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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Weltspiegel

der Sozialdemokratie. Die ganze pazifistische Aktion der Sozialisten hat
sich ausschließlich auf Deklamation und Kleineleuteverschwörerei beschränkt.
Waren sie Pazifisten, warum haben sie nicht im Frieden damit angefangen?
Hat irgend jemand gelesen, daß in irgend einem Lande Sozialdemokraten die
Arbeit in Waffenfabriken und Kriegsschiffswerften von Partei wegen untersagt
hätten? Die Leute mußten doch leben? Es blieb ihnen nichts anderes übrig?
Das behauptet jeder Kriegsgewinnler von sich auch. Wer seiner Gesinnung nicht
persönliche Gefahr zu bringen vermag, muß sich nicht wundern, wenn diese Ge¬
sinnung sich nicht gerade großer Achtung erfreut.

Vor dem Kriege hieß es immer: einer muß den Anfang machen. Nun,
Deutschland hat den Anfang gemacht. Und nicht nur Deutschland. Auch Oster¬
reich, auch Ungarn, auch Bulgarien. Freudenfeuer in Prag, Belgrad. Bukarest,
Abrüstung in England und Frankreich? Alle Sozialisten in diesen Ländern, die
so überaus flink bei der Hand sind, wo es gilt, Lohnerhöhungen herauszuschlagen,
werden doch auch einmal einer Idee zuliebe energisch auftreten? Habt ihr's
nicht gelesen? Sie alle haben die Arbeit in Waffen- und Munitionsfabriken
niedergelegt wie ein Mann, sie haben das Tragen von Uniformen verboten, sie
haben -- sie haben --Habt ihr's nicht gelesen? Ich auch nicht. Aber ich habe,
und zwar in der strammen nationalistischen "Liberte" gelesen, daß man in dem
friedliebenden und demokratischen Frankreich, ohne das Parlament zu befragen
und ohne daß dieses etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte, 1 Milliarde 200
Millionen (das arme, durch Deutschland so schwer geschädigte Frankreich!) an
Koltschak, 600 Millionen an den Landesverräter Denikin und 1 Milliarde 200
Millionen (das die ganze Welt zum Zeugen für sein Unglück anrufende Frank¬
reich, das seinen Kriegsgeschädigten keine Häuser bauen kannt) an Wrangel ver-
teilt hat. Ich habe gelesen, daß in England immer neue Kredite für Meso¬
potamien und Persien, zur Unterdrückung von Ägyptern und Indern bewilligt
werden, daß Italiener und Südslawen erbittert um "strategisch sichere" Grenzen
stritten, die nach diesem "letzten aller Kriege" doch offenbar überflüssig waren,
daß die unter französischer Aufsicht zustande gekommene Volkszählung in Thracien
ergeben hat, daß in Ostthracien die Mehrheit der Bevölkerung türkisch, in West-
thracien bulgarisch ist und daß dennoch der dort auch von Frankreich unter¬
zeichnete Friedensvertrag von Neuilly den Bulgaren Thracien abstreicht und daß,
um die Türken zum Verzicht auf Thracien zu bewegen, erbitterter Krieg geführt
wird. Und ich habe schließlich gelesen, daß Rußland neue Streitkräfte mobili¬
sierte, um sich bei ausbrechender Hungersnot das verschaffen zu können, was ihm
bei der allgemeinen Not die Grenzvölker freiwillig nicht geben können. Und trotz
all dieser Tatsachen, die sich noch ins Unabsehbare vermehren ließen, der Schrei:
Nie wieder Krieg? Der Schrei, wie gesagt, läßt sich begreifen, aber wie sollen
diese Leute politisch ernst genommen werden? Oder hat es irgend welchen Sinn
und Wert, wenn irgend jemand bei Leibschmerzen ruft: nie wieder Glas essen!
Nie! nie wieder!!?

Ich will mit diesen Zeilen keine neue Zensur heraufbeschwören, ich möchte
nur mit der Illusion aufräumen, daß dergleichen Manifestationen auch nur das
leiseste an den Tatsachen zu ändern vermöchte oder gar geeignet wären, Deutsch¬
land im Auslande "beliebt" zu machen. Was hat man sich im vorigen Jahre"
entrüstet über die angeblich von Rechtsblättern künstlich erzeugte chauvinistische
Stimmung, aus der heraus angeblich das Attentat auf die französische Botschafts¬
fahne geschehen war. Diesmal geschah zum Leidwesen der Franzosen kein solches
Attentat, das Vorwand zu neuen Erpressungen gegeben hätte. Aber Vorwände
sind den Franzosen ja wohlfeil wie Brombeeren, und deshalb kam der "Temps"
(vom 16. Juli) zu dem Schluß: daß in Berlin am 14. Juli kein Zwischenfall
sich ereignet habe, beweise, daß man, wenn man nur ernstlich wolle, tue diszi¬
plinierten Deutschen durchaus lenken könnte und daß man infolgedessen sie auch,,
wenn man nur ernstlich wolle, zum Verzicht auf Oberschlesien und zum raschen
Bezahlen lenken könnte. Aber wollen, Herr Wirth, müsse man. Weshalb mani^


