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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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nicht minder zersetzt als Wirtschaft und Gesellschaft/ ja bei ihm hat sich die Ent¬
wicklung am unnatürlichsten und raschesten von deutschen Überlieferungen entfernt.

Die Bourgeoisie hat Mitte des 19. Jahrhunderts der Monarchie und dem
Beamtentum durch eine "Umgehungsbewegung" auf staatlichem Machtgebiet die
gesellschaftlich-wirtschaftliche Führung abgerungen/ dazu mußte sie die konstitutionelle
Demokratie nach westlichem Vorbild einführen. Aber sie vermochte nicht bei der
ihren Interessen am meisten entsprechenden gemäßigten Form haltzumachen.
Indem nämlich sich das Unternehmertum nun mit dem Beamtentum in Verwaltung
und Gesetzgebung teilte, wuchs die Arbeiterschaft mit Hilfe des vom Bürgertum
als geheiligtes Menschenrecht geachteten allgemeinen Wahlrechts zu einem Faktor
heran, der zwar nicht mitregieren, aber den Staat blockieren und die Massen
mit einem negativen Machtgemhl erfüllen konnte. Die Parteien ähneln den
Klassen in ihrer horizontalen Schichtung. Die Bureaukratisierung der Verwaltung
hat ihr Gegenstück in der Bureaukratisierung der Parteien und Klassen¬
organisationen. Im kapitalistischen Zeitalter hat der einzelne keine Zeit mehr
frei für die Anliegen der Allgemeinheit, er überläßt diese seinen bezahlten An¬
gestellten, und schrumpft als öffentliche Persönlichkeit ein, während der angestellte
Berufspolitiker nicht als freies Manneswesen, sondern als immer ausgebreitetere
unproduktive Verbraucherschicht dem Gew um- und Klassengeist und dem charakter¬
losen Beutesystem huldigt. In so verflüchtigter Verantwortung zeigt keiner der
zahllosen Mtregenten des Gemeinwesens mehr landesvärerliches Fühlen, nicht
einmal staatsmännisches Denken. Mit der Verantwortung aber weicht das
Vertrauen der Regierten zum Staat, und niemand mag mehr opfern, wo an
Stelle eines Landesvaters oder Staatsmannes ein Erzberger steht, der Politik
und Geschäft verwechselt. spähn meint, daß, vor allem nach der Zerstörung
unseres Heeres durch den Feind eigentliches Führertum in unserem Staat nicht
mehr möglich sei, da diese nicht nur auf periönlichen Fähigkeiten, sondern auch
auf Treue und Opferbereitschast einer Gefolgschaft beruht. Wir sind in diesem
Punkt einer weniger pessimistischen Ansicht und meinen, daß auch in Zukunft der
Deutsche, wenn gut geführt, alles, wenn schlecht geführt, nichts ist. Allerdings ist
er undankbar und reißt den Führer gern vom Pferde. Das bekannte Wort
Friedrichs des Großen zu dem Schweizer Sulzer behält leider geschichtliche
Gesetzeskraft für den deutschen Charakter. Indes hat mindestens der preußisch
erzogene Teil unseres unerschöpflich jungen und begabten Volkes die anererbte
Fähigkeit, einem Staatsmann zeitweilig zu gehorchen, und die Not der Zeit
erteilt deutliche Lehren auf den Zwingherrn zum Guten hin. Verantwortungs¬
gefühl eines wirklichen Staatsmanns oder einer Gruppe fähiger Staatsmänner
erzeugt auch das notwendige Vertrauen in der Schicht der Unterführer. Aller¬
dings ist die Voraussetzung oben, in der Mitte und unten ein überindividueller
Opfergeist. Nur ein gesunder Mittelstand kann die unentbehrliche Unterführer¬
schicht, nur eine Heimattreue Masse dann die sich der Führung anvertrauende
Substanz lebendiger Kraft liefern. Und hier münden wir wieder in den Spahn-
schen Gedankengang ein. Er sieht in der Wirtschaft die endgültige Zerrüttung
noch nicht als gewiß an, da diese im Unterschied zum Staat in Stinnes,
Thyssen usw. wirkliche Führer besitzt. Leben oder Tod unserer Wirtschaft hängt
zunächst davon ab, ob diese Führer staatsmännisch groß, weit und deutsch denken
oder nicht. Im Staat dagegen glaubt Spahn den Weg eines Führers durch
Klassen- und Parteigeist, Mechanisierung, Bureaukratisierung und Materialcheruna.
versperrt. Den tiefsten Pessimismus aber flößt ihm folgender innerer Widerspruch
unserer Lage ein: Die Masse, die infolge des allgemeinen Sttmmrechts alle
staatlichen'Entscheidungen bestimmt, ist ihrer heutigen geistigen Struktur nach
unfähig zum Verständnis der Staatsnotwendigkeiten, unfähig zur Verantwortung.
Sie kann politisch nicht mehr entrechtet werden, folglich alle Führerschaft in
Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unterbinden (S. L3).

