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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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und deren nächsten Ursachen.
in der Anfüllung auch der grösseren Gefässe mit einem dunkeln
Blut, in einer "Verstopfung" langsameren Verlaufs bestehe, welche
am Ende in "chronische, passive Entzündung" übergehe. Guislain
hat auch einige, damit zusammenhängende, äusserlich am Lebenden
wahrnehmbare Erscheinungen naturgetreu geschildert, das Vorspringen
der Temporal- und Halsvenen, die bläuliche, bleiartige, oft dunkel-
bräunliche Färbung des Gesichts, namentlich in der Umgebung der
Augen und der Nasenspitze, welche sich in so vielen Fällen zeigt
und in der Reconvalescenz, ja schon in den Intermissionen wieder
verschwindet, die zuweilen vorhandene Röthung und Ecchymosirung
der Conjunctiva, kurz die äusseren Zeichen einer allgemeinen ven-
ösen Hyperämie des Kopfes.

Wie entstehen nun diese venösen Hyperämieen? -- Wir halten
sie im Durchschnitt für mechanische, d. h. durch ein gehindertes
Rückfliessen des venösen Blutes bedingte. -- Schon am Schädel selbst
können sich mechanische Hindernisse für die Entleerung der Sinus
bilden. *) In der Mehrzahl der Fälle aber mag das Hinderniss tiefer
unten, in den Respirations- oder Circulationsorganen liegen. Wir
erinnern vor Allem an das unzweifelhaft häufige Vorkommen der or-
ganischen Herzkrankheiten bei den Irren, und an den mit Recht (Nasse,
Jakobi) für die Pathogenie des Irreseins hoch angeschlagenen Einfluss
der nervösen Herzirritation, welche gleichfalls Unregelmässigkeit im
Kreislauf zufolge hat. Wir erinnern an den häufigen Zusammenhang
des Irreseins mit Krankheiten der Respirationsorgane, namentlich mit
Tuberculose (Esquirol, Bergmann etc.). Wir gehen aber noch weiter
und sind der Ansicht, dass in sehr vielen Fällen das Irresein aus
mechanischen Hyperämieen entsteht, die ohne tiefere Erkrankung der
Brustorgane auf verlangsamter, unvollständiger, behinderter Respiration,
Ueberfüllung des rechten Herzens und unvollständiger Entleerung der
Jugularvenen beruhen.

Es ist bekannt, dass bei der Inspiration das Venenblut in die
ausgedehnte Brusthöhle gezogen wird und in grösserer Quantität in das
rechte Herz einströmt, dass umgekehrt bei gehemmter Inspiration die
Jugularvenen anschwellen. Wenn es Umstände giebt, welche längere
Zeit, anhaltend fort, eine geschwächte Respiration setzen, so dass
das Ein- und Ausathmen sowohl seltener, als namentlich die Ausdeh-
nung der Brust bei der Inspiration unvollständiger geschieht, so muss

*) Die nähere Angabe S. bei der patholog. Anatomie, worauf wir uns ein
für allemal berufen.

und deren nächsten Ursachen.
in der Anfüllung auch der grösseren Gefässe mit einem dunkeln
Blut, in einer „Verstopfung“ langsameren Verlaufs bestehe, welche
am Ende in „chronische, passive Entzündung“ übergehe. Guislain
hat auch einige, damit zusammenhängende, äusserlich am Lebenden
wahrnehmbare Erscheinungen naturgetreu geschildert, das Vorspringen
der Temporal- und Halsvenen, die bläuliche, bleiartige, oft dunkel-
bräunliche Färbung des Gesichts, namentlich in der Umgebung der
Augen und der Nasenspitze, welche sich in so vielen Fällen zeigt
und in der Reconvalescenz, ja schon in den Intermissionen wieder
verschwindet, die zuweilen vorhandene Röthung und Ecchymosirung
der Conjunctiva, kurz die äusseren Zeichen einer allgemeinen ven-
ösen Hyperämie des Kopfes.

