Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite
der zarten Häute und der Gehirnoberfläche.

Die rasch entstandcne Hyperämie der Pia, wie die des Gehirns
selbst, kann an sich schnell tödtlich werden (Apoplexia vascularis).
Ihre Ausgänge und Folgen bei längerer Dauer bestehen in der Ver-
dickung und Verdichtung beider Häute, in bleibender Infiltration,
Oedem der Pia und in Varicosität ihrer Gefässe. Diese Befunde
sind denn auch ausserordentlich häufig bei Geisteskranken; aber sie
haben immer bei gleichzeitiger Atrophie der Windungen einen nur
untergeordneten Werth, da sie hier immer die erst secundären Fol-
gen dieses Gehirnzustandes (Hyperämie, seröse Ergüsse etc. ex vacuo)
sein können.

In der grauen Rindensubstanz zeigt sich die Hyperämie sehr
häufig als eine verschieden nüancirte rothe Färbung, mitunter in
ganz acuten Fällen von der dunkeln Röthe einer Erysipelas (Foville),
oder als fleckige, marmorirte, streifige Färbungen mit einzelnen dun-
kelrothen, feinen Flecken (sehr kleinen Blutextravasaten), Anfangs
wohl auch mit Volums-Zunahme, Schwellung und vermehrter Consistenz;
sie geht leicht genug in wirkliche Entzündung über.

§. 142.

Die Entzündung der Pia selbst setzt nur eine rascher oder
langsamer sich bildende Verdickung nebst Verwachsung der Häute unter
sich, an der grauen Corticalsubstanz aber die gewöhnliche Folge der
Entzündung im Nervengewebe, die Erweichung, und die secundä-
ren Umwandlungen des erweichten Gewebes, an beiden zusammen,
die wichtige Verwachsung der Pia mit der Gehirnoberfläche,
und es gehören diese Ausgänge einer Meningo-cerebritis zu den
gewöhnlicheren Befunden in späteren Zeiträumen des Irreseins.

Frische derartige Zustände sind theils nach Formen, die der
Schwermuth angehören, theils nach der acuten Manie beobachtet
worden. Larrey fand *) bei einer grossen Anzahl Nostalgischer
Entzündung der dünnen Hirnhäute und der Oberfläche des Gehirns
an seinen vordern Lappen mit zerstreuten Eiterpunkten. Sc. Pinel
gibt als den häufigsten Leichenbefund bei den plötzlichen Todesfällen
in der acuten Tobsucht eine starke Hyperämie der Corticalsubstanz,
namentlich ihrer mittleren Schichten, mit (entzündlicher) hefenfarbiger

*) Clinique. I. p. 224 seqq. -- Diese Beobachtungen scheinen übrigens durch-
gängig im russischen Feldzuge gemacht, wo die Kranken noch an der heftigen
Kälte und an Entbehrungen aller Art litten. Es fand sich noch dabei Blutüber-
füllung der Lungen und des Herzens.
Griesinger, psych. Krankhtn. 20
der zarten Häute und der Gehirnoberfläche.

Die rasch entstandcne Hyperämie der Pia, wie die des Gehirns
selbst, kann an sich schnell tödtlich werden (Apoplexia vascularis).
Ihre Ausgänge und Folgen bei längerer Dauer bestehen in der Ver-
dickung und Verdichtung beider Häute, in bleibender Infiltration,
Oedem der Pia und in Varicosität ihrer Gefässe. Diese Befunde
sind denn auch ausserordentlich häufig bei Geisteskranken; aber sie
haben immer bei gleichzeitiger Atrophie der Windungen einen nur
untergeordneten Werth, da sie hier immer die erst secundären Fol-
gen dieses Gehirnzustandes (Hyperämie, seröse Ergüsse etc. ex vacuo)
sein können.

In der grauen Rindensubstanz zeigt sich die Hyperämie sehr
häufig als eine verschieden nüancirte rothe Färbung, mitunter in
ganz acuten Fällen von der dunkeln Röthe einer Erysipelas (Foville),
oder als fleckige, marmorirte, streifige Färbungen mit einzelnen dun-
kelrothen, feinen Flecken (sehr kleinen Blutextravasaten), Anfangs
wohl auch mit Volums-Zunahme, Schwellung und vermehrter Consistenz;
sie geht leicht genug in wirkliche Entzündung über.

