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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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IVeltspiegel

Starken kann nur kavieren und von Fall zu Fall sich entschließen, erst ein Starker,
der Wesentliches zu bieten oder zu versagen hat, dauernde Bindungen eingehen.

Politisch bedeutsamer ist die Artikelreihe, die Keynes in der "Deutschen
Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht, weniger durch das viele mehr oder weniger
Bekannte, was sie darlegt, als durch das Echo, das sie namentlich in Frankreich
geweckt hat. Es ist überaus bezeichnend, dasz die sachlichen Ausführungen Keynes'
hier nirgends widerlegt, vielmehr im Grunde stillschweigend anerkannt worden und
zum Anlaß genommen sind, die Ergebnisse der letzten alliierten Finanzkonferenz zu
bekämpfen und vor Eintritt des deutschen Staatsbcmkerotts und dem damit
verbundenen Zusammenbruch aller französischen Reparationshoffnungen für Frank¬
reich noch das Wenige zu retten, was gegen den Widerstand der Alliierten zu
retten sein wird. Gleichzeitig muß aus dem Fehlen sachlicher Entgegnungen wohl
oder übel geschlossen werden, daß man sich in Frankreich in maßgebenden Kreisen
mit dem Gedanken an den endgültigen Zusammenbruch der Reparationsidee
vertraut zu machen beginnt, um dann der Pfandtheorie, die auf endgültige und
dauernde Besetzung des linken Rheinufers ausgeht, zum Durchbruch zu verhelfen.
Es ist nicht abzusehen, wie dieser Entwicklung Einhalt getan werden könnte.
Kein französischer Patriot kann ihr die Gefolgschaft versagen. Es mag patriotischer
sein, dem Lande die konsequente Verfolgung des Machtgedankens bis zum letzten,
die daraus entstehende Überspannung und den notwendigerweise erfolgenden
Rückschlag, den Frankreich bereits 1815 und 1871 erfahren hat, zu ersparen, aber
in solchen Dingen pflegt kein Volk aus der Geschichte zu lernen und die Vertreter
einer Mäßigungspolitik, die dem Lande zwar alle Möglichkeiten der Macht lassen,
aber auch den französischen Steuerzahler weit mehr als bisher belasten würde,
ohne die durch lärmende Kriegspropaganda genährten Hoffnungen auf unbedingte
Vormachtstellung Frankreichs und endgültige Zerschmetterung Deutschlands zu
erfüllen, werden diese vaterlandsliebenden Franzosen niemals durch Überlegungen
wie eS bei Durchführung der von ihren Gegnern angestrebten Gewaltpolitik
"hätte kommen können", von der Nichtigkeit ihrer These überzeugen können.
Dergleichen gehört zu den politischen Erfahrungen, die ein heißblütiges Volk
praktisch erlebt haben muß und die es nicht einmal zuzugeben pflegt, wenn der
Ausgang ungünstig entscheidet. Schon im Hinblick auf Clemenceau. der Frank¬
reich dem Wohlwollen der Alliierten, dem ZahlungSwillen Deutschlands auf
Gnade und Ungnade ausgeliefert hätte, hat man vom Staatsgerichtshof
gesprochen, das gleiche Schicksal wartet derjenigen "Verräter" -- nicht umsonst
hat der jetzige Ministerpräsident immer wieder der Kammer selbst alle Verant¬
wortung für seine politischen Maßnahmen gegen Deutschland zugeschoben -- die
durch Verständigung mit einem im Ruin begriffenen Deutschland Frankreich in
eine finanzielle Katastrophe führen ohne entsprechende "Kompensationen": ein
polnisches Oberschlesien, ein autonomes Rheinland, ein von Frankreich verwaltetes
Ruhrgebiet, heimzubringen. Schon jetzt setzt das Patriotenorgan "Echo de Paris"
Preise für Prognostika über den Sturz des jetzigen Kabinetts und die Zusammen¬
setzung des nächsten aus -- eine sehr geschickte Art, die Volksstimmung zu Sortieren
und das Ansehen der gegenwärtigen Negierung zu schwächen -- das Kabinett
Briand wird, falls bis dahin die Bildung des angestrebten Linksblockes noch nicht
zustande gekommen ist. vielleicht schon über die Entscheidung betreffs Oberschlesien
fallen und einem andern Platz machen, das das große Spiel der Trennung von
den Verbündeten und der endgültigen Niederwerfung des Erbfeindes spielen wird.

Schon jetzt gibt man sich Mühe, für diesen Fall England zu neutralisieren
und lahm zu legen. Polen sucht man durch diplomatische Unterstützung nicht nur
in der Oberschlesien-,- sondern auch in der Wilnafrage Litauen gegenüber, dem
man als Ausgleich Memel zuzuschanzen sucht, zu stärken. Vor allem aber setzt
man auf dem Balkan die Steine gegen Englands Konstantinopelstellung. Der
Bestrebungen, einen südslawisch-bulgarischen Balkanbund, der in Albanien, Make¬
donien und Thracien den Griechen Ungelegenheiten zu bereite" sucht und welchem
mach immerhin nicht unmöglichen Rückschlägen an der kleinasiatischen Front und


IVeltspiegel

Starken kann nur kavieren und von Fall zu Fall sich entschließen, erst ein Starker,
der Wesentliches zu bieten oder zu versagen hat, dauernde Bindungen eingehen.

