Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weltspiegel

Zamal Pascha hat den Führern noch größere Mengen an Munition versprochen, Mahendra
Partap, der während des Krieges deutscher Agent war, hat unter den Stämmen weiter nördlich
in Chitral, Waldau und Pamir agitiert. Die Bolschewisten beschäftigen noch andere frühere
deutsche Agenten, z, B. Barkatallah, der den ersten bolschewistischen Gesandten Bravin nach
Kabul begleitete, Ascharigcch und Abbur Nab, die mit Suritz nach Kabul kamen, Mookerjce,
der in der Moskaner Zentrale sitzt und Marabindra Nada Reh, der von Taschkend in Turkestan
die Verbindung mit aufrührerischen Elementen in Indien aufgenommen hat. In Taschkend
befindet sich die Bastei der Jndienpropaganda mit einer politischen Abteilung und einem
militärischen Zentrum, hier werden alle nach Turkestan kommenden Inder in revolutionärer
Taktik unterrichtet und Emissäre durch Afghanistan nach Indien ausgesandt. Die Absicht der
Sowjetregierung, dies Zentrum von Taschkend sobald wie möglich nach Kabul zu verlegen,
kann nicht abgeleugnet werden. Suritz hat versucht, Druckereien in Kabul zu errichten, und
es ist unbestreitbar, daß Propaganda in Indien eine der Hauptbeschäftigungen der Konsulate
bilden würde, die man in Kandahar, Ghazni und Jalalabad einzurichten beabsichtigt. Die
englische Regierung hat gegen Abkommen zwischen der afghanischen und der Sowjctregierung,
die in der üblichen Weise nachbarliche und Handelsbeziehungen regeln, nichts einzuwenden,
obgleich selbst, die russische Zarenregierung anerkannt hat, daß Afghanistan außerhalb ihrer
Einflußzone läge. Aber die jüngsten afghanisch-russischen Verhandlungen gehen unter anderen:
auf Lieferung von Geld, Munition und Flugzeugen an die afghanische Regierung und auf die
Errichtung von Sowjetkonsulaten an den östlichen Grenzen von Afghanistan, und unter den
gegenwärtigen Umständen und in Anbetracht, daß Nußland in Ostafghanistan keinerlei
Handelsinteressen wahrzunehmen hat, kann die britische Regierung solche Unterhandlungen nicht
anders denn als antibritisch bezeichnen und muß auf ihrer Einstellung bestehen."

Auch der mildeste Optimist wird nicht behaupten wollen, daß ein derartiges
Schreiben gerade der reinste Ausdruck beiderseitigen Wunsches nach "friedlichen
Handelsbeziehungen" sei, und die Engländer selbst werden die letzten sein, die sich
mit der Hoffnung schmeicheln, daß nun mit der Unterzeichnung des Abkommens
die Sowjctprvpaganda in Asien mit einem Schlage aufhören werde. Sie müssen
sich eben damit begnügen, diese Propaganda ein wenig erschwert zu haben und
aus dem mehr oder weniger erwiesenen Bruch des Abkommens von selten der
Sowjets einen Vorwand herleiten zu können, auch ihrerseits, wenn nötig, das
Abkommen zu verletzen.

Von noch größerer Wichtigkeit sind zwei weitere Bestimmungen des Ab¬
kommens :

"Die britische Regierung verpflichtet sich, an keiner Maßnahme teilzunehmen oder sie
zu unterstützen, die darauf ausgeht oder auszugehen sucht, russische Schiffe in der Ausübung
der, Schiffen anderer Nationen zustehenden, Rechte freier Schiffahrt auf offenem Meer, in Meer¬
engen und Wasserwegen einzuschrauben oder zu hemmen."

Damit ist die freie Dardanellcndurchfahrt für Rußland gesichert und diesem
die Möglichkeit gegeben, später in der im Vertrag von Sövres vorgesehenen
Mecrengcnkvnnnissivn seinen Platz einzunehmen. Die zweite wichtige Bestimmung
ist die des Artikels IX, daß russische Zahlungsmittel, einerlei, ob sie in Gold,
Sicherheiten oder Papieren bestehen, nicht beschlagnahmt werden sollen. Damit
wird also, wenn auch nach Artikel X das bereits in England befindliche Eigentum
der früheren zaristischen Regierung dem Zugriff der 'Sowjctregierung entzogen
sein soll -- eine kleine, durch die Vorgänge nur allzu berechtigte Konzession --,
die augenblickliche Regierung tatsächlich als legale NcchtSnachfolgerin der Zaren-
regierung anerkannt. Bezeichnend für das gegenseitige Mißtrauen ist dann noch
die Bestimmung des Artikels XIII, daß bei einseitigem Bruch des Abkommens
auch die Gegenseite sogleich ihrer Verpflichtungen ledig sein soll, wenn man sich
auch freundlicherweise zugesteht, daß, bevor ein aktiver, und den, Ablonnnen unver¬
einbarer Schritt gegen den Partner unternommen wird, der bclcMgte All dem
anderen vernünftige Gelegenheit geben soll, seine Verfehlung zu erklaren oder
ihrer Auswirkung abzuhelfen.

