Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.poincare und Marokko Status die Einwilligung Deutschlands notwendig sei, das bedeutende Interessen im Die Preisgabe Marokkos an Frankreich lag in der Linie jener von Bismarck Ernstere Formen schien der Zusammenstoß init England heraufbeschwören zu poincare und Marokko Status die Einwilligung Deutschlands notwendig sei, das bedeutende Interessen im Die Preisgabe Marokkos an Frankreich lag in der Linie jener von Bismarck Ernstere Formen schien der Zusammenstoß init England heraufbeschwören zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338860"/> <fw type="header" place="top"> poincare und Marokko</fw><lb/> <p xml:id="ID_212" prev="#ID_211"> Status die Einwilligung Deutschlands notwendig sei, das bedeutende Interessen im<lb/> Scherifenlande zu vertreten hatte. Wie gänzlich haltlos PoinccrrSs Behauptung ist,<lb/> der Coup von Agadir sei eine Kriegsdrohung gewesen, ergibt sich aus den nach¬<lb/> folgenden Verhandlungen mit der Pariser Regierung, die im Herbst 1911 zu einem<lb/> Vertrage mit Marokko führten, in dem Deutschland gegen eine Bürgschaft für seine<lb/> wirtschaftlichen Interessen im Scherifenreiche und eine Entschädigung im französischen<lb/> Kongogebiet Marokko den Franzosen überließ. Seitdem war die deutsche Regierung<lb/> bemüht, die ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem Marokkoabkonnnen getreu zu<lb/> erfüllen, hatte aber bis zum Ausbruch des Weltkrieges ständig mit den Schikanen der<lb/> Franzosen zu kämpfen. Die gleichen Beschwerden, wie sie die deutschen Kaufleute<lb/> vorbrachten, wurden übrigens auch von den Engländern geltend gemacht. Der<lb/> französische Beamte sah nämlich in dem auf Grund des deutsch-französischen Marokko¬<lb/> abkommens geschaffemn Protektorat über Marokko die Herstellung eines wirtschaft¬<lb/> lichen Monopols für die Franzosen. Jeder fremde Wettbewerb sollte ausgeschaltet<lb/> werden. Das jedem Begriff von Billigkeit und Gerechtigkeit hohnsprechende Ver¬<lb/> halten der französischen Protektoratsverwaltung bei Kriegsausbruch zeigt ein: deut¬<lb/> lichsten, wie die Franzosen nur bestrebt waren, jede deutsche Betätigung auf<lb/> marokkanischen Boden zu unterbinden und auszurotten.</p><lb/> <p xml:id="ID_213"> Die Preisgabe Marokkos an Frankreich lag in der Linie jener von Bismarck<lb/> eingeleiteten, mit den Anfängen der deutschen kolonialen Betätigung zusammen¬<lb/> fallenden Politik, dem französischen Ehrgeiz eine überseeische Beschäftigung zu geben<lb/> und ihn damit von Europa abzuwenden. Man hatte in Berlin geglaubt, daß die<lb/> Franzosen in Nordafrika, Jndochina und Madagaskar sich festlegen würden, und<lb/> daß ihnen aus ihren kolonialen Erwerbungen Konflikte mit anderen Mächten<lb/> erwachsen würden. Tunesien hatte allerdings Frankreich zeitweilig mit Italien ent¬<lb/> zweit. Das von Sizilien nur wenig entfernte Herrschaftsgebiet von Tunis wies<lb/> seit langem eine starke und betriebsame italienische Kolonie auf, die auch heute noch<lb/> besteht. Das reiche Land schien schon wegen seiner geographischen Lage dazu<lb/> bestimmt, einmal unter italienischen Einfluß zu kommen, und in Italien hat man<lb/> die Errichtung des französischen Protektorats lange nicht überwunden, bis man sich<lb/> schließlich durch die Anwartschaft auf das arme und verhältnismäßig wertlose<lb/> Tripolitanien verlocken ließ, sich mit der französischen Besetzung von Tunis abzu¬<lb/> finden. Nach den ersten Mißerfolgen gegen Menelik von Abessinien wollten die<lb/> Italiener sich um jeden Preis ein Kolonialgcbiet schaffen. In Abessinien suchten<lb/> sie sich gegen die Konkurrenz der Engländer und Franzosen wieder durchzusetzen.<lb/> Aber trotz des diplomatischen Geschicks, das Italien hier entfaltete, und durch das<lb/> sich namentlich der langjährige Gesandte in Abif Abeba, Graf Colii, auszeichnete,<lb/> mußt« Rom einsehen, daß Abessinien ihm niemals ganz zufallen würde, sondern daß<lb/> es seine Stellung dort mit Engländern und Franzosen würde teilen müssen. So<lb/> wurde Tripolitanien als Ersatz angenommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_214" next="#ID_215"> Ernstere Formen schien der Zusammenstoß init England heraufbeschwören zu<lb/> sollen, den der kühne Zug des französischen Generals Marchvnd nach Faschoda herauf¬<lb/> beschwor. Aber Frankreich wußte seine kolonialen Bestrebungen hinter den Er¬<lb/> fordernissen der allgemeinen Politik zurückzustellen, und das entwicklungsfähige Reich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
