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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich, England und die Deutschen

Während wir nach 1870 den französischen Gegner rasch hochkommen ließen,
ihm sogar beim Erwerb seines Kolonialweltreichs und seiner (von unserem Aus¬
wärtigen Amt rives 1911 abgeleugneten) schwarzen Armee behilflich waren, der 1875
drohende zweite Niedcrwerfungskrieg aber durch unsere Friedensliebe vermieden
wurde, führt Frankreich den Frieden als Krieg mit viel wirksameren Kriegsmitteln
bis zum saiZner ä KlanL fort und lauert nur, wo Einigkeit, el wachende Erkenntnis,
passive Resistenz etwa die Deutschen innerlich kräftigen und das künstliche Gebäude
französischer Vormacht zunächst von innen heraus unterhöhlen könnte. Dann wird
schnell entgegengearbeitet. Brutale Strafen, die sich der gehorsame Deutsche ja
vom Franzosen duldsam und unerschöpflich vergessend gefallen läßt (während ihm
schon der preußische wohltätige Drill, die Grundlage unserer Wohlfahrt und
Existenz, zuwider war), und neben den unnachsichtiger Strafen läppische, aber
von uns regelmäßig ernst genommene Versprechungen einer Milderung des Drucks
bei vollendet sklavischen Verhalten unsererseits, das sind die zwei täglich in der
Öffentlichkeit wahrnehmbaren Methoden, während die dritte Methode, die mit
verschwenderischen Geld betriebene Propaganda und Bestechung Einzelner, mehr
unterirdisch vor sich geht. Aber die Verräter, die Söldlinge aus Feigheit oder
Interesse, nehmen täglich zu. Die Märtyrer für ihr Deutschtum gehen unerkannt
oder rasch vergessen zugrunde. Aus ihrem Opfer sprießt keine Heilssaat für
Deutschland, wie aus dem Blut des Bürgermeisters von Cork, weil wir keine
Iren sind, weil wir noch nicht wissen, daß nicht feige Gefügigkeit, sondern nur
trotziges Sichbehauptenwollen auch dem Schwächeren zu besserem Dasein verhilft,
wobei allerdings der Einzelne für sein Volk und seine Kinder opfern muß. Segest
fesselt auch heute Armin, und die französischen Legionäre am neuen I^unes Imporii
können mit verschränkten Armen zusehen, wie Deutschland dnrcheinandcrschnattert
und durch seinen Mangel an Haltung die Erfolgsicherheit, den Stolz, die Ent¬
schlossenheit der französischen Nation, ihre immer kühnerem Hoffnungen stärkt.
Heute erwartet Frankreich tatsächlich schon, daß der Rhein und das Ruhrgebiet
für immer französische Domäne wird und der Deutsche die nur durch das verhaßte
Preußen unterbrochene alte Entwicklung zum Söldner und Sklaven nunmehr
ordentlich weiterführt. Frankreich hofft dies; die Rache, an der es sich sättigt,
steigert seinen Hunger, und seine chauvinistischen Träume von gestern bleiben schon
hinter der Wirklichkeit von heute zurück. Und so wie es bei uns aussieht, fürchtet
mancher, wird Frankreich Recht behalten gemäß dem prophetischen Wort Wilhelm
Naabes, der unsere Geschichte kannte und aus der Kenntnis der imperialistischen
Volksart, die wir in den Franzosen großgezogen haben, dereinst in der Blütezeit
unserer preußisch-bismarckischen deutschen Macht schrieb: "Deutsches Volk? Ach was l
Deutschredender oder schwätzender Bevölkerungsbrei, für einen kurzen Augenblick
von ein paar großen Männern in eine staatliche Form gepreßt; morgen vielleicht
find sie tot. diese Männer, und der Brei fließt wieder auseinander, und die
Fremden mögen dreist wieder von allen Seiten mit ihren Löffeln vorrücken, zur
Wiederherstellung der hergebrachten Freiheiten teutscher Nation!"




