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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Luxemburg und Liechtenstein

Provinz kennt, kann ermessen, wie schwer dieser belgische Vorstoß, hinter dein
Frankreich als der große Bruder steht, die wirtschaftliche Einheit und Kraft anch
des heute noch deutschen Rheintals trifft. Mit einem Schlage fast ist die strate¬
gische Verbindung zwischen Metz und Lüttich hergestellt, die die Bundesfestung
Luxemburg ein Jahrhundert hindurch verhindert hat.

Noch weniger bekannt wie diese Luxemburger Verhältnisse sind, wie ich
fürchte, die Abmachungen, die das kleine Fürstentum Liechtenstein, einst der
Kinderspott der deutschen Großmachtpolitik, in aller Stille schon im Anfang,
dieses Jahres mit der Schweiz schloß. Seit Anfang Februar stehen Post-, Tele¬
graphen- und Fernsprechbetrieb des Ländchens unter eidgenössischer Verwaltung.
Handel und Verkehr, Löhnung, Kauf und Verkauf werden in Schweizer Franken-
Währung geregelt. Auch hier ist ein Vorposten des deutschen Wirt¬
schaftslebens im weiteren Sinne mit einem Schlage verloren gegangen. Ein
Gegenstück zum deutscheu Saargebiet, wenn sich auch der Völkerbundsdespotismus
dort nicht leicht mit der mildcU Hand der Berner Zentralverwaltung vergleichen
läßt. Wer den Vorderrhein, der bislang die Grenze bildete, schiebt sich die
Schweiz nun Weit aufs rechte Ufer des deutschen Stromes hinüber. Für die künf¬
tige Stromregulierung, die zweifellos bereits oberhalb des Vodensees einsetzen
muß, hat sich die Eidgenossenschaft einen ansehnlichen Aktivposten gesichert.

So verführerisch ist dieses Beispiel, daß auch ein zweifellos und völker¬
rechtlich zur deutsch-österreichischen Republik gehörendes Land, das Vorarl¬
berg, mit dem Gedanken spielt, einen "Unterstand"' M der Eidgenossenschaft
zu suchen: zum mindesten so lange, bis das harte Wetter, das heute dem deut¬
schen Mitteleuropa nur Regen und Sturm bringt, vorübergezogen ist. An und
für sich hätte auch in der Tat die, Schweiz nichts gegen die Erweiterung ihrer
Grenzen einzuwenden, zumal sie dadurch den ganzen Vorderrhein beherrschen
und den deutschen wie den französischen Partnern am Unterlauf des Stromes
ihren Willen sehr kräftig diktieren könnte. Gerade dieser Wert des neuen Be¬
sitzes ist aber auch den Nebenbuhlern bekannt genug, um Italien und Fr ank¬
reich zum Einspruch anzutreiben. Das erste fürchtet mit Recht die Unterbin-
dung seines direkten Verkehrs von Meran über Reschen--Scheideck und Lcindnck
Zum Bodensee, der den römischen Besitzern von Welschtirol heute besonders wich¬
tig ist, da ihm ein schwaches Osterreich kein Hindernis in den Weg zu legen ver¬
mag. Frankreich aber will als Entschädigung für 'diese Vergrößerung der Eid¬
genossenschaft die Genfer "Freizone", den nach Savoyen hineinragenden Zipfel
des Kantons Genf, der heute bereits in das französische Zollgebiet einverleibt
worden ist. Nur dieser Widerspruch der römischen Völker hat die Entwicklung
vorderhand noch gehemmt.

Das deutsche Volk aber sieht heute wie immer gedankenlos auch diese Land¬
schollen des ganzen deutschen Rheintals nach Westen zu abtreiben, während alle
die übrigen Verluste, Eupen, Malmedy und Monschou oder gar Elsaß und Loth¬
ringen nur zu schnell vergessen werden, während das' Saargebiet vor unseren
Augen und mit ganz anderem Erfolge vom Völkerbund "luxcinburgisiert" wird!
"Luxcmburgisiert" noch in dem Sinne, daß folgerecht die Werbearbeit über
die am We se raube des Rheintals "fest" gewordenen Schollen weiteir
vorrückt, von sich aus letzte kärgliche Stückchen deutschen Lebens vom linken


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Luxemburg und Liechtenstein

Provinz kennt, kann ermessen, wie schwer dieser belgische Vorstoß, hinter dein
Frankreich als der große Bruder steht, die wirtschaftliche Einheit und Kraft anch
des heute noch deutschen Rheintals trifft. Mit einem Schlage fast ist die strate¬
gische Verbindung zwischen Metz und Lüttich hergestellt, die die Bundesfestung
Luxemburg ein Jahrhundert hindurch verhindert hat.

