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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Ueber einzelne tiefere Entartungen.
sinn *) das gewöhnliche und in den früheren Stadien fehlt es sehr
selten an melancholischer Verstimmung oder maniacalischer Erregung.
Aber die auffälligsten Symptome sind gewöhnlich nicht diese, sondern
vielmehr von Anbeginn an schwere motorische Störungen (Epilepsie,
Lähmungen etc.), um so constanter, je mehr jene Krankheitsprocesse
die Gehirnsubstanz auch nur in einiger Tiefe befallen, neben denen
man die vorhandene psychische Verstimmung, den Gedächtnissverlust
etc. als accessorische, weniger zu beachtende Symptome ansieht und
ebendesshalb (p. 7) die Krankheit nicht zu den Geisteskrankheiten zählt.
In diesem Verhältniss und seinen nächsten Consequenzen liegt die
einfache Auflösung des speciösen Widerspruchs, der von Einzelnen
der pathologisch-anatomischen Betrachtungsweise zugeschoben wurde,
dass ganz leichte anatomische Veränderungen des Gehirns einen Effect
(Irresein) haben sollen, den gerade die schwersten und tiefsten Al-
terationen nicht haben. Indessen liegen immerhin solche seltenere
Wahrnehmungen tieferer Alteration der Gehirnsubstanz aus den Leichen
der Irren vor. Beispielsweise kann an einen Fall von Romberg **),
wo sich nach Tobsucht mit Wahnsinn, ohne Lähmung, 4 Hydati-
den auf der Gehirn-Oberfläche, sämmtlich mehrere Linien tief in
die Corticalsubstanz eindringend, neben Pseudomembranen der Arach-
noidea fanden, ebenso an die vorhin erwähnten Fälle von Stolz und
Lelut erinnert werden. -- Gerade weil die anatomischen Alterationen
bei Irren in der Regel feinere, nur durch genaue Untersuchung auf-
findbare sind, wird so oft bei den Sectionen die Erwartung der mit
der Sache wenig vertrauten Aerzte getäuscht, und eben die in der
Casuistik allenthalben zum Vorschein kommende ungenaue Beobachtung
macht das Einzelstudium der pathologischen Anatomie des Irreseins
so ermüdend und verwirrend. Vieles dürfen wir hier von der Zu-
kunft hoffen, und namentlich versprechen wir uns durch die zuge-
sagte Publication der Bergmann'schen und Foville'schen ausgedehnten
Untersuchungen viele neue und interessante Beiträge ***). Auch jetzt

*) In den letzten Zeiträumen der acuten Meningitis, der Encephalitis, der
Gehirnabscesse etc. findet sich gewöhnlich ein so tiefer Blödsinn, wie man ihn
nicht beim stumpfsten Idioten sieht. Diese Kranken verhalten sich dann wie Thiere,
denen man die grossen Hemisphären weggenommen hat. Die Angabe, dass ein
Schnupfen das Seelenleben tiefer zu stören vermöge, als ein Gehirnabscess, ist auf
die Beobachtung am Krankenbette im späteren Zeitraum der Abscesse zu verweisen.
**) Nasse, Zeitschr. f. Anthropol. 1823. III. p. 195.
***) Auch die Berichte über die Sectionen auf dem Wiener Leichenhofe (in
Zehetmayer's Zeitschrift) versprechen ein reichliches Material für die pathologi-

Ueber einzelne tiefere Entartungen.
sinn *) das gewöhnliche und in den früheren Stadien fehlt es sehr
selten an melancholischer Verstimmung oder maniacalischer Erregung.
Aber die auffälligsten Symptome sind gewöhnlich nicht diese, sondern
vielmehr von Anbeginn an schwere motorische Störungen (Epilepsie,
Lähmungen etc.), um so constanter, je mehr jene Krankheitsprocesse
die Gehirnsubstanz auch nur in einiger Tiefe befallen, neben denen
man die vorhandene psychische Verstimmung, den Gedächtnissverlust
etc. als accessorische, weniger zu beachtende Symptome ansieht und
ebendesshalb (p. 7) die Krankheit nicht zu den Geisteskrankheiten zählt.
In diesem Verhältniss und seinen nächsten Consequenzen liegt die
einfache Auflösung des speciösen Widerspruchs, der von Einzelnen
der pathologisch-anatomischen Betrachtungsweise zugeschoben wurde,
dass ganz leichte anatomische Veränderungen des Gehirns einen Effect
(Irresein) haben sollen, den gerade die schwersten und tiefsten Al-
terationen nicht haben. Indessen liegen immerhin solche seltenere
Wahrnehmungen tieferer Alteration der Gehirnsubstanz aus den Leichen
der Irren vor. Beispielsweise kann an einen Fall von Romberg **),
wo sich nach Tobsucht mit Wahnsinn, ohne Lähmung, 4 Hydati-
den auf der Gehirn-Oberfläche, sämmtlich mehrere Linien tief in
die Corticalsubstanz eindringend, neben Pseudomembranen der Arach-
noidea fanden, ebenso an die vorhin erwähnten Fälle von Stolz und
Lélut erinnert werden. — Gerade weil die anatomischen Alterationen
bei Irren in der Regel feinere, nur durch genaue Untersuchung auf-
findbare sind, wird so oft bei den Sectionen die Erwartung der mit
der Sache wenig vertrauten Aerzte getäuscht, und eben die in der
Casuistik allenthalben zum Vorschein kommende ungenaue Beobachtung
macht das Einzelstudium der pathologischen Anatomie des Irreseins
so ermüdend und verwirrend. Vieles dürfen wir hier von der Zu-
kunft hoffen, und namentlich versprechen wir uns durch die zuge-
sagte Publication der Bergmann’schen und Foville’schen ausgedehnten
Untersuchungen viele neue und interessante Beiträge ***). Auch jetzt