Diesen Pessimismus, wie gesagt, vermögen wir nicht zu teilen. Hatten
wir nur die tragfähige Unterführerschicht, d. h. einen einheitlich fühlenden und


Aus neuen Büchern

nicht minder zersetzt als Wirtschaft und Gesellschaft/ ja bei ihm hat sich die Ent¬
wicklung am unnatürlichsten und raschesten von deutschen Überlieferungen entfernt.

Die Bourgeoisie hat Mitte des 19. Jahrhunderts der Monarchie und dem
Beamtentum durch eine „Umgehungsbewegung" auf staatlichem Machtgebiet die
gesellschaftlich-wirtschaftliche Führung abgerungen/ dazu mußte sie die konstitutionelle
Demokratie nach westlichem Vorbild einführen. Aber sie vermochte nicht bei der
ihren Interessen am meisten entsprechenden gemäßigten Form haltzumachen.
Indem nämlich sich das Unternehmertum nun mit dem Beamtentum in Verwaltung
und Gesetzgebung teilte, wuchs die Arbeiterschaft mit Hilfe des vom Bürgertum
als geheiligtes Menschenrecht geachteten allgemeinen Wahlrechts zu einem Faktor
heran, der zwar nicht mitregieren, aber den Staat blockieren und die Massen
mit einem negativen Machtgemhl erfüllen konnte. Die Parteien ähneln den
Klassen in ihrer horizontalen Schichtung. Die Bureaukratisierung der Verwaltung
hat ihr Gegenstück in der Bureaukratisierung der Parteien und Klassen¬
organisationen. Im kapitalistischen Zeitalter hat der einzelne keine Zeit mehr
frei für die Anliegen der Allgemeinheit, er überläßt diese seinen bezahlten An¬
gestellten, und schrumpft als öffentliche Persönlichkeit ein, während der angestellte
Berufspolitiker nicht als freies Manneswesen, sondern als immer ausgebreitetere
unproduktive Verbraucherschicht dem Gew um- und Klassengeist und dem charakter¬
losen Beutesystem huldigt. In so verflüchtigter Verantwortung zeigt keiner der
zahllosen Mtregenten des Gemeinwesens mehr landesvärerliches Fühlen, nicht
einmal staatsmännisches Denken. Mit der Verantwortung aber weicht das
Vertrauen der Regierten zum Staat, und niemand mag mehr opfern, wo an
Stelle eines Landesvaters oder Staatsmannes ein Erzberger steht, der Politik
und Geschäft verwechselt. spähn meint, daß, vor allem nach der Zerstörung
unseres Heeres durch den Feind eigentliches Führertum in unserem Staat nicht
mehr möglich sei, da diese nicht nur auf periönlichen Fähigkeiten, sondern auch