Noch weniger bekannt wie diese Luxemburger Verhältnisse sind, wie ich
fürchte, die Abmachungen, die das kleine Fürstentum Liechtenstein, einst der
Kinderspott der deutschen Großmachtpolitik, in aller Stille schon im Anfang,
dieses Jahres mit der Schweiz schloß. Seit Anfang Februar stehen Post-, Tele¬
graphen- und Fernsprechbetrieb des Ländchens unter eidgenössischer Verwaltung.
Handel und Verkehr, Löhnung, Kauf und Verkauf werden in Schweizer Franken-
Währung geregelt. Auch hier ist ein Vorposten des deutschen Wirt¬
schaftslebens im weiteren Sinne mit einem Schlage verloren gegangen. Ein
Gegenstück zum deutscheu Saargebiet, wenn sich auch der Völkerbundsdespotismus
dort nicht leicht mit der mildcU Hand der Berner Zentralverwaltung vergleichen
läßt. Wer den Vorderrhein, der bislang die Grenze bildete, schiebt sich die
Schweiz nun Weit aufs rechte Ufer des deutschen Stromes hinüber. Für die künf¬
tige Stromregulierung, die zweifellos bereits oberhalb des Vodensees einsetzen
muß, hat sich die Eidgenossenschaft einen ansehnlichen Aktivposten gesichert.

So verführerisch ist dieses Beispiel, daß auch ein zweifellos und völker¬
rechtlich zur deutsch-österreichischen Republik gehörendes Land, das Vorarl¬
berg, mit dem Gedanken spielt, einen „Unterstand"' M der Eidgenossenschaft
zu suchen: zum mindesten so lange, bis das harte Wetter, das heute dem deut¬
schen Mitteleuropa nur Regen und Sturm bringt, vorübergezogen ist. An und
für sich hätte auch in der Tat die, Schweiz nichts gegen die Erweiterung ihrer
Grenzen einzuwenden, zumal sie dadurch den ganzen Vorderrhein beherrschen
und den deutschen wie den französischen Partnern am Unterlauf des Stromes
ihren Willen sehr kräftig diktieren könnte. Gerade dieser Wert des neuen Be¬
sitzes ist aber auch den Nebenbuhlern bekannt genug, um Italien und Fr ank¬
reich zum Einspruch anzutreiben. Das erste fürchtet mit Recht die Unterbin-
dung seines direkten Verkehrs von Meran über Reschen—Scheideck und Lcindnck
Zum Bodensee, der den römischen Besitzern von Welschtirol heute besonders wich¬
tig ist, da ihm ein schwaches Osterreich kein Hindernis in den Weg zu legen ver¬
mag. Frankreich aber will als Entschädigung für 'diese Vergrößerung der Eid¬
genossenschaft die Genfer „Freizone", den nach Savoyen hineinragenden Zipfel
des Kantons Genf, der heute bereits in das französische Zollgebiet einverleibt
worden ist. Nur dieser Widerspruch der römischen Völker hat die Entwicklung
vorderhand noch gehemmt.

Das deutsche Volk aber sieht heute wie immer gedankenlos auch diese Land¬
schollen des ganzen deutschen Rheintals nach Westen zu abtreiben, während alle
die übrigen Verluste, Eupen, Malmedy und Monschou oder gar Elsaß und Loth¬
ringen nur zu schnell vergessen werden, während das' Saargebiet vor unseren
Augen und mit ganz anderem Erfolge vom Völkerbund „luxcinburgisiert" wird!
„Luxcmburgisiert" noch in dem Sinne, daß folgerecht die Werbearbeit über
die am We se raube des Rheintals „fest" gewordenen Schollen weiteir
vorrückt, von sich aus letzte kärgliche Stückchen deutschen Lebens vom linken


