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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Altes und neues Heer
einem jungen Frontoffizier von
VI. Soldaten -- Versailles

Offiziell zählt das deutsche Ubergangsheer im Sommer 1919 vier¬
hunderttausend Mann. Tatsächlich ist es stärker, aber so un¬
organisiert und zerspittert, daß selbst ein guter Wille seine wahre
Stärke nicht feststellen kann.

Die Freikorps -- gut bewaffnet, kampfgeschult und gefestigt
durch den Einsatz im Bürgerkrieg und zur Pflichterfüllung. Arbeit, Gehorsam und
Zucht durch die alten Offiziere und Unteroffiziere allmählich wieder erzogen --
stehen auf dem Höhepunkt ihrer Macht.

Die Freikorpsführer sind -- nächst den Spartakisten -- die stärkste und
tatkräftigste Gewalt in Deutschland.

Versailles naht.

Die Freikorps sind vom Offizier bis zum jüngsten Soldaten zu neuem
Krieg bereit. Allein schon: welcher Soldat will den Kaiser vom Feinde abgeurteilt,
oder Hindenburg ausgeliefert sehen?

Eine nationale Welle geht durch das Land.

Die Fronttruppe weiß nicht, was hinter den Kulissen der großen Politik
geschieht. Sie sieht mit Vertrauen auf ihre Freikorpsführer und auf den und
jenen beliebten General.

Man muß Bürgerkrieg führen -- blutigen und unblutigen. In den Pausen
wird versucht, Dienst zu machen. Vor allem wird -- Fußball gespielt!

Man wartet . . . wartet ...

Auf Versailles!

Was steht bevor!

Deutschland soll hunderttausend Söldner halten dürfen.

Jedes Kind weiß, daß damit kein Krieg zu führen ist.

Die Diplomatie soll die letzte stärkste Waffe selbst der friedlichsten Politik --
das Schwert -- preisgeben. Deutschland soll fortan eine Scheinpolitik führen,
eine Politik ohne Fundament, Diplomaten auf einer Bühne mit klaffend leerem
Hintergrund. Völkerbund und Pazifismus sind -- zum mindesten im Augenblick --
kein Ersatz für das Schwert in der Politik.

Das weiß der heutige Soldat.

Wie will man ihm glauben machen, daß er zum Kämpfen da ist?

Ja -- allenfalls zum Kampf gegen Volksgenossen, oder für Grenzwacht,
die zurückgenommen wird, wenn sie zum Krieg zu führen droht! Oder für
Absperrung bei Demonstrationen!

Aber Soldat zum Krieg führen? -- --

Es ist sinnwidrig, Soldat zu sein, ohne das Ziel vor Augen, ohne die
sachliche suggestive Erziehung des Geistes und des Körpers: Bedroht feindliche
Willkür deutsche Lebensfragen, so bist du in erster Linie berufen, zu kämpfen,
wenn es die Politik befiehlt.

Der Soldat zeigt auf die Politik, die das niemals befehlen wird, eine
Politik der Praxis und des Tages! Er lacht und meint:


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Altes und neues Heer

Altes und neues Heer
einem jungen Frontoffizier von
VI. Soldaten — Versailles

Offiziell zählt das deutsche Ubergangsheer im Sommer 1919 vier¬
hunderttausend Mann. Tatsächlich ist es stärker, aber so un¬
organisiert und zerspittert, daß selbst ein guter Wille seine wahre
Stärke nicht feststellen kann.

Die Freikorps — gut bewaffnet, kampfgeschult und gefestigt
durch den Einsatz im Bürgerkrieg und zur Pflichterfüllung. Arbeit, Gehorsam und
Zucht durch die alten Offiziere und Unteroffiziere allmählich wieder erzogen —
stehen auf dem Höhepunkt ihrer Macht.

Die Freikorpsführer sind — nächst den Spartakisten — die stärkste und
tatkräftigste Gewalt in Deutschland.

Versailles naht.

Die Freikorps sind vom Offizier bis zum jüngsten Soldaten zu neuem
Krieg bereit. Allein schon: welcher Soldat will den Kaiser vom Feinde abgeurteilt,
oder Hindenburg ausgeliefert sehen?

Eine nationale Welle geht durch das Land.

Die Fronttruppe weiß nicht, was hinter den Kulissen der großen Politik
geschieht. Sie sieht mit Vertrauen auf ihre Freikorpsführer und auf den und
jenen beliebten General.

Man muß Bürgerkrieg führen — blutigen und unblutigen. In den Pausen
wird versucht, Dienst zu machen. Vor allem wird — Fußball gespielt!

