Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Die psychischen Thätigkeiten. Allein die Intelligenz ist ein Resultat mehrfaher und sehr complicirterActe, bei denen Leitungsprocesse, wie man sie der Analogie nach den weissen Fasern zuschreibt, kaum entbehrt werden mögen, und wenn wir auch in dem Wollen einen, der Reflexaction ganz ähnlichen Process erkennen, so ist die Leitung der Willensimpulse zu den mo- torischen Rückenmarkssträngen immer auch noch ein psychischer Pro- cess. Dazu kommt, dass die Ventrikelwandungen offenbar gleichfalls von der grössten Bedeutung für die Geistesthätigkeiten sind, wie diess die Beobachtungen bei zu starker Ansammlung und veränderter Beschaffenheit des Cerebrospinalfluidums, bei oberflächlicher Mace- ration jener Wandungen -- immer ist hier tiefer Blödsinn, ein so- poröser Zustand etc. vorhanden -- und mehrfache pathalog. ana- tomische Beobachtungen bei Irren*) zeigen. Wenn wir desshalb die geistigen Processe nicht ausschliesslich auf die graue Gehirnsubstanz beschränken dürfen, so erscheint es dagegen sehr wahrscheinlich, dass sämtliche freie Oberflächen des grossen Gehirns, die der Rindensubstanz sowohl als die Ventrikelwandungen, in einer ganz besonders nahen Beziehung zu den geistigen Processen stehen, dass deren normales Vonstattengehen an die Integrität dieser Oberflächen geknüpft ist und dass es durchschnittlich Erkrankungen dieser Ober- flächen sind, welche den Symptomencomplex des Irreseins geben. Wo dagegen, etwas tiefer im Innern der Gehirnsubstanz, Desorgani- sationen sich finden, da pflegen motorische Störungen selten zu fehlen, und solche gesellen sich ganz gewöhnlich zu den Geistes- krankheiten, wenn sich die Läsion von der Oberfläche der Ventrikel oder der Rinde etwas mehr in die Tiefe ausdehnt. Wir haben aber (§. 11.) gesehen, dass die freien Oberflächen des grossen Gehirns einen nahen Connex mit den Hintersträngen und deren Anlagerungen zeigen, dass dagegen die Fortsetzungen der Vorderseitenstränge die Oberflächen nirgends zu erreichen scheinen, wenn sie gleich sich überall von unten her denselben nähern. §. 14. Das psychische Leben des Menschen, wie der Thiere, fängt in *) S. das Capitel von der patholog. Anatomie.
Die psychischen Thätigkeiten. Allein die Intelligenz ist ein Resultat mehrfaher und sehr complicirterActe, bei denen Leitungsprocesse, wie man sie der Analogie nach den weissen Fasern zuschreibt, kaum entbehrt werden mögen, und wenn wir auch in dem Wollen einen, der Reflexaction ganz ähnlichen Process erkennen, so ist die Leitung der Willensimpulse zu den mo- torischen Rückenmarkssträngen immer auch noch ein psychischer Pro- cess. Dazu kommt, dass die Ventrikelwandungen offenbar gleichfalls von der grössten Bedeutung für die Geistesthätigkeiten sind, wie diess die Beobachtungen bei zu starker Ansammlung und veränderter Beschaffenheit des Cerebrospinalfluidums, bei oberflächlicher Mace- ration jener Wandungen — immer ist hier tiefer Blödsinn, ein so- poröser Zustand etc. vorhanden — und mehrfache pathalog. ana- tomische Beobachtungen bei Irren*) zeigen. Wenn wir desshalb die geistigen Processe nicht ausschliesslich auf die graue Gehirnsubstanz beschränken dürfen, so erscheint es dagegen sehr wahrscheinlich, dass sämtliche freie Oberflächen des grossen Gehirns, die der Rindensubstanz sowohl als die Ventrikelwandungen, in einer ganz besonders nahen Beziehung zu den geistigen Processen stehen, dass deren normales Vonstattengehen an die Integrität dieser Oberflächen geknüpft ist und dass es durchschnittlich Erkrankungen dieser Ober- flächen sind, welche den Symptomencomplex des Irreseins geben. Wo dagegen, etwas tiefer im Innern der Gehirnsubstanz, Desorgani- sationen sich finden, da pflegen motorische Störungen selten zu fehlen, und solche gesellen sich ganz gewöhnlich zu den Geistes- krankheiten, wenn sich die Läsion von der Oberfläche der Ventrikel oder der Rinde etwas mehr in die Tiefe ausdehnt. Wir haben aber (§. 11.) gesehen, dass die freien Oberflächen des grossen Gehirns einen nahen Connex mit den Hintersträngen und deren Anlagerungen zeigen, dass dagegen die Fortsetzungen der Vorderseitenstränge die Oberflächen nirgends zu erreichen scheinen, wenn sie gleich sich überall von unten her denselben nähern. §. 14. Das psychische Leben des Menschen, wie der Thiere, fängt in *) S. das Capitel von der patholog. Anatomie.
