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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Die Politik der Lntente in den Jahren 5903 bis

vor allem das Werk Benckendorffs, des russischen Botschafters in London, daß
alle diese Hindernisse aus dem Wege geräumt worden sind. Die erwähnte Lücke
der Siebertschen Akten vom Sommer 1913 erlaubt es uns nicht, alle Einzelheiten
der Entwicklung zu überblicken, aber die entscheidenden Schlußverhandlungen deS
Frühjahrs 1914 liegen in ausreichender Klarheit vor uns. Die Russen hätten
am liebsten die Entente in einen förmlichen Dreibund umgewandelt und wollten
dazu den Besuch des englischen Königs in Paris im April 1914 benutzen. Aber
ein solches Bündnis hätte der Zustimmung der Parlamente bedurft. So be¬
gnügte man sich, England mit Rußland durch militärische Verabredungen nach
dem englisch-französischen Muster zu verbinden und diese Abmachungen durch
einen dem Grey-Cambonschen Briefwechsel nachgebildeten Austausch von diplo¬
matischen Erklärungen zu bestätigen. Auf diese Weise sollte ein englisch-russisches
Marineabkommen im Sommer 1914 entstehen. Diese Form bot der englischen
Regierung die Möglichkeit, auch jetzt noch das Vorhandensein bindender Ver¬
pflichtungen im Parlament abzustreiten. Freilich waren Greys Äußerungen bereits
sehr gewunden; und wenn er Ende Juni 1914 der durch Indiskretionen in Paris
aufmerksam gewordenen deutschen Regierung versicherte, daß zwischen England
einerseits und Frankreich und Rußland andererseits weder ein Bündnis noch eine
Konvention bestehe, so war das ein bewußter Täuschungsversuch und wir begreifen
sowohl die große Beunruhigung in Berlin wie den Unmut Greys über die In¬
diskretionen, die ihn zwangen, "gleichzeitig zu dementieren und zu verhandeln".
Der formelle Abschluß der Konvention ist infolgedessen auch verzögert worden.
Trotzdem durfte Benckendorff schon Mitte Mai zuversichtlich erklären, daß sich kaum
"eine stärkere Garantie für gemeinsame militärische Operationen im Kriegsfalle
finden lasse als der Geist dieser Entente, so wie er sich jetzt zeigt, verstärkt durch
die bestehenden militärischen Abmachungen".

Der Wortlaut aller Abmachungen war defensiv. Aber der Geist zum min¬
desten der russischen Politik war offensiv. Sie setzte ihre Bestrebungen, Deutschland
und Österreich durch Stärkung der Balkanstaaten und durch Auflösung der Türkei
zu bekämpfen, ohne Unterbrechung fort. Rumänien wurde stark umworben, da
man von seinem Veitritt zur Entente ein noch offensichtlicheres Übergewicht über
den Dreibund zu erlangen hoffte; auch die durch den zweiten Valkankrieg auf¬
gelöste Verbindung unter den Balkanstaaten wurde durch Einwirkung auf bul¬
garische Politiker -- Malinow, der Ministerpräsident des Abfalles vom Herbst
1918, wird ausdrücklich genannt -- wieder anzuknüpfen versucht. Vor allem
wurde jede Stärkung der Türkei hintertrieben und deshalb mit aller Energie die
Stellung des deutschen Generals v. Liman in Konstantinopel untergraben. Wieder
war es nur die Nachgiebigkeit der Mittelmächte, diesmal Deutschlands, die den
Frieden erhielt. "Ich kann nicht umhin zu erklären," schrieb der russische Bot¬
schafter in Berlin, Swerbejew, am 16. Januar 1914 an Sasonow, "daß das
Berliner Kabinett in der Tat alles ihm mögliche getan hat, um unsere Wünsche
zu erfüllen" (S.672).

