getheilt. -- Wie als sogen. Wechselfieberlarven Paroxismen von Irresein vorkommen, so auch andere schwere, intermittirende Neurosen, Paralysen, Epi- lepsieähnliche, tetanische Zustände (Vgl. Mongellaz, l. c.). Ebenso sind Fälle bekannt, wo als Nachkrankheiten der Intermittens anderartige, bedenkliche Nervenleiden auftreten (Gliederzittern, subparalytische und paralytische Zustände) *).
Weiter schliessen sich an diese Nachkrankheiten der intermittirenden Fieber auch die üblen Folgen der schweren anhaltenden Fieber, namentlich eines über- standenen Typhus an. Alle Beobachter stimmen in Bezug auf die Wichtigkeit dieses Verhältnisses überein (Jakobi z. B. schreibt bei 1/8 seiner Tobsüchtigen die Erkrankung den Folgezuständen typhoser Fieber zu), und wenn sich gleich in manchen Fällen durchaus nicht bestimmen lässt, ob jene Erkrankungen in wah- rem Typhus bestanden, so finden sich allerdings unverhältnissmässig oft unter den Antecedentien der Irren schwere fieberhafte Erkrankungen mit Delirien, Stupor etc. vor. Solche Fieber mögen durch directe Beeinträchtigung des Central- Nervensystems ebenso, als durch den ihnen oft lange folgenden anämischen, cachectischen Zustand zu Krankheitsursachen werden.
§. 84.
2) Auch Blutalterationen -- im weiteren Sinn dyscrasische Zu- stände -- können unzweifelhaft zu Ursachen des Irreseins werden. Vor Allem gehören hierher alle Zustände von Exaninition und allge- meiner Anämie, wie sich solche nach langem Hunger und Elend, nach selbsterzwungenem Fasten (religiöser Ascese in früheren Zeiten) nach grossen Blutverlusten (z. B. bei der Geburt), nach zu lange fort- gesetzter Lactation und dergl. bilden und ebenso sehr häufig zu Ur- sachen anderer hartnäckiger Neurosen, namentlich Spinalirritationen, werden.
Für so bedeutsam wir diese Zustände halten, und so sehr wir demgemäss die "asthenische Natur" sehr vieler Geisteskrankheiten anerkennen, so ist es uns doch auffallend, dass kaum Fälle von Entstehung wirklichen Irreseins bei eigentlich Chlorotischen, wo Anämie, Menostasie, allerlei psychische Ursachen so oft zusammentreffen, bekannt sind. -- Dass mit jenen allgemein anämischen Zu- ständen hartnäckige locale Hyperämieen, namentlich in der Schädelhöhle, sehr wohl gleichzeitig bestehen können, braucht nur für diejenigen bemerkt zu werden, in deren medicinischem Denken die Vorstellungen Hyperämie und Blutentziehung einen unlöslichen Bund geschlossen haben.
Weiter ist hier die constitutionelle Siphilis, gemeinhin als Blut- alteration aufgefasst, zu erwähnen. Sie kann niemals in anderer Weise, als durch schwerere Vegetationskrankheiten, durch Caries des Schädels oder des innern Ohrs, durch Exostose am Cranium und dergl. zu einer entfernteren Ursache von Geisteskrankheiten werden, ist aber eben in dieser Beziehung aufs ernstlichste zu berücksichtigen. -- Eine eben
*) Vgl. Maillot, traite des fievres intermittentes. Par. 1836. p. 250.
Blutveränderungen
getheilt. — Wie als sogen. Wechselfieberlarven Paroxismen von Irresein vorkommen, so auch andere schwere, intermittirende Neurosen, Paralysen, Epi- lepsieähnliche, tetanische Zustände (Vgl. Mongellaz, l. c.). Ebenso sind Fälle bekannt, wo als Nachkrankheiten der Intermittens anderartige, bedenkliche Nervenleiden auftreten (Gliederzittern, subparalytische und paralytische Zustände) *).
Weiter schliessen sich an diese Nachkrankheiten der intermittirenden Fieber auch die üblen Folgen der schweren anhaltenden Fieber, namentlich eines über- standenen Typhus an. Alle Beobachter stimmen in Bezug auf die Wichtigkeit dieses Verhältnisses überein (Jakobi z. B. schreibt bei ⅛ seiner Tobsüchtigen die Erkrankung den Folgezuständen typhoser Fieber zu), und wenn sich gleich in manchen Fällen durchaus nicht bestimmen lässt, ob jene Erkrankungen in wah- rem Typhus bestanden, so finden sich allerdings unverhältnissmässig oft unter den Antecedentien der Irren schwere fieberhafte Erkrankungen mit Delirien, Stupor etc. vor. Solche Fieber mögen durch directe Beeinträchtigung des Central- Nervensystems ebenso, als durch den ihnen oft lange folgenden anämischen, cachectischen Zustand zu Krankheitsursachen werden.
§. 84.
2) Auch Blutalterationen — im weiteren Sinn dyscrasische Zu- stände — können unzweifelhaft zu Ursachen des Irreseins werden. Vor Allem gehören hierher alle Zustände von Exaninition und allge- meiner Anämie, wie sich solche nach langem Hunger und Elend, nach selbsterzwungenem Fasten (religiöser Ascese in früheren Zeiten) nach grossen Blutverlusten (z. B. bei der Geburt), nach zu lange fort- gesetzter Lactation und dergl. bilden und ebenso sehr häufig zu Ur- sachen anderer hartnäckiger Neurosen, namentlich Spinalirritationen, werden.
