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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Dämono-Melancholie. Besessensein.

Bei dieser Form nimmt die von dem Kranken hypostasirte fremde,
feindliche Macht, durch welche er sich beherrscht glaubt, nach dem in
Ort und Zeit liegenden Aberglauben verschiedene dämonische Gestalten
an (Teufel, Gespenster etc.) denen wohl auch bei gleichzeitigen aus
einzelnen Körpertheilen entstehenden anomalen Sensationen, von dem
Kranken zuweilen ein beschränkter Sitz, bald in einer ganzen Körper-
hälfte, bald im Kopf, der Brust, dem Rücken etc. angewiesen wird. Nicht
selten sind dabei Convulsionen der willkührlichen Muskeln, Krämpfe
des Larynx, wodurch die Stimme auffallend verändert wird, Anästhesieen
einzelner Hautparthieen und Hallucinationen des Gesichts und Gehörs
vorhanden. Zuweilen begleitet dieses Delirium intermittirende Paroxis-
men heftiger Krämpfe (offenbare Analoga epileptischer oder hysterischer
Anfälle), die durch vollständig freie lucida intervalla geschieden werden.

Diese Formen der religiösen Schwermuth sind sorgfältig zu unterscheiden
von jenem, auch in religiösen Vorstellungen sich bewegenden, aber freudigen,
kühnen, mit Exaltation verbundenen Irresein, wobei die Kranken entweder Gott
selbst zu sein oder in inniger Verbindung mit Gott, den Engeln, dem Himmel zu
stehen behaupten. Wir werden diese, dem psychologischen Hergange nach von
der Schwermuth total verschiedenen Zustände unter den Exaltationsformen des
Näheren besprechen.

Beispiele von Besessensein.

IX. Tuberculose. Psychische Ursachen. Wahn vom Teufel
besessen zu sein. Tod
. A. D., 46 Jahre alt, Dienstmädchen, sehr nervös,
hatte in frühern Jahren mehrfachen Kummer in Liebesverhältnissen erlitten und
war schon einmal melancholisch geworden; die Menses cessirten, sie hatte mehre
Keuschheitsgelübde gethan, diese wieder gebrochen, sich dann für verdammt ge-
halten; zuletzt glaubt sie sich in der Gewalt von Dämonen und empfindet alle
Qualen der Hölle und der Verzweiflung. Sie wird im März 1813 in die Salpe-
triere geschickt. Sie ist ausserordentlich mager, ihre Haut erdfarben, ihr Ge-
sicht convulsivisch verzerrt; sie verweigert die Nahrung, ist schlaflos; der Kopf
ist schwer, im Innern sehr brennend, äusserlich wie mit einem Stricke zusam-
mengezogen. Sie leidet an sehr schmerzhaften Zusammenziehungen der Kehle,
rollt die Haut des Halses unaufhörlich mit ihren Fingern, drängt sie nach dem
Brustbein hin, und versichert, dass der Teufel sie ziehe, zusammenschnüre und
am Schlingen hindere. Die Bauchmuskeln sind sehr gespannt, der Stuhl ver-
stopft, an Hand und Fuss eine scrophulose Anschwellung. Der Teufel hat
ihr eine Schnur vom Brustbein bis zu den Genitalien gezogen, wodurch sie
verhindert wird, aufrecht zu stehen. Der Dämon ist in ihrem Körper, brennt,
kneift sie, beisst ihr ins Herz und zerreisst ihr die Eingeweide. Sie ist von
Flammen umgeben und mitten im Feuer der Hölle, ihre Qualen sind unerhört,
schreklich, ewig, sie ist verdammt und der Himmel kann kein Erbarmen mit
ihr haben.

Im April nahmen die Kräfte ab; sie sieht Niemanden, der sich ihr nähert,
der Tag kommt ihr nur als ein Schein vor, in dem Gespenster und Dämonen

Dämono-Melancholie. Besessensein.

Bei dieser Form nimmt die von dem Kranken hypostasirte fremde,
feindliche Macht, durch welche er sich beherrscht glaubt, nach dem in
Ort und Zeit liegenden Aberglauben verschiedene dämonische Gestalten
an (Teufel, Gespenster etc.) denen wohl auch bei gleichzeitigen aus
einzelnen Körpertheilen entstehenden anomalen Sensationen, von dem
Kranken zuweilen ein beschränkter Sitz, bald in einer ganzen Körper-
hälfte, bald im Kopf, der Brust, dem Rücken etc. angewiesen wird. Nicht
selten sind dabei Convulsionen der willkührlichen Muskeln, Krämpfe
des Larynx, wodurch die Stimme auffallend verändert wird, Anästhesieen
einzelner Hautparthieen und Hallucinationen des Gesichts und Gehörs
vorhanden. Zuweilen begleitet dieses Delirium intermittirende Paroxis-
men heftiger Krämpfe (offenbare Analoga epileptischer oder hysterischer
Anfälle), die durch vollständig freie lucida intervalla geschieden werden.

Diese Formen der religiösen Schwermuth sind sorgfältig zu unterscheiden
von jenem, auch in religiösen Vorstellungen sich bewegenden, aber freudigen,
kühnen, mit Exaltation verbundenen Irresein, wobei die Kranken entweder Gott
selbst zu sein oder in inniger Verbindung mit Gott, den Engeln, dem Himmel zu
stehen behaupten. Wir werden diese, dem psychologischen Hergange nach von
der Schwermuth total verschiedenen Zustände unter den Exaltationsformen des
Näheren besprechen.

Beispiele von Besessensein.

