Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches stimmen, wirken in gleicher Richtung. Aber auch diese Leute sollten, soweit sie Die Bethmannsche politische Richtung bemüht sich aus Fehlern oder Ver¬ Zwei einzelne Argumente, die gegen die Entwicklung einer Seemacht sonst Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches stimmen, wirken in gleicher Richtung. Aber auch diese Leute sollten, soweit sie Die Bethmannsche politische Richtung bemüht sich aus Fehlern oder Ver¬ Zwei einzelne Argumente, die gegen die Entwicklung einer Seemacht sonst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339596"/> <fw type="header" place="top"> Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches</fw><lb/> <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171"> stimmen, wirken in gleicher Richtung. Aber auch diese Leute sollten, soweit sie<lb/> wenigstens nicht vaterländische Interessen gegenüber denen ihrer Partei zurücktreten<lb/> lassen, sich dabei bewußt bleiben, daß sie heute init Äußerungen über die Schäd¬<lb/> lichkeit unserer Seemachtentwicklung praktisch eine Art Schuldbekenntnis ablegen,<lb/> das natürlich in England schmunzelnd eingesteckt wird, für Deutschland aber<lb/> nachteilig wirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_173"> Die Bethmannsche politische Richtung bemüht sich aus Fehlern oder Ver¬<lb/> säumnissen, die Fürst Bülow gemacht, beziehungsweise veranlaßt haben soll, nach-<lb/> zuweisen, die Lage Deutschlands sei bei Beginn der Kanzlerschaft Bethmanns<lb/> bereits festgefahren gewesen. Die weitere Entwicklung bis 1914 hätte somit<lb/> zwangläufig erfolgen müssen. Zu dieser Darstellung werden gewisse Annäherungs¬<lb/> versuche Englands an Deutschland während des Burenkrieges in eine Beleuchtung<lb/> gebracht, die der Wirklichkeit nicht entspricht. Die wenig objektiven Schriften von<lb/> Eckardtstein und Otto Hammann über die Möglichkeiten in den Jahren 1899 bis<lb/> 1901 haben auch in der Öffentlichkeit einigen Eindruck gemacht. Fürst Bülow<lb/> hat bereits selbst nachgewiesen, daß die damaligen Annäherungsversuche nicht<lb/> vom englischen Kabinett ausgegangen seien, sondern nur von einem einzigen<lb/> Mitglied, Chamberlain, mit dessen Ansichten das Kabinett selbst sich aber nicht<lb/> hätte identifizieren wollen. Aber wirklich angenommen, England hätte in seiner<lb/> nicht ganz leichten Situation während des Burenkrieges eine Weile nach Deutsch¬<lb/> land ausgeschaut, so geht bei näherer Untersuchung gerade aus den damit zu¬<lb/> sammenhängenden Vorgängen hervor, wie richtig uns damals Fürst Bülow aus<lb/> der hierdurch sür Deutschland entstandenen Gefahrzone geführt hat. Englands<lb/> Bestreben lief schon damals darauf hinaus, einen'Gegensatz zwischen Deutschland<lb/> und Nußland hervorzurufen. Aber mehr als das, England wollte gleichzeitig<lb/> uns von Österreich trennen. Denn, als aus die Chamberlainsche Anfrage hin,<lb/> von Berlin aus der Vorschlag gemacht wurde, Wien in die Besprechung einzu¬<lb/> schließen, erfolgte die unzweideutige Ablehnung Englands. Wenn Deutschland<lb/> aber allein mit England zu einem Bündnis oder einer Entente gekommen wäre,<lb/> so hätte uns letzteres völlig in der Hand gehabt. England wäre in die Lage<lb/> versetzt worden, den alsdann von ihm abhängig gewordenen Bundesgenossen,<lb/> Deutschland, sobald dies wünschenswert schien, durch eine Schwenkung seiner<lb/> Politik jederzeit ohne große Anstrengung erdrosseln zu können. Eine politische<lb/> Situation, die England mit einem sehr viel größeren Risiko durch politische Fehler<lb/> unsererseits 1914 geboten wurde. Gerade der Grundgedanke, welcher die Trieb¬<lb/> feder Englands bei jenen Annäherungsversuchen war, ergibt somit einen neuen<lb/> Beweis, daß unser Gegensatz zu England nicht zu beseitigen war durch ein<lb/> Bündnis, sondern nur ausbalanciert werden konnte durch eine, auch England<lb/> gegenüber unmittelbar wirkende Macht. War diese erst vorhanden, erkannten sich<lb/> beide Staaten gegenseitig als ebenbürtig an, so war der Boden für eine Ver¬<lb/> ständigung bereitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_174" next="#ID_175"> Zwei einzelne Argumente, die gegen die Entwicklung einer Seemacht sonst<lb/> noch angeführt worden sind, möchte ich kurz herausgreifen. Es ist gesagt worden,<lb/> wenn wir das Geld nicht sür die Flotte angelegt hätten, so Hütten wir zwei<lb/> Armeekorps mehr haben können, und die Marneschlacht wäre nicht verloren<lb/> worden. Ich lasse die Frage offen, ob wir den Krieg damit gewonnen hätten.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches
stimmen, wirken in gleicher Richtung. Aber auch diese Leute sollten, soweit sie
wenigstens nicht vaterländische Interessen gegenüber denen ihrer Partei zurücktreten
lassen, sich dabei bewußt bleiben, daß sie heute init Äußerungen über die Schäd¬
lichkeit unserer Seemachtentwicklung praktisch eine Art Schuldbekenntnis ablegen,
das natürlich in England schmunzelnd eingesteckt wird, für Deutschland aber
nachteilig wirkt.
Die Bethmannsche politische Richtung bemüht sich aus Fehlern oder Ver¬
säumnissen, die Fürst Bülow gemacht, beziehungsweise veranlaßt haben soll, nach-
zuweisen, die Lage Deutschlands sei bei Beginn der Kanzlerschaft Bethmanns
bereits festgefahren gewesen. Die weitere Entwicklung bis 1914 hätte somit
zwangläufig erfolgen müssen. Zu dieser Darstellung werden gewisse Annäherungs¬
versuche Englands an Deutschland während des Burenkrieges in eine Beleuchtung
gebracht, die der Wirklichkeit nicht entspricht. Die wenig objektiven Schriften von
Eckardtstein und Otto Hammann über die Möglichkeiten in den Jahren 1899 bis
1901 haben auch in der Öffentlichkeit einigen Eindruck gemacht. Fürst Bülow
hat bereits selbst nachgewiesen, daß die damaligen Annäherungsversuche nicht
vom englischen Kabinett ausgegangen seien, sondern nur von einem einzigen
Mitglied, Chamberlain, mit dessen Ansichten das Kabinett selbst sich aber nicht
hätte identifizieren wollen. Aber wirklich angenommen, England hätte in seiner
nicht ganz leichten Situation während des Burenkrieges eine Weile nach Deutsch¬
land ausgeschaut, so geht bei näherer Untersuchung gerade aus den damit zu¬
sammenhängenden Vorgängen hervor, wie richtig uns damals Fürst Bülow aus
der hierdurch sür Deutschland entstandenen Gefahrzone geführt hat. Englands
Bestreben lief schon damals darauf hinaus, einen'Gegensatz zwischen Deutschland
und Nußland hervorzurufen. Aber mehr als das, England wollte gleichzeitig
uns von Österreich trennen. Denn, als aus die Chamberlainsche Anfrage hin,
von Berlin aus der Vorschlag gemacht wurde, Wien in die Besprechung einzu¬
schließen, erfolgte die unzweideutige Ablehnung Englands. Wenn Deutschland
aber allein mit England zu einem Bündnis oder einer Entente gekommen wäre,
so hätte uns letzteres völlig in der Hand gehabt. England wäre in die Lage
versetzt worden, den alsdann von ihm abhängig gewordenen Bundesgenossen,
Deutschland, sobald dies wünschenswert schien, durch eine Schwenkung seiner
Politik jederzeit ohne große Anstrengung erdrosseln zu können. Eine politische
Situation, die England mit einem sehr viel größeren Risiko durch politische Fehler
unsererseits 1914 geboten wurde. Gerade der Grundgedanke, welcher die Trieb¬
feder Englands bei jenen Annäherungsversuchen war, ergibt somit einen neuen
Beweis, daß unser Gegensatz zu England nicht zu beseitigen war durch ein
Bündnis, sondern nur ausbalanciert werden konnte durch eine, auch England
gegenüber unmittelbar wirkende Macht. War diese erst vorhanden, erkannten sich
beide Staaten gegenseitig als ebenbürtig an, so war der Boden für eine Ver¬
ständigung bereitet.
Zwei einzelne Argumente, die gegen die Entwicklung einer Seemacht sonst
noch angeführt worden sind, möchte ich kurz herausgreifen. Es ist gesagt worden,
wenn wir das Geld nicht sür die Flotte angelegt hätten, so Hütten wir zwei
Armeekorps mehr haben können, und die Marneschlacht wäre nicht verloren
worden. Ich lasse die Frage offen, ob wir den Krieg damit gewonnen hätten.
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