Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Psychischer Schmerz und Lust. Es kann hier schon erwähnt werden, dass im gesunden, wie im kranken Wir werden dasselbe beim Irresein finden; wir werden sehen, wie fast seine §. 18. 6) Das Vorstellen, wie das Empfinden, kann von Schmerz oder In der Empfindung sowohl als im Vorstellen ist das Wesen des *) Art. Instinkt in Wagners physiolog. Wörterbuch. II. p. 206. **) Ein Urtheil, in dem nur das Vorgestellte sich noch nicht von dem Prä-
dicate, das Beifall oder Tadel ausdrückt, sondern lässt. Herbart. Psychischer Schmerz und Lust. Es kann hier schon erwähnt werden, dass im gesunden, wie im kranken Wir werden dasselbe beim Irresein finden; wir werden sehen, wie fast seine §. 18. 6) Das Vorstellen, wie das Empfinden, kann von Schmerz oder In der Empfindung sowohl als im Vorstellen ist das Wesen des *) Art. Instinkt in Wagners physiolog. Wörterbuch. II. p. 206. **) Ein Urtheil, in dem nur das Vorgestellte sich noch nicht von dem Prä-
dicate, das Beifall oder Tadel ausdrückt, sondern lässt. Herbart. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0039" n="25"/> <fw place="top" type="header">Psychischer Schmerz und Lust.</fw><lb/> <p>Es kann hier schon erwähnt werden, dass im gesunden, wie im kranken<lb/> Leben durch solche organische Erregungen anfangs gewöhnlich nicht gleich neue,<lb/> klare und deutliche Vorstellungen veranlasst werden, sondern zuerst jene dunkeln,<lb/> unbestimmteren Modificationen im Vorstellen, die man Gemüthsbewegungen nennt.<lb/> Namentlich die Schnelligkeit im Ablaufe der Vorstellungen und der Modus ihres<lb/> Ineinandergreifens wird abgeändert durch diese Eindrücke aus dem Organismus,<lb/> der sich in den Wechsel der Gefühle und Gedanken „bald wie das Schwungrad<lb/> einmischt, das die empfangene Bewegung verlängert, bald wie eine träge Last,<lb/> die sie verzögert oder gar unmöglich macht.“ Lotze hat diese Art organischer<lb/> Psychagogie sehr richtig bezeichnet. Die Weiterentwicklung des Organismus,<lb/> sagt er, wirkt auf die Seele weit weniger mittelst der Ausbildung bestimmter<lb/> Vorstellungen, als vielmehr durch die Hervorbringung gewisser stehender Ge-<lb/> müthsstimmungen oder gewisser Eigenthümlichkeiten der Gedankenbewegung,<lb/> die dann als unaussprechbare Obersätze den Lebensansichten und Entschlüssen<lb/> zu Grunde liegen. „Die im Einzelnen geringen und dunkeln, in ihrer Summation<lb/> aber bedeutenden und einflussreichen Sensationen aus den Organen des Körpers<lb/> machen sich in der Seele geltend und diese an sich gestaltlose Gemüthsrichtung<lb/> kann doch der Grund sein, welcher die übrigen Kräfte des Geistes auf einen<lb/> Kreis ihr adäquater, bestimmter Vorstellungen lenkt.“<note place="foot" n="*)">Art. <hi rendition="#g">Instinkt</hi> in Wagners physiolog. Wörterbuch. II. p. 206.</note> Aus diesen Stimmungen<lb/> heraus entwickeln sich eben, von den Umständen unterstützt, einzelne bestimmte<lb/> Vorstellungen.</p><lb/> <p>Wir werden dasselbe beim Irresein finden; wir werden sehen, wie fast seine<lb/> ganze Pathogenie darin besteht, dass aus inneren organischen Ursachen psychi-<lb/> sche Verstimmungen entstehen, und wie erst später aus diesen einzelne, der<lb/> neuen Stimmung angemessene, irre Vorstellungen, auf deren speciellen Inhalt<lb/> dann die mannigfaltigsten Umstände Einfluss haben, hervortreten.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>§. 18.</head><lb/> <p>6) Das Vorstellen, wie das Empfinden, kann von <hi rendition="#g">Schmerz</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Lust</hi> begleitet sein; diese Vorgänge zeigen auf beiden Gebieten die<lb/> grösste Analogie, die um so beachtenswerther ist, da der psychische<lb/> Schmerz unter die wichtigsten Fundamentalzustände des Irreseins gehört.</p><lb/> <p>In der Empfindung sowohl als im Vorstellen ist das Wesen des<lb/> Schmerzes und der Lust eine Art dunkeln Urtheils, einerseits über die<lb/> Förderung, andererseits über die <choice><sic>Beschränkuug</sic><corr>Beschränkung</corr></choice> und Beeinträchtigung<lb/> des Ich.<note place="foot" n="**)">Ein Urtheil, in dem nur das Vorgestellte sich noch nicht von dem Prä-<lb/> dicate, das Beifall oder Tadel ausdrückt, sondern lässt. Herbart.</note> Es kann sich dieses Urtheil an ein gerade gegebenes<lb/> einzelnes Empfinden oder Vorstellen, das dann eben als ein schmerz-<lb/> haftes empfunden wird, knüpfen; es gibt aber auch in der Empfin-<lb/> dung, wie im Vorstellen, viel allgemeinere, vagere Zustände von<lb/> Unbehaglichkeit, wo jenes dunkle Urtheil nicht ein gewisses einzelnes<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0039]
Psychischer Schmerz und Lust.
