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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Weltspiegel

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Orientierung im Chaos. Das nach außen wie nach innen hin gleich
verhängnisvolle Chaos, in welches einige vorzeitige Indiskretionen über die Ent¬
scheidung des Völkerbundratss betreffs Oberschlesien Deutschland aufs neue gestürzt
haben, macht ein Eingehen aus einen Vorfall unvermeidlich, auf den bereits die
"Kölnische Zeitung" hingewiesen hat. Es handelt sich um den Fall H. C. Lüdecke.
Dieser famose Herr gab seit einiger Zeit in Danzig die "Ostwacht" heraus, galt
als rationalistischer Heißsporn und unterhielt weitverzweigte Beziehungen zu rechts¬
stehenden Kreisen, bis ein offener Brief des bekannten Dr. Richard Wagner in
der vom Heimatdienst herausgegebenen Zeitschrift "Deutscher Volksrat" an Hand
einer großen Reihe geheimer Dokumente nachwies, daß Lüdecke während des
Krieges zweieinhalb Jahre lang als englischer Agent tätig gewesen war und daß
er jetzt eine weitverzweigte Organisation von Agenten unter sich hatte, die den
ausgesprochenen Zweck verfolgte, rechtsstehende führende Persönlichkeiten zu un¬
besonnenen Erklärungen oder Schritten zu verleiten, und dann das kompro¬
mittierende Material seiner auftraggebenden Stelle, und zwar durch polnische
Vermittlung, regelmäßig zugehen zu lassen. Lüdecke selbst hat in einer Berliner
Extraausgabe der "Ostwacht" die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen keines¬
wegs in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil mit Enthüllungen gedroht, die er als
Schriftleiter der "Ostwacht" und als Mitglied der deutschnationalen Partei und
des deutschvölkischen Schutz, und Trutzbundes zu machen in der Lage sei. Bis
hierher ist die Geschichte lediglich ein Gegenstück zu dem berühmten Pressechef der
gegen die Korruption auftretenden Kappregierung, die zu ihrer Unterstützung bei
der Heraufführung einer neuen Ära der Redlichkeit und politischen Sitten¬
reinheit, just einen der größten internationalen Lumpen, die je die Feder ge¬
führt haben. Herrn Trebitsch-Lincoln nämlich, wählte und zwar ohne daß über
seine Persönlichkeit noch irgendwelche Enthüllungen notwendig gewesen wären.
Bedenklicher aber ist, was Lüdecke zu seiner Verteidigung anführt: "Die Ost¬
wacht war ein NarrenseilI Solch rohes Geplärr, wie ich es in der Ostwacht
drucken ließ, konnte nur dem wenig wählerischen Geschmack der Altdeutschen
wohltun. Und die Ostwacht tat ihnen wohlt Täglich gewann ich neue Mit¬
arbeiter. Jede Post brachte mir Lobes- und Anerkennungsschreiben. Als ich das
auf die Blödheit der Reaktion zugeschnittene Gedicht zur Verherrlichung der Er¬
mordung Erzbergers vom Stapel ließ, glaubte ich die Saite überspannt zu haben,
aber nein, ich erhielt -- nicht weniger als 32 Glückwünsche und Lobesschreiben
aus den Kreisen Danzigs und auch des gesamten Deutschen Reiches."

Nun beweist diese Auslassung natürlich gegen die Bestrebungen der also
grausam Verhöhnten nichts. Sie beweist nur, daß man sich in der Wahl seiner
Mitarbeiter gröblich täuschen kann, und daß ein derartiger Irrtum, wenn er just
einer Regierung passiert, nicht immer zur Diskreditierung ihrer sachlichen Ziele
ausgenutzt werden kann. Ohne Zweifel bildet jedoch der ganze Vorfall ein höchst
bedenkliches Symptom für die gedankliche Unklarheit, in welche die öffentliche
Politische Diskussion infolge einer zwar begreiflichen, aber, wie man sieht, doch
auch verhängnisvollen Überreizung geraten ist. Bei jeder Versammlung, in
weitesten Kreisen findet derjenige, der das Maul am allerweitesten aufreißt, selbst
bei Männern, denen man Urteil und Besonnenheit zutrauen müßte, begeisterten
Zuruf und hohes Lob. ohne daß sich die Beifallspender die Mühe nehmen, die
Möglichkeiten des Handelns, die sich durch die so heißspornig angeregte Ein¬
stellung ergeben, kühlen Herzens, wie es von Politikern verlangt werden kann,
zu erwägen. Noch in viel zu hohem Maße pflegt man in Deutschland Stim¬
mungsmache und Propagandakünste mit politischer Aktion zu verwechseln. Es
genügt nicht, einen begeisterten Haufen um sich zu versammeln, man nutz auch
wissen, wohin man diesen Haufen zu führen willens ist, und es ist eine unab¬
weisbare Notwendigkeit, sich vorher zu überlegen, ob und unter welchen Um¬
ständen die in schönen Reden und lärmenden Artikeln vertretenen Ziele auch


