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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Einfluss der Jahreszeiten.
hältnisszahlen dieser Gewerbe und Berufsarten zur Masse der Population über-
haupt zu vergleichen und auch von da wäre noch weit zu dem Schlusse, dass es
gerade das Gewerbe selbst sei, was die Disposition begründe. Denn einzelne
Berufsarten bringen gewisse Classen von Schädlichkeiten nicht mit Nothwendig-
keit und als solche, sondern mehr gelegenheitlich und für das Individuum will-
kürlich mit sich; z. B. die Küfer und Matrosen sind durch Neigung zum Trunk
dem Delirium tremens ungewöhnlich häufig unterworfen. Freilich gibt es wieder
gewisse andere Lebenslagen, in denen eine Masse verderblicher, gesundheit-
zerstörender Einzeleinflüsse mit Nothwendigkeit gegeben ist, z. B. in der Gefangen-
schaft *) Gewissensbisse, Sehnsucht, Concentration auf wenige Gedankenkreise,
schlechte Nahrung und Luft, Mangel an Bewegung etc., in der weiblichen Prosti-
tution Elend, Verlassenheit, Trunk, empörte Leidenschaften, siphilitische Contagion etc.

5) Den auch vielfach besprochenen Einfluss der Jahreszeiten
auf die Entstehung des Irreseins erwähnen wir nur, um wieder auf
die Trüglichkeit mancher statistischer Angaben aufmerksam zu machen.
Daraus, dass nach Esquirols Tabellen in den Sommermonaten (Mai bis
Juli) am meisten, im Frühling und Herbst weniger und im Winter
die wenigsten Aufnahmen in einige Irrenanstalten stattfanden, hat
man auf die häufigere Entstehung des Irreseins im Sommer geschlossen.
Mit grösstem Unrecht; denn welche Irrenanstalt der Welt wäre so
glücklich, eine Mehrzahl von Fällen, die erst 2, höchstens 3 Monate
alt sind, zu bekommen **)? -- Zwischen Erkrankung und Zeit der Auf-
nahme gibt es auch nicht das geringste beständigere Verhältniss und
es bleibt der subjectivsten Vermuthung freigestellt, wann diese in
den Sommermonaten mehraufgenommenen Fälle entstanden sein
mögen, ob nicht das unbequemere Reisen im Winter die Aufnahmen
verringere und dergl. m. Auch von einem Einfluss der Jahreszeiten
auf die einzelnen Formen des Irreseins sprechen die Statistiker;
Esquirol behauptet und Jakobi ***) erweist an 181 Fällen, dass in den
Wintermonaten der Ausbruch der Tobsucht am seltensten geschieht,
und dass der Sommer und besonders der Frühling eine Mehrzahl
von Erkrankungen in dieser Form darbieten.

*) Ob und wie weit die einzelnen der neueren Gefängnisssysteme die geistige
Gesundheit der Sträflinge mehr oder weniger gefährden, diess zu entscheiden
fühlen wir uns derzeit nicht berechtigt. Jedenfalls aber hat sich diese Besorgniss
in Bezug auf das pensylvanische System der Einzelnhaft als höchst
übertrieben erwiesen. Vgl. Würth, die neuesten Fortschritte des Gefängniss-
Wesens. Wien 1844. Moreau-Christophe in Annal. med. psych. 1843. Tom. II.
**) Winnenthal, eine reine Heilanstalt, nahm in 6 Jahren 133 Fälle von
6monatlichen Bestehen, und 150 schon länger dauernde auf. Zeller, medic.
Correspbl. Juli 1840. p. 143.
***) l. c. p. 568.

Einfluss der Jahreszeiten.
hältnisszahlen dieser Gewerbe und Berufsarten zur Masse der Population über-
haupt zu vergleichen und auch von da wäre noch weit zu dem Schlusse, dass es
gerade das Gewerbe selbst sei, was die Disposition begründe. Denn einzelne
Berufsarten bringen gewisse Classen von Schädlichkeiten nicht mit Nothwendig-
keit und als solche, sondern mehr gelegenheitlich und für das Individuum will-
kürlich mit sich; z. B. die Küfer und Matrosen sind durch Neigung zum Trunk
dem Delirium tremens ungewöhnlich häufig unterworfen. Freilich gibt es wieder
gewisse andere Lebenslagen, in denen eine Masse verderblicher, gesundheit-
zerstörender Einzeleinflüsse mit Nothwendigkeit gegeben ist, z. B. in der Gefangen-
schaft *) Gewissensbisse, Sehnsucht, Concentration auf wenige Gedankenkreise,
schlechte Nahrung und Luft, Mangel an Bewegung etc., in der weiblichen Prosti-
tution Elend, Verlassenheit, Trunk, empörte Leidenschaften, siphilitische Contagion etc.