§. 142.

Die Entzündung der Pia selbst setzt nur eine rascher oder
langsamer sich bildende Verdickung nebst Verwachsung der Häute unter
sich, an der grauen Corticalsubstanz aber die gewöhnliche Folge der
Entzündung im Nervengewebe, die Erweichung, und die secundä-
ren Umwandlungen des erweichten Gewebes, an beiden zusammen,
die wichtige Verwachsung der Pia mit der Gehirnoberfläche,
und es gehören diese Ausgänge einer Meningo-cerebritis zu den
gewöhnlicheren Befunden in späteren Zeiträumen des Irreseins.

Frische derartige Zustände sind theils nach Formen, die der
Schwermuth angehören, theils nach der acuten Manie beobachtet
worden. Larrey fand *) bei einer grossen Anzahl Nostalgischer
Entzündung der dünnen Hirnhäute und der Oberfläche des Gehirns
an seinen vordern Lappen mit zerstreuten Eiterpunkten. Sc. Pinel
gibt als den häufigsten Leichenbefund bei den plötzlichen Todesfällen
in der acuten Tobsucht eine starke Hyperämie der Corticalsubstanz,
namentlich ihrer mittleren Schichten, mit (entzündlicher) hefenfarbiger

*) Clinique. I. p. 224 seqq. — Diese Beobachtungen scheinen übrigens durch-
gängig im russischen Feldzuge gemacht, wo die Kranken noch an der heftigen
Kälte und an Entbehrungen aller Art litten. Es fand sich noch dabei Blutüber-
füllung der Lungen und des Herzens.
Griesinger, psych. Krankhtn. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0319" n="305"/>
              <fw place="top" type="header">der zarten Häute und der Gehirnoberfläche.</fw><lb/>
              <p>Die rasch entstandcne Hyperämie der Pia, wie die des Gehirns<lb/>
selbst, kann an sich schnell tödtlich werden (Apoplexia vascularis).<lb/>
Ihre Ausgänge und Folgen bei längerer Dauer bestehen in der Ver-<lb/>
dickung und Verdichtung beider Häute, in bleibender Infiltration,<lb/>
Oedem der Pia und in Varicosität ihrer Gefässe. Diese Befunde<lb/>
sind denn auch ausserordentlich häufig bei Geisteskranken; aber sie<lb/>
haben immer bei gleichzeitiger Atrophie der Windungen einen nur<lb/>
untergeordneten Werth, da sie hier immer die erst secundären Fol-<lb/>
gen dieses Gehirnzustandes (Hyperämie, seröse Ergüsse etc. <hi rendition="#g">ex vacuo</hi>)<lb/>
sein können.</p><lb/>
              <p>In der grauen Rindensubstanz zeigt sich die Hyperämie sehr<lb/>
häufig als eine verschieden nüancirte rothe Färbung, mitunter in<lb/>
ganz acuten Fällen von der dunkeln Röthe einer Erysipelas (Foville),<lb/>
oder als fleckige, marmorirte, streifige Färbungen mit einzelnen dun-<lb/>
kelrothen, feinen Flecken (sehr kleinen Blutextravasaten), Anfangs<lb/>
wohl auch mit Volums-Zunahme, Schwellung und vermehrter Consistenz;<lb/>
sie geht leicht genug in wirkliche Entzündung über.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 142.</head><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">Entzündung</hi> der Pia selbst setzt nur eine rascher oder<lb/>
langsamer sich bildende Verdickung nebst Verwachsung der Häute unter<lb/>
sich, an der grauen Corticalsubstanz aber die gewöhnliche Folge der<lb/>
Entzündung im Nervengewebe, die <hi rendition="#g">Erweichung</hi>, und die secundä-<lb/>
ren Umwandlungen des erweichten Gewebes, an beiden zusammen,<lb/>
die wichtige <hi rendition="#g">Verwachsung der Pia mit der Gehirnoberfläche</hi>,<lb/>
und es gehören diese Ausgänge einer Meningo-cerebritis zu den<lb/>
gewöhnlicheren Befunden in späteren Zeiträumen des Irreseins.</p><lb/>
              <p>Frische derartige Zustände sind theils nach Formen, die der<lb/>
Schwermuth angehören, theils nach der acuten Manie beobachtet<lb/>
