Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.lveltspiegel einem daraus erfolgenden Regierungswechsel auch die Griechen beitreten könnten, Die Meerengenstellung hat England, seitdem es sich ihrer im Frühling Inzwischen sichert sich England auch durch Eingriffe in die albanischen Ver¬ lveltspiegel einem daraus erfolgenden Regierungswechsel auch die Griechen beitreten könnten, Die Meerengenstellung hat England, seitdem es sich ihrer im Frühling Inzwischen sichert sich England auch durch Eingriffe in die albanischen Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339450"/> <fw type="header" place="top"> lveltspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1232" prev="#ID_1231"> einem daraus erfolgenden Regierungswechsel auch die Griechen beitreten könnten,<lb/> ist an dieser Stelle schon gedacht worden. Bedeutsamer noch und konkreter scheinen<lb/> die Abmachungen zu sein, die Tale Jonescu bei seinem Aufenthalt in Paris ge¬<lb/> troffen hat und über die er dem „Petit Parisien" gegenüber nach einer Unter¬<lb/> redung mit Briand immerhin soviel hat verlauten lassen, daß Rumänien im<lb/> Interesse der Freiheit der Meerengen, wenn es (durch wen?) aufgefordert würde,<lb/> an der Besetzung Konstantinopels oder der Meerengen teilzunehmen, sich einer<lb/> solchen Aktion gern „anschließen würde. Gleichsam als Antwort darauf gehen<lb/> zwei neue englische Uberdreadnoüghts nach Konstantinopel ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_1233"> Die Meerengenstellung hat England, seitdem es sich ihrer im Frühling<lb/> vorigen Jahres mit raschem Zugriff versicherte, mit viel zuwartendem Geschick<lb/> und allerdings auch vom Kriegsglück und der inneren Schwäche der türkischen<lb/> Europaftellung begünstigt, gehalten und ausgebaut. Mit Rücksicht auf die Alliierten,<lb/> namentlich auf Frankreich, das sich in den Verlust seiner auf jahrhundertelanger<lb/> Tradition beruhenden Orientstellung noch immer nicht fügen möchte und sogar<lb/> wieder mit Hilfe von Levantinern und verantwortungslosen Italienern in Ägypten<lb/> intrigiert, sowie auf die Mohammedaner in Indien, woher gerade jetzt wieder<lb/> beunruhigende Nachrichten kommen, wollte und konnte man die Türken nicht<lb/> selber aus Konstantinopel vertreiben, sondern versuchte durch mehrfache Kabinetts¬<lb/> umbildungen eine gefügige Regierung zu bilden. Als aber diese infolge Erstarkens<lb/> der anatolischen Bewegung zwischen drei Feuer geriet, sich nicht entscheiden wollte<lb/> und, wie auf der Londoner Konferenz klar zutage trat, von der Regierung in<lb/> Angora in starkem Maße beeinflußt wurde, benutzte man die griechischen Be¬<lb/> strebungen, um diesen Einfluß zu schwächen, was einstweilen gelungen ist. Es<lb/> war ein nicht geringer Erfolg Englands, wenn auf der Pariser Konferenz durch<lb/> die Neutralitätserklärung der Großmächte die Griechen die Möglichkeit erhielten,<lb/> ihre militärischen Erfolge weiter auszunutzen. Daß nun auf einmal der Schrei<lb/> Griechenlands nach Konstantinopel selbst wieder laut wurde, liegt in der natür¬<lb/> lichen Entwicklung der Dinge, denn von einem türkischen Thracien kann nach den<lb/> Mißerfolgen der Anatolier vorläufig keine Rede sein, und eine griechische Vor¬<lb/> machtstellung an den Meerengen ist durch England bequemer zu stützen als eine<lb/> türkische. Ein aktives Eingreifen Rumäniens ist, solange mit Rußland nicht die<lb/> bessarabische Frage, über die seit Jahren in immer neuen Ansätzen verhandelt<lb/> wird, geregelt ist, eigentlich nicht gut möglich, und wäre nur denkbar, falls die<lb/> rumänisch-polnischen Abmachungen sich auch auf die Sicherung Bessarabiens be¬<lb/> zögen, was immerhin nicht ausgeschlossen wäre, die Polen aber leicht in neue<lb/> Gegensätze zu Ukrainern und Russen bringen würde, die man gerade in der<lb/> nächsten Zeit in Warschau nicht wünschen kann. Auf die Dauer gesehen, würde<lb/> aber eine, von Frankreich widerwillig ertragene, englische Vorherrschaft in Kon¬<lb/> stantinopel eine französisch-russische bzw. südrussische Verbindung nötig machen,<lb/> deren Kosten wiederum Polen und Rumänien zu tragen haben würden, was<lb/> wieder Frankreichs Einfluß an Deutschlands Ostgrenze schwächen würde. Wie<lb/> immer man also die Lage betrachtet, Englands Stellung am Bosporus wird von<lb/> Monat zu Monat stärker.</p><lb/> <p xml:id="ID_1234" next="#ID_1235"> Inzwischen sichert sich England auch durch Eingriffe in die albanischen Ver¬<lb/> hältnisse den Beistand Italiens sowohl in der Oberschlesien- wie, wie man<lb/> wenigstens vermuten darf, in Orientfragen. Auf der Pariser Konferenz hat man<lb/> f-anzösischerseits noch versucht, in der Oberschlesienfrage Italiens diplomatische<lb/> Unterstützung durch Versprechung französischer Hilfe bei Verhandlungen über tue<lb/> Jusel Sasseno (oder Valona) zu bekommen. Jetzt tritt auf einmal der „Temps<lb/> für Freiheit und Integrität Albaniens ein, offensichtlich zugunsten der Südslawen.<lb/> Wenn aber Italien an die von feiten des Obersten Rates geforderte Räumung<lb/> Sassenos die Bedingung der Sicherung des Gleichgewichtes in der Sldna knüpft,<lb/> so ist es dabei der Unterstützung Englands sicher, dem an der Erhaltung eines<lb/> französisch-italienischen Gegensatzes in Mittelmeerfragen gelegen sem nutz. Aus<lb/> dem gleichen Grunde ist England auch mit einer von Frankreich aus Abneigung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0301]
lveltspiegel
einem daraus erfolgenden Regierungswechsel auch die Griechen beitreten könnten,
ist an dieser Stelle schon gedacht worden. Bedeutsamer noch und konkreter scheinen
die Abmachungen zu sein, die Tale Jonescu bei seinem Aufenthalt in Paris ge¬
troffen hat und über die er dem „Petit Parisien" gegenüber nach einer Unter¬
redung mit Briand immerhin soviel hat verlauten lassen, daß Rumänien im
Interesse der Freiheit der Meerengen, wenn es (durch wen?) aufgefordert würde,
an der Besetzung Konstantinopels oder der Meerengen teilzunehmen, sich einer
solchen Aktion gern „anschließen würde. Gleichsam als Antwort darauf gehen
zwei neue englische Uberdreadnoüghts nach Konstantinopel ab.
