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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Heimatbildung in Deutsch-Böhmen

Heimatbildung in Deutsch-Böhmen
Dr. G"ttfried Littbogen von I.

le Not, die über die Sudetendeutschen hereingebrochen ist, hat in
ihnen produktive Kräfte entbunden.

Nach dem Zusammenbruch Österreichs sahen sie sich plötzlich
ausgestoßen aus dem Staat, dem sie kraft ihres Staatsbewußtseins
gerade bei dem Versagen anderer Nationalitäten in den letzten
Jahren fast übermenschliche Opfer an Gut und Blut gebracht hatten, und hinein¬
gepreßt in einen neuen Staat, dem sie nicht hatten angehören wollen und für den
nun ihr Herz unmöglich schlagen konnte. Was blieb ihnen? -- Heimat und
Volkstum.

Aber auch dies Letzte sahen sie angetastet. Der Begriff Deutsch-Böhmen
wurde nicht bloß nicht anerkannt und sein Gebrauch unter Strafe gestellt, sondern
ganz offenkundig trat die Tendenz zutage, ihre deutsche Heimat mit Tschechen zu
durchsetzen und ihr deutsches Volkstum an die Wand zu drücken. Um so inniger
umfaßten sie mit ihrer Liebe die bedrohte Heimat, um so unverlierbarer trachten
sie sie zu ihrem Eigentum zu machen -- zum innern wie äußern Eigentum.
Denn soll sie auf die Dauer ihr äußerer Besitz bleiben, muß sie zuvor ihr innerer
Besitz sein.

So begann eine neue Aussaat nach Winterstürmen: "Man will uns nicht
gestatten, in der Heimat zu leben, wie es uns gefällt und recht und gemäß ist,
nach eigenem Gesetz und freier Selbstbestimmung. Man will mit fremdem Willen,
mit groben Händen in das altüberkommene, wohl zusammenstimmende Gefüge
hineingreifen, das uns Heimat heißt. Man will unsere Siedlungs- und Nachbar¬
schaftszusammenhänge grob durchreißen und durchsetzen, um uns in der eigenen
Väterheimat zu Unfreien und Fremden zu machen. Wir aber wollen uns in
tiefster Selbstbesinnung unserer Heimat erst recht und vollends be¬
mächtigen. Wir wollen uns so in sie hineinarbeiten und hineinverspinnen, daß
doch nur unsere überlegene Arbeit und Lebensleistung ihren Wert ausmachen und
ihre Linien und Formen bestimmen soll, und daß das Fremde, gerade wenn es
grob zupackt, in seiner lieblosen Fremdheit erkennbar wird und zurückschaudert.
Wir wollen uns das Heimatland, das wir ererbt haben, erwerben."

Mit Notwendigkeit gab dieser Zug der Heimatliebe und Heimatlosigkeit dem
Volksbildungsstreben, das auch unter den Deutschen Böhmens lebendig ist, sein
charakteristisches Gepräge: es entstand das Ideal einer heimatkundlichen Volks-
erziehung.

Heimat bedeutet hier nicht etwa das ganze Böhmen als das Heimatland
der Deutsch-Böhmen oder gar die ganze Tschecho-Slowakei, Heimat bedeutet hier
den Gau, in dem jeder gerade zu Hause ist und in dem er mit Landschaft und
Menschen in einer organischen Gemeinschaft aufgewachsen ist. "Von dieser Heimat
nun wollen und fordern wir, daß die Volksbildung ausgehe. Und zu ihr soll sie
weiter zurückleiten."

Die Heimat muß also den Erwachsenen nahegebracht werden. Denn das
ist ja das Beklagenswerte, daß sie ihnen heute in der Regel fern und unbekannt


Heimatbildung in Deutsch-Böhmen

Heimatbildung in Deutsch-Böhmen
Dr. G»ttfried Littbogen von I.

le Not, die über die Sudetendeutschen hereingebrochen ist, hat in
ihnen produktive Kräfte entbunden.

Nach dem Zusammenbruch Österreichs sahen sie sich plötzlich
ausgestoßen aus dem Staat, dem sie kraft ihres Staatsbewußtseins
gerade bei dem Versagen anderer Nationalitäten in den letzten
Jahren fast übermenschliche Opfer an Gut und Blut gebracht hatten, und hinein¬
gepreßt in einen neuen Staat, dem sie nicht hatten angehören wollen und für den
nun ihr Herz unmöglich schlagen konnte. Was blieb ihnen? — Heimat und
Volkstum.

Aber auch dies Letzte sahen sie angetastet. Der Begriff Deutsch-Böhmen
wurde nicht bloß nicht anerkannt und sein Gebrauch unter Strafe gestellt, sondern
ganz offenkundig trat die Tendenz zutage, ihre deutsche Heimat mit Tschechen zu
durchsetzen und ihr deutsches Volkstum an die Wand zu drücken. Um so inniger
umfaßten sie mit ihrer Liebe die bedrohte Heimat, um so unverlierbarer trachten
sie sie zu ihrem Eigentum zu machen — zum innern wie äußern Eigentum.
Denn soll sie auf die Dauer ihr äußerer Besitz bleiben, muß sie zuvor ihr innerer
Besitz sein.