Wie entstehen nun diese venösen Hyperämieen? — Wir halten
sie im Durchschnitt für mechanische, d. h. durch ein gehindertes
Rückfliessen des venösen Blutes bedingte. — Schon am Schädel selbst
können sich mechanische Hindernisse für die Entleerung der Sinus
bilden. *) In der Mehrzahl der Fälle aber mag das Hinderniss tiefer
unten, in den Respirations- oder Circulationsorganen liegen. Wir
erinnern vor Allem an das unzweifelhaft häufige Vorkommen der or-
ganischen Herzkrankheiten bei den Irren, und an den mit Recht (Nasse,
Jakobi) für die Pathogenie des Irreseins hoch angeschlagenen Einfluss
der nervösen Herzirritation, welche gleichfalls Unregelmässigkeit im
Kreislauf zufolge hat. Wir erinnern an den häufigen Zusammenhang
des Irreseins mit Krankheiten der Respirationsorgane, namentlich mit
Tuberculose (Esquirol, Bergmann etc.). Wir gehen aber noch weiter
und sind der Ansicht, dass in sehr vielen Fällen das Irresein aus
mechanischen Hyperämieen entsteht, die ohne tiefere Erkrankung der
Brustorgane auf verlangsamter, unvollständiger, behinderter Respiration,
Ueberfüllung des rechten Herzens und unvollständiger Entleerung der
Jugularvenen beruhen.

Es ist bekannt, dass bei der Inspiration das Venenblut in die
ausgedehnte Brusthöhle gezogen wird und in grösserer Quantität in das
rechte Herz einströmt, dass umgekehrt bei gehemmter Inspiration die
Jugularvenen anschwellen. Wenn es Umstände giebt, welche längere
Zeit, anhaltend fort, eine geschwächte Respiration setzen, so dass
das Ein- und Ausathmen sowohl seltener, als namentlich die Ausdeh-
nung der Brust bei der Inspiration unvollständiger geschieht, so muss

*) Die nähere Angabe S. bei der patholog. Anatomie, worauf wir uns ein
für allemal berufen.
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[123/0137] und deren nächsten Ursachen. in der Anfüllung auch der grösseren Gefässe mit einem dunkeln Blut, in einer „Verstopfung“ langsameren Verlaufs bestehe, welche am Ende in „chronische, passive Entzündung“ übergehe. Guislain hat auch einige, damit zusammenhängende, äusserlich am Lebenden wahrnehmbare Erscheinungen naturgetreu geschildert, das Vorspringen der Temporal- und Halsvenen, die bläuliche, bleiartige, oft dunkel- bräunliche Färbung des Gesichts, namentlich in der Umgebung der Augen und der Nasenspitze, welche sich in so vielen Fällen zeigt und in der Reconvalescenz, ja schon in den Intermissionen wieder verschwindet, die zuweilen vorhandene Röthung und Ecchymosirung der Conjunctiva, kurz die äusseren Zeichen einer allgemeinen ven- ösen Hyperämie des Kopfes. Wie entstehen nun diese venösen Hyperämieen? — Wir halten sie im Durchschnitt für mechanische, d. h. durch ein gehindertes Rückfliessen des venösen Blutes bedingte. — Schon am Schädel selbst können sich mechanische Hindernisse für die Entleerung der Sinus bilden. *) In der Mehrzahl der Fälle aber mag das Hinderniss tiefer unten, in den Respirations- oder Circulationsorganen liegen. Wir erinnern vor Allem an das unzweifelhaft häufige Vorkommen der or- ganischen Herzkrankheiten bei den Irren, und an den mit Recht (Nasse, Jakobi) für die Pathogenie des Irreseins hoch angeschlagenen Einfluss der nervösen Herzirritation, welche gleichfalls Unregelmässigkeit im Kreislauf zufolge hat. Wir erinnern an den häufigen Zusammenhang des Irreseins mit Krankheiten der Respirationsorgane, namentlich mit Tuberculose (Esquirol, Bergmann etc.). Wir gehen aber noch weiter und sind der Ansicht, dass in sehr vielen Fällen das Irresein aus mechanischen Hyperämieen entsteht, die ohne tiefere Erkrankung der Brustorgane auf verlangsamter, unvollständiger, behinderter Respiration, Ueberfüllung des rechten Herzens und unvollständiger Entleerung der Jugularvenen beruhen. Es ist bekannt, dass bei der Inspiration das Venenblut in die ausgedehnte Brusthöhle gezogen wird und in grösserer Quantität in das rechte Herz einströmt, dass umgekehrt bei gehemmter Inspiration die Jugularvenen anschwellen. Wenn es Umstände giebt, welche längere Zeit, anhaltend fort, eine geschwächte Respiration setzen, so dass das Ein- und Ausathmen sowohl seltener, als namentlich die Ausdeh- nung der Brust bei der Inspiration unvollständiger geschieht, so muss *) Die nähere Angabe S. bei der patholog. Anatomie, worauf wir uns ein für allemal berufen.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/137>, abgerufen am 28.11.2024.