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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Federstriche

Federstriche
Was wir nicht begreifen.

In diesem Augenblicke, da englische Soldaten in Irland Verbrechen ver¬
üben, die tausendmal schändlicher als die, welche man je den Deutschen in Bel¬
gien zugeschrieben hat, sind, da es Beweise gibt, daß englische Soldaten kriegs-
gefangenen irischen Soldaten das Fleisch mit Zangen vom Leibe gerissen haben,
ihnen Glieder ausreckten, um Schuldbekenntnisse zu erpressen, ja viele von ihnen
im Gefängnis ermordet haben, -- in diesem Augenblick findet der größte Teil
der deutschen Presse kein Wort der Anklage gegen England, keinen Hinweis
darauf, daß hier täglich Verbrechen verübt werden, gegenüber denen die den
deutschen "Kriegsverbrechern" vorgeworfenen Brutalitäten lächerlich klein und
geringfügig erscheinen.

Das Auswärtige Amt in Berlin hat vor Beginn der Prozesse in Leipzig
von irischer Seite ausführliches Material über jene Greueltaten erhalten. Wir
haben vergebens darauf gewartet, daß die deutschen Verteidiger in Leipzig davon
Gebrauch machen würden.

In Irland und Amerika ist man über dieses Schweigen höchlichst erstaunt.

Glauben die Führer des deutschen Volkes wirklich, daß sie sich durch ängst¬
liche Unterwürfigkeit die Sympathie und Achtung Englands erringen werden?
Man hat es leider in Deutschland nie verstanden, die Psychologie der Gegner
richtig zu erfassen. Der Engländer achtet nur den Gegner, der ihm durch
Irl. Furchtlosigkeit zu imponieren versteht.




Freie Bahn dem Tüchtigen!

Gottlob! Man greift es mit den Händen:
"Dem Tüchtigen die freie Bahn!"
Nun müßten alle Nöte enden
Und endlich dess're Tage nah'n.
Ob Sattler oder Tischlermeister,
Ob Grobschmied mit und ohne Bauch;
Wie leuchten sie als hohe Geister
Und das Regier'n versteh'" sie auch. Gibt es Gehalt, dann sind sie beinig,
Man hackt die Lappen ein vergnügt;
Merkwürdig sind sich alle einig,
Genau weiß jeder, was er kriegt. Zum Dienste kommt man ziemlich späte,
Was soll man im Buro denn bloß?
Die Arbeit machen ja die Räte; --
Selbst ist man völlig schimmerlos I
Das Schlimmste ist das Unterschreiben,
Man ist doch schließlich nicht gelehrt.
Der Name steht!--Er kann so bleiben,
Die Hälfte nur ist dran verkehrt. Was Luther sprach, darf niemand wenden:
"Das Wort, sie sollen lassen Stahr!"
Ein andres mög der Himmel enden:
"Dem Tüchtigen die freie Bahn!" H- S.

Federstriche

Federstriche
Was wir nicht begreifen.

In diesem Augenblicke, da englische Soldaten in Irland Verbrechen ver¬
üben, die tausendmal schändlicher als die, welche man je den Deutschen in Bel¬
gien zugeschrieben hat, sind, da es Beweise gibt, daß englische Soldaten kriegs-
gefangenen irischen Soldaten das Fleisch mit Zangen vom Leibe gerissen haben,
ihnen Glieder ausreckten, um Schuldbekenntnisse zu erpressen, ja viele von ihnen
im Gefängnis ermordet haben, — in diesem Augenblick findet der größte Teil
der deutschen Presse kein Wort der Anklage gegen England, keinen Hinweis
darauf, daß hier täglich Verbrechen verübt werden, gegenüber denen die den
deutschen „Kriegsverbrechern" vorgeworfenen Brutalitäten lächerlich klein und
geringfügig erscheinen.

Das Auswärtige Amt in Berlin hat vor Beginn der Prozesse in Leipzig
von irischer Seite ausführliches Material über jene Greueltaten erhalten. Wir
haben vergebens darauf gewartet, daß die deutschen Verteidiger in Leipzig davon
Gebrauch machen würden.

In Irland und Amerika ist man über dieses Schweigen höchlichst erstaunt.

