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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Beispiele von
in ihrer stummen Unterredung fort, denn ich sah wohl, dass sie mit mir sprach,
und ungeachtet ich so ruhig als möglich blieb, so hörte sie Einwendungen und
Vorwürfe, denen sie entgegnete. So sahen wir uns fast eine halbe Stunde lang
gegenseitig an, als sie einige Worte murmelte, die ich nicht verstand; ich bot ihr
mein Schreibheft an, auf das sie Folgendes schrieb.

"Clemence, in die Salpetriere geführt und unbekannt mit allem, was hier vor-
gegangen ist, denn ich habe keine solche Pein verdient dafür, dass ich nur so
wenig Glück verdiente. Ich schwöre, dass ich nie Jemanden bestohlen oder
beraubt habe, dass ich von Niemanden die Kostbarkeiten, das Geld, die in meinem
Zimmer sind, entlehnt, dass ich nie in die Lotterie gesetzt habe, dass ich mit
Vertrauen gekommen bin und überall hin mit Ehren gehen kann, dass ich sah,
wie sich die Mühle drehte" ....

Sie gab mir mein Heft zurück und fuhr fort wie früher. Endlich sagte sie
zu mir: "Aber, mein Herr, warum sprechen Sie nicht laut mit mir? -- Ich weiss
es nicht. -- Gar nichts, mein Herr, wenn man nichts sagt. -- Ich bin nie in
einem schlechten Hause gewesen. -- Ich weiss nicht, was Sie mir wieder sagen
wollen. -- Wenn man mich mit Physik eingeschläfert hat, so weiss ich nicht
was das ist, ich habe doppelte Nächte zugebracht. -- Nein, mein Herr, ach nie,
nie bin ich ihm ungetreu gewesen. -- Wenn Sie mir doch antworten wollten."

"Welchen Unterschied finden Sie in meinen Antworten, je nachdem ich die
Lippe bewege oder nicht bewege?"

"Ich finde, dass Sie sich frei aussprechen und ich höre lieber reden. -- Ich
höre Ihre Gedanken und ich weiss nicht warum: -- Nein, mein Herr, niemals
habe ich meine Hände in Blut getaucht, ich habe nie einen Mord begangen. --
Ja, mein Herr, ich liebe ihn noch."

"Wie geht es denn zu, dass Sie meine Gedanken hören?"

"Ich glaube, es geschieht durch die Physik, dass ich so sprechen höre. --
Auch wenn Niemand da ist, höre ich reden."

"Sagt man Ihnen immer nur traurige Dinge?"

"Niemals höre ich etwas Angenehmes. -- Sie sollen sehen, ob mein Benehmen
nicht immer dasselbe sein wird."

"Seit wann sind Sie verheirathet?"

"Ich kann es nicht genau sagen."

"Erinnern sie sich des Tags, des Monats, ob es im Sommer oder im Winter war?"

"Nein; ich habe es vergessen durch das Geschäft, das man mit mir macht,
durch die Bäder und das Fasten. Ich glaube schwanger zu sein. Ich habe viel-
leicht Schlangen, aber mein Mann ist keine Schlange. -- Ich fand mich entführt,
der König von Frankreich ist gekommen, ich habe eine Krone gemacht, und
gesagt: Wenn ich eine Dornenkrone verdient habe, so will ich sie wohl tragen.
-- Ich weiss nicht wie ich auf die Erde zurück kam, es war mir, wie wenn unter
mir alles zusammensänke." (Leuret, fragmens psychol. p. 153.)

XL. Verrücktheit. Untergang der Persönlichkeit. Halluci-
nationen aller Sinne
. Eine Kranke auf Parisets Abtheilung, 56 Jahre alt
und von anscheinend gutem Befinden, hat seit 1827 das Bewusstsein ihrer Indi-
vidualität verloren und hält sich für eine ganz andere Frau als sie früher war.
Dieser Glaube scheint an eine Veränderung ihrer Empfindungsweise geknüpft und
besonders an zahlreiche mannigfaltige und unaufhörliche Hallucinationen. Sie

Beispiele von
in ihrer stummen Unterredung fort, denn ich sah wohl, dass sie mit mir sprach,
und ungeachtet ich so ruhig als möglich blieb, so hörte sie Einwendungen und
Vorwürfe, denen sie entgegnete. So sahen wir uns fast eine halbe Stunde lang
gegenseitig an, als sie einige Worte murmelte, die ich nicht verstand; ich bot ihr
mein Schreibheft an, auf das sie Folgendes schrieb.

