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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Sinnes- Bewegungs-Anomalieen.

Was die Bewegungsorgane betrifft, so ist meist während der
Tobsucht ein anhaltender Impuls zu Contractionen vieler Muskeln zu
erkennen; die Körperbewegungen und namentlich die Sprachwerk-
zeuge nehmen an der psychischen Exaltation Antheil; jene sind leb-
haft, schnell, energisch, indem in Rede, Geschrei, Gesticulation und
Handlung Alles sogleich nach aussen treten muss; Blick und
Mienen sind oft lebhaft, gespannt, verzerrt. Viel ist von der ausser-
ordentlichen Stärke, von einer wirklichen Erhöhung der Muskel-
kraft
bei den Tobsüchtigen gesagt worden (Esquirol, Pinel, Ideler etc.).
In der grossen Mehrzahl der Fälle findet sich nichts Solches, die
Kranken zeigen sich so wenig stärker als im gesunden Zustande,
dass ein einziger geschickter Wärter sie wohl bändigen kann, und es
entsteht der Anschein von Steigerung der Körperkraft gewöhnlich nur
aus der Rücksichtslosigkeit, mit der der Kranke in den einzelnen
Ausbrüchen seine Muskeln wirken lässt. Dagegen ist es richtig und
allerdings auffallend, wie die Kranken oft in Einem fort einen sehr
lange andauernden
Aufwand von Muskelkraft machen, dessen der
Gesunde nicht fähig wäre. Man sieht solche zuweilen Wochen und
Monate lang bei spärlichem Schlafe anhaltend aufs Gewaltsamste
forttoben, und es scheint hier die Möglichkeit einer so enormen
Muskelanstrengung nur dadurch erklärt werden zu können, dass dem
Kranken durch eine Anomalie der Muskelempfindung das Gefühl
der Ermüdung fehlt
. Man sieht nemlich, wie die Kranken auch
bei sehr gesunkener Ernährung sich immer für sehr kräftig halten
und erklären und ihrem Körper Alles zutrauen, während doch eben
die häufige starke Abmagerung und die mit dem Ende des Anfalls
eintretende grosse Ermattung hinlänglich zeigen, wie der Organismus
diese Anstrengungen nicht ungestraft erträgt.

Auch wirkliche Convulsionen kommen in den Bewegungsorganen
mitunter vor, Zähneknirschen, Zuckungen des Gesichts oder ver-
breitete Convulsionen, letztere theils im Wachen, theils in hin und
wieder beobachteten, vorübergehenden ohnmachtähnlichen und exsta-
tischen Zuständen. Seltener noch sind partielle Lähmungen im Zu-
sammenhange mit der Tobsucht; dagegen gibt sich nicht selten der
Beginn der allgemeinen Paralyse während einer mässig und schwach
verlaufenden Tobsucht schon in den unsichern Bewegungen der
Zunge kund.

Von weiteren Symptomen ist bei Tobsüchtigen eine Störung des Schlafes
sehr gewöhnlieh, in manchen Fällen lange andauernde vollständige Schlaflosigkeit;
von einem ruhigen Schlafe darf übrigens für den Verlauf der Tobsucht nicht zu

Sinnes- Bewegungs-Anomalieen.

Was die Bewegungsorgane betrifft, so ist meist während der
Tobsucht ein anhaltender Impuls zu Contractionen vieler Muskeln zu
erkennen; die Körperbewegungen und namentlich die Sprachwerk-
zeuge nehmen an der psychischen Exaltation Antheil; jene sind leb-
haft, schnell, energisch, indem in Rede, Geschrei, Gesticulation und
Handlung Alles sogleich nach aussen treten muss; Blick und
Mienen sind oft lebhaft, gespannt, verzerrt. Viel ist von der ausser-
ordentlichen Stärke, von einer wirklichen Erhöhung der Muskel-
kraft
bei den Tobsüchtigen gesagt worden (Esquirol, Pinel, Ideler etc.).
In der grossen Mehrzahl der Fälle findet sich nichts Solches, die
Kranken zeigen sich so wenig stärker als im gesunden Zustande,
dass ein einziger geschickter Wärter sie wohl bändigen kann, und es
entsteht der Anschein von Steigerung der Körperkraft gewöhnlich nur
aus der Rücksichtslosigkeit, mit der der Kranke in den einzelnen
Ausbrüchen seine Muskeln wirken lässt. Dagegen ist es richtig und
allerdings auffallend, wie die Kranken oft in Einem fort einen sehr
lange andauernden
Aufwand von Muskelkraft machen, dessen der
Gesunde nicht fähig wäre. Man sieht solche zuweilen Wochen und
Monate lang bei spärlichem Schlafe anhaltend aufs Gewaltsamste
forttoben, und es scheint hier die Möglichkeit einer so enormen
Muskelanstrengung nur dadurch erklärt werden zu können, dass dem
Kranken durch eine Anomalie der Muskelempfindung das Gefühl
der Ermüdung fehlt
. Man sieht nemlich, wie die Kranken auch
bei sehr gesunkener Ernährung sich immer für sehr kräftig halten
und erklären und ihrem Körper Alles zutrauen, während doch eben
die häufige starke Abmagerung und die mit dem Ende des Anfalls
eintretende grosse Ermattung hinlänglich zeigen, wie der Organismus
diese Anstrengungen nicht ungestraft erträgt.

