5) Die Melancholie hat noch häufiger als die Manie gar keine anatomischen Läsionen *); wo sie solche hat, bestehen sie noch häufiger als in der Manie in blosser Hyperämie, und wo sie nicht in blosser Hyperämie bestehen, ist es vorzugsweise das Gehirnödem, das der Melancholie mit Stupor zukommt und unseres Wissens nie in der Manie beobachtet worden ist.
6) Die Manie zeigt seltener als die Melancholie gar keine Stö- rungen, oder blosse Hyperämieen; die Hyperämieen sind oft tiefer und intensiver (erysipelatose Färbung der ganzen grauen Rinde) und viel häufiger entwickelt sich aus ihnen ein Exsudations- und Mace- rationsprocess, der die Corticalsubstanz, gewöhnlich nur in abgeson- derten Schichten, bald die mittleren, bald die äussersten, erweicht. Dem schnellen Eintritt einer solchen ausgebreiteteren Erweichung entspricht dann der blödsinnige Collapsus vor dem Tode; aber den heftigen Hyperämieen, durch welche die Erweichung zu Stande kam, entsprachen wahrscheinlich die maniacalischen Symptome.
II. Chronisches Irresein.
1) Die Fälle, wo alle anatomische Störung fehlt, sind seltener, ebenso die blossen Hyperämieen; sehr häufig aber wieder die Ver- dickung der zarten Häute.
2) Sehrviele Fälle zeigen Läsionen, welche der vorigen Categorie so gut wie ganz fehlen, nemlich die Atrophie des Gehirns, namentlich der Windungen, die Entfärbung der Corticalsubstanz, die ausgedehnte und durchdringende grössere Härte des Gehirns.
3) Hier kommt auch schon an der oberflächlichen Corticalschicht weit weniger die Erweichung, sondern vielmehr eine schwerere Störung, die oberflächliche hautförmige Verhärtung und die Verwachsung mit der Pia vor; beide allerdings meist nicht sehr ausgebreitet, denn ausgedehnte und rasch erfolgende Entzündungsprocesse hätten schon während des Stadiums der Erweichung zum Tod geführt.
4) In diesen Zuständen, vielleicht aber auch schon in den acuten Stadien, müssen auch leichte oberflächliche Entzündungen auf den Ventrikelwandungen durchaus gewöhnlich sein, da Bergmann ihre Verengerung und Verwachsung bei den chronisch Verrückten so häufig fand. Die Hyperämie scheint nach demselben Beobachter in den inneren Parthieen, namentlich um die Zirbel, stärker und dauernder zu werden.
*) Ausser sämmtlichen oben passim erwähnten Beobachtern stimmen damit auch Bertolini und Bottex überein. --
des chronischen Irreseins.
5) Die Melancholie hat noch häufiger als die Manie gar keine anatomischen Läsionen *); wo sie solche hat, bestehen sie noch häufiger als in der Manie in blosser Hyperämie, und wo sie nicht in blosser Hyperämie bestehen, ist es vorzugsweise das Gehirnödem, das der Melancholie mit Stupor zukommt und unseres Wissens nie in der Manie beobachtet worden ist.
6) Die Manie zeigt seltener als die Melancholie gar keine Stö- rungen, oder blosse Hyperämieen; die Hyperämieen sind oft tiefer und intensiver (erysipelatose Färbung der ganzen grauen Rinde) und viel häufiger entwickelt sich aus ihnen ein Exsudations- und Mace- rationsprocess, der die Corticalsubstanz, gewöhnlich nur in abgeson- derten Schichten, bald die mittleren, bald die äussersten, erweicht. Dem schnellen Eintritt einer solchen ausgebreiteteren Erweichung entspricht dann der blödsinnige Collapsus vor dem Tode; aber den heftigen Hyperämieen, durch welche die Erweichung zu Stande kam, entsprachen wahrscheinlich die maniacalischen Symptome.