Frankreich, England und die Deutschen

Während wir nach 1870 den französischen Gegner rasch hochkommen ließen,
ihm sogar beim Erwerb seines Kolonialweltreichs und seiner (von unserem Aus¬
wärtigen Amt rives 1911 abgeleugneten) schwarzen Armee behilflich waren, der 1875
drohende zweite Niedcrwerfungskrieg aber durch unsere Friedensliebe vermieden
wurde, führt Frankreich den Frieden als Krieg mit viel wirksameren Kriegsmitteln
bis zum saiZner ä KlanL fort und lauert nur, wo Einigkeit, el wachende Erkenntnis,
passive Resistenz etwa die Deutschen innerlich kräftigen und das künstliche Gebäude
französischer Vormacht zunächst von innen heraus unterhöhlen könnte. Dann wird
schnell entgegengearbeitet. Brutale Strafen, die sich der gehorsame Deutsche ja
vom Franzosen duldsam und unerschöpflich vergessend gefallen läßt (während ihm
schon der preußische wohltätige Drill, die Grundlage unserer Wohlfahrt und
Existenz, zuwider war), und neben den unnachsichtiger Strafen läppische, aber
von uns regelmäßig ernst genommene Versprechungen einer Milderung des Drucks
bei vollendet sklavischen Verhalten unsererseits, das sind die zwei täglich in der
Öffentlichkeit wahrnehmbaren Methoden, während die dritte Methode, die mit
verschwenderischen Geld betriebene Propaganda und Bestechung Einzelner, mehr
unterirdisch vor sich geht. Aber die Verräter, die Söldlinge aus Feigheit oder
Interesse, nehmen täglich zu. Die Märtyrer für ihr Deutschtum gehen unerkannt
oder rasch vergessen zugrunde. Aus ihrem Opfer sprießt keine Heilssaat für
Deutschland, wie aus dem Blut des Bürgermeisters von Cork, weil wir keine
Iren sind, weil wir noch nicht wissen, daß nicht feige Gefügigkeit, sondern nur
trotziges Sichbehauptenwollen auch dem Schwächeren zu besserem Dasein verhilft,
wobei allerdings der Einzelne für sein Volk und seine Kinder opfern muß. Segest
fesselt auch heute Armin, und die französischen Legionäre am neuen I^unes Imporii
können mit verschränkten Armen zusehen, wie Deutschland dnrcheinandcrschnattert
und durch seinen Mangel an Haltung die Erfolgsicherheit, den Stolz, die Ent¬
schlossenheit der französischen Nation, ihre immer kühnerem Hoffnungen stärkt.
Heute erwartet Frankreich tatsächlich schon, daß der Rhein und das Ruhrgebiet
für immer französische Domäne wird und der Deutsche die nur durch das verhaßte
Preußen unterbrochene alte Entwicklung zum Söldner und Sklaven nunmehr
ordentlich weiterführt. Frankreich hofft dies; die Rache, an der es sich sättigt,
steigert seinen Hunger, und seine chauvinistischen Träume von gestern bleiben schon
hinter der Wirklichkeit von heute zurück. Und so wie es bei uns aussieht, fürchtet
mancher, wird Frankreich Recht behalten gemäß dem prophetischen Wort Wilhelm
Naabes, der unsere Geschichte kannte und aus der Kenntnis der imperialistischen
Volksart, die wir in den Franzosen großgezogen haben, dereinst in der Blütezeit
unserer preußisch-bismarckischen deutschen Macht schrieb: „Deutsches Volk? Ach was l
Deutschredender oder schwätzender Bevölkerungsbrei, für einen kurzen Augenblick
von ein paar großen Männern in eine staatliche Form gepreßt; morgen vielleicht
find sie tot. diese Männer, und der Brei fließt wieder auseinander, und die
Fremden mögen dreist wieder von allen Seiten mit ihren Löffeln vorrücken, zur
Wiederherstellung der hergebrachten Freiheiten teutscher Nation!"