Den Augenblick des Abschlusses hat Lloyd George mit außerordentlicher
Geschicklichkeit,' allerdings auch von seinem sprichwörtlichen Glück begünstigt,
gewählt. Die französische Presse, die, ans begreiflichen Gründen, besonders


Weltspiegel

Zamal Pascha hat den Führern noch größere Mengen an Munition versprochen, Mahendra
Partap, der während des Krieges deutscher Agent war, hat unter den Stämmen weiter nördlich
in Chitral, Waldau und Pamir agitiert. Die Bolschewisten beschäftigen noch andere frühere
deutsche Agenten, z, B. Barkatallah, der den ersten bolschewistischen Gesandten Bravin nach
Kabul begleitete, Ascharigcch und Abbur Nab, die mit Suritz nach Kabul kamen, Mookerjce,
der in der Moskaner Zentrale sitzt und Marabindra Nada Reh, der von Taschkend in Turkestan
die Verbindung mit aufrührerischen Elementen in Indien aufgenommen hat. In Taschkend
befindet sich die Bastei der Jndienpropaganda mit einer politischen Abteilung und einem
militärischen Zentrum, hier werden alle nach Turkestan kommenden Inder in revolutionärer
Taktik unterrichtet und Emissäre durch Afghanistan nach Indien ausgesandt. Die Absicht der
Sowjetregierung, dies Zentrum von Taschkend sobald wie möglich nach Kabul zu verlegen,
kann nicht abgeleugnet werden. Suritz hat versucht, Druckereien in Kabul zu errichten, und
es ist unbestreitbar, daß Propaganda in Indien eine der Hauptbeschäftigungen der Konsulate
bilden würde, die man in Kandahar, Ghazni und Jalalabad einzurichten beabsichtigt. Die
englische Regierung hat gegen Abkommen zwischen der afghanischen und der Sowjctregierung,
die in der üblichen Weise nachbarliche und Handelsbeziehungen regeln, nichts einzuwenden,
obgleich selbst, die russische Zarenregierung anerkannt hat, daß Afghanistan außerhalb ihrer
Einflußzone läge. Aber die jüngsten afghanisch-russischen Verhandlungen gehen unter anderen:
auf Lieferung von Geld, Munition und Flugzeugen an die afghanische Regierung und auf die
Errichtung von Sowjetkonsulaten an den östlichen Grenzen von Afghanistan, und unter den
gegenwärtigen Umständen und in Anbetracht, daß Nußland in Ostafghanistan keinerlei
Handelsinteressen wahrzunehmen hat, kann die britische Regierung solche Unterhandlungen nicht
anders denn als antibritisch bezeichnen und muß auf ihrer Einstellung bestehen."

Auch der mildeste Optimist wird nicht behaupten wollen, daß ein derartiges
Schreiben gerade der reinste Ausdruck beiderseitigen Wunsches nach „friedlichen
Handelsbeziehungen" sei, und die Engländer selbst werden die letzten sein, die sich
mit der Hoffnung schmeicheln, daß nun mit der Unterzeichnung des Abkommens
die Sowjctprvpaganda in Asien mit einem Schlage aufhören werde. Sie müssen
sich eben damit begnügen, diese Propaganda ein wenig erschwert zu haben und
aus dem mehr oder weniger erwiesenen Bruch des Abkommens von selten der
Sowjets einen Vorwand herleiten zu können, auch ihrerseits, wenn nötig, das
Abkommen zu verletzen.

Von noch größerer Wichtigkeit sind zwei weitere Bestimmungen des Ab¬
kommens :

„Die britische Regierung verpflichtet sich, an keiner Maßnahme teilzunehmen oder sie
zu unterstützen, die darauf ausgeht oder auszugehen sucht, russische Schiffe in der Ausübung
der, Schiffen anderer Nationen zustehenden, Rechte freier Schiffahrt auf offenem Meer, in Meer¬
engen und Wasserwegen einzuschrauben oder zu hemmen."