Wir wissen aus anderen Quellen, zumal aus dem von den Bolschewismen
veröffentlichten Protokoll vom 21. Februar 1914 und dem sich daran anschließenden
Bericht Sasonows an den Zaren vom 8. März, daß es Rußland nicht auf den
Frieden, sondern auf die Aufrollung der Meerengensrage und damit des Schicksals


Die Politik der Lntente in den Jahren 5903 bis

vor allem das Werk Benckendorffs, des russischen Botschafters in London, daß
alle diese Hindernisse aus dem Wege geräumt worden sind. Die erwähnte Lücke
der Siebertschen Akten vom Sommer 1913 erlaubt es uns nicht, alle Einzelheiten
der Entwicklung zu überblicken, aber die entscheidenden Schlußverhandlungen deS
Frühjahrs 1914 liegen in ausreichender Klarheit vor uns. Die Russen hätten
am liebsten die Entente in einen förmlichen Dreibund umgewandelt und wollten
dazu den Besuch des englischen Königs in Paris im April 1914 benutzen. Aber
ein solches Bündnis hätte der Zustimmung der Parlamente bedurft. So be¬
gnügte man sich, England mit Rußland durch militärische Verabredungen nach
dem englisch-französischen Muster zu verbinden und diese Abmachungen durch
einen dem Grey-Cambonschen Briefwechsel nachgebildeten Austausch von diplo¬
matischen Erklärungen zu bestätigen. Auf diese Weise sollte ein englisch-russisches
Marineabkommen im Sommer 1914 entstehen. Diese Form bot der englischen
Regierung die Möglichkeit, auch jetzt noch das Vorhandensein bindender Ver¬
pflichtungen im Parlament abzustreiten. Freilich waren Greys Äußerungen bereits
sehr gewunden; und wenn er Ende Juni 1914 der durch Indiskretionen in Paris
aufmerksam gewordenen deutschen Regierung versicherte, daß zwischen England
einerseits und Frankreich und Rußland andererseits weder ein Bündnis noch eine
Konvention bestehe, so war das ein bewußter Täuschungsversuch und wir begreifen
sowohl die große Beunruhigung in Berlin wie den Unmut Greys über die In¬
diskretionen, die ihn zwangen, „gleichzeitig zu dementieren und zu verhandeln".
Der formelle Abschluß der Konvention ist infolgedessen auch verzögert worden.
Trotzdem durfte Benckendorff schon Mitte Mai zuversichtlich erklären, daß sich kaum
„eine stärkere Garantie für gemeinsame militärische Operationen im Kriegsfalle
finden lasse als der Geist dieser Entente, so wie er sich jetzt zeigt, verstärkt durch
die bestehenden militärischen Abmachungen".

Der Wortlaut aller Abmachungen war defensiv. Aber der Geist zum min¬
desten der russischen Politik war offensiv. Sie setzte ihre Bestrebungen, Deutschland
und Österreich durch Stärkung der Balkanstaaten und durch Auflösung der Türkei
zu bekämpfen, ohne Unterbrechung fort. Rumänien wurde stark umworben, da
man von seinem Veitritt zur Entente ein noch offensichtlicheres Übergewicht über
den Dreibund zu erlangen hoffte; auch die durch den zweiten Valkankrieg auf¬
gelöste Verbindung unter den Balkanstaaten wurde durch Einwirkung auf bul¬
garische Politiker — Malinow, der Ministerpräsident des Abfalles vom Herbst
1918, wird ausdrücklich genannt — wieder anzuknüpfen versucht. Vor allem
wurde jede Stärkung der Türkei hintertrieben und deshalb mit aller Energie die
Stellung des deutschen Generals v. Liman in Konstantinopel untergraben. Wieder
war es nur die Nachgiebigkeit der Mittelmächte, diesmal Deutschlands, die den
Frieden erhielt. „Ich kann nicht umhin zu erklären," schrieb der russische Bot¬
schafter in Berlin, Swerbejew, am 16. Januar 1914 an Sasonow, „daß das
Berliner Kabinett in der Tat alles ihm mögliche getan hat, um unsere Wünsche
zu erfüllen" (S.672).

Wir wissen aus anderen Quellen, zumal aus dem von den Bolschewismen
veröffentlichten Protokoll vom 21. Februar 1914 und dem sich daran anschließenden
Bericht Sasonows an den Zaren vom 8. März, daß es Rußland nicht auf den
Frieden, sondern auf die Aufrollung der Meerengensrage und damit des Schicksals


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/311>, abgerufen am 23.12.2024.