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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Dantes Dichtkunst und das zwanzigste Jahrhundert
Geht nicht aufs hohe Meerl vielleicht verschlagen,
Wofern ihr mich verlöret, würdet ihr.
Auf niebefahrne Flut werd' ich mich wagen:
Minerva weht, Apoll gibt mir Geleit,
Neun Musen zeigen mir den Himmelswagen.
Ihr andern Wen'gen, die zur rechten Zeit
Den Hals ihr recktet nach der Engel-Speise,
Die hier uns nährt, nicht Sättigung verleiht,
Wagt kühnlich in das Salz'ge Meer die Reise
Mit eurem Boot, dicht folgend meiner Spur,
Eh wieder glatt wird meines Kiels Geleise."

Es ist selten, daß ein Dichter seine Leser warnt und Wert darauf legt, nur
wenige Leser, diese freilich von Qualität, zu haben. Und so ist denn überhaupt
die Dichtkunst bei Dante selbst trotz dem Dichterstolz, den er in herrlichen Be¬
kenntnissen ausspricht, nur eine Dienerin der Weltanschauung. Es ist Wohl auch
trotz Tolstoi ohne Beispiel, daß ein Dichter, der so im vollen Besitz leuchtender,
realistischer Darstellungskunst ist, von ihr keinen Gebrauch mehr macht, um an¬
zulocken, zu erwärmen, zu begeistern. Nur insoweit, als die eigene Vergeistigung
des Lesers, wie die des Dichters, das Wehen der apollinischen Kunst noch braucht,
nur insoweit ist das Gedicht noch dichterisch, und als es den Weg bis hinein in
die innerste Tiefe des Mystischen durchflogen, da verstummt der Sänger für
immer. Er hat seine Kunst nicht mehr an neuen Gegenständen entzündet, er hat
keine Parerga dichterischer Art hinterlassen und die tausend Vorarbeiten, die die
Commedia forderte, so restlos verbrannt, daß keine Spur von ihnen übrig blieb.
Vermutlich sind auch die Gedichte seiner jüngeren Jahre ohne sein Zutun auf
uns gekommen, während er mit der Commedia ein unvergleichliches Werk ge¬
schaffen zu haben sich bewußt war, denn seine besondere Gnadengabe im Reich
Gottes ist die Dichtung, Dichteramt sein Gottesdienst.

Diese dienende Stellung der Kunst hat er auch sonst auf viele Weise be¬
zeugt. Er hat die Vertreter einer vorwiegend ästhetischen Weltanschauung in die
elegische Vorhölle versetzt. Der Ruhm des Künstlers ist ihm wie des Grases
Blume:

Die Moden und Richtungen in der Kunst wechseln rasch:

Mit diesen Tatsachen ist schon die oft aufgeworfene Frage, ob Dante
ber beginnenden Renaissance zuzuzählen sei, verneint. Gewiß lösen sich
Dantes Kunstmittel von mittelalterlicher Befangenheit los und entbinden
-die moderne Künsllerpeisönlichkeit. Aber die Renaissance oder, genauer gesagt,


Dantes Dichtkunst und das zwanzigste Jahrhundert
Geht nicht aufs hohe Meerl vielleicht verschlagen,
Wofern ihr mich verlöret, würdet ihr.
Auf niebefahrne Flut werd' ich mich wagen:
Minerva weht, Apoll gibt mir Geleit,
Neun Musen zeigen mir den Himmelswagen.
Ihr andern Wen'gen, die zur rechten Zeit
Den Hals ihr recktet nach der Engel-Speise,
Die hier uns nährt, nicht Sättigung verleiht,
Wagt kühnlich in das Salz'ge Meer die Reise
Mit eurem Boot, dicht folgend meiner Spur,
Eh wieder glatt wird meines Kiels Geleise."