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[0289] Luxemburg und Liechtenstein Provinz kennt, kann ermessen, wie schwer dieser belgische Vorstoß, hinter dein Frankreich als der große Bruder steht, die wirtschaftliche Einheit und Kraft anch des heute noch deutschen Rheintals trifft. Mit einem Schlage fast ist die strate¬ gische Verbindung zwischen Metz und Lüttich hergestellt, die die Bundesfestung Luxemburg ein Jahrhundert hindurch verhindert hat. Noch weniger bekannt wie diese Luxemburger Verhältnisse sind, wie ich fürchte, die Abmachungen, die das kleine Fürstentum Liechtenstein, einst der Kinderspott der deutschen Großmachtpolitik, in aller Stille schon im Anfang, dieses Jahres mit der Schweiz schloß. Seit Anfang Februar stehen Post-, Tele¬ graphen- und Fernsprechbetrieb des Ländchens unter eidgenössischer Verwaltung. Handel und Verkehr, Löhnung, Kauf und Verkauf werden in Schweizer Franken- Währung geregelt. Auch hier ist ein Vorposten des deutschen Wirt¬ schaftslebens im weiteren Sinne mit einem Schlage verloren gegangen. Ein Gegenstück zum deutscheu Saargebiet, wenn sich auch der Völkerbundsdespotismus dort nicht leicht mit der mildcU Hand der Berner Zentralverwaltung vergleichen läßt. Wer den Vorderrhein, der bislang die Grenze bildete, schiebt sich die Schweiz nun Weit aufs rechte Ufer des deutschen Stromes hinüber. Für die künf¬ tige Stromregulierung, die zweifellos bereits oberhalb des Vodensees einsetzen muß, hat sich die Eidgenossenschaft einen ansehnlichen Aktivposten gesichert. So verführerisch ist dieses Beispiel, daß auch ein zweifellos und völker¬ rechtlich zur deutsch-österreichischen Republik gehörendes Land, das Vorarl¬ berg, mit dem Gedanken spielt, einen „Unterstand"' M der Eidgenossenschaft zu suchen: zum mindesten so lange, bis das harte Wetter, das heute dem deut¬ schen Mitteleuropa nur Regen und Sturm bringt, vorübergezogen ist. An und für sich hätte auch in der Tat die, Schweiz nichts gegen die Erweiterung ihrer Grenzen einzuwenden, zumal sie dadurch den ganzen Vorderrhein beherrschen und den deutschen wie den französischen Partnern am Unterlauf des Stromes ihren Willen sehr kräftig diktieren könnte. Gerade dieser Wert des neuen Be¬ sitzes ist aber auch den Nebenbuhlern bekannt genug, um Italien und Fr ank¬ reich zum Einspruch anzutreiben. Das erste fürchtet mit Recht die Unterbin- dung seines direkten Verkehrs von Meran über Reschen—Scheideck und Lcindnck Zum Bodensee, der den römischen Besitzern von Welschtirol heute besonders wich¬ tig ist, da ihm ein schwaches Osterreich kein Hindernis in den Weg zu legen ver¬ mag. Frankreich aber will als Entschädigung für 'diese Vergrößerung der Eid¬ genossenschaft die Genfer „Freizone", den nach Savoyen hineinragenden Zipfel des Kantons Genf, der heute bereits in das französische Zollgebiet einverleibt worden ist. Nur dieser Widerspruch der römischen Völker hat die Entwicklung vorderhand noch gehemmt. Das deutsche Volk aber sieht heute wie immer gedankenlos auch diese Land¬ schollen des ganzen deutschen Rheintals nach Westen zu abtreiben, während alle die übrigen Verluste, Eupen, Malmedy und Monschou oder gar Elsaß und Loth¬ ringen nur zu schnell vergessen werden, während das' Saargebiet vor unseren Augen und mit ganz anderem Erfolge vom Völkerbund „luxcinburgisiert" wird! „Luxcmburgisiert" noch in dem Sinne, daß folgerecht die Werbearbeit über die am We se raube des Rheintals „fest" gewordenen Schollen weiteir vorrückt, von sich aus letzte kärgliche Stückchen deutschen Lebens vom linken 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/289>, abgerufen am 23.12.2024.