poincare und Marokko
Status die Einwilligung Deutschlands notwendig sei, das bedeutende Interessen im
Scherifenlande zu vertreten hatte. Wie gänzlich haltlos PoinccrrSs Behauptung ist,
der Coup von Agadir sei eine Kriegsdrohung gewesen, ergibt sich aus den nach¬
folgenden Verhandlungen mit der Pariser Regierung, die im Herbst 1911 zu einem
Vertrage mit Marokko führten, in dem Deutschland gegen eine Bürgschaft für seine
wirtschaftlichen Interessen im Scherifenreiche und eine Entschädigung im französischen
Kongogebiet Marokko den Franzosen überließ. Seitdem war die deutsche Regierung
bemüht, die ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem Marokkoabkonnnen getreu zu
erfüllen, hatte aber bis zum Ausbruch des Weltkrieges ständig mit den Schikanen der
Franzosen zu kämpfen. Die gleichen Beschwerden, wie sie die deutschen Kaufleute
vorbrachten, wurden übrigens auch von den Engländern geltend gemacht. Der
französische Beamte sah nämlich in dem auf Grund des deutsch-französischen Marokko¬
abkommens geschaffemn Protektorat über Marokko die Herstellung eines wirtschaft¬
lichen Monopols für die Franzosen. Jeder fremde Wettbewerb sollte ausgeschaltet
werden. Das jedem Begriff von Billigkeit und Gerechtigkeit hohnsprechende Ver¬
halten der französischen Protektoratsverwaltung bei Kriegsausbruch zeigt ein: deut¬
lichsten, wie die Franzosen nur bestrebt waren, jede deutsche Betätigung auf
marokkanischen Boden zu unterbinden und auszurotten.
Die Preisgabe Marokkos an Frankreich lag in der Linie jener von Bismarck
eingeleiteten, mit den Anfängen der deutschen kolonialen Betätigung zusammen¬
fallenden Politik, dem französischen Ehrgeiz eine überseeische Beschäftigung zu geben
und ihn damit von Europa abzuwenden. Man hatte in Berlin geglaubt, daß die
Franzosen in Nordafrika, Jndochina und Madagaskar sich festlegen würden, und
daß ihnen aus ihren kolonialen Erwerbungen Konflikte mit anderen Mächten
erwachsen würden. Tunesien hatte allerdings Frankreich zeitweilig mit Italien ent¬
zweit. Das von Sizilien nur wenig entfernte Herrschaftsgebiet von Tunis wies
seit langem eine starke und betriebsame italienische Kolonie auf, die auch heute noch
besteht. Das reiche Land schien schon wegen seiner geographischen Lage dazu
bestimmt, einmal unter italienischen Einfluß zu kommen, und in Italien hat man
die Errichtung des französischen Protektorats lange nicht überwunden, bis man sich
schließlich durch die Anwartschaft auf das arme und verhältnismäßig wertlose
Tripolitanien verlocken ließ, sich mit der französischen Besetzung von Tunis abzu¬
finden. Nach den ersten Mißerfolgen gegen Menelik von Abessinien wollten die
Italiener sich um jeden Preis ein Kolonialgcbiet schaffen. In Abessinien suchten
sie sich gegen die Konkurrenz der Engländer und Franzosen wieder durchzusetzen.
Aber trotz des diplomatischen Geschicks, das Italien hier entfaltete, und durch das
sich namentlich der langjährige Gesandte in Abif Abeba, Graf Colii, auszeichnete,
mußt« Rom einsehen, daß Abessinien ihm niemals ganz zufallen würde, sondern daß
es seine Stellung dort mit Engländern und Franzosen würde teilen müssen. So
wurde Tripolitanien als Ersatz angenommen.
Ernstere Formen schien der Zusammenstoß init England heraufbeschwören zu
sollen, den der kühne Zug des französischen Generals Marchvnd nach Faschoda herauf¬
beschwor. Aber Frankreich wußte seine kolonialen Bestrebungen hinter den Er¬
fordernissen der allgemeinen Politik zurückzustellen, und das entwicklungsfähige Reich
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