Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.ZVeltspiegel zulässigen belgisch.französischen und polnisch-französischen Abmachungen erhoben Unglücklicherweise befindet sich Deutschland gerade in diesem Augenblick, der ZVeltspiegel zulässigen belgisch.französischen und polnisch-französischen Abmachungen erhoben Unglücklicherweise befindet sich Deutschland gerade in diesem Augenblick, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339479"/> <fw type="header" place="top"> ZVeltspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1391" prev="#ID_1390"> zulässigen belgisch.französischen und polnisch-französischen Abmachungen erhoben<lb/> hat. Es darf gewiß angenommen werden und muß unter allen Umständen ge¬<lb/> fordert werden, daß der Vertreter Deutschlands zwar nicht mit der viel zitierten<lb/> Faust auf den Tisch hauen, aber auch sich Oberschlesien betreffend keinerlei Zu¬<lb/> geständnis abnötigen lassen wird, der Zulassung zu einer Institution zuliebe, die<lb/> sich gerade in der Oberschlesien-Angelegenheit erst bewähren soll. Solange die<lb/> Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund nicht greifbare Vorteile bietet, etwa<lb/> in der österreichischen Anschlußfrage, kann Deutschland keinerlei Interesse daran<lb/> haben, gegen die Erlaubnis des Eintritts durch Zugeständnisse Risse in diesem<lb/> Bund leimen zu helfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1392" next="#ID_1393"> Unglücklicherweise befindet sich Deutschland gerade in diesem Augenblick, der<lb/> die engste Sammlung aller Volksgenossen erfordert, in einem sehr bedrohlichen<lb/> Zustand innerer Zerrissenheit. Bayern steht gegen das Reich, Arbeiter gegen<lb/> Bürgertum, Bürgertum'gegen Arbeiter, mächtige Parteien gegen die Regierung.<lb/> Alte Streitfragen sind wieder hervorgeholt, und die Art, wie sie erörtert werden,<lb/> zeigt deutlich, daß wir von der erhofften nationalen Einigung aller Stämme,<lb/> Parteien, Klassen und Schichten noch weit entfernt sind. Ohne diese aber kann<lb/> auch die energischste und gescheiteste Regierung keine kraftvolle, erfolgreiche Außen¬<lb/> politik machen. Es nützt nichts, nach außen hin energisch aufzutreten, wenn man<lb/> nicht des weitaus größten Teiles des gesamten Volkes sicher ist, und es nützt<lb/> nichts, schöne Reden voll Kraft und Kern zu halten, wenn man damit immer<lb/> nur die eigenen Gesinnungsgenossen, die man in der Begeisterung der Versamm¬<lb/> lungen leichtsinniger- oder kurzsichtigerweise immer gern für das ganze Volk oder<lb/> seine überwiegende Mehrheit hält, bei der Stange hält und erhebt, nicht aber<lb/> gerade die Kreise der Andersdenkenden zu gewinnen vermag. Es nützt überhaupt<lb/> nichts, Reden zu halten, wenn man sich nicht vorher durch Taten überzeugt hat.<lb/> Viel wäre schon gewonnen, wenn man sich endlich in allen Lagern entschließen<lb/> könnte, das demagogische Hadern um Geschehenes zu lassen und sich der Er¬<lb/> kenntnis der einfachen Tatsache durchzuringen entschließen würde, daß an der<lb/> Niederlage nicht einzelne Persönlichkeiten, Parteien oder Tendenzen schuld sind,<lb/> sondern das ganze deutsche Volk von rechts bis links, von oben bis unten. Man<lb/> kann die Probe machen, von welchem Standpunkt man immer will. Beschuldigt<lb/> der Soldat den Zivilisten, warum brachte er nicht die Energie auf, im rechten<lb/> Augenblick die Macht zu ergreifen und die Militärdiktatur zu errichten; beschuldigt<lb/> der Zivilist das Militär, weshalb verschaffte er sich keine Autorität? Beschuldigt<lb/> der Arbeiter das Bürgertum, weshalb machte er den Krieg mit; beschuldigt das<lb/> Bürgertum den Arbeiter, weshalb wußte er ihn nicht von der Notwendigkeit des<lb/> Sieges und der Gemeinsamkeit der beiderseitigen Interessen schon zu Friedens¬<lb/> zeiten zu überzeugen? Beschuldigt man die Juden, weshalb machte man sich<lb/> von ihnen abhängig; beschuldigt man die Altdeutschen, weshalb brachte man nicht<lb/> genügend Geld zur Gegenpropaganda auf? Wie immer man die Frage stellt,<lb/> überall tritt der Fluch der Mittelmäßigkeit hervor, und es mag, von nicht zu<lb/> überzeugenden Pharisäern und verhältnismäßig ganz wenigen Persönlichkeiten,<lb/> berühmten wie verborgenen abgesehen, keinen geben, der nicht bei einer ernst¬<lb/> haften und ehrlichen Gewissensprüfung sich sagen müßte: Da hätte ich ein übriges<lb/> tun müssen, da hätte ich opfern, da hätte ich durchgreifen, da ein mitreißendes<lb/> Beispiel geben müssen, da, in lauter kleinen anscheinend unbedeutenden Vorkomm¬<lb/> nissen und Erlebnissen, die doch alle Zusammenliegendes ausmachen und mit dem<lb/> Geschehen im großen unauflöslich verquickt sind, habe ich aus Trägheit des<lb/> Herzens oder des Verstandes, wider den Volksgenossen, wider das gemeinsame<lb/> große Ideal, in Unterlassung oder aus Unvorsichtigkeit gesündigt. Nicht ein ein¬<lb/> zelner Erzberger, und wäre er der verderbteste aller Menschen, richtet ein Volk<lb/> zugrunde, sondern bie Nation, die sich von ihm führen läßt, jener Haufen kleiner<lb/> Erzberger, deren Symptom und Exponent der leibhaftige war und denen man<lb/> überall in Ämtern und Versammlungen, in Armee wie Volk begegnen konnte und<lb/> kann. Wir haben alle zusammen schuld an unserm Unglück: wir müssen, ob wir.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0330]
ZVeltspiegel
zulässigen belgisch.französischen und polnisch-französischen Abmachungen erhoben
hat. Es darf gewiß angenommen werden und muß unter allen Umständen ge¬
fordert werden, daß der Vertreter Deutschlands zwar nicht mit der viel zitierten
Faust auf den Tisch hauen, aber auch sich Oberschlesien betreffend keinerlei Zu¬
geständnis abnötigen lassen wird, der Zulassung zu einer Institution zuliebe, die
sich gerade in der Oberschlesien-Angelegenheit erst bewähren soll. Solange die
Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund nicht greifbare Vorteile bietet, etwa
in der österreichischen Anschlußfrage, kann Deutschland keinerlei Interesse daran
haben, gegen die Erlaubnis des Eintritts durch Zugeständnisse Risse in diesem
Bund leimen zu helfen.
