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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Der Europa-Depeschendienst in der japanischen Presse I>y2^

Journalist Fuse von der Osaka "Mainichi" einer der ersten ausländischen Korrespon¬
denten war, der kurz nach dem Abschluß des Waffenstillstandes alle wichtigsten
Plätze Zentraleuropas bereiste und darauf nach Sowjetrußland ging, dort die
Verhältnisse in Moskau eingehend studierte und über Sibirien nach Japan zurück¬
kehrte. Die Mitteilungen, welche der Manchester Guardian über Wilhelm II. in
einem Auszuge aus dem dritten Bande von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
im Frühjahr dieses Jahres brachte, wurden beispielsweise sehr eingehend tele¬
graphisch durch Privatmeldungen nach Tokio übermittelt. Ob die Auslands¬
depeschen, welche die großen japanischen Blätter meist auf der zweiten Seite
bringen, mit dem üblichen Nedaktionsstoff inhaltlich in Widerspruch stehen oder
nicht, ist scheinbar heute noch dem japanischen Journalisten einigermaßen gleich¬
gültig. In dieser Hinsicht passieren die merkwürdigsten Dinge. Der Feuilleton-
öder Handelsredakteur würde es seinem Kollegen, der den politischen Leitartikel
schmettert, bzw. die politischen und wirtschaftlichen Depeschen mit sensationellen
Überschriften versieht, nach herrschender Auffassung sehr verübeln, wenn er sich in
sein Ressort einmischte. So war es Ende Mai dieses Jahres auch beispielsweise
möglich, daß der Leitartikel eines der größten Blätter in Tokio in hohen Tönen
die Annäherung von Japan und Amerika propagierte, während auf der nächsten
Seite eine äußerst gehässige Sensationsmeldung über die Spionage des ameri¬
kanischen Marineattaches, der verschiedene japanische Werften besichtigt hatte,
gebracht wurde, obgleich der Amerikaner in voller Uniform und in Begleitung
japanischer Offiziere aufgetreten war. Auf Druck des japanischen Marine¬
ministeriums mutzte das Blatt dann eine Berichtigung bringen. Diese, wurde
bezeichnenderweise in den kleinsten vorhandenen Lettern gesetzt und an einer ganz
versteckten Stelle des Inseratenteils gebracht. Grundsätzlich ist der japanische m-
und ausländische Berichterstatter heute eher geneigt, in erzählender Form zu be¬
richten, statt kurze Tatsachen zu melden.

Durch die Zensur erfährt die in- und ausländische Berichterstattung der
japanischen Presse heute noch immer ganz wesentliche Einschränkungen. Es sind
im wesentlichen fünf Kategorien von Nachrichten, "welche den Frieden des Landes
und die bestehende Gesellschaftsordnung bedrohen", die nicht veröffentlicht werden
dürfen. Dazu gehören 1. Berichte über schwebende politische Gerichtsverfahren,
2. Mitteilungen über geheime Dokumente der Regierung, 3. Berichte über gewisse
Sitzungen öffentlicher Körperschaften, 4. Meldungen, welche wirtschaftliche und
politische Unruhen provozieren könnten. 6. Berichte und Mitteilungen, die geeignet
sind, das Ansehen des kaiserlichen Hauses herabzusetzen. Jede Zeitung muß als
Kaution für etwaige Verstöße gegen diese Zensurvorschriften eine Summe von
2000 Am hinterlegen und hat einen eigenen Sitzredakteur. Zwar hat jedes neue
Ministerium versprochen, diese drückenden Zensurvorschriften, welche die öffentliche
Meinung Japans einengen, aufzuheben. Aber entscheidende Schritte sind in dieser
Richtung bisher nicht gemacht worden. So kommt es, daß oft allgemein be¬
kannte Tatsachen in den Blättern nicht zu finden sind, oder man umschreibt sie
dort derartig durch Andeutungen, daß der Einbildungskraft wenig zu tun übrig¬
bleibt. Vor allem geht heute die japanische Zeitungszensur scharf gegen die
Äußerung sogenannter gefährlichen Gedanken vor. Alles, was mit Sozialismus
und Bolschewismus auch nur lose zusammenhängt, wird schwer verpönt und