So begann eine neue Aussaat nach Winterstürmen: „Man will uns nicht
gestatten, in der Heimat zu leben, wie es uns gefällt und recht und gemäß ist,
nach eigenem Gesetz und freier Selbstbestimmung. Man will mit fremdem Willen,
mit groben Händen in das altüberkommene, wohl zusammenstimmende Gefüge
hineingreifen, das uns Heimat heißt. Man will unsere Siedlungs- und Nachbar¬
schaftszusammenhänge grob durchreißen und durchsetzen, um uns in der eigenen
Väterheimat zu Unfreien und Fremden zu machen. Wir aber wollen uns in
tiefster Selbstbesinnung unserer Heimat erst recht und vollends be¬
mächtigen. Wir wollen uns so in sie hineinarbeiten und hineinverspinnen, daß
doch nur unsere überlegene Arbeit und Lebensleistung ihren Wert ausmachen und
ihre Linien und Formen bestimmen soll, und daß das Fremde, gerade wenn es
grob zupackt, in seiner lieblosen Fremdheit erkennbar wird und zurückschaudert.
Wir wollen uns das Heimatland, das wir ererbt haben, erwerben."

Mit Notwendigkeit gab dieser Zug der Heimatliebe und Heimatlosigkeit dem
Volksbildungsstreben, das auch unter den Deutschen Böhmens lebendig ist, sein
charakteristisches Gepräge: es entstand das Ideal einer heimatkundlichen Volks-
erziehung.

Heimat bedeutet hier nicht etwa das ganze Böhmen als das Heimatland
der Deutsch-Böhmen oder gar die ganze Tschecho-Slowakei, Heimat bedeutet hier
den Gau, in dem jeder gerade zu Hause ist und in dem er mit Landschaft und
Menschen in einer organischen Gemeinschaft aufgewachsen ist. „Von dieser Heimat
nun wollen und fordern wir, daß die Volksbildung ausgehe. Und zu ihr soll sie
weiter zurückleiten."

Die Heimat muß also den Erwachsenen nahegebracht werden. Denn das
ist ja das Beklagenswerte, daß sie ihnen heute in der Regel fern und unbekannt


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[0157] Heimatbildung in Deutsch-Böhmen Heimatbildung in Deutsch-Böhmen Dr. G»ttfried Littbogen von I. le Not, die über die Sudetendeutschen hereingebrochen ist, hat in ihnen produktive Kräfte entbunden. Nach dem Zusammenbruch Österreichs sahen sie sich plötzlich ausgestoßen aus dem Staat, dem sie kraft ihres Staatsbewußtseins gerade bei dem Versagen anderer Nationalitäten in den letzten Jahren fast übermenschliche Opfer an Gut und Blut gebracht hatten, und hinein¬ gepreßt in einen neuen Staat, dem sie nicht hatten angehören wollen und für den nun ihr Herz unmöglich schlagen konnte. Was blieb ihnen? — Heimat und Volkstum. Aber auch dies Letzte sahen sie angetastet. Der Begriff Deutsch-Böhmen wurde nicht bloß nicht anerkannt und sein Gebrauch unter Strafe gestellt, sondern ganz offenkundig trat die Tendenz zutage, ihre deutsche Heimat mit Tschechen zu durchsetzen und ihr deutsches Volkstum an die Wand zu drücken. Um so inniger umfaßten sie mit ihrer Liebe die bedrohte Heimat, um so unverlierbarer trachten sie sie zu ihrem Eigentum zu machen — zum innern wie äußern Eigentum. Denn soll sie auf die Dauer ihr äußerer Besitz bleiben, muß sie zuvor ihr innerer Besitz sein. So begann eine neue Aussaat nach Winterstürmen: „Man will uns nicht gestatten, in der Heimat zu leben, wie es uns gefällt und recht und gemäß ist, nach eigenem Gesetz und freier Selbstbestimmung. Man will mit fremdem Willen, mit groben Händen in das altüberkommene, wohl zusammenstimmende Gefüge hineingreifen, das uns Heimat heißt. Man will unsere Siedlungs- und Nachbar¬ schaftszusammenhänge grob durchreißen und durchsetzen, um uns in der eigenen Väterheimat zu Unfreien und Fremden zu machen. Wir aber wollen uns in tiefster Selbstbesinnung unserer Heimat erst recht und vollends be¬ mächtigen. Wir wollen uns so in sie hineinarbeiten und hineinverspinnen, daß doch nur unsere überlegene Arbeit und Lebensleistung ihren Wert ausmachen und ihre Linien und Formen bestimmen soll, und daß das Fremde, gerade wenn es grob zupackt, in seiner lieblosen Fremdheit erkennbar wird und zurückschaudert. Wir wollen uns das Heimatland, das wir ererbt haben, erwerben." Mit Notwendigkeit gab dieser Zug der Heimatliebe und Heimatlosigkeit dem Volksbildungsstreben, das auch unter den Deutschen Böhmens lebendig ist, sein charakteristisches Gepräge: es entstand das Ideal einer heimatkundlichen Volks- erziehung. Heimat bedeutet hier nicht etwa das ganze Böhmen als das Heimatland der Deutsch-Böhmen oder gar die ganze Tschecho-Slowakei, Heimat bedeutet hier den Gau, in dem jeder gerade zu Hause ist und in dem er mit Landschaft und Menschen in einer organischen Gemeinschaft aufgewachsen ist. „Von dieser Heimat nun wollen und fordern wir, daß die Volksbildung ausgehe. Und zu ihr soll sie weiter zurückleiten." Die Heimat muß also den Erwachsenen nahegebracht werden. Denn das ist ja das Beklagenswerte, daß sie ihnen heute in der Regel fern und unbekannt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/157>, abgerufen am 24.07.2024.