Auch wirkliche Convulsionen kommen in den Bewegungsorganen
mitunter vor, Zähneknirschen, Zuckungen des Gesichts oder ver-
breitete Convulsionen, letztere theils im Wachen, theils in hin und
wieder beobachteten, vorübergehenden ohnmachtähnlichen und exsta-
tischen Zuständen. Seltener noch sind partielle Lähmungen im Zu-
sammenhange mit der Tobsucht; dagegen gibt sich nicht selten der
Beginn der allgemeinen Paralyse während einer mässig und schwach
verlaufenden Tobsucht schon in den unsichern Bewegungen der
Zunge kund.

Von weiteren Symptomen ist bei Tobsüchtigen eine Störung des Schlafes
sehr gewöhnlieh, in manchen Fällen lange andauernde vollständige Schlaflosigkeit;
von einem ruhigen Schlafe darf übrigens für den Verlauf der Tobsucht nicht zu

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[223/0237] Sinnes- Bewegungs-Anomalieen. Was die Bewegungsorgane betrifft, so ist meist während der Tobsucht ein anhaltender Impuls zu Contractionen vieler Muskeln zu erkennen; die Körperbewegungen und namentlich die Sprachwerk- zeuge nehmen an der psychischen Exaltation Antheil; jene sind leb- haft, schnell, energisch, indem in Rede, Geschrei, Gesticulation und Handlung Alles sogleich nach aussen treten muss; Blick und Mienen sind oft lebhaft, gespannt, verzerrt. Viel ist von der ausser- ordentlichen Stärke, von einer wirklichen Erhöhung der Muskel- kraft bei den Tobsüchtigen gesagt worden (Esquirol, Pinel, Ideler etc.). In der grossen Mehrzahl der Fälle findet sich nichts Solches, die Kranken zeigen sich so wenig stärker als im gesunden Zustande, dass ein einziger geschickter Wärter sie wohl bändigen kann, und es entsteht der Anschein von Steigerung der Körperkraft gewöhnlich nur aus der Rücksichtslosigkeit, mit der der Kranke in den einzelnen Ausbrüchen seine Muskeln wirken lässt. Dagegen ist es richtig und allerdings auffallend, wie die Kranken oft in Einem fort einen sehr lange andauernden Aufwand von Muskelkraft machen, dessen der Gesunde nicht fähig wäre. Man sieht solche zuweilen Wochen und Monate lang bei spärlichem Schlafe anhaltend aufs Gewaltsamste forttoben, und es scheint hier die Möglichkeit einer so enormen Muskelanstrengung nur dadurch erklärt werden zu können, dass dem Kranken durch eine Anomalie der Muskelempfindung das Gefühl der Ermüdung fehlt. Man sieht nemlich, wie die Kranken auch bei sehr gesunkener Ernährung sich immer für sehr kräftig halten und erklären und ihrem Körper Alles zutrauen, während doch eben die häufige starke Abmagerung und die mit dem Ende des Anfalls eintretende grosse Ermattung hinlänglich zeigen, wie der Organismus diese Anstrengungen nicht ungestraft erträgt. Auch wirkliche Convulsionen kommen in den Bewegungsorganen mitunter vor, Zähneknirschen, Zuckungen des Gesichts oder ver- breitete Convulsionen, letztere theils im Wachen, theils in hin und wieder beobachteten, vorübergehenden ohnmachtähnlichen und exsta- tischen Zuständen. Seltener noch sind partielle Lähmungen im Zu- sammenhange mit der Tobsucht; dagegen gibt sich nicht selten der Beginn der allgemeinen Paralyse während einer mässig und schwach verlaufenden Tobsucht schon in den unsichern Bewegungen der Zunge kund. Von weiteren Symptomen ist bei Tobsüchtigen eine Störung des Schlafes sehr gewöhnlieh, in manchen Fällen lange andauernde vollständige Schlaflosigkeit; von einem ruhigen Schlafe darf übrigens für den Verlauf der Tobsucht nicht zu

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/237>, abgerufen am 27.11.2024.