Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Lrzberger und kein Ende Tatbestand feststellen und als politische Körperschaft dazu Stellung nehmen. Was Dies Schweigen war Schwäche, ja Feigheit. Man fühlte sich Erzberger Erzberger erfaßte geschickt die für ihn persönlich so günstige Lage und Lrzberger und kein Ende Tatbestand feststellen und als politische Körperschaft dazu Stellung nehmen. Was Dies Schweigen war Schwäche, ja Feigheit. Man fühlte sich Erzberger Erzberger erfaßte geschickt die für ihn persönlich so günstige Lage und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339256"/> <fw type="header" place="top"> Lrzberger und kein Ende</fw><lb/> <p xml:id="ID_355" prev="#ID_354"> Tatbestand feststellen und als politische Körperschaft dazu Stellung nehmen. Was<lb/> geschah indes? Die Zentrumspresse schwieg! Die Zentrumsfrccktiou schwieg! Der<lb/> Reichsausschuß schwieg!</p><lb/> <p xml:id="ID_356"> Dies Schweigen war Schwäche, ja Feigheit. Man fühlte sich Erzberger<lb/> gegenüber im Nachteil, Fürchtete man seine Gegenmaßnahmen? War es wirklich<lb/> so, daß einige Zentrnmsgrößen — sit ohren verbal — unangenehme Enthüllungen<lb/> erwarten mußten, wenn er zum offenen Gegner der Partei wurde? Man wagte<lb/> sich jedenfalls nicht an ihn heran. Zudem war sein Anhang nicht gering. Trotz<lb/> der Verurteilung. Durch ein Vorgehen gegen Erzberger schien also auch die Ein¬<lb/> heit der Partei gefährdet. Auf die Absplitterung des bayerischen Zentrums konnte<lb/> die Absplitterung des württembergisch-badischen Zentrums folgen. War es da nicht<lb/> klüger, zu schweigen! Von den anderen Parteien hatte man ohnedies wenig zu<lb/> fürchten. Die gesamte Sozialdemokratie stand ja auf feiten Erzbergers, weil sie<lb/> in ihm.den besten Stnrmbock gegen die Rechte sieht, und verteidigte ihn gegen<lb/> die ungerechte „Klassenjustiz". Die Demokratische Partei hatte sich mit dem<lb/> Erzbergortum zum Teil so eingelassen, daß sie ans eigenem Interesse schwieg. Von<lb/> der Deutschen Volkspartei glaubte mau nichts Schlimmes erwarten Zu müssen, da<lb/> sie damals in der Regierung an das Zentrum gebunden schien. Die Angriffe der<lb/> Deutschuationalen Partei waren weiter nicht gefährlich. Im Gegenteil. Mit dem<lb/> Namen Helfferich konnte man in der demokratischen Mitte und weiter links alle<lb/> kleinen Kinder schrecken. Und wenn die Deutschnationalen ihren Parteifuror nicht<lb/> zügelten, so konnte man in der Defensive den Block der Mitte nnr um so fester<lb/> schmieden. schwieg man den Fall Erzberger tot, so ließ sich demnach alles zum<lb/> besten wenden. Kommt Zeit, kommt Rat!</p><lb/> <p xml:id="ID_357" next="#ID_358"> Erzberger erfaßte geschickt die für ihn persönlich so günstige Lage und<lb/> ging seinerseits sofort zum Angriff über. Er war ja nie ängstlich. — Schon<lb/> im Januar 1921 nahm er wieder an den Sitzungen der Neichstags-<lb/> fraktion teil. In einer dieser Sitzungen durfte er sogar eine mehrstündige<lb/> Programmrede über die künftige Steuerpolitik halten. Warum sollte man ihm<lb/> die „positive Mitarbeit" verbieten! Anfangs Januar na.hin er als „Promineute<lb/> Persönlichkeit" auch an einer Zentrumstagung in Friedrichshafen teil. Wenigstens<lb/> bezeichnete ihn als solchen der Bericht der — „Kölnischen Volkszeitung"! Mit<lb/> dem führenden Zeutrumsoraau in Württemberg und mit der „Germania" pflegte<lb/> er intime publizistische Verbindung. Die edelsten Früchte dieser Verbindung waren<lb/> Stinkbomben gegen Bayern. Mit einer Dreistigkeit sondersgleichcn ging er als¬<lb/> bald über den Ko)zf der Parteileitung in'uweg an die Bearbeitung der Volrsmcisscu.<lb/> Am 21. Januar sprach er zu Münster in Westfalen in öffentlicher Volksversamm¬<lb/> lung. Wie der dortige sozialdemokratische „Volkswille" nachträglich treffend be¬<lb/> merkte: .„Gegen die Zentrumspolitik"! Das Zentrumsorgan, der „Münstersche<lb/> Anzeiger", warf bescheiden die Frage auf, ob das Auftreten Erzbergers nicht etwa<lb/> die Vereinbarung zwischen ihm und der Fraktion breche. Aber ganz bescheiden.<lb/> Münster war ein Bombenerfolg. Dem politischen Matador wurden sogar Blumen<lb/> überreicht. Nach diesem Erfolg am Hauptsitz des agrarischen Zentrums des katho¬<lb/> lischen Westfalen wurde Erzberger noch dreister. Er ließ sich nach München-<lb/> Gladbach, dem Sitz des Volksvereins für das katholische Deutschland bitten. Der<lb/> dortige Redakteur Eises von der „Westdeutschen Arbeiterzeitung" ging bei der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
Lrzberger und kein Ende
Tatbestand feststellen und als politische Körperschaft dazu Stellung nehmen. Was
geschah indes? Die Zentrumspresse schwieg! Die Zentrumsfrccktiou schwieg! Der
Reichsausschuß schwieg!