auf Treue und Opferbereitschast einer Gefolgschaft beruht. Wir sind in diesem
Punkt einer weniger pessimistischen Ansicht und meinen, daß auch in Zukunft der
Deutsche, wenn gut geführt, alles, wenn schlecht geführt, nichts ist. Allerdings ist
er undankbar und reißt den Führer gern vom Pferde. Das bekannte Wort
Friedrichs des Großen zu dem Schweizer Sulzer behält leider geschichtliche
Gesetzeskraft für den deutschen Charakter. Indes hat mindestens der preußisch
erzogene Teil unseres unerschöpflich jungen und begabten Volkes die anererbte
Fähigkeit, einem Staatsmann zeitweilig zu gehorchen, und die Not der Zeit
erteilt deutliche Lehren auf den Zwingherrn zum Guten hin. Verantwortungs¬
gefühl eines wirklichen Staatsmanns oder einer Gruppe fähiger Staatsmänner
erzeugt auch das notwendige Vertrauen in der Schicht der Unterführer. Aller¬
dings ist die Voraussetzung oben, in der Mitte und unten ein überindividueller
Opfergeist. Nur ein gesunder Mittelstand kann die unentbehrliche Unterführer¬
schicht, nur eine Heimattreue Masse dann die sich der Führung anvertrauende
Substanz lebendiger Kraft liefern. Und hier münden wir wieder in den Spahn-
schen Gedankengang ein. Er sieht in der Wirtschaft die endgültige Zerrüttung
noch nicht als gewiß an, da diese im Unterschied zum Staat in Stinnes,
Thyssen usw. wirkliche Führer besitzt. Leben oder Tod unserer Wirtschaft hängt
zunächst davon ab, ob diese Führer staatsmännisch groß, weit und deutsch denken
oder nicht. Im Staat dagegen glaubt Spahn den Weg eines Führers durch
Klassen- und Parteigeist, Mechanisierung, Bureaukratisierung und Materialcheruna.
versperrt. Den tiefsten Pessimismus aber flößt ihm folgender innerer Widerspruch
unserer Lage ein: Die Masse, die infolge des allgemeinen Sttmmrechts alle
staatlichen'Entscheidungen bestimmt, ist ihrer heutigen geistigen Struktur nach
unfähig zum Verständnis der Staatsnotwendigkeiten, unfähig zur Verantwortung.
Sie kann politisch nicht mehr entrechtet werden, folglich alle Führerschaft in
Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unterbinden (S. L3).

Diesen Pessimismus, wie gesagt, vermögen wir nicht zu teilen. Hatten
wir nur die tragfähige Unterführerschicht, d. h. einen einheitlich fühlenden und