II. Chronisches Irresein.
1) Die Fälle, wo alle anatomische Störung fehlt, sind seltener, ebenso die blossen Hyperämieen; sehr häufig aber wieder die Ver- dickung der zarten Häute.
2) Sehrviele Fälle zeigen Läsionen, welche der vorigen Categorie so gut wie ganz fehlen, nemlich die Atrophie des Gehirns, namentlich der Windungen, die Entfärbung der Corticalsubstanz, die ausgedehnte und durchdringende grössere Härte des Gehirns.
3) Hier kommt auch schon an der oberflächlichen Corticalschicht weit weniger die Erweichung, sondern vielmehr eine schwerere Störung, die oberflächliche hautförmige Verhärtung und die Verwachsung mit der Pia vor; beide allerdings meist nicht sehr ausgebreitet, denn ausgedehnte und rasch erfolgende Entzündungsprocesse hätten schon während des Stadiums der Erweichung zum Tod geführt.
4) In diesen Zuständen, vielleicht aber auch schon in den acuten Stadien, müssen auch leichte oberflächliche Entzündungen auf den Ventrikelwandungen durchaus gewöhnlich sein, da Bergmann ihre Verengerung und Verwachsung bei den chronisch Verrückten so häufig fand. Die Hyperämie scheint nach demselben Beobachter in den inneren Parthieen, namentlich um die Zirbel, stärker und dauernder zu werden.
*) Ausser sämmtlichen oben passim erwähnten Beobachtern stimmen damit auch Bertolini und Bottex überein. —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbn="317"facs="#f0331"/><fwtype="header"place="top">des chronischen Irreseins.</fw><lb/><p>5) Die Melancholie hat noch häufiger als die Manie gar keine<lb/>
anatomischen Läsionen <noteplace="foot"n="*)">Ausser sämmtlichen oben passim erwähnten Beobachtern stimmen damit<lb/>
auch Bertolini und Bottex überein. —</note>; wo sie solche hat, bestehen sie noch häufiger<lb/>
als in der Manie in blosser Hyperämie, und wo sie nicht in blosser<lb/>
Hyperämie bestehen, ist es vorzugsweise das Gehirnödem, das der<lb/>
Melancholie mit Stupor zukommt und unseres Wissens nie in der<lb/>
Manie beobachtet worden ist.</p><lb/><p>6) Die Manie zeigt seltener als die Melancholie gar keine Stö-<lb/>
rungen, oder blosse Hyperämieen; die Hyperämieen sind oft tiefer<lb/>
und intensiver (erysipelatose Färbung der ganzen grauen Rinde) und<lb/>
viel häufiger entwickelt sich aus ihnen ein Exsudations- und Mace-<lb/>
rationsprocess, der die Corticalsubstanz, gewöhnlich nur in abgeson-<lb/>
derten Schichten, bald die mittleren, bald die äussersten, erweicht.<lb/>
Dem schnellen Eintritt einer solchen ausgebreiteteren Erweichung<lb/>
entspricht dann der blödsinnige Collapsus vor dem Tode; aber den<lb/>
heftigen Hyperämieen, durch welche die Erweichung zu Stande kam,<lb/>
entsprachen wahrscheinlich die maniacalischen Symptome.</p></div><lb/><divn="5"><head>II. <hirendition="#i">Chronisches Irresein</hi>.</head><lb/><p>1) Die Fälle, wo alle anatomische Störung fehlt, sind seltener,<lb/>
ebenso die blossen Hyperämieen; sehr häufig aber wieder die Ver-<lb/>
dickung der zarten Häute.</p><lb/><p>2) <hirendition="#g">Sehrviele</hi> Fälle zeigen Läsionen, welche der vorigen Categorie<lb/>
so gut wie ganz fehlen, nemlich die Atrophie des Gehirns, namentlich<lb/>
der Windungen, die Entfärbung der Corticalsubstanz, die ausgedehnte<lb/>
und durchdringende grössere Härte des Gehirns.</p><lb/><p>3) Hier kommt auch schon an der oberflächlichen Corticalschicht<lb/>
weit weniger die Erweichung, sondern vielmehr eine schwerere Störung,<lb/>
die oberflächliche hautförmige Verhärtung und die Verwachsung mit<lb/>
der Pia vor; beide allerdings meist nicht sehr ausgebreitet, denn<lb/>
ausgedehnte und rasch erfolgende Entzündungsprocesse hätten schon<lb/>
während des Stadiums der Erweichung zum Tod geführt.</p><lb/><p>4) In diesen Zuständen, vielleicht aber auch schon in den acuten<lb/>
Stadien, müssen auch leichte oberflächliche Entzündungen auf den<lb/>
Ventrikelwandungen durchaus gewöhnlich sein, da <hirendition="#g">Bergmann</hi> ihre<lb/>
Verengerung und Verwachsung bei den chronisch Verrückten so häufig<lb/>
fand. Die Hyperämie scheint nach demselben Beobachter in den<lb/>
inneren Parthieen, namentlich um die Zirbel, stärker und dauernder<lb/>
zu werden.</p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[317/0331]
des chronischen Irreseins.
