<lb/> lich im Anfang, deren krankhafte Natur zu. Man hört wohl auch zu-<lb/> weilen den Ausdruck; der Kranke wisse wohl, dass das kein gewöhn-<lb/> liches Hören oder Sehen sei, es sei ein geistiges Hören <note place="foot" n="*)">Auch Shakespeare lässt Hamlet dem Horatio auf seine Frage, wo er das<lb/> Gespenst sehe, erwiedern: Im Auge meines Geistes.</note> u. dergl.,<lb/><note xml:id="note-0089" prev="#note-0088" place="foot" n="†††)">während der Abfassung dieses Capitels, wo zum ersten und bis jetzt einzigen<lb/> Male eine Gehörshallucination, nur aus einem einzigen Worte bestehend, aber<lb/> mit höchster Deutlichkeit, auftrat. Der Eindruck war kaum verschieden von dem,<lb/> den die Worte bei einer Unterredung machen — nur dem Ohre näher schien die<lb/> Stimme zu sein.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [75/0089]
Verschiedenes Verhalten zu den Hallucinationen.
Zu solchen Hallucinationen nun verhält sich der Gesunde ent-
weder ruhig betrachtend, indem er sie als subjectiv entstanden an-
erkennt (Nicolai, etc.); oder er glaubt an ihre Realität, indem ent-
weder seiner Reflexion die Prämissen fehlen, nach denen diese Phä-
nomene beurtheilt sein wollen, indem Aberglaube, Trägheit des
Denkens, Lust am Wunderbaren die richtige Auffassung trüben und
hemmen, oder gewisse Stimmungen, Leidenschaften und Affecte,
Furcht, Zorn, Freude u. dergl. die Besonnenheit und die ruhige
Betrachtung überhaupt aufheben, oder auch, indem Hallucinationen
mehrer Sinne, des Gesichts, Gehörs, des Hautsinns, sich unterstützen
und so die Mittel zur Berichtigung des einen Irrthums selbst ver-
fälscht werden.
Hallucinationen allein, auch wenn sie für wahr gehalten wer-
den, genügen noch durchaus nicht, um geisteskrank zu sein; hiezu ist
weiter eine allgemeine, tiefe psychische Verstimmung, oder es sind
ausgebildete Wahnvorstellungen erforderlich. Aber für wahrgehaltene
Hallucinationen sind allerdings ein sehr naher Schritt zum Irresein,
und besonders da, wo schon eine krankhafte Verstimmung besteht,
in den noch mässigen Anfangsstadien des Irreseins, haften und zün-
den die Hallucinationen so leicht, dass sie dann sehr häufig für Ur-
sachen der ganzen Krankheit gehalten werden. Nach unserer Be-
trachtungsweise möchten wir ihnen nur in seltenen Fällen diese Stel-
lung anweisen, wir glauben vielmehr die Hallucinationen schon als
Symptome der, wenn gleich oft noch mässigen Gehirnreizung, an-
sehen zu müssen. Jedenfalls aber ist die Thatsache richtig, dass
sie sehr häufig gerade in der ersten Periode des Irreseins auftreten
und dass mit ihnen, mit der Verfälschung der Aussenwelt, der Kranke
häufig erst anfängt, wirklich zu deliriren.
Von den Geisteskranken werden die Hallucinationen fast immer
für Realitäten gehalten; doch geben sie in einzelnen Fällen, nament-
lich im Anfang, deren krankhafte Natur zu. Man hört wohl auch zu-
weilen den Ausdruck; der Kranke wisse wohl, dass das kein gewöhn-
liches Hören oder Sehen sei, es sei ein geistiges Hören *) u. dergl.,
†††)
*) Auch Shakespeare lässt Hamlet dem Horatio auf seine Frage, wo er das
Gespenst sehe, erwiedern: Im Auge meines Geistes.
†††) während der Abfassung dieses Capitels, wo zum ersten und bis jetzt einzigen
Male eine Gehörshallucination, nur aus einem einzigen Worte bestehend, aber
mit höchster Deutlichkeit, auftrat. Der Eindruck war kaum verschieden von dem,
den die Worte bei einer Unterredung machen — nur dem Ohre näher schien die
Stimme zu sein.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |