Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Kennst du das Land sich die Frage vorzulegen, wie er als Schiedsrichter geurteilt Hütte und er wird Aennst du das Land? Kennst du das Land? Ich glaube, du hast es nie geseh'n.Bogislav v. Selchow Von Du lebst in den Sielen Du bist wie die vielen, Die oft danach schielen Und die doch immer daran vorübergeh'n. Das Leben ist bunt wie ein schillernder, dürstender Schmetterling, Der aus Blütenwogen Sich Zucker gesogen. Der im Lichte geflogen Und lange an den köstlichen Kelchen hing. Das Leben ist weich wie ein leise spielender Morgenwind. Wie ein zartes Wehen Aus strahlenden Höhen, Wer's nie gesehen, Der weiß es nicht, was duftende Rosen sind. Das Leben ist roh; es kümmert sich um den Menschen nicht. Es läßt ihn verrecken An Straßenecken, An Zäunen und Hecken; Es geht vorüber mit eisernem Angesicht. Das Leben ist groß, ist ungeheuer groß und rein; Es hebt zu den Göttern. Es kann zerschmettern, In goldenen Lettern Trägt es die Großen in die Geschichte ein. Das Leben ist voll Schönheit, Roheit und Hinterlist, Voll harter Stöße. Von schmutziger Blöße, Von unendlicher Größe, Das Leben ist immer so, wie du selber bist. Kennst du das Land sich die Frage vorzulegen, wie er als Schiedsrichter geurteilt Hütte und er wird Aennst du das Land? Kennst du das Land? Ich glaube, du hast es nie geseh'n.Bogislav v. Selchow Von Du lebst in den Sielen Du bist wie die vielen, Die oft danach schielen Und die doch immer daran vorübergeh'n. Das Leben ist bunt wie ein schillernder, dürstender Schmetterling, Der aus Blütenwogen Sich Zucker gesogen. Der im Lichte geflogen Und lange an den köstlichen Kelchen hing. Das Leben ist weich wie ein leise spielender Morgenwind. Wie ein zartes Wehen Aus strahlenden Höhen, Wer's nie gesehen, Der weiß es nicht, was duftende Rosen sind. Das Leben ist roh; es kümmert sich um den Menschen nicht. Es läßt ihn verrecken An Straßenecken, An Zäunen und Hecken; Es geht vorüber mit eisernem Angesicht. Das Leben ist groß, ist ungeheuer groß und rein; Es hebt zu den Göttern. Es kann zerschmettern, In goldenen Lettern Trägt es die Großen in die Geschichte ein. Das Leben ist voll Schönheit, Roheit und Hinterlist, Voll harter Stöße. Von schmutziger Blöße, Von unendlicher Größe, Das Leben ist immer so, wie du selber bist. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339827"/> <fw type="header" place="top"> Kennst du das Land</fw><lb/> <p xml:id="ID_1121" prev="#ID_1120"> sich die Frage vorzulegen, wie er als Schiedsrichter geurteilt Hütte und er wird<lb/> zugeben müssen, daß es in diesen Dingen ein objektives Urteil nicht gibt, weil<lb/> es eben, wie gesagt, an Sätzen höherer Ordnung fehlt, aus denen die Lösung des<lb/> Streitfalles zu finden wäre, oder anders ausgedrückt, weil die Begriffe Recht und<lb/> Unrecht hier versagen. Ein solches Schiedsgericht wird schließlich immer sub¬<lb/> jektiv urteilen und zwar nach dem Weltpolitischeu Standpunkte seiner Richter^<lb/> welche, zum Teil sich selbst ganz unbewußt, stets geneigt sein werden, demjenigen<lb/> der Streitteile recht zu geben, dessen Sieg im Interesse ihres Landes liegt und<lb/> niemals wird sich ein großes Volk mel>r als einmal in die Lage bringen, vor<lb/> einem solchen Schiedsgericht unrecht zu bekommen und gezwungen zu werden,<lb/> seine Lebensinteressen einem fremden, formalen Recht oder sein gutes Recht<lb/> einem fremden Lebensinteresse zu opfern. „Das Recht eines Staates reicht<lb/> nur so weit wie seine Macht."