Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Pathologische Anatomie bei Melancholischen beschränkt ist, sondern namentlich auch beiParalytisch-Blödsinnigen, welche gierig essen, vorkommt (Thore, des maladies incidentes des alienes. Annal. med.-psycholog. Septbr. 1844. p. 182 seqq.) und wir halten die Ansicht Foville's, dass die Krankheit mitunter durch Absorbtion von Brandjauche aus einem Decubitus entstehe, für gegründet. -- Die Diagnose ist, wo nicht brandig stin- kender Athem und Auswurf vorhanden sind, ausserordentlich misslich, bei kleinen Brandheerden auch einer präcisen, physicalischen Diagnostik unerreichbar. XLIV. Schwermuth nach psychischen Eindrücken. Speisever- Nur mit Mühe kann man ihr einige Löffel voll Fleischbrühe beibringen; die Ihr Athem wird unerträglich stinkend; der Auswurf war braun mit hellrothen Pathologische Anatomie bei Melancholischen beschränkt ist, sondern namentlich auch beiParalytisch-Blödsinnigen, welche gierig essen, vorkommt (Thore, des maladies incidentes des aliénés. Annal. med.-psycholog. Septbr. 1844. p. 182 seqq.) und wir halten die Ansicht Foville’s, dass die Krankheit mitunter durch Absorbtion von Brandjauche aus einem Decubitus entstehe, für gegründet. — Die Diagnose ist, wo nicht brandig stin- kender Athem und Auswurf vorhanden sind, ausserordentlich misslich, bei kleinen Brandheerden auch einer präcisen, physicalischen Diagnostik unerreichbar. XLIV. Schwermuth nach psychischen Eindrücken. Speisever- Nur mit Mühe kann man ihr einige Löffel voll Fleischbrühe beibringen; die Ihr Athem wird unerträglich stinkend; der Auswurf war braun mit hellrothen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0338" n="324"/><fw place="top" type="header">Pathologische Anatomie</fw><lb/> bei Melancholischen beschränkt ist, sondern namentlich auch bei<lb/> Paralytisch-Blödsinnigen, welche gierig essen, vorkommt (Thore, des<lb/> maladies incidentes des aliénés. Annal. med.-psycholog. Septbr. 1844.<lb/> p. 182 seqq.) und wir halten die Ansicht Foville’s, dass die Krankheit<lb/> mitunter durch Absorbtion von Brandjauche aus einem Decubitus<lb/> entstehe, für gegründet. — Die Diagnose ist, wo nicht brandig stin-<lb/> kender Athem und Auswurf vorhanden sind, ausserordentlich misslich,<lb/> bei kleinen Brandheerden auch einer präcisen, physicalischen Diagnostik<lb/> unerreichbar.</p><lb/> <p>XLIV. <hi rendition="#g">Schwermuth nach psychischen Eindrücken. Speisever-<lb/> weigerung Tod. Gangraena pulmonum</hi>. Während unserer letzten po-<lb/> litischen Unruhen ward eine 54jährige Dame von empfindlichem Charakter, die<lb/> bis daher ein ruhiges Leben geführt hatte, lebhaft betroffen von dem Anblick<lb/> einiger Bewaffneter, die sich unter ihrem Fenster schlugen. Der heftigen Er-<lb/> schütterung folgt schnell eine Geistesverwirrung, und mehrere Tage vergehen,<lb/> bis man bemerkt, dass sie keine Speise zu sich nimmt. Drei, fünf, neun Tage<lb/> verstrichen unter Zureden ihrer Familie; man richtet tausend Fragen an sie, man<lb/> bietet ihr alle möglichen Gerichte an, aber nichts kann ihren Widerwillen besiegen.<lb/> Ein herbeigerufener Arzt lässt 15 Blutegel an die Magengrube setzen. Der tiefe<lb/> Verfall ihrer Züge, ihre Abmagerung, ihre Melancholie, die immer schwerer ge-<lb/> worden, machten die Familie besorgt, und sie trat in unsere Anstalt am 4. Februar<lb/> 1831. — Ich erkannte eine Speiseverweigerung schon an ihrer Gesichtsfarbe:<lb/> meine Nachfragen ergaben, dass Madame B. innerhalb der letzten 4 Wochen nur<lb/> einige Milchsuppen und etwas leichte Fleischbrühe zu sich genommen. Das Ge-<lb/> sicht hatte eine ziegelrothe Färbung, an den Wangen, der Nasenspitze, den Ohr-<lb/> läppchen braun; die Pupille war erweitert und das Weisse des Auges war glän-<lb/> zend mit einem Stich ins Blaue; die Haare, die nach der Aussage der Ver-<lb/> wandten immer geschmeidig gewesen, waren seit einigen Tagen ausserordentlich<lb/> trocken und zeigten eine Verfärbung, die man auch an der Iris wahrzunehmen glaubte.</p><lb/> <p>Nur mit Mühe kann man ihr einige Löffel voll Fleischbrühe beibringen; die<lb/> Kranke, welche ausserordentlich stark ist, wehrt sich kräftig gegen die Diener<lb/> und die Melancholie geht in Manie über. Die Abmagerung macht entsetzliche<lb/> Fortschritte; das Gesicht wird braun, die Lippen werden etwas livid, und bald<lb/> zeigen Hände und Füsse, besonders an den Phalangen ein wahrhaft cyanotisches<lb/> Aussehen. Die Kranke weist die Nahrung immer hartnäckiger zurück; sie wird<lb/> starr, und bald tritt ein extatischer Zustand zu den Symptomen der Schwermuth.<lb/> Kaum gelingt es von Zeit zu Zeit, ihr eine Tasse Milch oder Bouillon heizu-<lb/> bringen, und um ihren Widerstand zu besiegen, nimmt man seine Zuflucht zum<lb/> Drehstuhl, aber ohne Erfolg.</p><lb/> <p>Ihr Athem wird unerträglich stinkend; der Auswurf war braun mit hellrothen<lb/> Streifen; er ward nach einigen Tagen copios, aber nicht wirklich eiterig, sondern<lb/> jauchig. Das Gesicht war nun so verfallen, dass die Kranke von hohem Alter<lb/> zu sein schien. Ihr Leben erlosch langsam; von Zeit zu Zeit hatte sie etwas<lb/> Nahrung zu sich genommen und in den letzten Tagen nahm sie alle Speisen, die<lb/> man ihr anbot.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [324/0338]
Pathologische Anatomie
bei Melancholischen beschränkt ist, sondern namentlich auch bei
Paralytisch-Blödsinnigen, welche gierig essen, vorkommt (Thore, des
maladies incidentes des aliénés. Annal. med.-psycholog. Septbr. 1844.