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Orientierung im Chaos. Das nach außen wie nach innen hin gleich
verhängnisvolle Chaos, in welches einige vorzeitige Indiskretionen über die Ent¬
scheidung des Völkerbundratss betreffs Oberschlesien Deutschland aufs neue gestürzt
haben, macht ein Eingehen aus einen Vorfall unvermeidlich, auf den bereits die
„Kölnische Zeitung" hingewiesen hat. Es handelt sich um den Fall H. C. Lüdecke.
Dieser famose Herr gab seit einiger Zeit in Danzig die „Ostwacht" heraus, galt
als rationalistischer Heißsporn und unterhielt weitverzweigte Beziehungen zu rechts¬
stehenden Kreisen, bis ein offener Brief des bekannten Dr. Richard Wagner in
der vom Heimatdienst herausgegebenen Zeitschrift „Deutscher Volksrat" an Hand
einer großen Reihe geheimer Dokumente nachwies, daß Lüdecke während des
Krieges zweieinhalb Jahre lang als englischer Agent tätig gewesen war und daß
er jetzt eine weitverzweigte Organisation von Agenten unter sich hatte, die den
ausgesprochenen Zweck verfolgte, rechtsstehende führende Persönlichkeiten zu un¬
besonnenen Erklärungen oder Schritten zu verleiten, und dann das kompro¬
mittierende Material seiner auftraggebenden Stelle, und zwar durch polnische
Vermittlung, regelmäßig zugehen zu lassen. Lüdecke selbst hat in einer Berliner
Extraausgabe der „Ostwacht" die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen keines¬
wegs in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil mit Enthüllungen gedroht, die er als
Schriftleiter der „Ostwacht" und als Mitglied der deutschnationalen Partei und
des deutschvölkischen Schutz, und Trutzbundes zu machen in der Lage sei. Bis
hierher ist die Geschichte lediglich ein Gegenstück zu dem berühmten Pressechef der
gegen die Korruption auftretenden Kappregierung, die zu ihrer Unterstützung bei
der Heraufführung einer neuen Ära der Redlichkeit und politischen Sitten¬
reinheit, just einen der größten internationalen Lumpen, die je die Feder ge¬
führt haben. Herrn Trebitsch-Lincoln nämlich, wählte und zwar ohne daß über
seine Persönlichkeit noch irgendwelche Enthüllungen notwendig gewesen wären.
Bedenklicher aber ist, was Lüdecke zu seiner Verteidigung anführt: „Die Ost¬
wacht war ein NarrenseilI Solch rohes Geplärr, wie ich es in der Ostwacht
drucken ließ, konnte nur dem wenig wählerischen Geschmack der Altdeutschen
wohltun. Und die Ostwacht tat ihnen wohlt Täglich gewann ich neue Mit¬
arbeiter. Jede Post brachte mir Lobes- und Anerkennungsschreiben. Als ich das
auf die Blödheit der Reaktion zugeschnittene Gedicht zur Verherrlichung der Er¬
mordung Erzbergers vom Stapel ließ, glaubte ich die Saite überspannt zu haben,
aber nein, ich erhielt — nicht weniger als 32 Glückwünsche und Lobesschreiben
aus den Kreisen Danzigs und auch des gesamten Deutschen Reiches."

Nun beweist diese Auslassung natürlich gegen die Bestrebungen der also
grausam Verhöhnten nichts. Sie beweist nur, daß man sich in der Wahl seiner
Mitarbeiter gröblich täuschen kann, und daß ein derartiger Irrtum, wenn er just
einer Regierung passiert, nicht immer zur Diskreditierung ihrer sachlichen Ziele
ausgenutzt werden kann. Ohne Zweifel bildet jedoch der ganze Vorfall ein höchst
bedenkliches Symptom für die gedankliche Unklarheit, in welche die öffentliche
Politische Diskussion infolge einer zwar begreiflichen, aber, wie man sieht, doch
auch verhängnisvollen Überreizung geraten ist. Bei jeder Versammlung, in
weitesten Kreisen findet derjenige, der das Maul am allerweitesten aufreißt, selbst
bei Männern, denen man Urteil und Besonnenheit zutrauen müßte, begeisterten
Zuruf und hohes Lob. ohne daß sich die Beifallspender die Mühe nehmen, die
Möglichkeiten des Handelns, die sich durch die so heißspornig angeregte Ein¬
stellung ergeben, kühlen Herzens, wie es von Politikern verlangt werden kann,
zu erwägen. Noch in viel zu hohem Maße pflegt man in Deutschland Stim¬
mungsmache und Propagandakünste mit politischer Aktion zu verwechseln. Es
genügt nicht, einen begeisterten Haufen um sich zu versammeln, man nutz auch
wissen, wohin man diesen Haufen zu führen willens ist, und es ist eine unab¬
weisbare Notwendigkeit, sich vorher zu überlegen, ob und unter welchen Um¬
ständen die in schönen Reden und lärmenden Artikeln vertretenen Ziele auch