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg xml:id="POEMID_13" type="poem"> <head> Aennst du das Land?<lb/><note type="byline"> Bogislav v. Selchow</note> Von </head> <l> Kennst du das Land? Ich glaube, du hast es nie geseh'n.<lb/> Du lebst in den Sielen<lb/> Du bist wie die vielen,<lb/> Die oft danach schielen<lb/> Und die doch immer daran vorübergeh'n. Das Leben ist bunt wie ein schillernder, dürstender Schmetterling,<lb/> Der aus Blütenwogen<lb/> Sich Zucker gesogen.<lb/> Der im Lichte geflogen<lb/> Und lange an den köstlichen Kelchen hing. Das Leben ist weich wie ein leise spielender Morgenwind.<lb/> Wie ein zartes Wehen<lb/> Aus strahlenden Höhen,<lb/> Wer's nie gesehen,<lb/> Der weiß es nicht, was duftende Rosen sind. Das Leben ist roh; es kümmert sich um den Menschen nicht.<lb/> Es läßt ihn verrecken<lb/> An Straßenecken,<lb/> An Zäunen und Hecken;<lb/> Es geht vorüber mit eisernem Angesicht. Das Leben ist groß, ist ungeheuer groß und rein;<lb/> Es hebt zu den Göttern.<lb/> Es kann zerschmettern,<lb/> In goldenen Lettern<lb/> Trägt es die Großen in die Geschichte ein. Das Leben ist voll Schönheit, Roheit und Hinterlist,<lb/> Voll harter Stöße.<lb/> Von schmutziger Blöße,<lb/> Von unendlicher Größe,<lb/> Das Leben ist immer so, wie du selber bist. </l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0278]
Kennst du das Land
sich die Frage vorzulegen, wie er als Schiedsrichter geurteilt Hütte und er wird
zugeben müssen, daß es in diesen Dingen ein objektives Urteil nicht gibt, weil
es eben, wie gesagt, an Sätzen höherer Ordnung fehlt, aus denen die Lösung des
Streitfalles zu finden wäre, oder anders ausgedrückt, weil die Begriffe Recht und
Unrecht hier versagen. Ein solches Schiedsgericht wird schließlich immer sub¬
jektiv urteilen und zwar nach dem Weltpolitischeu Standpunkte seiner Richter^
welche, zum Teil sich selbst ganz unbewußt, stets geneigt sein werden, demjenigen
der Streitteile recht zu geben, dessen Sieg im Interesse ihres Landes liegt und
niemals wird sich ein großes Volk mel>r als einmal in die Lage bringen, vor
einem solchen Schiedsgericht unrecht zu bekommen und gezwungen zu werden,
seine Lebensinteressen einem fremden, formalen Recht oder sein gutes Recht
einem fremden Lebensinteresse zu opfern. „Das Recht eines Staates reicht
nur so weit wie seine Macht."
Aennst du das Land?
Bogislav v. Selchow Von Kennst du das Land? Ich glaube, du hast es nie geseh'n.
Du lebst in den Sielen
Du bist wie die vielen,
Die oft danach schielen
Und die doch immer daran vorübergeh'n. Das Leben ist bunt wie ein schillernder, dürstender Schmetterling,
Der aus Blütenwogen
Sich Zucker gesogen.
Der im Lichte geflogen
Und lange an den köstlichen Kelchen hing. Das Leben ist weich wie ein leise spielender Morgenwind.
Wie ein zartes Wehen
Aus strahlenden Höhen,
Wer's nie gesehen,
Der weiß es nicht, was duftende Rosen sind. Das Leben ist roh; es kümmert sich um den Menschen nicht.
Es läßt ihn verrecken
An Straßenecken,
An Zäunen und Hecken;
Es geht vorüber mit eisernem Angesicht. Das Leben ist groß, ist ungeheuer groß und rein;
Es hebt zu den Göttern.
Es kann zerschmettern,
In goldenen Lettern
Trägt es die Großen in die Geschichte ein. Das Leben ist voll Schönheit, Roheit und Hinterlist,
Voll harter Stöße.
Von schmutziger Blöße,
Von unendlicher Größe,
Das Leben ist immer so, wie du selber bist.
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