Der Europa-Depeschendienst in der japanischen Presse I>y2^

Journalist Fuse von der Osaka „Mainichi" einer der ersten ausländischen Korrespon¬
denten war, der kurz nach dem Abschluß des Waffenstillstandes alle wichtigsten
Plätze Zentraleuropas bereiste und darauf nach Sowjetrußland ging, dort die
Verhältnisse in Moskau eingehend studierte und über Sibirien nach Japan zurück¬
kehrte. Die Mitteilungen, welche der Manchester Guardian über Wilhelm II. in
einem Auszuge aus dem dritten Bande von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
im Frühjahr dieses Jahres brachte, wurden beispielsweise sehr eingehend tele¬
graphisch durch Privatmeldungen nach Tokio übermittelt. Ob die Auslands¬
depeschen, welche die großen japanischen Blätter meist auf der zweiten Seite
bringen, mit dem üblichen Nedaktionsstoff inhaltlich in Widerspruch stehen oder
nicht, ist scheinbar heute noch dem japanischen Journalisten einigermaßen gleich¬
gültig. In dieser Hinsicht passieren die merkwürdigsten Dinge. Der Feuilleton-
öder Handelsredakteur würde es seinem Kollegen, der den politischen Leitartikel
schmettert, bzw. die politischen und wirtschaftlichen Depeschen mit sensationellen
Überschriften versieht, nach herrschender Auffassung sehr verübeln, wenn er sich in
sein Ressort einmischte. So war es Ende Mai dieses Jahres auch beispielsweise
möglich, daß der Leitartikel eines der größten Blätter in Tokio in hohen Tönen
die Annäherung von Japan und Amerika propagierte, während auf der nächsten
Seite eine äußerst gehässige Sensationsmeldung über die Spionage des ameri¬
kanischen Marineattaches, der verschiedene japanische Werften besichtigt hatte,
gebracht wurde, obgleich der Amerikaner in voller Uniform und in Begleitung
japanischer Offiziere aufgetreten war. Auf Druck des japanischen Marine¬
ministeriums mutzte das Blatt dann eine Berichtigung bringen. Diese, wurde
bezeichnenderweise in den kleinsten vorhandenen Lettern gesetzt und an einer ganz
versteckten Stelle des Inseratenteils gebracht. Grundsätzlich ist der japanische m-
und ausländische Berichterstatter heute eher geneigt, in erzählender Form zu be¬
richten, statt kurze Tatsachen zu melden.

Durch die Zensur erfährt die in- und ausländische Berichterstattung der
japanischen Presse heute noch immer ganz wesentliche Einschränkungen. Es sind
im wesentlichen fünf Kategorien von Nachrichten, „welche den Frieden des Landes
und die bestehende Gesellschaftsordnung bedrohen", die nicht veröffentlicht werden
dürfen. Dazu gehören 1. Berichte über schwebende politische Gerichtsverfahren,
2. Mitteilungen über geheime Dokumente der Regierung, 3. Berichte über gewisse
Sitzungen öffentlicher Körperschaften, 4. Meldungen, welche wirtschaftliche und
politische Unruhen provozieren könnten. 6. Berichte und Mitteilungen, die geeignet
sind, das Ansehen des kaiserlichen Hauses herabzusetzen. Jede Zeitung muß als
Kaution für etwaige Verstöße gegen diese Zensurvorschriften eine Summe von
2000 Am hinterlegen und hat einen eigenen Sitzredakteur. Zwar hat jedes neue
Ministerium versprochen, diese drückenden Zensurvorschriften, welche die öffentliche
Meinung Japans einengen, aufzuheben. Aber entscheidende Schritte sind in dieser
Richtung bisher nicht gemacht worden. So kommt es, daß oft allgemein be¬
kannte Tatsachen in den Blättern nicht zu finden sind, oder man umschreibt sie
dort derartig durch Andeutungen, daß der Einbildungskraft wenig zu tun übrig¬
bleibt. Vor allem geht heute die japanische Zeitungszensur scharf gegen die
Äußerung sogenannter gefährlichen Gedanken vor. Alles, was mit Sozialismus
und Bolschewismus auch nur lose zusammenhängt, wird schwer verpönt und