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[0083] Aus neuen Büchern nicht minder zersetzt als Wirtschaft und Gesellschaft/ ja bei ihm hat sich die Ent¬ wicklung am unnatürlichsten und raschesten von deutschen Überlieferungen entfernt. Die Bourgeoisie hat Mitte des 19. Jahrhunderts der Monarchie und dem Beamtentum durch eine „Umgehungsbewegung" auf staatlichem Machtgebiet die gesellschaftlich-wirtschaftliche Führung abgerungen/ dazu mußte sie die konstitutionelle Demokratie nach westlichem Vorbild einführen. Aber sie vermochte nicht bei der ihren Interessen am meisten entsprechenden gemäßigten Form haltzumachen. Indem nämlich sich das Unternehmertum nun mit dem Beamtentum in Verwaltung und Gesetzgebung teilte, wuchs die Arbeiterschaft mit Hilfe des vom Bürgertum als geheiligtes Menschenrecht geachteten allgemeinen Wahlrechts zu einem Faktor heran, der zwar nicht mitregieren, aber den Staat blockieren und die Massen mit einem negativen Machtgemhl erfüllen konnte. Die Parteien ähneln den Klassen in ihrer horizontalen Schichtung. Die Bureaukratisierung der Verwaltung hat ihr Gegenstück in der Bureaukratisierung der Parteien und Klassen¬ organisationen. Im kapitalistischen Zeitalter hat der einzelne keine Zeit mehr frei für die Anliegen der Allgemeinheit, er überläßt diese seinen bezahlten An¬ gestellten, und schrumpft als öffentliche Persönlichkeit ein, während der angestellte Berufspolitiker nicht als freies Manneswesen, sondern als immer ausgebreitetere unproduktive Verbraucherschicht dem Gew um- und Klassengeist und dem charakter¬ losen Beutesystem huldigt. In so verflüchtigter Verantwortung zeigt keiner der zahllosen Mtregenten des Gemeinwesens mehr landesvärerliches Fühlen, nicht einmal staatsmännisches Denken. Mit der Verantwortung aber weicht das Vertrauen der Regierten zum Staat, und niemand mag mehr opfern, wo an Stelle eines Landesvaters oder Staatsmannes ein Erzberger steht, der Politik und Geschäft verwechselt. spähn meint, daß, vor allem nach der Zerstörung unseres Heeres durch den Feind eigentliches Führertum in unserem Staat nicht mehr möglich sei, da diese nicht nur auf periönlichen Fähigkeiten, sondern auch auf Treue und Opferbereitschast einer Gefolgschaft beruht. Wir sind in diesem Punkt einer weniger pessimistischen Ansicht und meinen, daß auch in Zukunft der Deutsche, wenn gut geführt, alles, wenn schlecht geführt, nichts ist. Allerdings ist er undankbar und reißt den Führer gern vom Pferde. Das bekannte Wort Friedrichs des Großen zu dem Schweizer Sulzer behält leider geschichtliche Gesetzeskraft für den deutschen Charakter. Indes hat mindestens der preußisch erzogene Teil unseres unerschöpflich jungen und begabten Volkes die anererbte Fähigkeit, einem Staatsmann zeitweilig zu gehorchen, und die Not der Zeit erteilt deutliche Lehren auf den Zwingherrn zum Guten hin. Verantwortungs¬ gefühl eines wirklichen Staatsmanns oder einer Gruppe fähiger Staatsmänner erzeugt auch das notwendige Vertrauen in der Schicht der Unterführer. Aller¬ dings ist die Voraussetzung oben, in der Mitte und unten ein überindividueller Opfergeist. Nur ein gesunder Mittelstand kann die unentbehrliche Unterführer¬ schicht, nur eine Heimattreue Masse dann die sich der Führung anvertrauende Substanz lebendiger Kraft liefern. Und hier münden wir wieder in den Spahn- schen Gedankengang ein. Er sieht in der Wirtschaft die endgültige Zerrüttung noch nicht als gewiß an, da diese im Unterschied zum Staat in Stinnes, Thyssen usw. wirkliche Führer besitzt. Leben oder Tod unserer Wirtschaft hängt zunächst davon ab, ob diese Führer staatsmännisch groß, weit und deutsch denken oder nicht. Im Staat dagegen glaubt Spahn den Weg eines Führers durch Klassen- und Parteigeist, Mechanisierung, Bureaukratisierung und Materialcheruna. versperrt. Den tiefsten Pessimismus aber flößt ihm folgender innerer Widerspruch unserer Lage ein: Die Masse, die infolge des allgemeinen Sttmmrechts alle staatlichen'Entscheidungen bestimmt, ist ihrer heutigen geistigen Struktur nach unfähig zum Verständnis der Staatsnotwendigkeiten, unfähig zur Verantwortung. Sie kann politisch nicht mehr entrechtet werden, folglich alle Führerschaft in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unterbinden (S. L3). Diesen Pessimismus, wie gesagt, vermögen wir nicht zu teilen. Hatten wir nur die tragfähige Unterführerschicht, d. h. einen einheitlich fühlenden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/83>, abgerufen am 23.11.2024.