5) Den auch vielfach besprochenen Einfluss der Jahreszeiten
auf die Entstehung des Irreseins erwähnen wir nur, um wieder auf
die Trüglichkeit mancher statistischer Angaben aufmerksam zu machen.
Daraus, dass nach Esquirols Tabellen in den Sommermonaten (Mai bis
Juli) am meisten, im Frühling und Herbst weniger und im Winter
die wenigsten Aufnahmen in einige Irrenanstalten stattfanden, hat
man auf die häufigere Entstehung des Irreseins im Sommer geschlossen.
Mit grösstem Unrecht; denn welche Irrenanstalt der Welt wäre so
glücklich, eine Mehrzahl von Fällen, die erst 2, höchstens 3 Monate
alt sind, zu bekommen **)? — Zwischen Erkrankung und Zeit der Auf-
nahme gibt es auch nicht das geringste beständigere Verhältniss und
es bleibt der subjectivsten Vermuthung freigestellt, wann diese in
den Sommermonaten mehraufgenommenen Fälle entstanden sein
mögen, ob nicht das unbequemere Reisen im Winter die Aufnahmen
verringere und dergl. m. Auch von einem Einfluss der Jahreszeiten
auf die einzelnen Formen des Irreseins sprechen die Statistiker;
Esquirol behauptet und Jakobi ***) erweist an 181 Fällen, dass in den
Wintermonaten der Ausbruch der Tobsucht am seltensten geschieht,
und dass der Sommer und besonders der Frühling eine Mehrzahl
von Erkrankungen in dieser Form darbieten.

*) Ob und wie weit die einzelnen der neueren Gefängnisssysteme die geistige
Gesundheit der Sträflinge mehr oder weniger gefährden, diess zu entscheiden
fühlen wir uns derzeit nicht berechtigt. Jedenfalls aber hat sich diese Besorgniss
in Bezug auf das pensylvanische System der Einzelnhaft als höchst
übertrieben erwiesen. Vgl. Würth, die neuesten Fortschritte des Gefängniss-
Wesens. Wien 1844. Moreau-Christophe in Annal. med. psych. 1843. Tom. II.
**) Winnenthal, eine reine Heilanstalt, nahm in 6 Jahren 133 Fälle von
6monatlichen Bestehen, und 150 schon länger dauernde auf. Zeller, medic.
Correspbl. Juli 1840. p. 143.
***) l. c. p. 568.
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[111/0125] Einfluss der Jahreszeiten. hältnisszahlen dieser Gewerbe und Berufsarten zur Masse der Population über- haupt zu vergleichen und auch von da wäre noch weit zu dem Schlusse, dass es gerade das Gewerbe selbst sei, was die Disposition begründe. Denn einzelne Berufsarten bringen gewisse Classen von Schädlichkeiten nicht mit Nothwendig- keit und als solche, sondern mehr gelegenheitlich und für das Individuum will- kürlich mit sich; z. B. die Küfer und Matrosen sind durch Neigung zum Trunk dem Delirium tremens ungewöhnlich häufig unterworfen. Freilich gibt es wieder gewisse andere Lebenslagen, in denen eine Masse verderblicher, gesundheit- zerstörender Einzeleinflüsse mit Nothwendigkeit gegeben ist, z. B. in der Gefangen- schaft *) Gewissensbisse, Sehnsucht, Concentration auf wenige Gedankenkreise, schlechte Nahrung und Luft, Mangel an Bewegung etc., in der weiblichen Prosti- tution Elend, Verlassenheit, Trunk, empörte Leidenschaften, siphilitische Contagion etc. 5) Den auch vielfach besprochenen Einfluss der Jahreszeiten auf die Entstehung des Irreseins erwähnen wir nur, um wieder auf die Trüglichkeit mancher statistischer Angaben aufmerksam zu machen. Daraus, dass nach Esquirols Tabellen in den Sommermonaten (Mai bis Juli) am meisten, im Frühling und Herbst weniger und im Winter die wenigsten Aufnahmen in einige Irrenanstalten stattfanden, hat man auf die häufigere Entstehung des Irreseins im Sommer geschlossen. Mit grösstem Unrecht; denn welche Irrenanstalt der Welt wäre so glücklich, eine Mehrzahl von Fällen, die erst 2, höchstens 3 Monate alt sind, zu bekommen **)? — Zwischen Erkrankung und Zeit der Auf- nahme gibt es auch nicht das geringste beständigere Verhältniss und es bleibt der subjectivsten Vermuthung freigestellt, wann diese in den Sommermonaten mehraufgenommenen Fälle entstanden sein mögen, ob nicht das unbequemere Reisen im Winter die Aufnahmen verringere und dergl. m. Auch von einem Einfluss der Jahreszeiten auf die einzelnen Formen des Irreseins sprechen die Statistiker; Esquirol behauptet und Jakobi ***) erweist an 181 Fällen, dass in den Wintermonaten der Ausbruch der Tobsucht am seltensten geschieht, und dass der Sommer und besonders der Frühling eine Mehrzahl von Erkrankungen in dieser Form darbieten. *) Ob und wie weit die einzelnen der neueren Gefängnisssysteme die geistige Gesundheit der Sträflinge mehr oder weniger gefährden, diess zu entscheiden fühlen wir uns derzeit nicht berechtigt. Jedenfalls aber hat sich diese Besorgniss in Bezug auf das pensylvanische System der Einzelnhaft als höchst übertrieben erwiesen. Vgl. Würth, die neuesten Fortschritte des Gefängniss- Wesens. Wien 1844. Moreau-Christophe in Annal. med. psych. 1843. Tom. II. **) Winnenthal, eine reine Heilanstalt, nahm in 6 Jahren 133 Fälle von 6monatlichen Bestehen, und 150 schon länger dauernde auf. Zeller, medic. Correspbl. Juli 1840. p. 143. ***) l. c. p. 568.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/125>, abgerufen am 22.11.2024.