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der Sozialdemokratie. Die ganze pazifistische Aktion der Sozialisten hat
sich ausschließlich auf Deklamation und Kleineleuteverschwörerei beschränkt.
Waren sie Pazifisten, warum haben sie nicht im Frieden damit angefangen?
Hat irgend jemand gelesen, daß in irgend einem Lande Sozialdemokraten die
Arbeit in Waffenfabriken und Kriegsschiffswerften von Partei wegen untersagt
hätten? Die Leute mußten doch leben? Es blieb ihnen nichts anderes übrig?
Das behauptet jeder Kriegsgewinnler von sich auch. Wer seiner Gesinnung nicht
persönliche Gefahr zu bringen vermag, muß sich nicht wundern, wenn diese Ge¬
sinnung sich nicht gerade großer Achtung erfreut.

Vor dem Kriege hieß es immer: einer muß den Anfang machen. Nun,
Deutschland hat den Anfang gemacht. Und nicht nur Deutschland. Auch Oster¬
reich, auch Ungarn, auch Bulgarien. Freudenfeuer in Prag, Belgrad. Bukarest,
Abrüstung in England und Frankreich? Alle Sozialisten in diesen Ländern, die
so überaus flink bei der Hand sind, wo es gilt, Lohnerhöhungen herauszuschlagen,
werden doch auch einmal einer Idee zuliebe energisch auftreten? Habt ihr's
nicht gelesen? Sie alle haben die Arbeit in Waffen- und Munitionsfabriken
niedergelegt wie ein Mann, sie haben das Tragen von Uniformen verboten, sie
haben — sie haben —Habt ihr's nicht gelesen? Ich auch nicht. Aber ich habe,
und zwar in der strammen nationalistischen „Liberte" gelesen, daß man in dem
friedliebenden und demokratischen Frankreich, ohne das Parlament zu befragen
und ohne daß dieses etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte, 1 Milliarde 200
Millionen (das arme, durch Deutschland so schwer geschädigte Frankreich!) an
Koltschak, 600 Millionen an den Landesverräter Denikin und 1 Milliarde 200
Millionen (das die ganze Welt zum Zeugen für sein Unglück anrufende Frank¬
reich, das seinen Kriegsgeschädigten keine Häuser bauen kannt) an Wrangel ver-
teilt hat. Ich habe gelesen, daß in England immer neue Kredite für Meso¬
potamien und Persien, zur Unterdrückung von Ägyptern und Indern bewilligt
werden, daß Italiener und Südslawen erbittert um „strategisch sichere" Grenzen
stritten, die nach diesem „letzten aller Kriege" doch offenbar überflüssig waren,
daß die unter französischer Aufsicht zustande gekommene Volkszählung in Thracien
ergeben hat, daß in Ostthracien die Mehrheit der Bevölkerung türkisch, in West-
thracien bulgarisch ist und daß dennoch der dort auch von Frankreich unter¬
zeichnete Friedensvertrag von Neuilly den Bulgaren Thracien abstreicht und daß,
um die Türken zum Verzicht auf Thracien zu bewegen, erbitterter Krieg geführt
wird. Und ich habe schließlich gelesen, daß Rußland neue Streitkräfte mobili¬
sierte, um sich bei ausbrechender Hungersnot das verschaffen zu können, was ihm
bei der allgemeinen Not die Grenzvölker freiwillig nicht geben können. Und trotz
all dieser Tatsachen, die sich noch ins Unabsehbare vermehren ließen, der Schrei:
Nie wieder Krieg? Der Schrei, wie gesagt, läßt sich begreifen, aber wie sollen
diese Leute politisch ernst genommen werden? Oder hat es irgend welchen Sinn
und Wert, wenn irgend jemand bei Leibschmerzen ruft: nie wieder Glas essen!
Nie! nie wieder!!?

Ich will mit diesen Zeilen keine neue Zensur heraufbeschwören, ich möchte
nur mit der Illusion aufräumen, daß dergleichen Manifestationen auch nur das
leiseste an den Tatsachen zu ändern vermöchte oder gar geeignet wären, Deutsch¬
land im Auslande „beliebt" zu machen. Was hat man sich im vorigen Jahre«
entrüstet über die angeblich von Rechtsblättern künstlich erzeugte chauvinistische
Stimmung, aus der heraus angeblich das Attentat auf die französische Botschafts¬
fahne geschehen war. Diesmal geschah zum Leidwesen der Franzosen kein solches
Attentat, das Vorwand zu neuen Erpressungen gegeben hätte. Aber Vorwände
sind den Franzosen ja wohlfeil wie Brombeeren, und deshalb kam der „Temps"
(vom 16. Juli) zu dem Schluß: daß in Berlin am 14. Juli kein Zwischenfall
sich ereignet habe, beweise, daß man, wenn man nur ernstlich wolle, tue diszi¬
plinierten Deutschen durchaus lenken könnte und daß man infolgedessen sie auch,,
wenn man nur ernstlich wolle, zum Verzicht auf Oberschlesien und zum raschen
Bezahlen lenken könnte. Aber wollen, Herr Wirth, müsse man. Weshalb mani^


