Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mängel der nationalen Kindererziehung

Mängel der nationalen Aindererziehung
v Prof. Dr. Manfred Limer on

licht nur die nationale Erziehung des künftigen Wehrmannes und
Beamten muß auf versöhnlichen Zusammenhalt aller Deutschen
hinwirken, sondern auch die Erziehung des Kindes, und
zwar beiderlei Geschlechts, muß darauf eingestellt werden. -- Man
hat dabei weniger an die Kindererziehung in solchen Familien zu
denken, die parteipolitisch eingestellt sind und nach dem Parteikodex urteilen. Was
hier betont werden soll, ist die Unvernunft der Erziehung der Kinder im
Sinne der ererbten Vorurteile zwischen Süd und Nord, zwischen Nicht-
Preußen und Preußen.

In Preußen, wo man sich bedeutend mehr mit dem Reich identifiziert,
als anderswo, weiß man weniger von der traurigen Gespaltenheit unseres deut¬
schen Volkes. Jedenfalls ahnt man dort nicht, wie viel Anteil daran die sehr
bestimmten Einflüsse törichter Erziehung haben.

Es gibt ja auch nicht wenige Landschaften in Preußen, wo es überkommene
Überlieferung ist, Berlin und die Berliner nicht leiden zu können, anch wenn
man nicht besonders viel mit ihnen in Berührung gekommen ist. Aber in noch
viel weiterem Umfang ist dies, verstärkt durch eine ererbte Gehässigkeit gegen
Preußen als den Staat der schroffen Ordnung, und gegen alles Preußische, was
diese Schroffheit an sich hat, in den meisten anderen nord- und mitteldeutschen
Ländern der Fall.

Gehen wir aber nach Süddeutschland, so wird neben blinder Abneigung
gegen Berlin und neben offener Gehässigkeit gegen das beherrschende Preußen
und alles Preußische auch noch eine mit Geringschätzung gemischte Ableh¬
nung überhaupt alles Norddeutschen deutlich.

Partikularismus, eine beträchtliche Dosis Eigendünkel, Eifersucht, Unkennt¬
nis und aus allem diesem zusammengesetzte Vorurteile diktieren diese Ablehnung
von allem, was von nördlich des Maines kommt. Das wird mit einem Donner¬
wort im Rausch als unzulänglich oder unsympathisch abgetan.

Solche Gegensätze werden bewußt gepflegt, aber ohne jede abwägende Über¬
legung. Und so werden sie zu einem unheilvollen Erzieh ungs-
m o in e n t.

Süddeutschland, welches 1866, mit Österreich verbündet, aus freien Stücken
gegen Preußen zu Felde zog, ist bekanntlich überaus glimpflich davongekommen.
Aber das ist längst vergessen, während die Feindseligkeit wegen des verlorenen
Prozesses seitens der Angreifer übrig geblieben ist, wie das ja auch im Privat¬
leben der Fall zu sein Pflegt, überdies stammt vou 1866 her die Angst vor der
preußischen Annexiouslust, obschon diese deutlichst an den süddeutschen Grenzen
Halt machte, und obschon sie auch seit der Reichsgründung politisch gänzlich gegen¬
standslos geworden ist.

Daß Preußen im Reich mehr Einfluß hat, ist ganz natürlich. Vierzig
Millionen von etwa sechzig wirken sich selbstredend aus. Aber das erzeugt Eifer¬
sucht bei den anderen, und so ist denn auch die wahre Quelle der Beklemmung


Mängel der nationalen Kindererziehung

Mängel der nationalen Aindererziehung
v Prof. Dr. Manfred Limer on

licht nur die nationale Erziehung des künftigen Wehrmannes und
Beamten muß auf versöhnlichen Zusammenhalt aller Deutschen
hinwirken, sondern auch die Erziehung des Kindes, und
zwar beiderlei Geschlechts, muß darauf eingestellt werden. — Man
hat dabei weniger an die Kindererziehung in solchen Familien zu
denken, die parteipolitisch eingestellt sind und nach dem Parteikodex urteilen. Was
hier betont werden soll, ist die Unvernunft der Erziehung der Kinder im
Sinne der ererbten Vorurteile zwischen Süd und Nord, zwischen Nicht-
Preußen und Preußen.

In Preußen, wo man sich bedeutend mehr mit dem Reich identifiziert,
als anderswo, weiß man weniger von der traurigen Gespaltenheit unseres deut¬
schen Volkes. Jedenfalls ahnt man dort nicht, wie viel Anteil daran die sehr
bestimmten Einflüsse törichter Erziehung haben.

Es gibt ja auch nicht wenige Landschaften in Preußen, wo es überkommene
Überlieferung ist, Berlin und die Berliner nicht leiden zu können, anch wenn
man nicht besonders viel mit ihnen in Berührung gekommen ist. Aber in noch
viel weiterem Umfang ist dies, verstärkt durch eine ererbte Gehässigkeit gegen
Preußen als den Staat der schroffen Ordnung, und gegen alles Preußische, was
diese Schroffheit an sich hat, in den meisten anderen nord- und mitteldeutschen
Ländern der Fall.

Gehen wir aber nach Süddeutschland, so wird neben blinder Abneigung
gegen Berlin und neben offener Gehässigkeit gegen das beherrschende Preußen
und alles Preußische auch noch eine mit Geringschätzung gemischte Ableh¬
nung überhaupt alles Norddeutschen deutlich.

Partikularismus, eine beträchtliche Dosis Eigendünkel, Eifersucht, Unkennt¬
nis und aus allem diesem zusammengesetzte Vorurteile diktieren diese Ablehnung
von allem, was von nördlich des Maines kommt. Das wird mit einem Donner¬
wort im Rausch als unzulänglich oder unsympathisch abgetan.

Solche Gegensätze werden bewußt gepflegt, aber ohne jede abwägende Über¬
legung. Und so werden sie zu einem unheilvollen Erzieh ungs-
m o in e n t.

Süddeutschland, welches 1866, mit Österreich verbündet, aus freien Stücken
gegen Preußen zu Felde zog, ist bekanntlich überaus glimpflich davongekommen.
Aber das ist längst vergessen, während die Feindseligkeit wegen des verlorenen
Prozesses seitens der Angreifer übrig geblieben ist, wie das ja auch im Privat¬
leben der Fall zu sein Pflegt, überdies stammt vou 1866 her die Angst vor der
preußischen Annexiouslust, obschon diese deutlichst an den süddeutschen Grenzen
Halt machte, und obschon sie auch seit der Reichsgründung politisch gänzlich gegen¬
standslos geworden ist.

Daß Preußen im Reich mehr Einfluß hat, ist ganz natürlich. Vierzig
Millionen von etwa sechzig wirken sich selbstredend aus. Aber das erzeugt Eifer¬
sucht bei den anderen, und so ist denn auch die wahre Quelle der Beklemmung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339527"/>
            <fw type="header" place="top"> Mängel der nationalen Kindererziehung</fw><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mängel der nationalen Aindererziehung<lb/>
v<note type="byline"> Prof. Dr. Manfred Limer</note> on</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1598"> licht nur die nationale Erziehung des künftigen Wehrmannes und<lb/>
Beamten muß auf versöhnlichen Zusammenhalt aller Deutschen<lb/>
hinwirken, sondern auch die Erziehung des Kindes, und<lb/>
zwar beiderlei Geschlechts, muß darauf eingestellt werden. &#x2014; Man<lb/>
hat dabei weniger an die Kindererziehung in solchen Familien zu<lb/>
denken, die parteipolitisch eingestellt sind und nach dem Parteikodex urteilen. Was<lb/>
hier betont werden soll, ist die Unvernunft der Erziehung der Kinder im<lb/>
Sinne der ererbten Vorurteile zwischen Süd und Nord, zwischen Nicht-<lb/>
Preußen und Preußen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1599"> In Preußen, wo man sich bedeutend mehr mit dem Reich identifiziert,<lb/>
als anderswo, weiß man weniger von der traurigen Gespaltenheit unseres deut¬<lb/>
schen Volkes. Jedenfalls ahnt man dort nicht, wie viel Anteil daran die sehr<lb/>
bestimmten Einflüsse törichter Erziehung haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1600"> Es gibt ja auch nicht wenige Landschaften in Preußen, wo es überkommene<lb/>
Überlieferung ist, Berlin und die Berliner nicht leiden zu können, anch wenn<lb/>
man nicht besonders viel mit ihnen in Berührung gekommen ist. Aber in noch<lb/>
viel weiterem Umfang ist dies, verstärkt durch eine ererbte Gehässigkeit gegen<lb/>
Preußen als den Staat der schroffen Ordnung, und gegen alles Preußische, was<lb/>
diese Schroffheit an sich hat, in den meisten anderen nord- und mitteldeutschen<lb/>
Ländern der Fall.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1601"> Gehen wir aber nach Süddeutschland, so wird neben blinder Abneigung<lb/>
gegen Berlin und neben offener Gehässigkeit gegen das beherrschende Preußen<lb/>
und alles Preußische auch noch eine mit Geringschätzung gemischte Ableh¬<lb/>
nung überhaupt alles Norddeutschen deutlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1602"> Partikularismus, eine beträchtliche Dosis Eigendünkel, Eifersucht, Unkennt¬<lb/>
nis und aus allem diesem zusammengesetzte Vorurteile diktieren diese Ablehnung<lb/>
von allem, was von nördlich des Maines kommt. Das wird mit einem Donner¬<lb/>
wort im Rausch als unzulänglich oder unsympathisch abgetan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1603"> Solche Gegensätze werden bewußt gepflegt, aber ohne jede abwägende Über¬<lb/>
legung. Und so werden sie zu einem unheilvollen Erzieh ungs-<lb/>
m o in e n t.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1604"> Süddeutschland, welches 1866, mit Österreich verbündet, aus freien Stücken<lb/>
gegen Preußen zu Felde zog, ist bekanntlich überaus glimpflich davongekommen.<lb/>
Aber das ist längst vergessen, während die Feindseligkeit wegen des verlorenen<lb/>
Prozesses seitens der Angreifer übrig geblieben ist, wie das ja auch im Privat¬<lb/>
leben der Fall zu sein Pflegt, überdies stammt vou 1866 her die Angst vor der<lb/>
preußischen Annexiouslust, obschon diese deutlichst an den süddeutschen Grenzen<lb/>
Halt machte, und obschon sie auch seit der Reichsgründung politisch gänzlich gegen¬<lb/>
standslos geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1605" next="#ID_1606"> Daß Preußen im Reich mehr Einfluß hat, ist ganz natürlich. Vierzig<lb/>
Millionen von etwa sechzig wirken sich selbstredend aus. Aber das erzeugt Eifer¬<lb/>
sucht bei den anderen, und so ist denn auch die wahre Quelle der Beklemmung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Mängel der nationalen Kindererziehung Mängel der nationalen Aindererziehung v Prof. Dr. Manfred Limer on licht nur die nationale Erziehung des künftigen Wehrmannes und Beamten muß auf versöhnlichen Zusammenhalt aller Deutschen hinwirken, sondern auch die Erziehung des Kindes, und zwar beiderlei Geschlechts, muß darauf eingestellt werden. — Man hat dabei weniger an die Kindererziehung in solchen Familien zu denken, die parteipolitisch eingestellt sind und nach dem Parteikodex urteilen. Was hier betont werden soll, ist die Unvernunft der Erziehung der Kinder im Sinne der ererbten Vorurteile zwischen Süd und Nord, zwischen Nicht- Preußen und Preußen. In Preußen, wo man sich bedeutend mehr mit dem Reich identifiziert, als anderswo, weiß man weniger von der traurigen Gespaltenheit unseres deut¬ schen Volkes. Jedenfalls ahnt man dort nicht, wie viel Anteil daran die sehr bestimmten Einflüsse törichter Erziehung haben. Es gibt ja auch nicht wenige Landschaften in Preußen, wo es überkommene Überlieferung ist, Berlin und die Berliner nicht leiden zu können, anch wenn man nicht besonders viel mit ihnen in Berührung gekommen ist. Aber in noch viel weiterem Umfang ist dies, verstärkt durch eine ererbte Gehässigkeit gegen Preußen als den Staat der schroffen Ordnung, und gegen alles Preußische, was diese Schroffheit an sich hat, in den meisten anderen nord- und mitteldeutschen Ländern der Fall. Gehen wir aber nach Süddeutschland, so wird neben blinder Abneigung gegen Berlin und neben offener Gehässigkeit gegen das beherrschende Preußen und alles Preußische auch noch eine mit Geringschätzung gemischte Ableh¬ nung überhaupt alles Norddeutschen deutlich. Partikularismus, eine beträchtliche Dosis Eigendünkel, Eifersucht, Unkennt¬ nis und aus allem diesem zusammengesetzte Vorurteile diktieren diese Ablehnung von allem, was von nördlich des Maines kommt. Das wird mit einem Donner¬ wort im Rausch als unzulänglich oder unsympathisch abgetan. Solche Gegensätze werden bewußt gepflegt, aber ohne jede abwägende Über¬ legung. Und so werden sie zu einem unheilvollen Erzieh ungs- m o in e n t. Süddeutschland, welches 1866, mit Österreich verbündet, aus freien Stücken gegen Preußen zu Felde zog, ist bekanntlich überaus glimpflich davongekommen. Aber das ist längst vergessen, während die Feindseligkeit wegen des verlorenen Prozesses seitens der Angreifer übrig geblieben ist, wie das ja auch im Privat¬ leben der Fall zu sein Pflegt, überdies stammt vou 1866 her die Angst vor der preußischen Annexiouslust, obschon diese deutlichst an den süddeutschen Grenzen Halt machte, und obschon sie auch seit der Reichsgründung politisch gänzlich gegen¬ standslos geworden ist. Daß Preußen im Reich mehr Einfluß hat, ist ganz natürlich. Vierzig Millionen von etwa sechzig wirken sich selbstredend aus. Aber das erzeugt Eifer¬ sucht bei den anderen, und so ist denn auch die wahre Quelle der Beklemmung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/378>, abgerufen am 23.12.2024.