„Clemence, in die Salpetrière geführt und unbekannt mit allem, was hier vor-
gegangen ist, denn ich habe keine solche Pein verdient dafür, dass ich nur so
wenig Glück verdiente. Ich schwöre, dass ich nie Jemanden bestohlen oder
beraubt habe, dass ich von Niemanden die Kostbarkeiten, das Geld, die in meinem
Zimmer sind, entlehnt, dass ich nie in die Lotterie gesetzt habe, dass ich mit
Vertrauen gekommen bin und überall hin mit Ehren gehen kann, dass ich sah,
wie sich die Mühle drehte“ ....

Sie gab mir mein Heft zurück und fuhr fort wie früher. Endlich sagte sie
zu mir: „Aber, mein Herr, warum sprechen Sie nicht laut mit mir? — Ich weiss
es nicht. — Gar nichts, mein Herr, wenn man nichts sagt. — Ich bin nie in
einem schlechten Hause gewesen. — Ich weiss nicht, was Sie mir wieder sagen
wollen. — Wenn man mich mit Physik eingeschläfert hat, so weiss ich nicht
was das ist, ich habe doppelte Nächte zugebracht. — Nein, mein Herr, ach nie,
nie bin ich ihm ungetreu gewesen. — Wenn Sie mir doch antworten wollten.“

„Welchen Unterschied finden Sie in meinen Antworten, je nachdem ich die
Lippe bewege oder nicht bewege?“

„Ich finde, dass Sie sich frei aussprechen und ich höre lieber reden. — Ich
höre Ihre Gedanken und ich weiss nicht warum: — Nein, mein Herr, niemals
habe ich meine Hände in Blut getaucht, ich habe nie einen Mord begangen. —
Ja, mein Herr, ich liebe ihn noch.“

„Wie geht es denn zu, dass Sie meine Gedanken hören?“

„Ich glaube, es geschieht durch die Physik, dass ich so sprechen höre. —
Auch wenn Niemand da ist, höre ich reden.“

„Sagt man Ihnen immer nur traurige Dinge?“

„Niemals höre ich etwas Angenehmes. — Sie sollen sehen, ob mein Benehmen
nicht immer dasselbe sein wird.“

„Seit wann sind Sie verheirathet?“

„Ich kann es nicht genau sagen.“

„Erinnern sie sich des Tags, des Monats, ob es im Sommer oder im Winter war?“

„Nein; ich habe es vergessen durch das Geschäft, das man mit mir macht,
durch die Bäder und das Fasten. Ich glaube schwanger zu sein. Ich habe viel-
leicht Schlangen, aber mein Mann ist keine Schlange. — Ich fand mich entführt,
der König von Frankreich ist gekommen, ich habe eine Krone gemacht, und
gesagt: Wenn ich eine Dornenkrone verdient habe, so will ich sie wohl tragen.
— Ich weiss nicht wie ich auf die Erde zurück kam, es war mir, wie wenn unter
mir alles zusammensänke.“ (Leuret, fragmens psychol. p. 153.)