Unglücklicherweise befindet sich Deutschland gerade in diesem Augenblick, der
die engste Sammlung aller Volksgenossen erfordert, in einem sehr bedrohlichen
Zustand innerer Zerrissenheit. Bayern steht gegen das Reich, Arbeiter gegen
Bürgertum, Bürgertum'gegen Arbeiter, mächtige Parteien gegen die Regierung.
Alte Streitfragen sind wieder hervorgeholt, und die Art, wie sie erörtert werden,
zeigt deutlich, daß wir von der erhofften nationalen Einigung aller Stämme,
Parteien, Klassen und Schichten noch weit entfernt sind. Ohne diese aber kann
auch die energischste und gescheiteste Regierung keine kraftvolle, erfolgreiche Außen¬
politik machen. Es nützt nichts, nach außen hin energisch aufzutreten, wenn man
nicht des weitaus größten Teiles des gesamten Volkes sicher ist, und es nützt
nichts, schöne Reden voll Kraft und Kern zu halten, wenn man damit immer
nur die eigenen Gesinnungsgenossen, die man in der Begeisterung der Versamm¬
lungen leichtsinniger- oder kurzsichtigerweise immer gern für das ganze Volk oder
seine überwiegende Mehrheit hält, bei der Stange hält und erhebt, nicht aber
gerade die Kreise der Andersdenkenden zu gewinnen vermag. Es nützt überhaupt
nichts, Reden zu halten, wenn man sich nicht vorher durch Taten überzeugt hat.
Viel wäre schon gewonnen, wenn man sich endlich in allen Lagern entschließen
könnte, das demagogische Hadern um Geschehenes zu lassen und sich der Er¬
kenntnis der einfachen Tatsache durchzuringen entschließen würde, daß an der
Niederlage nicht einzelne Persönlichkeiten, Parteien oder Tendenzen schuld sind,
sondern das ganze deutsche Volk von rechts bis links, von oben bis unten. Man
kann die Probe machen, von welchem Standpunkt man immer will. Beschuldigt
der Soldat den Zivilisten, warum brachte er nicht die Energie auf, im rechten
Augenblick die Macht zu ergreifen und die Militärdiktatur zu errichten; beschuldigt
der Zivilist das Militär, weshalb verschaffte er sich keine Autorität? Beschuldigt
der Arbeiter das Bürgertum, weshalb machte er den Krieg mit; beschuldigt das
Bürgertum den Arbeiter, weshalb wußte er ihn nicht von der Notwendigkeit des
Sieges und der Gemeinsamkeit der beiderseitigen Interessen schon zu Friedens¬
zeiten zu überzeugen? Beschuldigt man die Juden, weshalb machte man sich
von ihnen abhängig; beschuldigt man die Altdeutschen, weshalb brachte man nicht
genügend Geld zur Gegenpropaganda auf? Wie immer man die Frage stellt,
überall tritt der Fluch der Mittelmäßigkeit hervor, und es mag, von nicht zu
überzeugenden Pharisäern und verhältnismäßig ganz wenigen Persönlichkeiten,
berühmten wie verborgenen abgesehen, keinen geben, der nicht bei einer ernst¬
haften und ehrlichen Gewissensprüfung sich sagen müßte: Da hätte ich ein übriges
tun müssen, da hätte ich opfern, da hätte ich durchgreifen, da ein mitreißendes
Beispiel geben müssen, da, in lauter kleinen anscheinend unbedeutenden Vorkomm¬
nissen und Erlebnissen, die doch alle Zusammenliegendes ausmachen und mit dem
Geschehen im großen unauflöslich verquickt sind, habe ich aus Trägheit des
Herzens oder des Verstandes, wider den Volksgenossen, wider das gemeinsame
große Ideal, in Unterlassung oder aus Unvorsichtigkeit gesündigt. Nicht ein ein¬
zelner Erzberger, und wäre er der verderbteste aller Menschen, richtet ein Volk
zugrunde, sondern bie Nation, die sich von ihm führen läßt, jener Haufen kleiner
Erzberger, deren Symptom und Exponent der leibhaftige war und denen man
überall in Ämtern und Versammlungen, in Armee wie Volk begegnen konnte und
kann. Wir haben alle zusammen schuld an unserm Unglück: wir müssen, ob wir.
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