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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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oder getrennten Volkskörper im Stammlande ihr geistiges und völkisches Zentrum
erblicken und dem Zusammenschluß nur eine Grenzlinie im Wege steht, sollte die
oberste Forderung immer, auf Vereinigung lauten. Natürlich unterliegt es äußer-
politischen Bedenken, ob "eine Vereinigung zu dem oder jenem Zeitpunkt erfolgt,
aber über das Ziel selbst sollte es keine Meinungsverschiedenheiten geben. Gerade
den Deutschen, die sich schmeicheln, ein Volk von Idealisten zu sein, steht es schlecht
an, bei jeder Gelegenheit mit wirtschaftlichen Bedenken zu kommen. Selbstver¬
ständlich leiden bei jeder Neuordnung staatsrechtlicher Verhältnisse bestimmte
wirtschaftliche Interessen, aber so ehern sich auch grosze durchgehende Grund¬
gesetze der Wirtschaft erweisen, so beweglich ist der Betrieb, und was infolge solcher
Unordnungen auf der einen Seite verlorew geht, pflegt auf der andern mehr als
wiedergewonnen zu werden und im allgemeinen entspringen solche wirtschaftlichen
Bedenken lediglich dem Eigennutz oder der bekannten bürgerlichen Denkträgheit,
die immer nur die alten gewohnten Wege gehen will. Was die staatsrechtlichen
Bedenken betrifft, so sind sie rein formaler Beamtenkram, der Wichtigkeit nur
bei einem Volk haben kann, das freilich in immer stärkerem Matze den Beamten
nicht als Diener des Volkes, sondern als Gendarmen aufzufassen geneigt ist.
Die Bedeutung der religiösen Bedenken darf nicht unterschätzt, sie darf aber,
auch nicht überschätzt werden. Man kann niemandem darüber Vorschriften machen,
ob er staatliche und völkische Verhältnisse oder die Religion als ausschlag¬
gebend für seine politische Stellungnahme ansehen soll, aber darüber sollte sich jeder
Deutsche klar sein, daß an ein starkes und geeinigtes Deutschland nicht wieder
gedacht werden kann, ehe nicht die kirchlichen Gegensätze ausgeglichen oder abge¬
schwächt und wenn dies nicht möglich, in ihrer politischen Auswirkung vor
einem unbedingt als höher zu Bewertenden, vor dem Begriff des gemeinsamen
Vaterlandes zurückzutreten haben. Und möge sich jeder Deutsche stets vor Augen
halten, datz wenn dies ihm, dem es freilich seiner ganzen schwerblütigen Veran¬
lagung wegen besonders schwer fällt, nicht gelingt, er hier gleich wieder in die
Kleinstaaterei des achtzehnten Jahrhunderts zurückfallen kann.

Es darf, und jetzt weniger als je, keine selbst^zebauten Hindernisse zur Ver¬
einigung aller Stämme deutscher Zunge geben. Alle Bedenken müssen vor solcher
Kardinalforderung verstummen. Die Außenpolitik des Reiches ist nach diesem
obersten Ziel zu allererst zu orientieren. Immer wieder hört man die Klage:
Was können wir denn jetzt unternehmen? Wir sind zur Ohnmacht verurteilt.
Das sind Beamtensprüche. Der Wille eines Volkes ist das Mächtigste, was es
auf Erden gibt. Dagegen kommt kein Bajoncttenkranz und kein Scheckbuch auf.
Es kommt nur darauf an, diesem Willen ein Ziel zu geben und ihn so zu
lenken, daß er sich nicht an Kleinigkeiten verläppert, an Klippen zerschleißt, in
Mulden wirtschaftlichen Wohlseins versickert und versumpft, daß er sich nicht
anarchisch zerteilt in ohnmächtige Bächlein, die dem und jenem anmutige Mühlen
treiben, sondern daß er mächtig zusammengefaßt, Blöcke entwurzelt, Dämme zer¬
bricht und. zu richtiger Zeit und am günstigsten Ort versteht sich, alles beiseite
räumt, das ihn an der natürlichen Gestaltung seines Daseins hindert.