XL. Verrücktheit. Untergang der Persönlichkeit. Halluci-
nationen aller Sinne
. Eine Kranke auf Parisets Abtheilung, 56 Jahre alt
und von anscheinend gutem Befinden, hat seit 1827 das Bewusstsein ihrer Indi-
vidualität verloren und hält sich für eine ganz andere Frau als sie früher war.
Dieser Glaube scheint an eine Veränderung ihrer Empfindungsweise geknüpft und
besonders an zahlreiche mannigfaltige und unaufhörliche Hallucinationen. Sie

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[270/0284] Beispiele von in ihrer stummen Unterredung fort, denn ich sah wohl, dass sie mit mir sprach, und ungeachtet ich so ruhig als möglich blieb, so hörte sie Einwendungen und Vorwürfe, denen sie entgegnete. So sahen wir uns fast eine halbe Stunde lang gegenseitig an, als sie einige Worte murmelte, die ich nicht verstand; ich bot ihr mein Schreibheft an, auf das sie Folgendes schrieb. „Clemence, in die Salpetrière geführt und unbekannt mit allem, was hier vor- gegangen ist, denn ich habe keine solche Pein verdient dafür, dass ich nur so wenig Glück verdiente. Ich schwöre, dass ich nie Jemanden bestohlen oder beraubt habe, dass ich von Niemanden die Kostbarkeiten, das Geld, die in meinem Zimmer sind, entlehnt, dass ich nie in die Lotterie gesetzt habe, dass ich mit Vertrauen gekommen bin und überall hin mit Ehren gehen kann, dass ich sah, wie sich die Mühle drehte“ .... Sie gab mir mein Heft zurück und fuhr fort wie früher. Endlich sagte sie zu mir: „Aber, mein Herr, warum sprechen Sie nicht laut mit mir? — Ich weiss es nicht. — Gar nichts, mein Herr, wenn man nichts sagt. — Ich bin nie in einem schlechten Hause gewesen. — Ich weiss nicht, was Sie mir wieder sagen wollen. — Wenn man mich mit Physik eingeschläfert hat, so weiss ich nicht was das ist, ich habe doppelte Nächte zugebracht. — Nein, mein Herr, ach nie, nie bin ich ihm ungetreu gewesen. — Wenn Sie mir doch antworten wollten.“ „Welchen Unterschied finden Sie in meinen Antworten, je nachdem ich die Lippe bewege oder nicht bewege?“ „Ich finde, dass Sie sich frei aussprechen und ich höre lieber reden. — Ich höre Ihre Gedanken und ich weiss nicht warum: — Nein, mein Herr, niemals habe ich meine Hände in Blut getaucht, ich habe nie einen Mord begangen. — Ja, mein Herr, ich liebe ihn noch.“ „Wie geht es denn zu, dass Sie meine Gedanken hören?“ „Ich glaube, es geschieht durch die Physik, dass ich so sprechen höre. — Auch wenn Niemand da ist, höre ich reden.“ „Sagt man Ihnen immer nur traurige Dinge?“ „Niemals höre ich etwas Angenehmes. — Sie sollen sehen, ob mein Benehmen nicht immer dasselbe sein wird.“ „Seit wann sind Sie verheirathet?“ „Ich kann es nicht genau sagen.“ „Erinnern sie sich des Tags, des Monats, ob es im Sommer oder im Winter war?“ „Nein; ich habe es vergessen durch das Geschäft, das man mit mir macht, durch die Bäder und das Fasten. Ich glaube schwanger zu sein. Ich habe viel- leicht Schlangen, aber mein Mann ist keine Schlange. — Ich fand mich entführt, der König von Frankreich ist gekommen, ich habe eine Krone gemacht, und gesagt: Wenn ich eine Dornenkrone verdient habe, so will ich sie wohl tragen. — Ich weiss nicht wie ich auf die Erde zurück kam, es war mir, wie wenn unter mir alles zusammensänke.“ (Leuret, fragmens psychol. p. 153.) XL. Verrücktheit. Untergang der Persönlichkeit. Halluci- nationen aller Sinne. Eine Kranke auf Parisets Abtheilung, 56 Jahre alt und von anscheinend gutem Befinden, hat seit 1827 das Bewusstsein ihrer Indi- vidualität verloren und hält sich für eine ganz andere Frau als sie früher war. Dieser Glaube scheint an eine Veränderung ihrer Empfindungsweise geknüpft und besonders an zahlreiche mannigfaltige und unaufhörliche Hallucinationen. Sie

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/284>, abgerufen am 29.11.2024.