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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Ungarns neue Nationalitätenpolitik

Gebiet. Wir müssen dafür sorgen, daß wer immer in diesem Lande, auch wenn
er die ungarische Sprache nicht spricht, seinen Unterricht 'von der untersten bis
zur obersten Stufe in seiner Muttersprache erhalte. Es war ein alter Fehler, daß
bei uns in diesem Betracht nichts geschah. Die zweite Aufgabe ist, zu sorgen,
daß die nichtmagyarische Sprache dort, wo die Nationalitäten in einem geschlossenen
Block beisammen leben, auch in der Administration zur entsprechenden Geltung
gelange und daß die betreffende Rasse in der Administration entsprechend ver¬
treten sei." Dasselbe Entgegenkommen wünscht Graf Bethlen den Nationalitäten
auch in der Gerichtsbarkeit zu bezeigen.

Graf Bethlen stammt aus Siebenbürgen und kennt das Leben und die Ein¬
richtungen der siebenbürger Sachsen. Er betonte auch klipp und klar, daß er
bei der Lösung des ungarischen Nationalitätenproblems allen Nationalitäten des
Landes die Rechte einräumen wolle, die die siebenbürger Sachsen in Ungarn
genossen haben. Der mit der Führung der Angelegenheiten der nationalen Minder¬
heiten betraute Außenminister Graf Banffy, ebenfalls ein siebenbürger, stimmt
mit dem Ministerpräsidenten in der Behandlung dieses Problems vollkommen
überein und beabsichtigt, das ursprüngliche Nationalitätengesetz im Wege der Gesetz¬
gebung den neuzeitlichen Anforderungen entsprechend zu erweitern.

Diese Erkenntnisse der neomagyarischen führenden Politiker und die Zu¬
stimmung, die sie in der Nationalversammlung gefunden haben, lassen das Urteil
zu, daß diesmal alles ernst gemeint ist, ernster denn je. Da aber die Erkennt¬
nisse, ja selbst die Bereitwilligkeit zur Durchführung der Vorsätze allein nicht ge¬
nügen, vielmehr alles von der tatsächlichen Durchführung und der Verbürgung
einer Dauer in diesem Belange abhängt, wird abzuwarten sein, wie viel die mit
dem Wunsche des Volkes diesmal in Einklang gebrachte Absicht der Regierung
taugen mag, wenn der Plan Wirklichkeit werden soll. Es ist aber zu hoffen, daß
Heute, nachdem sie vieles gelernt haben, die führenden Persönlichkeiten des
ungarischen Staates und in ihrem Gefolge der Gesamtstaat in vorausschauender
Klugheit erfüllen, was sie versprochen haben, denn von dieser Erfüllung hängt
zum großen Teil Ungarns künftiges Schicksal ab.




Ungarns neue Nationalitätenpolitik

Gebiet. Wir müssen dafür sorgen, daß wer immer in diesem Lande, auch wenn
er die ungarische Sprache nicht spricht, seinen Unterricht 'von der untersten bis
zur obersten Stufe in seiner Muttersprache erhalte. Es war ein alter Fehler, daß
bei uns in diesem Betracht nichts geschah. Die zweite Aufgabe ist, zu sorgen,
daß die nichtmagyarische Sprache dort, wo die Nationalitäten in einem geschlossenen
Block beisammen leben, auch in der Administration zur entsprechenden Geltung
gelange und daß die betreffende Rasse in der Administration entsprechend ver¬
treten sei." Dasselbe Entgegenkommen wünscht Graf Bethlen den Nationalitäten
auch in der Gerichtsbarkeit zu bezeigen.

Graf Bethlen stammt aus Siebenbürgen und kennt das Leben und die Ein¬
richtungen der siebenbürger Sachsen. Er betonte auch klipp und klar, daß er
bei der Lösung des ungarischen Nationalitätenproblems allen Nationalitäten des
Landes die Rechte einräumen wolle, die die siebenbürger Sachsen in Ungarn
genossen haben. Der mit der Führung der Angelegenheiten der nationalen Minder¬
heiten betraute Außenminister Graf Banffy, ebenfalls ein siebenbürger, stimmt
mit dem Ministerpräsidenten in der Behandlung dieses Problems vollkommen
überein und beabsichtigt, das ursprüngliche Nationalitätengesetz im Wege der Gesetz¬
gebung den neuzeitlichen Anforderungen entsprechend zu erweitern.

Diese Erkenntnisse der neomagyarischen führenden Politiker und die Zu¬
stimmung, die sie in der Nationalversammlung gefunden haben, lassen das Urteil
zu, daß diesmal alles ernst gemeint ist, ernster denn je. Da aber die Erkennt¬
nisse, ja selbst die Bereitwilligkeit zur Durchführung der Vorsätze allein nicht ge¬
nügen, vielmehr alles von der tatsächlichen Durchführung und der Verbürgung
einer Dauer in diesem Belange abhängt, wird abzuwarten sein, wie viel die mit
dem Wunsche des Volkes diesmal in Einklang gebrachte Absicht der Regierung
taugen mag, wenn der Plan Wirklichkeit werden soll. Es ist aber zu hoffen, daß
Heute, nachdem sie vieles gelernt haben, die führenden Persönlichkeiten des
ungarischen Staates und in ihrem Gefolge der Gesamtstaat in vorausschauender
Klugheit erfüllen, was sie versprochen haben, denn von dieser Erfüllung hängt
zum großen Teil Ungarns künftiges Schicksal ab.




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[0081] Ungarns neue Nationalitätenpolitik Gebiet. Wir müssen dafür sorgen, daß wer immer in diesem Lande, auch wenn er die ungarische Sprache nicht spricht, seinen Unterricht 'von der untersten bis zur obersten Stufe in seiner Muttersprache erhalte. Es war ein alter Fehler, daß bei uns in diesem Betracht nichts geschah. Die zweite Aufgabe ist, zu sorgen, daß die nichtmagyarische Sprache dort, wo die Nationalitäten in einem geschlossenen Block beisammen leben, auch in der Administration zur entsprechenden Geltung gelange und daß die betreffende Rasse in der Administration entsprechend ver¬ treten sei." Dasselbe Entgegenkommen wünscht Graf Bethlen den Nationalitäten auch in der Gerichtsbarkeit zu bezeigen. Graf Bethlen stammt aus Siebenbürgen und kennt das Leben und die Ein¬ richtungen der siebenbürger Sachsen. Er betonte auch klipp und klar, daß er bei der Lösung des ungarischen Nationalitätenproblems allen Nationalitäten des Landes die Rechte einräumen wolle, die die siebenbürger Sachsen in Ungarn genossen haben. Der mit der Führung der Angelegenheiten der nationalen Minder¬ heiten betraute Außenminister Graf Banffy, ebenfalls ein siebenbürger, stimmt mit dem Ministerpräsidenten in der Behandlung dieses Problems vollkommen überein und beabsichtigt, das ursprüngliche Nationalitätengesetz im Wege der Gesetz¬ gebung den neuzeitlichen Anforderungen entsprechend zu erweitern. Diese Erkenntnisse der neomagyarischen führenden Politiker und die Zu¬ stimmung, die sie in der Nationalversammlung gefunden haben, lassen das Urteil zu, daß diesmal alles ernst gemeint ist, ernster denn je. Da aber die Erkennt¬ nisse, ja selbst die Bereitwilligkeit zur Durchführung der Vorsätze allein nicht ge¬ nügen, vielmehr alles von der tatsächlichen Durchführung und der Verbürgung einer Dauer in diesem Belange abhängt, wird abzuwarten sein, wie viel die mit dem Wunsche des Volkes diesmal in Einklang gebrachte Absicht der Regierung taugen mag, wenn der Plan Wirklichkeit werden soll. Es ist aber zu hoffen, daß Heute, nachdem sie vieles gelernt haben, die führenden Persönlichkeiten des ungarischen Staates und in ihrem Gefolge der Gesamtstaat in vorausschauender Klugheit erfüllen, was sie versprochen haben, denn von dieser Erfüllung hängt zum großen Teil Ungarns künftiges Schicksal ab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/81>, abgerufen am 24.07.2024.