Wie der engere Zusammenschluß der Deutschen im arg zusammengeschrumpften
Deutschland selbst zu fördern sei, ist hier zu erörtern der Ort nicht. Möglich
wäre es, und nicht nur im Sinne eines Zukunftsprogramms, sondern durch so¬
fortige Realisierung. Der Anschluß aber der außerhalb der Grenzen Deutsch¬
lands lebenden Volksgenossen sollte das erste und selbstverständliche Ziel aller
deutschen Autzenpolitik sein. Es bedarf gar keiner besonderen Diskretion, dieses
Ziel aufzustellen, es ist eine ganz selbstverständliche Forderung, die keinem zu
nahe tritt, sondern sogar von dem Allerhöchsten Weltrichterkollegium, dem Obersten
Rat von Versailles, in prunkvollen Proklamationen genehmigt ist. Es ist möglich,
datz diese Forderung diesem oder jenem politisch nicht in seinen Kram paßt, aber
wenn sie nur laut und nachhaltig genug erhoben wird, kann niemand ernsthaft
gegen ihre Realisierung etwas unternehmen. Haben die Deutsch-Österreicher schon
irgend einen Vorteil davon gehabt, daß sie die Volksabstimmung für den An-


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oder getrennten Volkskörper im Stammlande ihr geistiges und völkisches Zentrum
erblicken und dem Zusammenschluß nur eine Grenzlinie im Wege steht, sollte die
oberste Forderung immer, auf Vereinigung lauten. Natürlich unterliegt es äußer-
politischen Bedenken, ob "eine Vereinigung zu dem oder jenem Zeitpunkt erfolgt,
aber über das Ziel selbst sollte es keine Meinungsverschiedenheiten geben. Gerade
den Deutschen, die sich schmeicheln, ein Volk von Idealisten zu sein, steht es schlecht
an, bei jeder Gelegenheit mit wirtschaftlichen Bedenken zu kommen. Selbstver¬
ständlich leiden bei jeder Neuordnung staatsrechtlicher Verhältnisse bestimmte
wirtschaftliche Interessen, aber so ehern sich auch grosze durchgehende Grund¬
gesetze der Wirtschaft erweisen, so beweglich ist der Betrieb, und was infolge solcher
Unordnungen auf der einen Seite verlorew geht, pflegt auf der andern mehr als
wiedergewonnen zu werden und im allgemeinen entspringen solche wirtschaftlichen
Bedenken lediglich dem Eigennutz oder der bekannten bürgerlichen Denkträgheit,
die immer nur die alten gewohnten Wege gehen will. Was die staatsrechtlichen
Bedenken betrifft, so sind sie rein formaler Beamtenkram, der Wichtigkeit nur
bei einem Volk haben kann, das freilich in immer stärkerem Matze den Beamten
nicht als Diener des Volkes, sondern als Gendarmen aufzufassen geneigt ist.
Die Bedeutung der religiösen Bedenken darf nicht unterschätzt, sie darf aber,
auch nicht überschätzt werden. Man kann niemandem darüber Vorschriften machen,
ob er staatliche und völkische Verhältnisse oder die Religion als ausschlag¬
gebend für seine politische Stellungnahme ansehen soll, aber darüber sollte sich jeder
Deutsche klar sein, daß an ein starkes und geeinigtes Deutschland nicht wieder
gedacht werden kann, ehe nicht die kirchlichen Gegensätze ausgeglichen oder abge¬
schwächt und wenn dies nicht möglich, in ihrer politischen Auswirkung vor
einem unbedingt als höher zu Bewertenden, vor dem Begriff des gemeinsamen
Vaterlandes zurückzutreten haben. Und möge sich jeder Deutsche stets vor Augen
halten, datz wenn dies ihm, dem es freilich seiner ganzen schwerblütigen Veran¬
lagung wegen besonders schwer fällt, nicht gelingt, er hier gleich wieder in die
Kleinstaaterei des achtzehnten Jahrhunderts zurückfallen kann.