Dies Schweigen war Schwäche, ja Feigheit. Man fühlte sich Erzberger
gegenüber im Nachteil, Fürchtete man seine Gegenmaßnahmen? War es wirklich
so, daß einige Zentrnmsgrößen — sit ohren verbal — unangenehme Enthüllungen
erwarten mußten, wenn er zum offenen Gegner der Partei wurde? Man wagte
sich jedenfalls nicht an ihn heran. Zudem war sein Anhang nicht gering. Trotz
der Verurteilung. Durch ein Vorgehen gegen Erzberger schien also auch die Ein¬
heit der Partei gefährdet. Auf die Absplitterung des bayerischen Zentrums konnte
die Absplitterung des württembergisch-badischen Zentrums folgen. War es da nicht
klüger, zu schweigen! Von den anderen Parteien hatte man ohnedies wenig zu
fürchten. Die gesamte Sozialdemokratie stand ja auf feiten Erzbergers, weil sie
in ihm.den besten Stnrmbock gegen die Rechte sieht, und verteidigte ihn gegen
die ungerechte „Klassenjustiz". Die Demokratische Partei hatte sich mit dem
Erzbergortum zum Teil so eingelassen, daß sie ans eigenem Interesse schwieg. Von
der Deutschen Volkspartei glaubte mau nichts Schlimmes erwarten Zu müssen, da
sie damals in der Regierung an das Zentrum gebunden schien. Die Angriffe der
Deutschuationalen Partei waren weiter nicht gefährlich. Im Gegenteil. Mit dem
Namen Helfferich konnte man in der demokratischen Mitte und weiter links alle
kleinen Kinder schrecken. Und wenn die Deutschnationalen ihren Parteifuror nicht
zügelten, so konnte man in der Defensive den Block der Mitte nnr um so fester
schmieden. schwieg man den Fall Erzberger tot, so ließ sich demnach alles zum
besten wenden. Kommt Zeit, kommt Rat!
Erzberger erfaßte geschickt die für ihn persönlich so günstige Lage und
ging seinerseits sofort zum Angriff über. Er war ja nie ängstlich. — Schon
im Januar 1921 nahm er wieder an den Sitzungen der Neichstags-
fraktion teil. In einer dieser Sitzungen durfte er sogar eine mehrstündige
Programmrede über die künftige Steuerpolitik halten. Warum sollte man ihm
die „positive Mitarbeit" verbieten! Anfangs Januar na.hin er als „Promineute
Persönlichkeit" auch an einer Zentrumstagung in Friedrichshafen teil. Wenigstens
bezeichnete ihn als solchen der Bericht der — „Kölnischen Volkszeitung"! Mit
dem führenden Zeutrumsoraau in Württemberg und mit der „Germania" pflegte
er intime publizistische Verbindung. Die edelsten Früchte dieser Verbindung waren
Stinkbomben gegen Bayern. Mit einer Dreistigkeit sondersgleichcn ging er als¬
bald über den Ko)zf der Parteileitung in'uweg an die Bearbeitung der Volrsmcisscu.
Am 21. Januar sprach er zu Münster in Westfalen in öffentlicher Volksversamm¬
lung. Wie der dortige sozialdemokratische „Volkswille" nachträglich treffend be¬
merkte: .„Gegen die Zentrumspolitik"! Das Zentrumsorgan, der „Münstersche
Anzeiger", warf bescheiden die Frage auf, ob das Auftreten Erzbergers nicht etwa
die Vereinbarung zwischen ihm und der Fraktion breche. Aber ganz bescheiden.
Münster war ein Bombenerfolg. Dem politischen Matador wurden sogar Blumen
überreicht. Nach diesem Erfolg am Hauptsitz des agrarischen Zentrums des katho¬
lischen Westfalen wurde Erzberger noch dreister. Er ließ sich nach München-
Gladbach, dem Sitz des Volksvereins für das katholische Deutschland bitten. Der
dortige Redakteur Eises von der „Westdeutschen Arbeiterzeitung" ging bei der
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