5) Die Melancholie hat noch häufiger als die Manie gar keine
anatomischen Läsionen *); wo sie solche hat, bestehen sie noch häufiger
als in der Manie in blosser Hyperämie, und wo sie nicht in blosser
Hyperämie bestehen, ist es vorzugsweise das Gehirnödem, das der
Melancholie mit Stupor zukommt und unseres Wissens nie in der
Manie beobachtet worden ist.
6) Die Manie zeigt seltener als die Melancholie gar keine Stö-
rungen, oder blosse Hyperämieen; die Hyperämieen sind oft tiefer
und intensiver (erysipelatose Färbung der ganzen grauen Rinde) und
viel häufiger entwickelt sich aus ihnen ein Exsudations- und Mace-
rationsprocess, der die Corticalsubstanz, gewöhnlich nur in abgeson-
derten Schichten, bald die mittleren, bald die äussersten, erweicht.
Dem schnellen Eintritt einer solchen ausgebreiteteren Erweichung
entspricht dann der blödsinnige Collapsus vor dem Tode; aber den
heftigen Hyperämieen, durch welche die Erweichung zu Stande kam,
entsprachen wahrscheinlich die maniacalischen Symptome.
II. Chronisches Irresein.
1) Die Fälle, wo alle anatomische Störung fehlt, sind seltener,
ebenso die blossen Hyperämieen; sehr häufig aber wieder die Ver-
dickung der zarten Häute.
2) Sehrviele Fälle zeigen Läsionen, welche der vorigen Categorie
so gut wie ganz fehlen, nemlich die Atrophie des Gehirns, namentlich
der Windungen, die Entfärbung der Corticalsubstanz, die ausgedehnte
und durchdringende grössere Härte des Gehirns.
3) Hier kommt auch schon an der oberflächlichen Corticalschicht
weit weniger die Erweichung, sondern vielmehr eine schwerere Störung,
die oberflächliche hautförmige Verhärtung und die Verwachsung mit
der Pia vor; beide allerdings meist nicht sehr ausgebreitet, denn
ausgedehnte und rasch erfolgende Entzündungsprocesse hätten schon
während des Stadiums der Erweichung zum Tod geführt.
4) In diesen Zuständen, vielleicht aber auch schon in den acuten
Stadien, müssen auch leichte oberflächliche Entzündungen auf den
Ventrikelwandungen durchaus gewöhnlich sein, da Bergmann ihre
Verengerung und Verwachsung bei den chronisch Verrückten so häufig
fand. Die Hyperämie scheint nach demselben Beobachter in den
inneren Parthieen, namentlich um die Zirbel, stärker und dauernder
zu werden.
*) Ausser sämmtlichen oben passim erwähnten Beobachtern stimmen damit
auch Bertolini und Bottex überein. —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/331>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.