Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Bauliche Einrichtungen
isoliren, aber nicht auf die Abtheilung der unruhigen bringen will,
genügen; in manchen Anstalten bestehen noch besondere Abtheilungen
für bettlägerige Kranke und ganz abgesonderte Gebäude für die Re-
convalescenten, welch letztere Einrichtung sich nicht als zweckmässig
bewährt hat.

§. 190.

In den verschiedenen Ländern, welche das Irrenwesen cultivirten,
hat man versucht, diesen Erfordernissen durch sehr verschiedene
bauliche Einrichtungen zu genügen. Während die englischen
Anstalten *) meistens grosse, hohe, mehrstöckige, zusammenhängende
Gebäude mit seitlich auslaufenden, geneigten, auch sternförmigen
Flügeln darstellen, in deren Innerem bei höchster Vollkommenheit
der häuslichen Einrichtungen (Heizung, Beleuchtung, Reinigung, Küchen-
einrichtung u. dgl.) eine geordnete Uniformität, ein fast gefängniss-
artiges Zellensystem hergestellt ist, welchem auch der etwas mecha-
nische Character der Beaufsichtigung und Behandlung zu entsprechen
scheint, so ging man bei der Construction und innern Einrichtung
der französischen Anstalten von ganz anderen Principien aus. Be-
sonders die nach Esquirols Ideen gemachten Plane und Ausführungen
bestehen in lauter getrennten, viereckigen, bloss ein Erdgeschoss
enthaltenden Häusern, die eine Anzahl Einzelzellen oder Zimmer, ein
gemeinschaftliches Sprechzimmer (Chauffoir), Arbeitszimmer etc. und
rings herum einen Säulengang enthalten, und in der Mitte einen
Rasenplatz einschliessen. Mehre parallele Reihen solcher einstöckiger
Carres werden durch Colonnaden unter einander verbunden, und es
schliessen sich daran noch Oeconomiegebäude, Capelle, Werkstätte,
Badehäuser etc. Diese Menge vertheilter Gebäude, welche einen
ungemeinen Flächenraum einnehmen, ist nicht nur höchst kostspielig
auszuführen, sondern erschwert auch sehr die Uebersicht, die Leich-
tigkeit des Besuchs entfernter Theile der Anstalt und die höhere
Beaufsichtigung, wie sich denn auch bis in die neueste Zeit, wo in
die französischen Anstalten durch Einführung von Arbeit und Unter-
richt ein anderer Geist gekommen ist, diese Anstalten durch Unge-
bundenheit, freies Herumschwärmen und Zügellosigkeit der Kranken
auszeichneten.

In Deutschland hat man versucht, das Gute beider Systeme an-
zunehmen; im Ganzen nähern sich aber die deutschen Anstalten in

*) Dem Verfasser nicht aus eigener Anschauung bekannt.

Bauliche Einrichtungen
isoliren, aber nicht auf die Abtheilung der unruhigen bringen will,
genügen; in manchen Anstalten bestehen noch besondere Abtheilungen
für bettlägerige Kranke und ganz abgesonderte Gebäude für die Re-
convalescenten, welch letztere Einrichtung sich nicht als zweckmässig
bewährt hat.

§. 190.