Es darf, und jetzt weniger als je, keine selbst^zebauten Hindernisse zur Ver¬
einigung aller Stämme deutscher Zunge geben. Alle Bedenken müssen vor solcher
Kardinalforderung verstummen. Die Außenpolitik des Reiches ist nach diesem
obersten Ziel zu allererst zu orientieren. Immer wieder hört man die Klage:
Was können wir denn jetzt unternehmen? Wir sind zur Ohnmacht verurteilt.
Das sind Beamtensprüche. Der Wille eines Volkes ist das Mächtigste, was es
auf Erden gibt. Dagegen kommt kein Bajoncttenkranz und kein Scheckbuch auf.
Es kommt nur darauf an, diesem Willen ein Ziel zu geben und ihn so zu
lenken, daß er sich nicht an Kleinigkeiten verläppert, an Klippen zerschleißt, in
Mulden wirtschaftlichen Wohlseins versickert und versumpft, daß er sich nicht
anarchisch zerteilt in ohnmächtige Bächlein, die dem und jenem anmutige Mühlen
treiben, sondern daß er mächtig zusammengefaßt, Blöcke entwurzelt, Dämme zer¬
bricht und. zu richtiger Zeit und am günstigsten Ort versteht sich, alles beiseite
räumt, das ihn an der natürlichen Gestaltung seines Daseins hindert.

Wie der engere Zusammenschluß der Deutschen im arg zusammengeschrumpften
Deutschland selbst zu fördern sei, ist hier zu erörtern der Ort nicht. Möglich
wäre es, und nicht nur im Sinne eines Zukunftsprogramms, sondern durch so¬
fortige Realisierung. Der Anschluß aber der außerhalb der Grenzen Deutsch¬
lands lebenden Volksgenossen sollte das erste und selbstverständliche Ziel aller
deutschen Autzenpolitik sein. Es bedarf gar keiner besonderen Diskretion, dieses
Ziel aufzustellen, es ist eine ganz selbstverständliche Forderung, die keinem zu
nahe tritt, sondern sogar von dem Allerhöchsten Weltrichterkollegium, dem Obersten
Rat von Versailles, in prunkvollen Proklamationen genehmigt ist. Es ist möglich,
datz diese Forderung diesem oder jenem politisch nicht in seinen Kram paßt, aber
wenn sie nur laut und nachhaltig genug erhoben wird, kann niemand ernsthaft
gegen ihre Realisierung etwas unternehmen. Haben die Deutsch-Österreicher schon
irgend einen Vorteil davon gehabt, daß sie die Volksabstimmung für den An-


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[0262] Weltspiegel oder getrennten Volkskörper im Stammlande ihr geistiges und völkisches Zentrum erblicken und dem Zusammenschluß nur eine Grenzlinie im Wege steht, sollte die oberste Forderung immer, auf Vereinigung lauten. Natürlich unterliegt es äußer- politischen Bedenken, ob "eine Vereinigung zu dem oder jenem Zeitpunkt erfolgt, aber über das Ziel selbst sollte es keine Meinungsverschiedenheiten geben. Gerade den Deutschen, die sich schmeicheln, ein Volk von Idealisten zu sein, steht es schlecht an, bei jeder Gelegenheit mit wirtschaftlichen Bedenken zu kommen. Selbstver¬ ständlich leiden bei jeder Neuordnung staatsrechtlicher Verhältnisse bestimmte wirtschaftliche Interessen, aber so ehern sich auch grosze durchgehende Grund¬ gesetze der Wirtschaft erweisen, so beweglich ist der Betrieb, und was infolge solcher Unordnungen auf der einen Seite verlorew geht, pflegt auf der andern mehr als wiedergewonnen zu werden und im allgemeinen entspringen solche wirtschaftlichen Bedenken lediglich dem Eigennutz oder der bekannten bürgerlichen Denkträgheit, die immer nur die alten gewohnten Wege gehen will. Was die staatsrechtlichen Bedenken betrifft, so