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Die psychischen Thätigkeiten.
Allein die Intelligenz ist ein Resultat mehrfaher und sehr complicirter
Acte, bei denen Leitungsprocesse, wie man sie der Analogie nach
den weissen Fasern zuschreibt, kaum entbehrt werden mögen, und
wenn wir auch in dem Wollen einen, der Reflexaction ganz ähnlichen
Process erkennen, so ist die Leitung der Willensimpulse zu den mo-
torischen Rückenmarkssträngen immer auch noch ein psychischer Pro-
cess. Dazu kommt, dass die Ventrikelwandungen offenbar gleichfalls
von der grössten Bedeutung für die Geistesthätigkeiten sind, wie
diess die Beobachtungen bei zu starker Ansammlung und veränderter
Beschaffenheit des Cerebrospinalfluidums, bei oberflächlicher Mace-
ration jener Wandungen — immer ist hier tiefer Blödsinn, ein so-
poröser Zustand etc. vorhanden — und mehrfache pathalog. ana-
tomische Beobachtungen bei Irren *) zeigen. Wenn wir desshalb die
geistigen Processe nicht ausschliesslich auf die graue Gehirnsubstanz
beschränken dürfen, so erscheint es dagegen sehr wahrscheinlich,
dass sämtliche freie Oberflächen des grossen Gehirns, die der
Rindensubstanz sowohl als die Ventrikelwandungen, in einer ganz
besonders nahen Beziehung zu den geistigen Processen stehen, dass
deren normales Vonstattengehen an die Integrität dieser Oberflächen
geknüpft ist und dass es durchschnittlich Erkrankungen dieser Ober-
flächen sind, welche den Symptomencomplex des Irreseins geben.
Wo dagegen, etwas tiefer im Innern der Gehirnsubstanz, Desorgani-
sationen sich finden, da pflegen motorische Störungen selten zu
fehlen, und solche gesellen sich ganz gewöhnlich zu den Geistes-
krankheiten, wenn sich die Läsion von der Oberfläche der Ventrikel
oder der Rinde etwas mehr in die Tiefe ausdehnt. Wir haben aber
(§. 11.) gesehen, dass die freien Oberflächen des grossen Gehirns
einen nahen Connex mit den Hintersträngen und deren Anlagerungen
zeigen, dass dagegen die Fortsetzungen der Vorderseitenstränge die
Oberflächen nirgends zu erreichen scheinen, wenn sie gleich sich
überall von unten her denselben nähern.
§. 14.
Das psychische Leben des Menschen, wie der Thiere, fängt in
den Sinnorganen an, und der stete Fluss, als den wir es wahrneh-
men, tritt in den Bewegungsorganen wieder nach aussen. Dem
Uebergange der sensitiven Erregung auf die motorische liegt das
Schema der Reflexaction, mit oder ohne sensitive Perception, zu
*) S. das Capitel von der patholog. Anatomie.
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