p. 182 seqq.) und wir halten die Ansicht Foville’s, dass die Krankheit
mitunter durch Absorbtion von Brandjauche aus einem Decubitus
entstehe, für gegründet. — Die Diagnose ist, wo nicht brandig stin-
kender Athem und Auswurf vorhanden sind, ausserordentlich misslich,
bei kleinen Brandheerden auch einer präcisen, physicalischen Diagnostik
unerreichbar.
XLIV. Schwermuth nach psychischen Eindrücken. Speisever-
weigerung Tod. Gangraena pulmonum. Während unserer letzten po-
litischen Unruhen ward eine 54jährige Dame von empfindlichem Charakter, die
bis daher ein ruhiges Leben geführt hatte, lebhaft betroffen von dem Anblick
einiger Bewaffneter, die sich unter ihrem Fenster schlugen. Der heftigen Er-
schütterung folgt schnell eine Geistesverwirrung, und mehrere Tage vergehen,
bis man bemerkt, dass sie keine Speise zu sich nimmt. Drei, fünf, neun Tage
verstrichen unter Zureden ihrer Familie; man richtet tausend Fragen an sie, man
bietet ihr alle möglichen Gerichte an, aber nichts kann ihren Widerwillen besiegen.
Ein herbeigerufener Arzt lässt 15 Blutegel an die Magengrube setzen. Der tiefe
Verfall ihrer Züge, ihre Abmagerung, ihre Melancholie, die immer schwerer ge-
worden, machten die Familie besorgt, und sie trat in unsere Anstalt am 4. Februar
1831. — Ich erkannte eine Speiseverweigerung schon an ihrer Gesichtsfarbe:
meine Nachfragen ergaben, dass Madame B. innerhalb der letzten 4 Wochen nur
einige Milchsuppen und etwas leichte Fleischbrühe zu sich genommen. Das Ge-
sicht hatte eine ziegelrothe Färbung, an den Wangen, der Nasenspitze, den Ohr-
läppchen braun; die Pupille war erweitert und das Weisse des Auges war glän-
zend mit einem Stich ins Blaue; die Haare, die nach der Aussage der Ver-
wandten immer geschmeidig gewesen, waren seit einigen Tagen ausserordentlich
trocken und zeigten eine Verfärbung, die man auch an der Iris wahrzunehmen glaubte.
Nur mit Mühe kann man ihr einige Löffel voll Fleischbrühe beibringen; die
Kranke, welche ausserordentlich stark ist, wehrt sich kräftig gegen die Diener
und die Melancholie geht in Manie über. Die Abmagerung macht entsetzliche
Fortschritte; das Gesicht wird braun, die Lippen werden etwas livid, und bald
zeigen Hände und Füsse, besonders an den Phalangen ein wahrhaft cyanotisches
Aussehen. Die Kranke weist die Nahrung immer hartnäckiger zurück; sie wird
starr, und bald tritt ein extatischer Zustand zu den Symptomen der Schwermuth.
Kaum gelingt es von Zeit zu Zeit, ihr eine Tasse Milch oder Bouillon heizu-
bringen, und um ihren Widerstand zu besiegen, nimmt man seine Zuflucht zum
Drehstuhl, aber ohne Erfolg.
Ihr Athem wird unerträglich stinkend; der Auswurf war braun mit hellrothen
Streifen; er ward nach einigen Tagen copios, aber nicht wirklich eiterig, sondern
jauchig. Das Gesicht war nun so verfallen, dass die Kranke von hohem Alter
zu sein schien. Ihr Leben erlosch langsam; von Zeit zu Zeit hatte sie etwas
Nahrung zu sich genommen und in den letzten Tagen nahm sie alle Speisen, die
man ihr anbot.
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