sind sie rein formaler Beamtenkram, der Wichtigkeit nur bei einem Volk haben kann, das freilich in immer stärkerem Matze den Beamten nicht als Diener des Volkes, sondern als Gendarmen aufzufassen geneigt ist. Die Bedeutung der religiösen Bedenken darf nicht unterschätzt, sie darf aber, auch nicht überschätzt werden. Man kann niemandem darüber Vorschriften machen, ob er staatliche und völkische Verhältnisse oder die Religion als ausschlag¬ gebend für seine politische Stellungnahme ansehen soll, aber darüber sollte sich jeder Deutsche klar sein, daß an ein starkes und geeinigtes Deutschland nicht wieder gedacht werden kann, ehe nicht die kirchlichen Gegensätze ausgeglichen oder abge¬ schwächt und wenn dies nicht möglich, in ihrer politischen Auswirkung vor einem unbedingt als höher zu Bewertenden, vor dem Begriff des gemeinsamen Vaterlandes zurückzutreten haben. Und möge sich jeder Deutsche stets vor Augen halten, datz wenn dies ihm, dem es freilich seiner ganzen schwerblütigen Veran¬ lagung wegen besonders schwer fällt, nicht gelingt, er hier gleich wieder in die Kleinstaaterei des achtzehnten Jahrhunderts zurückfallen kann. Es darf, und jetzt weniger als je, keine selbst^zebauten Hindernisse zur Ver¬ einigung aller Stämme deutscher Zunge geben. Alle Bedenken müssen vor solcher Kardinalforderung verstummen. Die Außenpolitik des Reiches ist nach diesem obersten Ziel zu allererst zu orientieren. Immer wieder hört man die Klage: Was können wir denn jetzt unternehmen? Wir sind zur Ohnmacht verurteilt. Das sind Beamtensprüche. Der Wille eines Volkes ist das Mächtigste, was es auf Erden gibt. Dagegen kommt kein Bajoncttenkranz und kein Scheckbuch auf. Es kommt nur darauf an, diesem Willen ein Ziel zu geben und ihn so zu lenken, daß er sich nicht an Kleinigkeiten verläppert, an Klippen zerschleißt, in Mulden wirtschaftlichen Wohlseins versickert und versumpft, daß er sich nicht anarchisch zerteilt in ohnmächtige Bächlein, die dem und jenem anmutige Mühlen treiben, sondern daß er mächtig zusammengefaßt, Blöcke entwurzelt, Dämme zer¬ bricht und. zu richtiger Zeit und am günstigsten Ort versteht sich, alles beiseite räumt, das ihn an der natürlichen Gestaltung seines Daseins hindert. Wie der engere Zusammenschluß der Deutschen im arg zusammengeschrumpften Deutschland selbst zu fördern sei, ist hier zu erörtern der Ort nicht. Möglich wäre es, und nicht nur im Sinne eines Zukunftsprogramms, sondern durch so¬ fortige Realisierung. Der Anschluß aber der außerhalb der Grenzen Deutsch¬ lands lebenden Volksgenossen sollte das erste und selbstverständliche Ziel aller deutschen Autzenpolitik sein. Es bedarf gar keiner besonderen Diskretion, dieses Ziel aufzustellen, es ist eine ganz selbstverständliche Forderung, die keinem zu nahe tritt, sondern sogar von dem Allerhöchsten Weltrichterkollegium, dem Obersten Rat von Versailles, in prunkvollen Proklamationen genehmigt ist. Es ist möglich, datz diese Forderung diesem oder jenem politisch nicht in seinen Kram paßt, aber wenn sie nur laut und nachhaltig genug erhoben wird, kann niemand ernsthaft gegen ihre Realisierung etwas unternehmen. Haben die Deutsch-Österreicher schon irgend einen Vorteil davon gehabt, daß sie die Volksabstimmung für den An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/262>, abgerufen am 24.07.2024.