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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Dantes Dichtkunst mit !?as zwanzigste Jahrhundert

Dantes Dichtkunst und das zwanzigste Jahrhundert
(Bei einer Dantefeier gesprochen)
Lrit; Kern von
I

antes Ruhm ist durch die Jahrhunderte stets gewachsen, und die
Entwicklung dieses Ruhmes spiegelt die Entwicklung der abend¬
ländischen Geistesgeschichte. Als er noch auf Erden wandelte,
flüsterten die Frauen unter den Haustüren Veronas hinter ihm
her: "Da geht der, der in der Hölle war." Als ein Jahr vor
Dantes Tode der Mailänder Stadttyrann Galeaz Visconti den damaligen Papst
durch Zauberei vergiften lassen wollte, dachte er daran, "Magister Dante" mit
dieser Aufgabe zu betrauen, fand aber glücklicherweise einen anderen Zauberer,
zu dessen Schwarzkunst er noch größeres Vertrauen faßte. Als dann am 14. Sep¬
tember 1321 der unheimliche, heimatlose Mann, der Verbannte, der "einsam
Partei geworden für sich selbst", sein irdisches Auge für immer geschlossen hatte,
widmete ihm sein Landsmann und Zeitgenosse Villani den ersten Nachruf, aus
dem ich ein paar Sätze zum Vergleich des Stilwandels in sechs Jahrhunderten
wiedergebe.

"Dieser Dante war durch sein Wissen etwas anmaßlich, sich fernhaltend und
verachtungsreich, und gleichsam in der Weise eines unliebenswürdigen Philosophen
wußte er nicht wohl mit Laien umzugehen; aber um seiner sonstigen Tugenden,
seines Wissens und Wertes willen schien es gebührend, einem solchen Bürger ein
immerwährendes Denkmal in dieser unserer Chronik zu geben ... Er schrieb
die Commedia, in welcher er, in fein ausgearbeitetem Reim und mit großen und
eindringenden Fragen aus der Ethik, Naturlehre, Gestirnkunde, Philosophie und
Theologie, unter schönen und neuen Vergleichen und Dichtformen in hundert Ge¬
sängen den Zustand von Hölle, Fegfeuer und Himmel beschrieb, so erhaben, daß
man es nicht sagen kann .. ."

Soweit die günstig gesinnten Zeitgenossen. Andere widmeten ihm wütenden
Haß und vielfältigen Wunsch ruhmlosen Unterganges. Die Vaterstadt verurteilte
ihn zum Tode durch Feuer oder Henkerschwert, aus keinem anderen Grunde, als
weil der Aristokrat sich weigerte, der siegreichen demokratischen Partei anzugehören.
Der Kardinallegat wollte die ketzerischen Gebeine des kaisertreuen Papstgegners
noch nach seinem Tode verbrennen. Das Vaterland, das er so liebte, wie kein
anderer, wollte ihn verhungern lassen und sprach im Hinblick aus seine paar
Almosengeber mit Dantes eigenen Worten zu ihm:

Indeß die Zeitgenossen starben zu ihrer Zeit und gingen den Weg ins
Jenseits, den ihnen der düstere Magister vorgezeichnet. Die einen zum Hollen¬
strom Acheron:


Dantes Dichtkunst mit !?as zwanzigste Jahrhundert

Dantes Dichtkunst und das zwanzigste Jahrhundert
(Bei einer Dantefeier gesprochen)
Lrit; Kern von
I

antes Ruhm ist durch die Jahrhunderte stets gewachsen, und die
Entwicklung dieses Ruhmes spiegelt die Entwicklung der abend¬
ländischen Geistesgeschichte. Als er noch auf Erden wandelte,
flüsterten die Frauen unter den Haustüren Veronas hinter ihm
her: „Da geht der, der in der Hölle war." Als ein Jahr vor
Dantes Tode der Mailänder Stadttyrann Galeaz Visconti den damaligen Papst
durch Zauberei vergiften lassen wollte, dachte er daran, „Magister Dante" mit
dieser Aufgabe zu betrauen, fand aber glücklicherweise einen anderen Zauberer,
zu dessen Schwarzkunst er noch größeres Vertrauen faßte. Als dann am 14. Sep¬
tember 1321 der unheimliche, heimatlose Mann, der Verbannte, der „einsam
Partei geworden für sich selbst", sein irdisches Auge für immer geschlossen hatte,
widmete ihm sein Landsmann und Zeitgenosse Villani den ersten Nachruf, aus
dem ich ein paar Sätze zum Vergleich des Stilwandels in sechs Jahrhunderten
wiedergebe.