IX. Tuberculose. Psychische Ursachen. Wahn vom Teufel
besessen zu sein. Tod
. A. D., 46 Jahre alt, Dienstmädchen, sehr nervös,
hatte in frühern Jahren mehrfachen Kummer in Liebesverhältnissen erlitten und
war schon einmal melancholisch geworden; die Menses cessirten, sie hatte mehre
Keuschheitsgelübde gethan, diese wieder gebrochen, sich dann für verdammt ge-
halten; zuletzt glaubt sie sich in der Gewalt von Dämonen und empfindet alle
Qualen der Hölle und der Verzweiflung. Sie wird im März 1813 in die Salpe-
trière geschickt. Sie ist ausserordentlich mager, ihre Haut erdfarben, ihr Ge-
sicht convulsivisch verzerrt; sie verweigert die Nahrung, ist schlaflos; der Kopf
ist schwer, im Innern sehr brennend, äusserlich wie mit einem Stricke zusam-
mengezogen. Sie leidet an sehr schmerzhaften Zusammenziehungen der Kehle,
rollt die Haut des Halses unaufhörlich mit ihren Fingern, drängt sie nach dem
Brustbein hin, und versichert, dass der Teufel sie ziehe, zusammenschnüre und
am Schlingen hindere. Die Bauchmuskeln sind sehr gespannt, der Stuhl ver-
stopft, an Hand und Fuss eine scrophulose Anschwellung. Der Teufel hat
ihr eine Schnur vom Brustbein bis zu den Genitalien gezogen, wodurch sie
verhindert wird, aufrecht zu stehen. Der Dämon ist in ihrem Körper, brennt,
kneift sie, beisst ihr ins Herz und zerreisst ihr die Eingeweide. Sie ist von
Flammen umgeben und mitten im Feuer der Hölle, ihre Qualen sind unerhört,
schreklich, ewig, sie ist verdammt und der Himmel kann kein Erbarmen mit
ihr haben.

Im April nahmen die Kräfte ab; sie sieht Niemanden, der sich ihr nähert,
der Tag kommt ihr nur als ein Schein vor, in dem Gespenster und Dämonen

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[182/0196] Dämono-Melancholie. Besessensein. Bei dieser Form nimmt die von dem Kranken hypostasirte fremde, feindliche Macht, durch welche er sich beherrscht glaubt, nach dem in Ort und Zeit liegenden Aberglauben verschiedene dämonische Gestalten an (Teufel, Gespenster etc.) denen wohl auch bei gleichzeitigen aus einzelnen Körpertheilen entstehenden anomalen Sensationen, von dem Kranken zuweilen ein beschränkter Sitz, bald in einer ganzen Körper- hälfte, bald im Kopf, der Brust, dem Rücken etc. angewiesen wird. Nicht selten sind dabei Convulsionen der willkührlichen Muskeln, Krämpfe des Larynx, wodurch die Stimme auffallend verändert wird, Anästhesieen einzelner Hautparthieen und Hallucinationen des Gesichts und Gehörs vorhanden. Zuweilen begleitet dieses Delirium intermittirende Paroxis- men heftiger Krämpfe (offenbare Analoga epileptischer oder hysterischer Anfälle), die durch vollständig freie lucida intervalla geschieden werden. Diese Formen der religiösen Schwermuth sind sorgfältig zu unterscheiden von jenem, auch in religiösen Vorstellungen sich bewegenden, aber freudigen, kühnen, mit Exaltation verbundenen Irresein, wobei die Kranken entweder Gott selbst zu sein oder in inniger Verbindung mit Gott, den Engeln, dem Himmel zu stehen behaupten. Wir werden diese, dem psychologischen Hergange nach von der Schwermuth total verschiedenen Zustände unter den Exaltationsformen des Näheren besprechen. Beispiele von Besessensein. IX. Tuberculose. Psychische Ursachen. Wahn vom Teufel besessen zu sein. Tod. A. D., 46 Jahre alt, Dienstmädchen, sehr nervös, hatte in frühern Jahren mehrfachen Kummer in Liebesverhältnissen erlitten und war schon einmal melancholisch geworden; die Menses cessirten, sie hatte mehre Keuschheitsgelübde gethan, diese wieder gebrochen, sich dann für verdammt ge- halten; zuletzt glaubt sie sich in der Gewalt von Dämonen und empfindet alle Qualen der Hölle und der Verzweiflung. Sie wird im März 1813 in die Salpe- trière geschickt. Sie ist ausserordentlich mager, ihre Haut erdfarben, ihr Ge- sicht convulsivisch verzerrt; sie verweigert die Nahrung, ist schlaflos; der Kopf ist schwer, im Innern sehr brennend, äusserlich wie mit einem Stricke zusam- mengezogen. Sie leidet an sehr schmerzhaften Zusammenziehungen der Kehle, rollt die Haut des Halses unaufhörlich mit ihren Fingern, drängt sie nach dem Brustbein hin, und versichert, dass der Teufel sie ziehe, zusammenschnüre und am Schlingen hindere. Die Bauchmuskeln sind sehr gespannt, der Stuhl ver- stopft, an Hand und Fuss eine scrophulose Anschwellung. Der Teufel hat ihr eine Schnur vom Brustbein bis zu den Genitalien gezogen, wodurch sie verhindert wird, aufrecht zu stehen. Der Dämon ist in ihrem Körper, brennt, kneift sie, beisst ihr ins Herz und zerreisst ihr die Eingeweide. Sie ist von Flammen umgeben und mitten im Feuer der Hölle, ihre Qualen sind unerhört, schreklich, ewig, sie ist verdammt und der Himmel kann kein Erbarmen mit ihr haben. Im April nahmen die Kräfte ab; sie sieht Niemanden, der sich ihr nähert, der Tag kommt ihr nur als ein Schein vor, in dem Gespenster und Dämonen

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/196>, abgerufen am 24.11.2024.