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[0213] Frankreich, England und die Deutschen Während wir nach 1870 den französischen Gegner rasch hochkommen ließen, ihm sogar beim Erwerb seines Kolonialweltreichs und seiner (von unserem Aus¬ wärtigen Amt rives 1911 abgeleugneten) schwarzen Armee behilflich waren, der 1875 drohende zweite Niedcrwerfungskrieg aber durch unsere Friedensliebe vermieden wurde, führt Frankreich den Frieden als Krieg mit viel wirksameren Kriegsmitteln bis zum saiZner ä KlanL fort und lauert nur, wo Einigkeit, el wachende Erkenntnis, passive Resistenz etwa die Deutschen innerlich kräftigen und das künstliche Gebäude französischer Vormacht zunächst von innen heraus unterhöhlen könnte. Dann wird schnell entgegengearbeitet. Brutale Strafen, die sich der gehorsame Deutsche ja vom Franzosen duldsam und unerschöpflich vergessend gefallen läßt (während ihm schon der preußische wohltätige Drill, die Grundlage unserer Wohlfahrt und Existenz, zuwider war), und neben den unnachsichtiger Strafen läppische, aber von uns regelmäßig ernst genommene Versprechungen einer Milderung des Drucks bei vollendet sklavischen Verhalten unsererseits, das sind die zwei täglich in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Methoden, während die dritte Methode, die mit verschwenderischen Geld betriebene Propaganda und Bestechung Einzelner, mehr unterirdisch vor sich geht. Aber die Verräter, die Söldlinge aus Feigheit oder Interesse, nehmen täglich zu. Die Märtyrer für ihr Deutschtum gehen unerkannt oder rasch vergessen zugrunde. Aus ihrem Opfer sprießt keine Heilssaat für Deutschland, wie aus dem Blut des Bürgermeisters von Cork, weil wir keine Iren sind, weil wir noch nicht wissen, daß nicht feige Gefügigkeit, sondern nur trotziges Sichbehauptenwollen auch dem Schwächeren zu besserem Dasein verhilft, wobei allerdings der Einzelne für sein Volk und seine Kinder opfern muß. Segest fesselt auch heute Armin, und die französischen Legionäre am neuen I^unes Imporii können mit verschränkten Armen zusehen, wie Deutschland dnrcheinandcrschnattert und durch seinen Mangel an Haltung die Erfolgsicherheit, den Stolz, die Ent¬ schlossenheit der französischen Nation, ihre immer kühnerem Hoffnungen stärkt. Heute erwartet Frankreich tatsächlich schon, daß der Rhein und das Ruhrgebiet für immer französische Domäne wird und der Deutsche die nur durch das verhaßte Preußen unterbrochene alte Entwicklung zum Söldner und Sklaven nunmehr ordentlich weiterführt. Frankreich hofft dies; die Rache, an der es sich sättigt, steigert seinen Hunger, und seine chauvinistischen Träume von gestern bleiben schon hinter der Wirklichkeit von heute zurück. Und so wie es bei uns aussieht, fürchtet mancher, wird Frankreich Recht behalten gemäß dem prophetischen Wort Wilhelm Naabes, der unsere Geschichte kannte und aus der Kenntnis der imperialistischen Volksart, die wir in den Franzosen großgezogen haben, dereinst in der Blütezeit unserer preußisch-bismarckischen deutschen Macht schrieb: „Deutsches Volk? Ach was l Deutschredender oder schwätzender Bevölkerungsbrei, für einen kurzen Augenblick von ein paar großen Männern in eine staatliche Form gepreßt; morgen vielleicht find sie tot. diese Männer, und der Brei fließt wieder auseinander, und die Fremden mögen dreist wieder von allen Seiten mit ihren Löffeln vorrücken, zur Wiederherstellung der hergebrachten Freiheiten teutscher Nation!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/213>, abgerufen am 23.12.2024.