Für so bedeutsam wir diese Zustände halten, und so sehr wir demgemäss die „asthenische Natur“ sehr vieler Geisteskrankheiten anerkennen, so ist es uns doch auffallend, dass kaum Fälle von Entstehung wirklichen Irreseins bei eigentlich Chlorotischen, wo Anämie, Menostasie, allerlei psychische Ursachen so oft zusammentreffen, bekannt sind. — Dass mit jenen allgemein anämischen Zu- ständen hartnäckige locale Hyperämieen, namentlich in der Schädelhöhle, sehr wohl gleichzeitig bestehen können, braucht nur für diejenigen bemerkt zu werden, in deren medicinischem Denken die Vorstellungen Hyperämie und Blutentziehung einen unlöslichen Bund geschlossen haben.
Weiter ist hier die constitutionelle Siphilis, gemeinhin als Blut- alteration aufgefasst, zu erwähnen. Sie kann niemals in anderer Weise, als durch schwerere Vegetationskrankheiten, durch Caries des Schädels oder des innern Ohrs, durch Exostose am Cranium und dergl. zu einer entfernteren Ursache von Geisteskrankheiten werden, ist aber eben in dieser Beziehung aufs ernstlichste zu berücksichtigen. — Eine eben
*) Vgl. Maillot, traité des fièvres intermittentes. Par. 1836. p. 250.
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Blutveränderungen
getheilt. — Wie als sogen. Wechselfieberlarven Paroxismen von Irresein
vorkommen, so auch andere schwere, intermittirende Neurosen, Paralysen, Epi-
lepsieähnliche, tetanische Zustände (Vgl. Mongellaz, l. c.). Ebenso sind Fälle
bekannt, wo als Nachkrankheiten der Intermittens anderartige, bedenkliche
Nervenleiden auftreten (Gliederzittern, subparalytische und paralytische Zustände) *).
Weiter schliessen sich an diese Nachkrankheiten der intermittirenden Fieber auch
die üblen Folgen der schweren anhaltenden Fieber, namentlich eines über-
standenen Typhus an. Alle Beobachter stimmen in Bezug auf die Wichtigkeit
dieses Verhältnisses überein (Jakobi z. B. schreibt bei ⅛ seiner Tobsüchtigen
die Erkrankung den Folgezuständen typhoser Fieber zu), und wenn sich gleich in
manchen Fällen durchaus nicht bestimmen lässt, ob jene Erkrankungen in wah-
rem Typhus bestanden, so finden sich allerdings unverhältnissmässig oft unter
den Antecedentien der Irren schwere fieberhafte Erkrankungen mit Delirien,
Stupor etc. vor. Solche Fieber mögen durch directe Beeinträchtigung des Central-
Nervensystems ebenso, als durch den ihnen oft lange folgenden anämischen,
cachectischen Zustand zu Krankheitsursachen werden.
§. 84.
2) Auch Blutalterationen — im weiteren Sinn dyscrasische Zu-
stände — können unzweifelhaft zu Ursachen des Irreseins werden.
Vor Allem gehören hierher alle Zustände von Exaninition und allge-
meiner Anämie, wie sich solche nach langem Hunger und Elend,
nach selbsterzwungenem Fasten (religiöser Ascese in früheren Zeiten)
nach grossen Blutverlusten (z. B. bei der Geburt), nach zu lange fort-
gesetzter Lactation und dergl. bilden und ebenso sehr häufig zu Ur-
sachen anderer hartnäckiger Neurosen, namentlich Spinalirritationen,
werden.
Für so bedeutsam wir diese Zustände halten, und so sehr wir demgemäss
die „asthenische Natur“ sehr vieler Geisteskrankheiten anerkennen, so ist es
uns doch auffallend, dass kaum Fälle von Entstehung wirklichen Irreseins bei
eigentlich Chlorotischen, wo Anämie, Menostasie, allerlei psychische Ursachen so
oft zusammentreffen, bekannt sind. — Dass mit jenen allgemein anämischen Zu-
ständen hartnäckige locale Hyperämieen, namentlich in der Schädelhöhle, sehr
wohl gleichzeitig bestehen können, braucht nur für diejenigen bemerkt zu werden,
in deren medicinischem Denken die Vorstellungen Hyperämie und Blutentziehung
einen unlöslichen Bund geschlossen haben.
Weiter ist hier die constitutionelle Siphilis, gemeinhin als Blut-
alteration aufgefasst, zu erwähnen. Sie kann niemals in anderer Weise,
als durch schwerere Vegetationskrankheiten, durch Caries des Schädels
oder des innern Ohrs, durch Exostose am Cranium und dergl. zu einer
entfernteren Ursache von Geisteskrankheiten werden, ist aber eben
in dieser Beziehung aufs ernstlichste zu berücksichtigen. — Eine eben
*) Vgl. Maillot, traité des fièvres intermittentes. Par. 1836. p. 250.
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/154>, abgerufen am 28.07.2024.
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