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[0131] Weltspiegel Weltspiegel Orientierung im Chaos. Das nach außen wie nach innen hin gleich verhängnisvolle Chaos, in welches einige vorzeitige Indiskretionen über die Ent¬ scheidung des Völkerbundratss betreffs Oberschlesien Deutschland aufs neue gestürzt haben, macht ein Eingehen aus einen Vorfall unvermeidlich, auf den bereits die „Kölnische Zeitung" hingewiesen hat. Es handelt sich um den Fall H. C. Lüdecke. Dieser famose Herr gab seit einiger Zeit in Danzig die „Ostwacht" heraus, galt als rationalistischer Heißsporn und unterhielt weitverzweigte Beziehungen zu rechts¬ stehenden Kreisen, bis ein offener Brief des bekannten Dr. Richard Wagner in der vom Heimatdienst herausgegebenen Zeitschrift „Deutscher Volksrat" an Hand einer großen Reihe geheimer Dokumente nachwies, daß Lüdecke während des Krieges zweieinhalb Jahre lang als englischer Agent tätig gewesen war und daß er jetzt eine weitverzweigte Organisation von Agenten unter sich hatte, die den ausgesprochenen Zweck verfolgte, rechtsstehende führende Persönlichkeiten zu un¬ besonnenen Erklärungen oder Schritten zu verleiten, und dann das kompro¬ mittierende Material seiner auftraggebenden Stelle, und zwar durch polnische Vermittlung, regelmäßig zugehen zu lassen. Lüdecke selbst hat in einer Berliner Extraausgabe der „Ostwacht" die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen keines¬ wegs in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil mit Enthüllungen gedroht, die er als Schriftleiter der „Ostwacht" und als Mitglied der deutschnationalen Partei und des deutschvölkischen Schutz, und Trutzbundes zu machen in der Lage sei. Bis hierher ist die Geschichte lediglich ein Gegenstück zu dem berühmten Pressechef der gegen die Korruption auftretenden Kappregierung, die zu ihrer Unterstützung bei der Heraufführung einer neuen Ära der Redlichkeit und politischen Sitten¬ reinheit, just einen der größten internationalen Lumpen, die je die Feder ge¬ führt haben. Herrn Trebitsch-Lincoln nämlich, wählte und zwar ohne daß über seine Persönlichkeit noch irgendwelche Enthüllungen notwendig gewesen wären. Bedenklicher aber ist, was Lüdecke zu seiner Verteidigung anführt: „Die Ost¬ wacht war ein NarrenseilI Solch rohes Geplärr, wie ich es in der Ostwacht drucken ließ, konnte nur dem wenig wählerischen Geschmack der Altdeutschen wohltun. Und die Ostwacht tat ihnen wohlt Täglich gewann ich neue Mit¬ arbeiter. Jede Post brachte mir Lobes- und Anerkennungsschreiben. Als ich das auf die Blödheit der Reaktion zugeschnittene Gedicht zur Verherrlichung der Er¬ mordung Erzbergers vom Stapel ließ, glaubte ich die Saite überspannt zu haben, aber nein, ich erhielt — nicht weniger als 32 Glückwünsche und Lobesschreiben aus den Kreisen Danzigs und auch des gesamten Deutschen Reiches." Nun beweist diese Auslassung natürlich gegen die Bestrebungen der also grausam Verhöhnten nichts. Sie beweist nur, daß man sich in der Wahl seiner Mitarbeiter gröblich täuschen kann, und daß ein derartiger Irrtum, wenn er just einer Regierung passiert, nicht immer zur Diskreditierung ihrer sachlichen Ziele ausgenutzt werden kann. Ohne Zweifel bildet jedoch der ganze Vorfall ein höchst bedenkliches Symptom für die gedankliche Unklarheit, in welche die öffentliche Politische Diskussion infolge einer zwar begreiflichen, aber, wie man sieht, doch auch verhängnisvollen Überreizung geraten ist. Bei jeder Versammlung, in weitesten Kreisen findet derjenige, der das Maul am allerweitesten aufreißt, selbst bei Männern, denen man Urteil und Besonnenheit zutrauen müßte, begeisterten Zuruf und hohes Lob. ohne daß sich die Beifallspender die Mühe nehmen, die Möglichkeiten des Handelns, die sich durch die so heißspornig angeregte Ein¬ stellung ergeben, kühlen Herzens, wie es von Politikern verlangt werden kann, zu erwägen. Noch in viel zu hohem Maße pflegt man in Deutschland Stim¬ mungsmache und Propagandakünste mit politischer Aktion zu verwechseln. Es genügt nicht, einen begeisterten Haufen um sich zu versammeln, man nutz auch wissen, wohin man diesen Haufen zu führen willens ist, und es ist eine unab¬ weisbare Notwendigkeit, sich vorher zu überlegen, ob und unter welchen Um¬ ständen die in schönen Reden und lärmenden Artikeln vertretenen Ziele auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/131>, abgerufen am 27.09.2024.