Politisch bedeutsamer ist die Artikelreihe, die Keynes in der „Deutschen
Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht, weniger durch das viele mehr oder weniger
Bekannte, was sie darlegt, als durch das Echo, das sie namentlich in Frankreich
geweckt hat. Es ist überaus bezeichnend, dasz die sachlichen Ausführungen Keynes'
hier nirgends widerlegt, vielmehr im Grunde stillschweigend anerkannt worden und
zum Anlaß genommen sind, die Ergebnisse der letzten alliierten Finanzkonferenz zu
bekämpfen und vor Eintritt des deutschen Staatsbcmkerotts und dem damit
verbundenen Zusammenbruch aller französischen Reparationshoffnungen für Frank¬
reich noch das Wenige zu retten, was gegen den Widerstand der Alliierten zu
retten sein wird. Gleichzeitig muß aus dem Fehlen sachlicher Entgegnungen wohl
oder übel geschlossen werden, daß man sich in Frankreich in maßgebenden Kreisen
mit dem Gedanken an den endgültigen Zusammenbruch der Reparationsidee
vertraut zu machen beginnt, um dann der Pfandtheorie, die auf endgültige und
dauernde Besetzung des linken Rheinufers ausgeht, zum Durchbruch zu verhelfen.
Es ist nicht abzusehen, wie dieser Entwicklung Einhalt getan werden könnte.
Kein französischer Patriot kann ihr die Gefolgschaft versagen. Es mag patriotischer
sein, dem Lande die konsequente Verfolgung des Machtgedankens bis zum letzten,
die daraus entstehende Überspannung und den notwendigerweise erfolgenden
Rückschlag, den Frankreich bereits 1815 und 1871 erfahren hat, zu ersparen, aber
in solchen Dingen pflegt kein Volk aus der Geschichte zu lernen und die Vertreter
einer Mäßigungspolitik, die dem Lande zwar alle Möglichkeiten der Macht lassen,
aber auch den französischen Steuerzahler weit mehr als bisher belasten würde,
ohne die durch lärmende Kriegspropaganda genährten Hoffnungen auf unbedingte
Vormachtstellung Frankreichs und endgültige Zerschmetterung Deutschlands zu
erfüllen, werden diese vaterlandsliebenden Franzosen niemals durch Überlegungen
wie eS bei Durchführung der von ihren Gegnern angestrebten Gewaltpolitik
„hätte kommen können", von der Nichtigkeit ihrer These überzeugen können.
Dergleichen gehört zu den politischen Erfahrungen, die ein heißblütiges Volk
praktisch erlebt haben muß und die es nicht einmal zuzugeben pflegt, wenn der
Ausgang ungünstig entscheidet. Schon im Hinblick auf Clemenceau. der Frank¬
reich dem Wohlwollen der Alliierten, dem ZahlungSwillen Deutschlands auf
Gnade und Ungnade ausgeliefert hätte, hat man vom Staatsgerichtshof
gesprochen, das gleiche Schicksal wartet derjenigen „Verräter" — nicht umsonst
hat der jetzige Ministerpräsident immer wieder der Kammer selbst alle Verant¬
wortung für seine politischen Maßnahmen gegen Deutschland zugeschoben — die
durch Verständigung mit einem im Ruin begriffenen Deutschland Frankreich in
eine finanzielle Katastrophe führen ohne entsprechende „Kompensationen": ein
polnisches Oberschlesien, ein autonomes Rheinland, ein von Frankreich verwaltetes
Ruhrgebiet, heimzubringen. Schon jetzt setzt das Patriotenorgan „Echo de Paris"
Preise für Prognostika über den Sturz des jetzigen Kabinetts und die Zusammen¬
setzung des nächsten aus — eine sehr geschickte Art, die Volksstimmung zu Sortieren
und das Ansehen der gegenwärtigen Negierung zu schwächen — das Kabinett
Briand wird, falls bis dahin die Bildung des angestrebten Linksblockes noch nicht
zustande gekommen ist. vielleicht schon über die Entscheidung betreffs Oberschlesien
fallen und einem andern Platz machen, das das große Spiel der Trennung von
den Verbündeten und der endgültigen Niederwerfung des Erbfeindes spielen wird.