Es ist selten, daß ein Dichter seine Leser warnt und Wert darauf legt, nur
wenige Leser, diese freilich von Qualität, zu haben. Und so ist denn überhaupt
die Dichtkunst bei Dante selbst trotz dem Dichterstolz, den er in herrlichen Be¬
kenntnissen ausspricht, nur eine Dienerin der Weltanschauung. Es ist Wohl auch
trotz Tolstoi ohne Beispiel, daß ein Dichter, der so im vollen Besitz leuchtender,
realistischer Darstellungskunst ist, von ihr keinen Gebrauch mehr macht, um an¬
zulocken, zu erwärmen, zu begeistern. Nur insoweit, als die eigene Vergeistigung
des Lesers, wie die des Dichters, das Wehen der apollinischen Kunst noch braucht,
nur insoweit ist das Gedicht noch dichterisch, und als es den Weg bis hinein in
die innerste Tiefe des Mystischen durchflogen, da verstummt der Sänger für
immer. Er hat seine Kunst nicht mehr an neuen Gegenständen entzündet, er hat
keine Parerga dichterischer Art hinterlassen und die tausend Vorarbeiten, die die
Commedia forderte, so restlos verbrannt, daß keine Spur von ihnen übrig blieb.
Vermutlich sind auch die Gedichte seiner jüngeren Jahre ohne sein Zutun auf
uns gekommen, während er mit der Commedia ein unvergleichliches Werk ge¬
schaffen zu haben sich bewußt war, denn seine besondere Gnadengabe im Reich
Gottes ist die Dichtung, Dichteramt sein Gottesdienst.

Diese dienende Stellung der Kunst hat er auch sonst auf viele Weise be¬
zeugt. Er hat die Vertreter einer vorwiegend ästhetischen Weltanschauung in die
elegische Vorhölle versetzt. Der Ruhm des Künstlers ist ihm wie des Grases
Blume:

Die Moden und Richtungen in der Kunst wechseln rasch:

Mit diesen Tatsachen ist schon die oft aufgeworfene Frage, ob Dante
ber beginnenden Renaissance zuzuzählen sei, verneint. Gewiß lösen sich
Dantes Kunstmittel von mittelalterlicher Befangenheit los und entbinden
-die moderne Künsllerpeisönlichkeit. Aber die Renaissance oder, genauer gesagt,


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[0284] Dantes Dichtkunst und das zwanzigste Jahrhundert Geht nicht aufs hohe Meerl vielleicht verschlagen, Wofern ihr mich verlöret, würdet ihr. Auf niebefahrne Flut werd' ich mich wagen: Minerva weht, Apoll gibt mir Geleit, Neun Musen zeigen mir den Himmelswagen. Ihr andern Wen'gen, die zur rechten Zeit Den Hals ihr recktet nach der Engel-Speise, Die hier uns nährt, nicht Sättigung verleiht, Wagt kühnlich in das Salz'ge Meer die Reise Mit eurem Boot, dicht folgend meiner Spur, Eh wieder glatt wird meines Kiels Geleise." Es ist selten, daß ein Dichter seine Leser warnt und Wert darauf legt, nur wenige Leser, diese freilich von Qualität, zu haben. Und so ist denn überhaupt die Dichtkunst bei Dante selbst trotz dem Dichterstolz, den er in herrlichen Be¬ kenntnissen ausspricht, nur eine Dienerin der Weltanschauung. Es ist Wohl auch trotz Tolstoi ohne Beispiel, daß ein Dichter, der so im vollen Besitz leuchtender, realistischer Darstellungskunst ist, von ihr keinen Gebrauch mehr macht, um an¬ zulocken, zu erwärmen, zu begeistern. Nur insoweit, als die eigene Vergeistigung des Lesers, wie die des Dichters, das Wehen der apollinischen Kunst noch braucht, nur insoweit ist das Gedicht noch dichterisch, und als es den Weg bis hinein in die innerste Tiefe des Mystischen durchflogen, da verstummt der Sänger für immer. Er hat seine Kunst nicht mehr an neuen Gegenständen entzündet, er hat keine Parerga dichterischer Art hinterlassen und die tausend Vorarbeiten, die die Commedia forderte, so restlos verbrannt, daß keine Spur von ihnen übrig blieb. Vermutlich sind auch die Gedichte seiner jüngeren Jahre ohne sein Zutun auf uns gekommen, während er mit der Commedia ein unvergleichliches Werk ge¬ schaffen zu haben sich bewußt war, denn seine besondere Gnadengabe im Reich Gottes ist die Dichtung, Dichteramt sein Gottesdienst. Diese dienende Stellung der Kunst hat er auch sonst auf viele Weise be¬ zeugt. Er hat die Vertreter einer vorwiegend ästhetischen Weltanschauung in die elegische Vorhölle versetzt. Der Ruhm des Künstlers ist ihm wie des Grases Blume: Die Moden und Richtungen in der Kunst wechseln rasch: Mit diesen Tatsachen ist schon die oft aufgeworfene Frage, ob Dante ber beginnenden Renaissance zuzuzählen sei, verneint. Gewiß lösen sich Dantes Kunstmittel von mittelalterlicher Befangenheit los und entbinden -die moderne Künsllerpeisönlichkeit. Aber die Renaissance oder, genauer gesagt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/284>, abgerufen am 23.12.2024.