„Dieser Dante war durch sein Wissen etwas anmaßlich, sich fernhaltend und
verachtungsreich, und gleichsam in der Weise eines unliebenswürdigen Philosophen
wußte er nicht wohl mit Laien umzugehen; aber um seiner sonstigen Tugenden,
seines Wissens und Wertes willen schien es gebührend, einem solchen Bürger ein
immerwährendes Denkmal in dieser unserer Chronik zu geben ... Er schrieb
die Commedia, in welcher er, in fein ausgearbeitetem Reim und mit großen und
eindringenden Fragen aus der Ethik, Naturlehre, Gestirnkunde, Philosophie und
Theologie, unter schönen und neuen Vergleichen und Dichtformen in hundert Ge¬
sängen den Zustand von Hölle, Fegfeuer und Himmel beschrieb, so erhaben, daß
man es nicht sagen kann .. ."

Soweit die günstig gesinnten Zeitgenossen. Andere widmeten ihm wütenden
Haß und vielfältigen Wunsch ruhmlosen Unterganges. Die Vaterstadt verurteilte
ihn zum Tode durch Feuer oder Henkerschwert, aus keinem anderen Grunde, als
weil der Aristokrat sich weigerte, der siegreichen demokratischen Partei anzugehören.
Der Kardinallegat wollte die ketzerischen Gebeine des kaisertreuen Papstgegners
noch nach seinem Tode verbrennen. Das Vaterland, das er so liebte, wie kein
anderer, wollte ihn verhungern lassen und sprach im Hinblick aus seine paar
Almosengeber mit Dantes eigenen Worten zu ihm:

Indeß die Zeitgenossen starben zu ihrer Zeit und gingen den Weg ins
Jenseits, den ihnen der düstere Magister vorgezeichnet. Die einen zum Hollen¬
strom Acheron:


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[0279] Dantes Dichtkunst mit !?as zwanzigste Jahrhundert Dantes Dichtkunst und das zwanzigste Jahrhundert (Bei einer Dantefeier gesprochen) Lrit; Kern von I antes Ruhm ist durch die Jahrhunderte stets gewachsen, und die Entwicklung dieses Ruhmes spiegelt die Entwicklung der abend¬ ländischen Geistesgeschichte. Als er noch auf Erden wandelte, flüsterten die Frauen unter den Haustüren Veronas hinter ihm her: „Da geht der, der in der Hölle war." Als ein Jahr vor Dantes Tode der Mailänder Stadttyrann Galeaz Visconti den damaligen Papst durch Zauberei vergiften lassen wollte, dachte er daran, „Magister Dante" mit dieser Aufgabe zu betrauen, fand aber glücklicherweise einen anderen Zauberer, zu dessen Schwarzkunst er noch größeres Vertrauen faßte. Als dann am 14. Sep¬ tember 1321 der unheimliche, heimatlose Mann, der Verbannte, der „einsam Partei geworden für sich selbst", sein irdisches Auge für immer geschlossen hatte, widmete ihm sein Landsmann und Zeitgenosse Villani den ersten Nachruf, aus dem ich ein paar Sätze zum Vergleich des Stilwandels in sechs Jahrhunderten wiedergebe. „Dieser Dante war durch sein Wissen etwas anmaßlich, sich fernhaltend und verachtungsreich, und gleichsam in der Weise eines unliebenswürdigen Philosophen wußte er nicht wohl mit Laien umzugehen; aber um seiner sonstigen Tugenden, seines Wissens und Wertes willen schien es gebührend, einem solchen Bürger ein immerwährendes Denkmal in dieser unserer Chronik zu geben ... Er schrieb die Commedia, in welcher er, in fein ausgearbeitetem Reim und mit großen und eindringenden Fragen aus der Ethik, Naturlehre, Gestirnkunde, Philosophie und Theologie, unter schönen und neuen Vergleichen und Dichtformen in hundert Ge¬ sängen den Zustand von Hölle, Fegfeuer und Himmel beschrieb, so erhaben, daß man es nicht sagen kann .. ." Soweit die günstig gesinnten Zeitgenossen. Andere widmeten ihm wütenden Haß und vielfältigen Wunsch ruhmlosen Unterganges. Die Vaterstadt verurteilte ihn zum Tode durch Feuer oder Henkerschwert, aus keinem anderen Grunde, als weil der Aristokrat sich weigerte, der siegreichen demokratischen Partei anzugehören. Der Kardinallegat wollte die ketzerischen Gebeine des kaisertreuen Papstgegners noch nach seinem Tode verbrennen. Das Vaterland, das er so liebte, wie kein anderer, wollte ihn verhungern lassen und sprach im Hinblick aus seine paar Almosengeber mit Dantes eigenen Worten zu ihm: Indeß die Zeitgenossen starben zu ihrer Zeit und gingen den Weg ins Jenseits, den ihnen der düstere Magister vorgezeichnet. Die einen zum Hollen¬ strom Acheron:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/279>, abgerufen am 04.07.2024.