*) In den letzten Zeiträumen der acuten Meningitis, der Encephalitis, der
Gehirnabscesse etc. findet sich gewöhnlich ein so tiefer Blödsinn, wie man ihn
nicht beim stumpfsten Idioten sieht. Diese Kranken verhalten sich dann wie Thiere,
denen man die grossen Hemisphären weggenommen hat. Die Angabe, dass ein
Schnupfen das Seelenleben tiefer zu stören vermöge, als ein Gehirnabscess, ist auf
die Beobachtung am Krankenbette im späteren Zeitraum der Abscesse zu verweisen.
**) Nasse, Zeitschr. f. Anthropol. 1823. III. p. 195.
***) Auch die Berichte über die Sectionen auf dem Wiener Leichenhofe (in
Zehetmayer’s Zeitschrift) versprechen ein reichliches Material für die pathologi-
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[315/0329] Ueber einzelne tiefere Entartungen. sinn *) das gewöhnliche und in den früheren Stadien fehlt es sehr selten an melancholischer Verstimmung oder maniacalischer Erregung. Aber die auffälligsten Symptome sind gewöhnlich nicht diese, sondern vielmehr von Anbeginn an schwere motorische Störungen (Epilepsie, Lähmungen etc.), um so constanter, je mehr jene Krankheitsprocesse die Gehirnsubstanz auch nur in einiger Tiefe befallen, neben denen man die vorhandene psychische Verstimmung, den Gedächtnissverlust etc. als accessorische, weniger zu beachtende Symptome ansieht und ebendesshalb (p. 7) die Krankheit nicht zu den Geisteskrankheiten zählt. In diesem Verhältniss und seinen nächsten Consequenzen liegt die einfache Auflösung des speciösen Widerspruchs, der von Einzelnen der pathologisch-anatomischen Betrachtungsweise zugeschoben wurde, dass ganz leichte anatomische Veränderungen des Gehirns einen Effect (Irresein) haben sollen, den gerade die schwersten und tiefsten Al- terationen nicht haben. Indessen liegen immerhin solche seltenere Wahrnehmungen tieferer Alteration der Gehirnsubstanz aus den Leichen der Irren vor. Beispielsweise kann an einen Fall von Romberg **), wo sich nach Tobsucht mit Wahnsinn, ohne Lähmung, 4 Hydati- den auf der Gehirn-Oberfläche, sämmtlich mehrere Linien tief in die Corticalsubstanz eindringend, neben Pseudomembranen der Arach- noidea fanden, ebenso an die vorhin erwähnten Fälle von Stolz und Lélut erinnert werden. — Gerade weil die anatomischen Alterationen bei Irren in der Regel feinere, nur durch genaue Untersuchung auf- findbare sind, wird so oft bei den Sectionen die Erwartung der mit der Sache wenig vertrauten Aerzte getäuscht, und eben die in der Casuistik allenthalben zum Vorschein kommende ungenaue Beobachtung macht das Einzelstudium der pathologischen Anatomie des Irreseins so ermüdend und verwirrend. Vieles dürfen wir hier von der Zu- kunft hoffen, und namentlich versprechen wir uns durch die zuge- sagte Publication der Bergmann’schen und Foville’schen ausgedehnten Untersuchungen viele neue und interessante Beiträge ***). Auch jetzt *) In den letzten Zeiträumen der acuten Meningitis, der Encephalitis, der Gehirnabscesse etc. findet sich gewöhnlich ein so tiefer Blödsinn, wie man ihn nicht beim stumpfsten Idioten sieht. Diese Kranken verhalten sich dann wie Thiere, denen man die grossen Hemisphären weggenommen hat. Die Angabe, dass ein Schnupfen das Seelenleben tiefer zu stören vermöge, als ein Gehirnabscess, ist auf die Beobachtung am Krankenbette im späteren Zeitraum der Abscesse zu verweisen. **) Nasse, Zeitschr. f. Anthropol. 1823. III. p. 195. ***) Auch die Berichte über die Sectionen auf dem Wiener Leichenhofe (in Zehetmayer’s Zeitschrift) versprechen ein reichliches Material für die pathologi-

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/329>, abgerufen am 25.11.2024.