In den verschiedenen Ländern, welche das Irrenwesen cultivirten,
hat man versucht, diesen Erfordernissen durch sehr verschiedene
bauliche Einrichtungen zu genügen. Während die englischen
Anstalten *) meistens grosse, hohe, mehrstöckige, zusammenhängende
Gebäude mit seitlich auslaufenden, geneigten, auch sternförmigen
Flügeln darstellen, in deren Innerem bei höchster Vollkommenheit
der häuslichen Einrichtungen (Heizung, Beleuchtung, Reinigung, Küchen-
einrichtung u. dgl.) eine geordnete Uniformität, ein fast gefängniss-
artiges Zellensystem hergestellt ist, welchem auch der etwas mecha-
nische Character der Beaufsichtigung und Behandlung zu entsprechen
scheint, so ging man bei der Construction und innern Einrichtung
der französischen Anstalten von ganz anderen Principien aus. Be-
sonders die nach Esquirols Ideen gemachten Plane und Ausführungen
bestehen in lauter getrennten, viereckigen, bloss ein Erdgeschoss
enthaltenden Häusern, die eine Anzahl Einzelzellen oder Zimmer, ein
gemeinschaftliches Sprechzimmer (Chauffoir), Arbeitszimmer etc. und
rings herum einen Säulengang enthalten, und in der Mitte einen
Rasenplatz einschliessen. Mehre parallele Reihen solcher einstöckiger
Carrés werden durch Colonnaden unter einander verbunden, und es
schliessen sich daran noch Oeconomiegebäude, Capelle, Werkstätte,
Badehäuser etc. Diese Menge vertheilter Gebäude, welche einen
ungemeinen Flächenraum einnehmen, ist nicht nur höchst kostspielig
auszuführen, sondern erschwert auch sehr die Uebersicht, die Leich-
tigkeit des Besuchs entfernter Theile der Anstalt und die höhere
Beaufsichtigung, wie sich denn auch bis in die neueste Zeit, wo in
die französischen Anstalten durch Einführung von Arbeit und Unter-
richt ein anderer Geist gekommen ist, diese Anstalten durch Unge-
bundenheit, freies Herumschwärmen und Zügellosigkeit der Kranken
auszeichneten.

In Deutschland hat man versucht, das Gute beider Systeme an-
zunehmen; im Ganzen nähern sich aber die deutschen Anstalten in