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[0260] Der Europa-Depeschendienst in der japanischen Presse I>y2^ Journalist Fuse von der Osaka „Mainichi" einer der ersten ausländischen Korrespon¬ denten war, der kurz nach dem Abschluß des Waffenstillstandes alle wichtigsten Plätze Zentraleuropas bereiste und darauf nach Sowjetrußland ging, dort die Verhältnisse in Moskau eingehend studierte und über Sibirien nach Japan zurück¬ kehrte. Die Mitteilungen, welche der Manchester Guardian über Wilhelm II. in einem Auszuge aus dem dritten Bande von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen im Frühjahr dieses Jahres brachte, wurden beispielsweise sehr eingehend tele¬ graphisch durch Privatmeldungen nach Tokio übermittelt. Ob die Auslands¬ depeschen, welche die großen japanischen Blätter meist auf der zweiten Seite bringen, mit dem üblichen Nedaktionsstoff inhaltlich in Widerspruch stehen oder nicht, ist scheinbar heute noch dem japanischen Journalisten einigermaßen gleich¬ gültig. In dieser Hinsicht passieren die merkwürdigsten Dinge. Der Feuilleton- öder Handelsredakteur würde es seinem Kollegen, der den politischen Leitartikel schmettert, bzw. die politischen und wirtschaftlichen Depeschen mit sensationellen Überschriften versieht, nach herrschender Auffassung sehr verübeln, wenn er sich in sein Ressort einmischte. So war es Ende Mai dieses Jahres auch beispielsweise möglich, daß der Leitartikel eines der größten Blätter in Tokio in hohen Tönen die Annäherung von Japan und Amerika propagierte, während auf der nächsten Seite eine äußerst gehässige Sensationsmeldung über die Spionage des ameri¬ kanischen Marineattaches, der verschiedene japanische Werften besichtigt hatte, gebracht wurde, obgleich der Amerikaner in voller Uniform und in Begleitung japanischer Offiziere aufgetreten war. Auf Druck des japanischen Marine¬ ministeriums mutzte das Blatt dann eine Berichtigung bringen. Diese, wurde bezeichnenderweise in den kleinsten vorhandenen Lettern gesetzt und an einer ganz versteckten Stelle des Inseratenteils gebracht. Grundsätzlich ist der japanische m- und ausländische Berichterstatter heute eher geneigt, in erzählender Form zu be¬ richten, statt kurze Tatsachen zu melden. Durch die Zensur erfährt die in- und ausländische Berichterstattung der japanischen Presse heute noch immer ganz wesentliche Einschränkungen. Es sind im wesentlichen fünf Kategorien von Nachrichten, „welche den Frieden des Landes und die bestehende Gesellschaftsordnung bedrohen", die nicht veröffentlicht werden dürfen. Dazu gehören 1. Berichte über schwebende politische Gerichtsverfahren, 2. Mitteilungen über geheime Dokumente der Regierung, 3. Berichte über gewisse Sitzungen öffentlicher Körperschaften, 4. Meldungen, welche wirtschaftliche und politische Unruhen provozieren könnten. 6. Berichte und Mitteilungen, die geeignet sind, das Ansehen des kaiserlichen Hauses herabzusetzen. Jede Zeitung muß als Kaution für etwaige Verstöße gegen diese Zensurvorschriften eine Summe von 2000 Am hinterlegen und hat einen eigenen Sitzredakteur. Zwar hat jedes neue Ministerium versprochen, diese drückenden Zensurvorschriften, welche die öffentliche Meinung Japans einengen, aufzuheben. Aber entscheidende Schritte sind in dieser Richtung bisher nicht gemacht worden. So kommt es, daß oft allgemein be¬ kannte Tatsachen in den Blättern nicht zu finden sind, oder man umschreibt sie dort derartig durch Andeutungen, daß der Einbildungskraft wenig zu tun übrig¬ bleibt. Vor allem geht heute die japanische Zeitungszensur scharf gegen die Äußerung sogenannter gefährlichen Gedanken vor. Alles, was mit Sozialismus und Bolschewismus auch nur lose zusammenhängt, wird schwer verpönt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/260>, abgerufen am 23.12.2024.