worden. <hi rendition="#g">Larrey</hi> fand <note place="foot" n="*)">Clinique. I. p. 224 seqq. &#x2014; Diese Beobachtungen scheinen übrigens durch-<lb/>
gängig im russischen Feldzuge gemacht, wo die Kranken noch an der heftigen<lb/>
Kälte und an Entbehrungen aller Art litten. Es fand sich noch dabei Blutüber-<lb/>
füllung der Lungen und des Herzens.</note> bei einer grossen Anzahl Nostalgischer<lb/>
Entzündung der dünnen Hirnhäute und der Oberfläche des Gehirns<lb/>
an seinen vordern Lappen mit zerstreuten Eiterpunkten. <hi rendition="#g">Sc. Pinel</hi><lb/>
gibt als den häufigsten Leichenbefund bei den plötzlichen Todesfällen<lb/>
in der acuten Tobsucht eine starke Hyperämie der Corticalsubstanz,<lb/>
namentlich ihrer mittleren Schichten, mit (entzündlicher) hefenfarbiger<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Griesinger</hi>, psych. Krankhtn. 20</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0319] der zarten Häute und der Gehirnoberfläche. Die rasch entstandcne Hyperämie der Pia, wie die des Gehirns selbst, kann an sich schnell tödtlich werden (Apoplexia vascularis). Ihre Ausgänge und Folgen bei längerer Dauer bestehen in der Ver- dickung und Verdichtung beider Häute, in bleibender Infiltration, Oedem der Pia und in Varicosität ihrer Gefässe. Diese Befunde sind denn auch ausserordentlich häufig bei Geisteskranken; aber sie haben immer bei gleichzeitiger Atrophie der Windungen einen nur untergeordneten Werth, da sie hier immer die erst secundären Fol- gen dieses Gehirnzustandes (Hyperämie, seröse Ergüsse etc. ex vacuo) sein können. In der grauen Rindensubstanz zeigt sich die Hyperämie sehr häufig als eine verschieden nüancirte rothe Färbung, mitunter in ganz acuten Fällen von der dunkeln Röthe einer Erysipelas (Foville), oder als fleckige, marmorirte, streifige Färbungen mit einzelnen dun- kelrothen, feinen Flecken (sehr kleinen Blutextravasaten), Anfangs wohl auch mit Volums-Zunahme, Schwellung und vermehrter Consistenz; sie geht leicht genug in wirkliche Entzündung über. §. 142. Die Entzündung der Pia selbst setzt nur eine rascher oder langsamer sich bildende Verdickung nebst Verwachsung der Häute unter sich, an der grauen Corticalsubstanz aber die gewöhnliche Folge der Entzündung im Nervengewebe, die Erweichung, und die secundä- ren Umwandlungen des erweichten Gewebes, an beiden zusammen, die wichtige Verwachsung der Pia mit der Gehirnoberfläche, und es gehören diese Ausgänge einer Meningo-cerebritis zu den gewöhnlicheren Befunden in späteren Zeiträumen des Irreseins. Frische derartige Zustände sind theils nach Formen, die der Schwermuth angehören, theils nach der acuten Manie beobachtet worden. Larrey fand *) bei einer grossen Anzahl Nostalgischer Entzündung der dünnen Hirnhäute und der Oberfläche des Gehirns an seinen vordern Lappen mit zerstreuten Eiterpunkten. Sc. Pinel gibt als den häufigsten Leichenbefund bei den plötzlichen Todesfällen in der acuten Tobsucht eine starke Hyperämie der Corticalsubstanz, namentlich ihrer mittleren Schichten, mit (entzündlicher) hefenfarbiger *) Clinique. I. p. 224 seqq. — Diese Beobachtungen scheinen übrigens durch- gängig im russischen Feldzuge gemacht, wo die Kranken noch an der heftigen Kälte und an Entbehrungen aller Art litten. Es fand sich noch dabei Blutüber- füllung der Lungen und des Herzens. Griesinger, psych. Krankhtn. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/319
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/319>, abgerufen am 22.12.2024.