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[0169] Weltspiegel der Sozialdemokratie. Die ganze pazifistische Aktion der Sozialisten hat sich ausschließlich auf Deklamation und Kleineleuteverschwörerei beschränkt. Waren sie Pazifisten, warum haben sie nicht im Frieden damit angefangen? Hat irgend jemand gelesen, daß in irgend einem Lande Sozialdemokraten die Arbeit in Waffenfabriken und Kriegsschiffswerften von Partei wegen untersagt hätten? Die Leute mußten doch leben? Es blieb ihnen nichts anderes übrig? Das behauptet jeder Kriegsgewinnler von sich auch. Wer seiner Gesinnung nicht persönliche Gefahr zu bringen vermag, muß sich nicht wundern, wenn diese Ge¬ sinnung sich nicht gerade großer Achtung erfreut. Vor dem Kriege hieß es immer: einer muß den Anfang machen. Nun, Deutschland hat den Anfang gemacht. Und nicht nur Deutschland. Auch Oster¬ reich, auch Ungarn, auch Bulgarien. Freudenfeuer in Prag, Belgrad. Bukarest, Abrüstung in England und Frankreich? Alle Sozialisten in diesen Ländern, die so überaus flink bei der Hand sind, wo es gilt, Lohnerhöhungen herauszuschlagen, werden doch auch einmal einer Idee zuliebe energisch auftreten? Habt ihr's nicht gelesen? Sie alle haben die Arbeit in Waffen- und Munitionsfabriken niedergelegt wie ein Mann, sie haben das Tragen von Uniformen verboten, sie haben — sie haben —Habt ihr's nicht gelesen? Ich auch nicht. Aber ich habe, und zwar in der strammen nationalistischen „Liberte" gelesen, daß man in dem friedliebenden und demokratischen Frankreich, ohne das Parlament zu befragen und ohne daß dieses etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte, 1 Milliarde 200 Millionen (das arme, durch Deutschland so schwer geschädigte Frankreich!) an Koltschak, 600 Millionen an den Landesverräter Denikin und 1 Milliarde 200 Millionen (das die ganze Welt zum Zeugen für sein Unglück anrufende Frank¬ reich, das seinen Kriegsgeschädigten keine Häuser bauen kannt) an Wrangel ver- teilt hat. Ich habe gelesen, daß in England immer neue Kredite für Meso¬ potamien und Persien, zur Unterdrückung von Ägyptern und Indern bewilligt werden, daß Italiener und Südslawen erbittert um „strategisch sichere" Grenzen stritten, die nach diesem „letzten aller Kriege" doch offenbar überflüssig waren, daß die unter französischer Aufsicht zustande gekommene Volkszählung in Thracien ergeben hat, daß in Ostthracien die Mehrheit der Bevölkerung türkisch, in West- thracien bulgarisch ist und daß dennoch der dort auch von Frankreich unter¬ zeichnete Friedensvertrag von Neuilly den Bulgaren Thracien abstreicht und daß, um die Türken zum Verzicht auf Thracien zu bewegen, erbitterter Krieg geführt wird. Und ich habe schließlich gelesen, daß Rußland neue Streitkräfte mobili¬ sierte, um sich bei ausbrechender Hungersnot das verschaffen zu können, was ihm bei der allgemeinen Not die Grenzvölker freiwillig nicht geben können. Und trotz all dieser Tatsachen, die sich noch ins Unabsehbare vermehren ließen, der Schrei: Nie wieder Krieg? Der Schrei, wie gesagt, läßt sich begreifen, aber wie sollen diese Leute politisch ernst genommen werden? Oder hat es irgend welchen Sinn und Wert, wenn irgend jemand bei Leibschmerzen ruft: nie wieder Glas essen! Nie! nie wieder!!? Ich will mit diesen Zeilen keine neue Zensur heraufbeschwören, ich möchte nur mit der Illusion aufräumen, daß dergleichen Manifestationen auch nur das leiseste an den Tatsachen zu ändern vermöchte oder gar geeignet wären, Deutsch¬ land im Auslande „beliebt" zu machen. Was hat man sich im vorigen Jahre« entrüstet über die angeblich von Rechtsblättern künstlich erzeugte chauvinistische Stimmung, aus der heraus angeblich das Attentat auf die französische Botschafts¬ fahne geschehen war. Diesmal geschah zum Leidwesen der Franzosen kein solches Attentat, das Vorwand zu neuen Erpressungen gegeben hätte. Aber Vorwände sind den Franzosen ja wohlfeil wie Brombeeren, und deshalb kam der „Temps" (vom 16. Juli) zu dem Schluß: daß in Berlin am 14. Juli kein Zwischenfall sich ereignet habe, beweise, daß man, wenn man nur ernstlich wolle, tue diszi¬ plinierten Deutschen durchaus lenken könnte und daß man infolgedessen sie auch,, wenn man nur ernstlich wolle, zum Verzicht auf Oberschlesien und zum raschen Bezahlen lenken könnte. Aber wollen, Herr Wirth, müsse man. Weshalb mani^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/169>, abgerufen am 23.12.2024.