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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Das Staatsoberhaupt

kann, welche zur schöpferischen Ergänzung eines talentlosen Königs hätten dienen
können. Aber so hoffnungsarm war seit langem keine Epoche deutscher Geschichte
mehr, wie die augenblickliche. Denn jetzt scheint es das oberste Gesetz des
Staatswohles zu verlangen, daß der Reichskanzler eine möglichst farblose und
willensschwache Natur aus dem an sich Willensschwächen ReichstagSkolleg, der
Reichspräsident aber ein womöglich noch passiverer, kompromißhaft aus dem
Gesichtsfeld der Fraktionen ausgewählter ruhiger Mann sein müsse.

Wir haben jetzt das Recht, zu wählen, auszuwählen, urzuwühlen. Und das
Ergebnis ist, daß das gewählte Staatsoberhaupt, welches durch überragende
persönliche Würde die fehlende Autorität der Geburt und Überlieferungen ersetzen
müßte, und sein Reichskanzler, zwei Doubletten aus der Spezies Parteisekretär
werden. Anderes kann die Nation anscheinend nicht aus sich gebären, wenn ihre
Berge kreißen. Der Zustand wird allgemein als unbefriedigend empfunden.
Die einen denken an die Zurückkunft der Monarchie, wobei verschiedene Spiel¬
arten, strenge Legitimität, Persönliche Tüchtigkeit des neuen Dynastiegründers,
sogar Wahlmonarchie, abgesehen von der speziell deutschen Unklarheit, ob Einheits¬
oder Bundesstaatsmonarchie, die oben geschilderte Lösungsmannigfaltigkeit des
monarchischen Prinzips widerspiegeln. Bleibt die Regierungsbildung und
Präsidentenauslese in der Republik so wie sie ist, so wird allerdings das Volk
nach der Monarchie in irgendeiner Form hungern, wobei natürlich nur die
konstitutionelle Form in Frage kommt. Will man aber, solange wir die Republik
haben, diese nicht sabotieren, sondern für das deutsche Volk so nützlich und
schöpferisch wie möglich gestalten, so wird die tunlichst weite persönliche und
rechtliche Ablösung des Präsidenten vom Parlament und die äußerste Stärkung
seiner Autorität unter Entwicklung der in der Verfassung gegebenen Ansätze
eine der wichtigsten Forderungen sein. Der Präsident muß sich im Notfall gegen
das Parlament auf das Volk stützen, das Volk sich auf sein Staatsoberhaupt
auch gegen das Parlament verlassen können.




Die neueste Entwicklung des russischen Bolschewismus
Generalmajor a. D. Graf v. d. Goltz von

er russische Bolschewismus litt von vornherein unter einem inneren
Widerspruch. Einmal entstand die zweite russische Revolution unter
der Losung der Bauern ""Frieden und Land" und aus der alten
russischen Verachtung der europäischen Kultur, die als zum Unter¬
gange reif betrachtet wird. Andererseits pflanzten auf diesem Boden
der russische Idealist Lenin und der Ostjude Trotzki das System' des westlerischen
Marxismus und Kommunismus und die Diktatur des Proletariats aus.


Das Staatsoberhaupt

kann, welche zur schöpferischen Ergänzung eines talentlosen Königs hätten dienen
können. Aber so hoffnungsarm war seit langem keine Epoche deutscher Geschichte
mehr, wie die augenblickliche. Denn jetzt scheint es das oberste Gesetz des
Staatswohles zu verlangen, daß der Reichskanzler eine möglichst farblose und
willensschwache Natur aus dem an sich Willensschwächen ReichstagSkolleg, der
Reichspräsident aber ein womöglich noch passiverer, kompromißhaft aus dem
Gesichtsfeld der Fraktionen ausgewählter ruhiger Mann sein müsse.

Wir haben jetzt das Recht, zu wählen, auszuwählen, urzuwühlen. Und das
Ergebnis ist, daß das gewählte Staatsoberhaupt, welches durch überragende
persönliche Würde die fehlende Autorität der Geburt und Überlieferungen ersetzen
müßte, und sein Reichskanzler, zwei Doubletten aus der Spezies Parteisekretär
werden. Anderes kann die Nation anscheinend nicht aus sich gebären, wenn ihre
Berge kreißen. Der Zustand wird allgemein als unbefriedigend empfunden.
Die einen denken an die Zurückkunft der Monarchie, wobei verschiedene Spiel¬
arten, strenge Legitimität, Persönliche Tüchtigkeit des neuen Dynastiegründers,
sogar Wahlmonarchie, abgesehen von der speziell deutschen Unklarheit, ob Einheits¬
oder Bundesstaatsmonarchie, die oben geschilderte Lösungsmannigfaltigkeit des
monarchischen Prinzips widerspiegeln. Bleibt die Regierungsbildung und
Präsidentenauslese in der Republik so wie sie ist, so wird allerdings das Volk
nach der Monarchie in irgendeiner Form hungern, wobei natürlich nur die
konstitutionelle Form in Frage kommt. Will man aber, solange wir die Republik
haben, diese nicht sabotieren, sondern für das deutsche Volk so nützlich und
schöpferisch wie möglich gestalten, so wird die tunlichst weite persönliche und
rechtliche Ablösung des Präsidenten vom Parlament und die äußerste Stärkung
seiner Autorität unter Entwicklung der in der Verfassung gegebenen Ansätze
eine der wichtigsten Forderungen sein. Der Präsident muß sich im Notfall gegen
das Parlament auf das Volk stützen, das Volk sich auf sein Staatsoberhaupt
auch gegen das Parlament verlassen können.




Die neueste Entwicklung des russischen Bolschewismus
Generalmajor a. D. Graf v. d. Goltz von

er russische Bolschewismus litt von vornherein unter einem inneren
Widerspruch. Einmal entstand die zweite russische Revolution unter
der Losung der Bauern "„Frieden und Land" und aus der alten
russischen Verachtung der europäischen Kultur, die als zum Unter¬
gange reif betrachtet wird. Andererseits pflanzten auf diesem Boden
der russische Idealist Lenin und der Ostjude Trotzki das System' des westlerischen
Marxismus und Kommunismus und die Diktatur des Proletariats aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/90>, abgerufen am 27.11.2024.