Es kann hier schon erwähnt werden, dass im gesunden, wie im kranken
Leben durch solche organische Erregungen anfangs gewöhnlich nicht gleich neue,
klare und deutliche Vorstellungen veranlasst werden, sondern zuerst jene dunkeln,
unbestimmteren Modificationen im Vorstellen, die man Gemüthsbewegungen nennt.
Namentlich die Schnelligkeit im Ablaufe der Vorstellungen und der Modus ihres
Ineinandergreifens wird abgeändert durch diese Eindrücke aus dem Organismus,
der sich in den Wechsel der Gefühle und Gedanken „bald wie das Schwungrad
einmischt, das die empfangene Bewegung verlängert, bald wie eine träge Last,
die sie verzögert oder gar unmöglich macht.“ Lotze hat diese Art organischer
Psychagogie sehr richtig bezeichnet. Die Weiterentwicklung des Organismus,
sagt er, wirkt auf die Seele weit weniger mittelst der Ausbildung bestimmter
Vorstellungen, als vielmehr durch die Hervorbringung gewisser stehender Ge-
müthsstimmungen oder gewisser Eigenthümlichkeiten der Gedankenbewegung,
die dann als unaussprechbare Obersätze den Lebensansichten und Entschlüssen
zu Grunde liegen. „Die im Einzelnen geringen und dunkeln, in ihrer Summation
aber bedeutenden und einflussreichen Sensationen aus den Organen des Körpers
machen sich in der Seele geltend und diese an sich gestaltlose Gemüthsrichtung
kann doch der Grund sein, welcher die übrigen Kräfte des Geistes auf einen
Kreis ihr adäquater, bestimmter Vorstellungen lenkt.“ *) Aus diesen Stimmungen
heraus entwickeln sich eben, von den Umständen unterstützt, einzelne bestimmte
Vorstellungen.
Wir werden dasselbe beim Irresein finden; wir werden sehen, wie fast seine
ganze Pathogenie darin besteht, dass aus inneren organischen Ursachen psychi-
sche Verstimmungen entstehen, und wie erst später aus diesen einzelne, der
neuen Stimmung angemessene, irre Vorstellungen, auf deren speciellen Inhalt
dann die mannigfaltigsten Umstände Einfluss haben, hervortreten.
§. 18.
6) Das Vorstellen, wie das Empfinden, kann von Schmerz oder
Lust begleitet sein; diese Vorgänge zeigen auf beiden Gebieten die
grösste Analogie, die um so beachtenswerther ist, da der psychische
Schmerz unter die wichtigsten Fundamentalzustände des Irreseins gehört.
In der Empfindung sowohl als im Vorstellen ist das Wesen des
Schmerzes und der Lust eine Art dunkeln Urtheils, einerseits über die
Förderung, andererseits über die Beschränkung und Beeinträchtigung
des Ich. **) Es kann sich dieses Urtheil an ein gerade gegebenes
einzelnes Empfinden oder Vorstellen, das dann eben als ein schmerz-
haftes empfunden wird, knüpfen; es gibt aber auch in der Empfin-
dung, wie im Vorstellen, viel allgemeinere, vagere Zustände von
Unbehaglichkeit, wo jenes dunkle Urtheil nicht ein gewisses einzelnes
*) Art. Instinkt in Wagners physiolog. Wörterbuch. II. p. 206.
**) Ein Urtheil, in dem nur das Vorgestellte sich noch nicht von dem Prä-
dicate, das Beifall oder Tadel ausdrückt, sondern lässt. Herbart.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |