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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Französische Aolonialpolitik

Die Mißstimmung über das Verhalten der Franzosen hat sich in dem
Attentat gegen General Gouraud Luft gemacht, das von französischer Seite fälsch¬
licherweise dem Emir Abdullah, dem Herrscher des Transjordanlandes, Zur Last
gelegt wird. Der "near East" führte treffend aus, daß auch die neu entdeckt"
Freundschaft der Franzosen für die türkischen Nationalisten den Vorkämpfern
für den Islam nicht so sehr auf aufrichtigen Gefühlen, als auf dem Wunsche
beruht, König Konstantin von Griechenland persönlich Schaden zuzufügen. Die
Londoner Zeitschrift hätte hinzufügen können, daß Paris auf diese Weise auch
hofft, die Verbindung zwischen Angora und Moskau zu sprengen, wie ja auch
im griechisch-türkischen Konflikt die Franzosen bei jeder Gelegenheit bemüht sind,
angebliche bolschewistische Machenschaften in Konstantinopel oder auf dem Balkan
in den Vordergrund zu rücken.

Nichts ist bedenklicher, als die religiösen Gefühle eines Volkes anzutasten,
das der Mandi, eines anderen ausgeliefert ist. Sarrauts Kolonialprogramm
klingt .sehr großzügig, aber es bleibt nur ein papierner Wunsch, denn in Wahrheit
bekämpft Frankreich den Islam ebenso wie die nationalen Eigenarten der anderen
von ihm unterworfenen Völkerstämme. Deren ^Mitarbeit" soll in erster Linie
darauf hinauslaufen, Truppen zu liefern, um die Franzosen selbst zu entlasten,
ihnen aber trotzdem zu gestatten, auf dem europäischen Festlande eine gewaltsame
Machtpolitik zu betreiben.

Interessant ist das Bestreben der Franzosen, den Katholizismus und seine
Verbreitung im Orient ausschließlich für sich in Anspruch zu nehmen. Wenn
im übrigen die französische Kolonialpolitik den von ihr betroffenen Völkern nicht
gerade zum Segen gereicht, so ist sie für Frankreich nicht allein für die Schaffung
einer wertvollen Soldatenreserve von Bedeutung, sie bietet dem franzö¬
sischen Offizier auch ein ausgezeichnetes Feld der Schulung und Vorbereitung.
Anstatt im täglichen Einerlei des Friedensdienstes einzurosten, sieht sich der fran¬
zösische Offizier vor Aufgaben militärischer und verwaltungstechnischer Art gestellt,
die seine ganze Energie in Anspruch nehmen. Zahlreiche französische Führer
sind aus Nordafrika, Madagaskar und Jndochina hervorgegangen. Allerdings
sind die französischen Kolonialoffiziere sehr einseitig eingestellt, wie z. B. Mar¬
schall Lyauttheys Verhalten zeigt, der trotz einer gewaltigen Truppenzahl und
reicher Hilfsmittel die Ruhe in der französischen Zone Marokkos nicht zu sichern
vermag. Ebenso versagt General Gouraud in Syrien. Den türkischen Na¬
tionalisten gegenüber muß er nachgeben, und durch seinen Handstreich gegen Emir
Feissal in Damaskus hat er nichts weiter erreicht, als die arabische Bevölkerung
gegen ihn und Frankreich aufzubringen. Das ist ja auch der tiefste Grund, wes¬
halb General Gouraud Emir Feissals Kandidatur für Mesopotamien bekämpfte,
denn er fürchtet von ihm und seinem Bruder Abdullah eine Rache für die Ver¬
treibung aus Damaskus. Es Wie diesen französischen KolonialoffiZieren eben
das feinere psychologische Verständnis für die Bedürfnisse der ihnen unterstellten
Bevölkerung. Sie glauben allein mit der Betonung der Macht auskommen zu
können, müssen aber erkennen, daß auch deren Wirksamkeit Grenzen gesetzt sind.




Französische Aolonialpolitik

Die Mißstimmung über das Verhalten der Franzosen hat sich in dem
Attentat gegen General Gouraud Luft gemacht, das von französischer Seite fälsch¬
licherweise dem Emir Abdullah, dem Herrscher des Transjordanlandes, Zur Last
gelegt wird. Der „near East" führte treffend aus, daß auch die neu entdeckt«
Freundschaft der Franzosen für die türkischen Nationalisten den Vorkämpfern
für den Islam nicht so sehr auf aufrichtigen Gefühlen, als auf dem Wunsche
beruht, König Konstantin von Griechenland persönlich Schaden zuzufügen. Die
Londoner Zeitschrift hätte hinzufügen können, daß Paris auf diese Weise auch
hofft, die Verbindung zwischen Angora und Moskau zu sprengen, wie ja auch
im griechisch-türkischen Konflikt die Franzosen bei jeder Gelegenheit bemüht sind,
angebliche bolschewistische Machenschaften in Konstantinopel oder auf dem Balkan
in den Vordergrund zu rücken.

Nichts ist bedenklicher, als die religiösen Gefühle eines Volkes anzutasten,
das der Mandi, eines anderen ausgeliefert ist. Sarrauts Kolonialprogramm
klingt .sehr großzügig, aber es bleibt nur ein papierner Wunsch, denn in Wahrheit
bekämpft Frankreich den Islam ebenso wie die nationalen Eigenarten der anderen
von ihm unterworfenen Völkerstämme. Deren ^Mitarbeit" soll in erster Linie
darauf hinauslaufen, Truppen zu liefern, um die Franzosen selbst zu entlasten,
ihnen aber trotzdem zu gestatten, auf dem europäischen Festlande eine gewaltsame
Machtpolitik zu betreiben.

Interessant ist das Bestreben der Franzosen, den Katholizismus und seine
Verbreitung im Orient ausschließlich für sich in Anspruch zu nehmen. Wenn
im übrigen die französische Kolonialpolitik den von ihr betroffenen Völkern nicht
gerade zum Segen gereicht, so ist sie für Frankreich nicht allein für die Schaffung
einer wertvollen Soldatenreserve von Bedeutung, sie bietet dem franzö¬
sischen Offizier auch ein ausgezeichnetes Feld der Schulung und Vorbereitung.
Anstatt im täglichen Einerlei des Friedensdienstes einzurosten, sieht sich der fran¬
zösische Offizier vor Aufgaben militärischer und verwaltungstechnischer Art gestellt,
die seine ganze Energie in Anspruch nehmen. Zahlreiche französische Führer
sind aus Nordafrika, Madagaskar und Jndochina hervorgegangen. Allerdings
sind die französischen Kolonialoffiziere sehr einseitig eingestellt, wie z. B. Mar¬
schall Lyauttheys Verhalten zeigt, der trotz einer gewaltigen Truppenzahl und
reicher Hilfsmittel die Ruhe in der französischen Zone Marokkos nicht zu sichern
vermag. Ebenso versagt General Gouraud in Syrien. Den türkischen Na¬
tionalisten gegenüber muß er nachgeben, und durch seinen Handstreich gegen Emir
Feissal in Damaskus hat er nichts weiter erreicht, als die arabische Bevölkerung
gegen ihn und Frankreich aufzubringen. Das ist ja auch der tiefste Grund, wes¬
halb General Gouraud Emir Feissals Kandidatur für Mesopotamien bekämpfte,
denn er fürchtet von ihm und seinem Bruder Abdullah eine Rache für die Ver¬
treibung aus Damaskus. Es Wie diesen französischen KolonialoffiZieren eben
das feinere psychologische Verständnis für die Bedürfnisse der ihnen unterstellten
Bevölkerung. Sie glauben allein mit der Betonung der Macht auskommen zu
können, müssen aber erkennen, daß auch deren Wirksamkeit Grenzen gesetzt sind.