*) Dem Verfasser nicht aus eigener Anschauung bekannt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0404" n="390"/><fw place="top" type="header">Bauliche Einrichtungen</fw><lb/>
isoliren, aber nicht auf die Abtheilung der unruhigen bringen will,<lb/>
genügen; in manchen Anstalten bestehen noch besondere Abtheilungen<lb/>
für bettlägerige Kranke und ganz abgesonderte Gebäude für die Re-<lb/>
convalescenten, welch letztere Einrichtung sich nicht als zweckmässig<lb/>
bewährt hat.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 190.</head><lb/>
              <p>In den verschiedenen Ländern, welche das Irrenwesen cultivirten,<lb/>
hat man versucht, diesen Erfordernissen durch sehr verschiedene<lb/><hi rendition="#g">bauliche Einrichtungen</hi> zu genügen. Während die englischen<lb/>
Anstalten <note place="foot" n="*)">Dem Verfasser nicht aus eigener Anschauung bekannt.</note> meistens grosse, hohe, mehrstöckige, zusammenhängende<lb/>
Gebäude mit seitlich auslaufenden, geneigten, auch sternförmigen<lb/>
Flügeln darstellen, in deren Innerem bei höchster Vollkommenheit<lb/>
der häuslichen Einrichtungen (Heizung, Beleuchtung, Reinigung, Küchen-<lb/>
einrichtung u. dgl.) eine geordnete Uniformität, ein fast gefängniss-<lb/>
artiges Zellensystem hergestellt ist, welchem auch der etwas mecha-<lb/>
nische Character der Beaufsichtigung und Behandlung zu entsprechen<lb/>
scheint, so ging man bei der Construction und innern Einrichtung<lb/>
der französischen Anstalten von ganz anderen Principien aus. Be-<lb/>
sonders die nach Esquirols Ideen gemachten Plane und Ausführungen<lb/>
bestehen in lauter getrennten, viereckigen, bloss ein Erdgeschoss<lb/>
enthaltenden Häusern, die eine Anzahl Einzelzellen oder Zimmer, ein<lb/>
gemeinschaftliches Sprechzimmer (Chauffoir), Arbeitszimmer etc. und<lb/>
rings herum einen Säulengang enthalten, und in der Mitte einen<lb/>
Rasenplatz einschliessen. Mehre parallele Reihen solcher einstöckiger<lb/>
Carrés werden durch Colonnaden unter einander verbunden, und es<lb/>
schliessen sich daran noch Oeconomiegebäude, Capelle, Werkstätte,<lb/>
Badehäuser etc. Diese Menge vertheilter Gebäude, welche einen<lb/>
ungemeinen Flächenraum einnehmen, ist nicht nur höchst kostspielig<lb/>
auszuführen, sondern erschwert auch sehr die Uebersicht, die Leich-<lb/>
tigkeit des Besuchs entfernter Theile der Anstalt und die höhere<lb/>
Beaufsichtigung, wie sich denn auch bis in die neueste Zeit, wo in<lb/>
die französischen Anstalten durch Einführung von Arbeit und Unter-<lb/>
richt ein anderer Geist gekommen ist, diese Anstalten durch Unge-<lb/>
bundenheit, freies Herumschwärmen und Zügellosigkeit der Kranken<lb/>
auszeichneten.</p><lb/>
              <p>In Deutschland hat man versucht, das Gute beider Systeme an-<lb/>
zunehmen; im Ganzen nähern sich aber die deutschen Anstalten in<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[390/0404] Bauliche Einrichtungen isoliren, aber nicht auf die Abtheilung der unruhigen bringen will, genügen; in manchen Anstalten bestehen noch besondere Abtheilungen für bettlägerige Kranke und ganz abgesonderte Gebäude für die Re- convalescenten, welch letztere Einrichtung sich nicht als zweckmässig bewährt hat. §. 190. In den verschiedenen Ländern, welche das Irrenwesen cultivirten, hat man versucht, diesen Erfordernissen durch sehr verschiedene bauliche Einrichtungen zu genügen. Während die englischen Anstalten *) meistens grosse, hohe, mehrstöckige, zusammenhängende Gebäude mit seitlich auslaufenden, geneigten, auch sternförmigen Flügeln darstellen, in deren Innerem bei höchster Vollkommenheit der häuslichen Einrichtungen (Heizung, Beleuchtung, Reinigung, Küchen- einrichtung u. dgl.) eine geordnete Uniformität, ein fast gefängniss- artiges Zellensystem hergestellt ist, welchem auch der etwas mecha- nische Character der Beaufsichtigung und Behandlung zu entsprechen scheint, so ging man bei der Construction und innern Einrichtung der französischen Anstalten von ganz anderen Principien aus. Be- sonders die nach Esquirols Ideen gemachten Plane und Ausführungen bestehen in lauter getrennten, viereckigen, bloss ein Erdgeschoss enthaltenden Häusern, die eine Anzahl Einzelzellen oder Zimmer, ein gemeinschaftliches Sprechzimmer (Chauffoir), Arbeitszimmer etc. und rings herum einen Säulengang enthalten, und in der Mitte einen Rasenplatz einschliessen. Mehre parallele Reihen solcher einstöckiger Carrés werden durch Colonnaden unter einander verbunden, und es schliessen sich daran noch Oeconomiegebäude, Capelle, Werkstätte, Badehäuser etc. Diese Menge vertheilter Gebäude, welche einen ungemeinen Flächenraum einnehmen, ist nicht nur höchst kostspielig auszuführen, sondern erschwert auch sehr die Uebersicht, die Leich- tigkeit des Besuchs entfernter Theile der Anstalt und die höhere Beaufsichtigung, wie sich denn auch bis in die neueste Zeit, wo in die französischen Anstalten durch Einführung von Arbeit und Unter- richt ein anderer Geist gekommen ist, diese Anstalten durch Unge- bundenheit, freies Herumschwärmen und Zügellosigkeit der Kranken auszeichneten. In Deutschland hat man versucht, das Gute beider Systeme an- zunehmen; im Ganzen nähern sich aber die deutschen Anstalten in *) Dem Verfasser nicht aus eigener Anschauung bekannt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/404
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/404>, abgerufen am 22.12.2024.