Glauben die Führer des deutschen Volkes wirklich, daß sie sich durch ängst¬
liche Unterwürfigkeit die Sympathie und Achtung Englands erringen werden?
Man hat es leider in Deutschland nie verstanden, die Psychologie der Gegner
richtig zu erfassen. Der Engländer achtet nur den Gegner, der ihm durch
Irl. Furchtlosigkeit zu imponieren versteht.




Freie Bahn dem Tüchtigen!

Gottlob! Man greift es mit den Händen:
„Dem Tüchtigen die freie Bahn!"
Nun müßten alle Nöte enden
Und endlich dess're Tage nah'n.
Ob Sattler oder Tischlermeister,
Ob Grobschmied mit und ohne Bauch;
Wie leuchten sie als hohe Geister
Und das Regier'n versteh'» sie auch. Gibt es Gehalt, dann sind sie beinig,
Man hackt die Lappen ein vergnügt;
Merkwürdig sind sich alle einig,
Genau weiß jeder, was er kriegt. Zum Dienste kommt man ziemlich späte,
Was soll man im Buro denn bloß?
Die Arbeit machen ja die Räte; —
Selbst ist man völlig schimmerlos I
Das Schlimmste ist das Unterschreiben,
Man ist doch schließlich nicht gelehrt.
Der Name steht!--Er kann so bleiben,
Die Hälfte nur ist dran verkehrt. Was Luther sprach, darf niemand wenden:
„Das Wort, sie sollen lassen Stahr!"
Ein andres mög der Himmel enden:
„Dem Tüchtigen die freie Bahn!" H- S.

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[0087] Federstriche Federstriche Was wir nicht begreifen. In diesem Augenblicke, da englische Soldaten in Irland Verbrechen ver¬ üben, die tausendmal schändlicher als die, welche man je den Deutschen in Bel¬ gien zugeschrieben hat, sind, da es Beweise gibt, daß englische Soldaten kriegs- gefangenen irischen Soldaten das Fleisch mit Zangen vom Leibe gerissen haben, ihnen Glieder ausreckten, um Schuldbekenntnisse zu erpressen, ja viele von ihnen im Gefängnis ermordet haben, — in diesem Augenblick findet der größte Teil der deutschen Presse kein Wort der Anklage gegen England, keinen Hinweis darauf, daß hier täglich Verbrechen verübt werden, gegenüber denen die den deutschen „Kriegsverbrechern" vorgeworfenen Brutalitäten lächerlich klein und geringfügig erscheinen. Das Auswärtige Amt in Berlin hat vor Beginn der Prozesse in Leipzig von irischer Seite ausführliches Material über jene Greueltaten erhalten. Wir haben vergebens darauf gewartet, daß die deutschen Verteidiger in Leipzig davon Gebrauch machen würden. In Irland und Amerika ist man über dieses Schweigen höchlichst erstaunt. Glauben die Führer des deutschen Volkes wirklich, daß sie sich durch ängst¬ liche Unterwürfigkeit die Sympathie und Achtung Englands erringen werden? Man hat es leider in Deutschland nie verstanden, die Psychologie der Gegner richtig zu erfassen. Der Engländer achtet nur den Gegner, der ihm durch Irl. Furchtlosigkeit zu imponieren versteht. Freie Bahn dem Tüchtigen! Gottlob! Man greift es mit den Händen: „Dem Tüchtigen die freie Bahn!" Nun müßten alle Nöte enden Und endlich dess're Tage nah'n. Ob Sattler oder Tischlermeister, Ob Grobschmied mit und ohne Bauch; Wie leuchten sie als hohe Geister Und das Regier'n versteh'» sie auch. Gibt es Gehalt, dann sind sie beinig, Man hackt die Lappen ein vergnügt; Merkwürdig sind sich alle einig, Genau weiß jeder, was er kriegt. Zum Dienste kommt man ziemlich späte, Was soll man im Buro denn bloß? Die Arbeit machen ja die Räte; — Selbst ist man völlig schimmerlos I Das Schlimmste ist das Unterschreiben, Man ist doch schließlich nicht gelehrt. Der Name steht!--Er kann so bleiben, Die Hälfte nur ist dran verkehrt. Was Luther sprach, darf niemand wenden: „Das Wort, sie sollen lassen Stahr!" Ein andres mög der Himmel enden: „Dem Tüchtigen die freie Bahn!" H- S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/87>, abgerufen am 22.12.2024.