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[0342] Französische Aolonialpolitik Die Mißstimmung über das Verhalten der Franzosen hat sich in dem Attentat gegen General Gouraud Luft gemacht, das von französischer Seite fälsch¬ licherweise dem Emir Abdullah, dem Herrscher des Transjordanlandes, Zur Last gelegt wird. Der „near East" führte treffend aus, daß auch die neu entdeckt« Freundschaft der Franzosen für die türkischen Nationalisten den Vorkämpfern für den Islam nicht so sehr auf aufrichtigen Gefühlen, als auf dem Wunsche beruht, König Konstantin von Griechenland persönlich Schaden zuzufügen. Die Londoner Zeitschrift hätte hinzufügen können, daß Paris auf diese Weise auch hofft, die Verbindung zwischen Angora und Moskau zu sprengen, wie ja auch im griechisch-türkischen Konflikt die Franzosen bei jeder Gelegenheit bemüht sind, angebliche bolschewistische Machenschaften in Konstantinopel oder auf dem Balkan in den Vordergrund zu rücken. Nichts ist bedenklicher, als die religiösen Gefühle eines Volkes anzutasten, das der Mandi, eines anderen ausgeliefert ist. Sarrauts Kolonialprogramm klingt .sehr großzügig, aber es bleibt nur ein papierner Wunsch, denn in Wahrheit bekämpft Frankreich den Islam ebenso wie die nationalen Eigenarten der anderen von ihm unterworfenen Völkerstämme. Deren ^Mitarbeit" soll in erster Linie darauf hinauslaufen, Truppen zu liefern, um die Franzosen selbst zu entlasten, ihnen aber trotzdem zu gestatten, auf dem europäischen Festlande eine gewaltsame Machtpolitik zu betreiben. Interessant ist das Bestreben der Franzosen, den Katholizismus und seine Verbreitung im Orient ausschließlich für sich in Anspruch zu nehmen. Wenn im übrigen die französische Kolonialpolitik den von ihr betroffenen Völkern nicht gerade zum Segen gereicht, so ist sie für Frankreich nicht allein für die Schaffung einer wertvollen Soldatenreserve von Bedeutung, sie bietet dem franzö¬ sischen Offizier auch ein ausgezeichnetes Feld der Schulung und Vorbereitung. Anstatt im täglichen Einerlei des Friedensdienstes einzurosten, sieht sich der fran¬ zösische Offizier vor Aufgaben militärischer und verwaltungstechnischer Art gestellt, die seine ganze Energie in Anspruch nehmen. Zahlreiche französische Führer sind aus Nordafrika, Madagaskar und Jndochina hervorgegangen. Allerdings sind die französischen Kolonialoffiziere sehr einseitig eingestellt, wie z. B. Mar¬ schall Lyauttheys Verhalten zeigt, der trotz einer gewaltigen Truppenzahl und reicher Hilfsmittel die Ruhe in der französischen Zone Marokkos nicht zu sichern vermag. Ebenso versagt General Gouraud in Syrien. Den türkischen Na¬ tionalisten gegenüber muß er nachgeben, und durch seinen Handstreich gegen Emir Feissal in Damaskus hat er nichts weiter erreicht, als die arabische Bevölkerung gegen ihn und Frankreich aufzubringen. Das ist ja auch der tiefste Grund, wes¬ halb General Gouraud Emir Feissals Kandidatur für Mesopotamien bekämpfte, denn er fürchtet von ihm und seinem Bruder Abdullah eine Rache für die Ver¬ treibung aus Damaskus. Es Wie diesen französischen KolonialoffiZieren eben das feinere psychologische Verständnis für die Bedürfnisse der ihnen unterstellten Bevölkerung. Sie glauben allein mit der Betonung der Macht auskommen zu können, müssen aber erkennen, daß auch deren Wirksamkeit Grenzen gesetzt sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/342>, abgerufen am 24.07.2024.