Man wartet . . . wartet ...

Auf Versailles!

Was steht bevor!

Deutschland soll hunderttausend Söldner halten dürfen.

Jedes Kind weiß, daß damit kein Krieg zu führen ist.

Die Diplomatie soll die letzte stärkste Waffe selbst der friedlichsten Politik —
das Schwert — preisgeben. Deutschland soll fortan eine Scheinpolitik führen,
eine Politik ohne Fundament, Diplomaten auf einer Bühne mit klaffend leerem
Hintergrund. Völkerbund und Pazifismus sind — zum mindesten im Augenblick —
kein Ersatz für das Schwert in der Politik.

Das weiß der heutige Soldat.

Wie will man ihm glauben machen, daß er zum Kämpfen da ist?

Ja — allenfalls zum Kampf gegen Volksgenossen, oder für Grenzwacht,
die zurückgenommen wird, wenn sie zum Krieg zu führen droht! Oder für
Absperrung bei Demonstrationen!

Aber Soldat zum Krieg führen? — —

Es ist sinnwidrig, Soldat zu sein, ohne das Ziel vor Augen, ohne die
sachliche suggestive Erziehung des Geistes und des Körpers: Bedroht feindliche
Willkür deutsche Lebensfragen, so bist du in erster Linie berufen, zu kämpfen,
wenn es die Politik befiehlt.

Der Soldat zeigt auf die Politik, die das niemals befehlen wird, eine
Politik der Praxis und des Tages! Er lacht und meint:


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[0321] Altes und neues Heer Altes und neues Heer einem jungen Frontoffizier von VI. Soldaten — Versailles Offiziell zählt das deutsche Ubergangsheer im Sommer 1919 vier¬ hunderttausend Mann. Tatsächlich ist es stärker, aber so un¬ organisiert und zerspittert, daß selbst ein guter Wille seine wahre Stärke nicht feststellen kann. Die Freikorps — gut bewaffnet, kampfgeschult und gefestigt durch den Einsatz im Bürgerkrieg und zur Pflichterfüllung. Arbeit, Gehorsam und Zucht durch die alten Offiziere und Unteroffiziere allmählich wieder erzogen — stehen auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Die Freikorpsführer sind — nächst den Spartakisten — die stärkste und tatkräftigste Gewalt in Deutschland. Versailles naht. Die Freikorps sind vom Offizier bis zum jüngsten Soldaten zu neuem Krieg bereit. Allein schon: welcher Soldat will den Kaiser vom Feinde abgeurteilt, oder Hindenburg ausgeliefert sehen? Eine nationale Welle geht durch das Land. Die Fronttruppe weiß nicht, was hinter den Kulissen der großen Politik geschieht. Sie sieht mit Vertrauen auf ihre Freikorpsführer und auf den und jenen beliebten General. Man muß Bürgerkrieg führen — blutigen und unblutigen. In den Pausen wird versucht, Dienst zu machen. Vor allem wird — Fußball gespielt! Man wartet . . . wartet ... Auf Versailles! Was steht bevor! Deutschland soll hunderttausend Söldner halten dürfen. Jedes Kind weiß, daß damit kein Krieg zu führen ist. Die Diplomatie soll die letzte stärkste Waffe selbst der friedlichsten Politik — das Schwert — preisgeben. Deutschland soll fortan eine Scheinpolitik führen, eine Politik ohne Fundament, Diplomaten auf einer Bühne mit klaffend leerem Hintergrund. Völkerbund und Pazifismus sind — zum mindesten im Augenblick — kein Ersatz für das Schwert in der Politik. Das weiß der heutige Soldat. Wie will man ihm glauben machen, daß er zum Kämpfen da ist? Ja — allenfalls zum Kampf gegen Volksgenossen, oder für Grenzwacht, die zurückgenommen wird, wenn sie zum Krieg zu führen droht! Oder für Absperrung bei Demonstrationen! Aber Soldat zum Krieg führen? — — Es ist sinnwidrig, Soldat zu sein, ohne das Ziel vor Augen, ohne die sachliche suggestive Erziehung des Geistes und des Körpers: Bedroht feindliche Willkür deutsche Lebensfragen, so bist du in erster Linie berufen, zu kämpfen, wenn es die Politik befiehlt. Der Soldat zeigt auf die Politik, die das niemals befehlen wird, eine Politik der Praxis und des Tages! Er lacht und meint: 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/321>, abgerufen am 22.12.2024.