Die Meerengenstellung hat England, seitdem es sich ihrer im Frühling
vorigen Jahres mit raschem Zugriff versicherte, mit viel zuwartendem Geschick
und allerdings auch vom Kriegsglück und der inneren Schwäche der türkischen
Europaftellung begünstigt, gehalten und ausgebaut. Mit Rücksicht auf die Alliierten,
namentlich auf Frankreich, das sich in den Verlust seiner auf jahrhundertelanger
Tradition beruhenden Orientstellung noch immer nicht fügen möchte und sogar
wieder mit Hilfe von Levantinern und verantwortungslosen Italienern in Ägypten
intrigiert, sowie auf die Mohammedaner in Indien, woher gerade jetzt wieder
beunruhigende Nachrichten kommen, wollte und konnte man die Türken nicht
selber aus Konstantinopel vertreiben, sondern versuchte durch mehrfache Kabinetts¬
umbildungen eine gefügige Regierung zu bilden. Als aber diese infolge Erstarkens
der anatolischen Bewegung zwischen drei Feuer geriet, sich nicht entscheiden wollte
und, wie auf der Londoner Konferenz klar zutage trat, von der Regierung in
Angora in starkem Maße beeinflußt wurde, benutzte man die griechischen Be¬
strebungen, um diesen Einfluß zu schwächen, was einstweilen gelungen ist. Es
war ein nicht geringer Erfolg Englands, wenn auf der Pariser Konferenz durch
die Neutralitätserklärung der Großmächte die Griechen die Möglichkeit erhielten,
ihre militärischen Erfolge weiter auszunutzen. Daß nun auf einmal der Schrei
Griechenlands nach Konstantinopel selbst wieder laut wurde, liegt in der natür¬
lichen Entwicklung der Dinge, denn von einem türkischen Thracien kann nach den
Mißerfolgen der Anatolier vorläufig keine Rede sein, und eine griechische Vor¬
machtstellung an den Meerengen ist durch England bequemer zu stützen als eine
türkische. Ein aktives Eingreifen Rumäniens ist, solange mit Rußland nicht die
bessarabische Frage, über die seit Jahren in immer neuen Ansätzen verhandelt
wird, geregelt ist, eigentlich nicht gut möglich, und wäre nur denkbar, falls die
rumänisch-polnischen Abmachungen sich auch auf die Sicherung Bessarabiens be¬
zögen, was immerhin nicht ausgeschlossen wäre, die Polen aber leicht in neue
Gegensätze zu Ukrainern und Russen bringen würde, die man gerade in der
nächsten Zeit in Warschau nicht wünschen kann. Auf die Dauer gesehen, würde
aber eine, von Frankreich widerwillig ertragene, englische Vorherrschaft in Kon¬
stantinopel eine französisch-russische bzw. südrussische Verbindung nötig machen,
deren Kosten wiederum Polen und Rumänien zu tragen haben würden, was
wieder Frankreichs Einfluß an Deutschlands Ostgrenze schwächen würde. Wie
immer man also die Lage betrachtet, Englands Stellung am Bosporus wird von
Monat zu Monat stärker.
Inzwischen sichert sich England auch durch Eingriffe in die albanischen Ver¬
hältnisse den Beistand Italiens sowohl in der Oberschlesien- wie, wie man
wenigstens vermuten darf, in Orientfragen. Auf der Pariser Konferenz hat man
f-anzösischerseits noch versucht, in der Oberschlesienfrage Italiens diplomatische
Unterstützung durch Versprechung französischer Hilfe bei Verhandlungen über tue
Jusel Sasseno (oder Valona) zu bekommen. Jetzt tritt auf einmal der „Temps
für Freiheit und Integrität Albaniens ein, offensichtlich zugunsten der Südslawen.
Wenn aber Italien an die von feiten des Obersten Rates geforderte Räumung
Sassenos die Bedingung der Sicherung des Gleichgewichtes in der Sldna knüpft,
so ist es dabei der Unterstützung Englands sicher, dem an der Erhaltung eines
französisch-italienischen Gegensatzes in Mittelmeerfragen gelegen sem nutz. Aus
dem gleichen Grunde ist England auch mit einer von Frankreich aus Abneigung
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