Schon jetzt gibt man sich Mühe, für diesen Fall England zu neutralisieren
und lahm zu legen. Polen sucht man durch diplomatische Unterstützung nicht nur
in der Oberschlesien-,- sondern auch in der Wilnafrage Litauen gegenüber, dem
man als Ausgleich Memel zuzuschanzen sucht, zu stärken. Vor allem aber setzt
man auf dem Balkan die Steine gegen Englands Konstantinopelstellung. Der
Bestrebungen, einen südslawisch-bulgarischen Balkanbund, der in Albanien, Make¬
donien und Thracien den Griechen Ungelegenheiten zu bereite» sucht und welchem
mach immerhin nicht unmöglichen Rückschlägen an der kleinasiatischen Front und


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[0300] IVeltspiegel Starken kann nur kavieren und von Fall zu Fall sich entschließen, erst ein Starker, der Wesentliches zu bieten oder zu versagen hat, dauernde Bindungen eingehen. Politisch bedeutsamer ist die Artikelreihe, die Keynes in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht, weniger durch das viele mehr oder weniger Bekannte, was sie darlegt, als durch das Echo, das sie namentlich in Frankreich geweckt hat. Es ist überaus bezeichnend, dasz die sachlichen Ausführungen Keynes' hier nirgends widerlegt, vielmehr im Grunde stillschweigend anerkannt worden und zum Anlaß genommen sind, die Ergebnisse der letzten alliierten Finanzkonferenz zu bekämpfen und vor Eintritt des deutschen Staatsbcmkerotts und dem damit verbundenen Zusammenbruch aller französischen Reparationshoffnungen für Frank¬ reich noch das Wenige zu retten, was gegen den Widerstand der Alliierten zu retten sein wird. Gleichzeitig muß aus dem Fehlen sachlicher Entgegnungen wohl oder übel geschlossen werden, daß man sich in Frankreich in maßgebenden Kreisen mit dem Gedanken an den endgültigen Zusammenbruch der Reparationsidee vertraut zu machen beginnt, um dann der Pfandtheorie, die auf endgültige und dauernde Besetzung des linken Rheinufers ausgeht, zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist nicht abzusehen, wie dieser Entwicklung Einhalt getan werden könnte. Kein französischer Patriot kann ihr die Gefolgschaft versagen. Es mag patriotischer sein, dem Lande die konsequente Verfolgung des Machtgedankens bis zum letzten, die daraus entstehende Überspannung und den notwendigerweise erfolgenden Rückschlag, den Frankreich bereits 1815 und 1871 erfahren hat, zu ersparen, aber in solchen Dingen pflegt kein Volk aus der Geschichte zu lernen und die Vertreter einer Mäßigungspolitik, die dem Lande zwar alle Möglichkeiten der Macht lassen, aber auch den französischen Steuerzahler weit mehr als bisher belasten würde, ohne die durch lärmende Kriegspropaganda genährten Hoffnungen auf unbedingte Vormachtstellung Frankreichs und endgültige Zerschmetterung Deutschlands zu erfüllen, werden diese vaterlandsliebenden Franzosen niemals durch Überlegungen wie eS bei Durchführung der von ihren Gegnern angestrebten Gewaltpolitik „hätte kommen können", von der Nichtigkeit ihrer These überzeugen können. Dergleichen gehört zu den politischen Erfahrungen, die ein heißblütiges Volk praktisch erlebt haben muß und die es nicht einmal zuzugeben pflegt, wenn der Ausgang ungünstig entscheidet. Schon im Hinblick auf Clemenceau. der Frank¬ reich dem Wohlwollen der Alliierten, dem ZahlungSwillen Deutschlands auf Gnade und Ungnade ausgeliefert hätte, hat man vom Staatsgerichtshof gesprochen, das gleiche Schicksal wartet derjenigen „Verräter" — nicht umsonst hat der jetzige Ministerpräsident immer wieder der Kammer selbst alle Verant¬ wortung für seine politischen Maßnahmen gegen Deutschland zugeschoben — die durch Verständigung mit einem im Ruin begriffenen Deutschland Frankreich in eine finanzielle Katastrophe führen ohne entsprechende „Kompensationen": ein polnisches Oberschlesien, ein autonomes Rheinland, ein von Frankreich verwaltetes Ruhrgebiet, heimzubringen. Schon jetzt setzt das Patriotenorgan „Echo de Paris" Preise für Prognostika über den Sturz des jetzigen Kabinetts und die Zusammen¬ setzung des nächsten aus — eine sehr geschickte Art, die Volksstimmung zu Sortieren und das Ansehen der gegenwärtigen Negierung zu schwächen — das Kabinett Briand wird, falls bis dahin die Bildung des angestrebten Linksblockes noch nicht zustande gekommen ist. vielleicht schon über die Entscheidung betreffs Oberschlesien fallen und einem andern Platz machen, das das große Spiel der Trennung von den Verbündeten und der endgültigen Niederwerfung des Erbfeindes spielen wird. Schon jetzt gibt man sich Mühe, für diesen Fall England zu neutralisieren und lahm zu legen. Polen sucht man durch diplomatische Unterstützung nicht nur in der Oberschlesien-,- sondern auch in der Wilnafrage Litauen gegenüber, dem man als Ausgleich Memel zuzuschanzen sucht, zu stärken. Vor allem aber setzt man auf dem Balkan die Steine gegen Englands Konstantinopelstellung. Der Bestrebungen, einen südslawisch-bulgarischen Balkanbund, der in Albanien, Make¬ donien und Thracien den Griechen Ungelegenheiten zu bereite» sucht und welchem mach immerhin nicht unmöglichen Rückschlägen an der kleinasiatischen Front und

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/300>, abgerufen am 23.12.2024.