Damit ist die freie Dardanellcndurchfahrt für Rußland gesichert und diesem
die Möglichkeit gegeben, später in der im Vertrag von Sövres vorgesehenen
Mecrengcnkvnnnissivn seinen Platz einzunehmen. Die zweite wichtige Bestimmung
ist die des Artikels IX, daß russische Zahlungsmittel, einerlei, ob sie in Gold,
Sicherheiten oder Papieren bestehen, nicht beschlagnahmt werden sollen. Damit
wird also, wenn auch nach Artikel X das bereits in England befindliche Eigentum
der früheren zaristischen Regierung dem Zugriff der 'Sowjctregierung entzogen
sein soll — eine kleine, durch die Vorgänge nur allzu berechtigte Konzession —,
die augenblickliche Regierung tatsächlich als legale NcchtSnachfolgerin der Zaren-
regierung anerkannt. Bezeichnend für das gegenseitige Mißtrauen ist dann noch
die Bestimmung des Artikels XIII, daß bei einseitigem Bruch des Abkommens
auch die Gegenseite sogleich ihrer Verpflichtungen ledig sein soll, wenn man sich
auch freundlicherweise zugesteht, daß, bevor ein aktiver, und den, Ablonnnen unver¬
einbarer Schritt gegen den Partner unternommen wird, der bclcMgte All dem
anderen vernünftige Gelegenheit geben soll, seine Verfehlung zu erklaren oder
ihrer Auswirkung abzuhelfen.

Den Augenblick des Abschlusses hat Lloyd George mit außerordentlicher
Geschicklichkeit,' allerdings auch von seinem sprichwörtlichen Glück begünstigt,
gewählt. Die französische Presse, die, ans begreiflichen Gründen, besonders


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338846"/>
          <fw type="header" place="top"> Weltspiegel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_162" prev="#ID_161"> Zamal Pascha hat den Führern noch größere Mengen an Munition versprochen, Mahendra<lb/>
Partap, der während des Krieges deutscher Agent war, hat unter den Stämmen weiter nördlich<lb/>
in Chitral, Waldau und Pamir agitiert. Die Bolschewisten beschäftigen noch andere frühere<lb/>
deutsche Agenten, z, B. Barkatallah, der den ersten bolschewistischen Gesandten Bravin nach<lb/>
Kabul begleitete, Ascharigcch und Abbur Nab, die mit Suritz nach Kabul kamen, Mookerjce,<lb/>
der in der Moskaner Zentrale sitzt und Marabindra Nada Reh, der von Taschkend in Turkestan<lb/>
die Verbindung mit aufrührerischen Elementen in Indien aufgenommen hat. In Taschkend<lb/>
befindet sich die Bastei der Jndienpropaganda mit einer politischen Abteilung und einem<lb/>
militärischen Zentrum, hier werden alle nach Turkestan kommenden Inder in revolutionärer<lb/>
Taktik unterrichtet und Emissäre durch Afghanistan nach Indien ausgesandt. Die Absicht der<lb/>
Sowjetregierung, dies Zentrum von Taschkend sobald wie möglich nach Kabul zu verlegen,<lb/>
kann nicht abgeleugnet werden. Suritz hat versucht, Druckereien in Kabul zu errichten, und<lb/>
es ist unbestreitbar, daß Propaganda in Indien eine der Hauptbeschäftigungen der Konsulate<lb/>
bilden würde, die man in Kandahar, Ghazni und Jalalabad einzurichten beabsichtigt. Die<lb/>
englische Regierung hat gegen Abkommen zwischen der afghanischen und der Sowjctregierung,<lb/>
die in der üblichen Weise nachbarliche und Handelsbeziehungen regeln, nichts einzuwenden,<lb/>
obgleich selbst, die russische Zarenregierung anerkannt hat, daß Afghanistan außerhalb ihrer<lb/>
Einflußzone läge. Aber die jüngsten afghanisch-russischen Verhandlungen gehen unter anderen:<lb/>
auf Lieferung von Geld, Munition und Flugzeugen an die afghanische Regierung und auf die<lb/>
Errichtung von Sowjetkonsulaten an den östlichen Grenzen von Afghanistan, und unter den<lb/>
gegenwärtigen Umständen und in Anbetracht, daß Nußland in Ostafghanistan keinerlei<lb/>
Handelsinteressen wahrzunehmen hat, kann die britische Regierung solche Unterhandlungen nicht<lb/>
anders denn als antibritisch bezeichnen und muß auf ihrer Einstellung bestehen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_163"> Auch der mildeste Optimist wird nicht behaupten wollen, daß ein derartiges<lb/>
Schreiben gerade der reinste Ausdruck beiderseitigen Wunsches nach &#x201E;friedlichen<lb/>
Handelsbeziehungen" sei, und die Engländer selbst werden die letzten sein, die sich<lb/>
mit der Hoffnung schmeicheln, daß nun mit der Unterzeichnung des Abkommens<lb/>
die Sowjctprvpaganda in Asien mit einem Schlage aufhören werde. Sie müssen<lb/>
sich eben damit begnügen, diese Propaganda ein wenig erschwert zu haben und<lb/>
aus dem mehr oder weniger erwiesenen Bruch des Abkommens von selten der<lb/>
Sowjets einen Vorwand herleiten zu können, auch ihrerseits, wenn nötig, das<lb/>
Abkommen zu verletzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_164"> Von noch größerer Wichtigkeit sind zwei weitere Bestimmungen des Ab¬<lb/>
kommens :</p><lb/>
          <p xml:id="ID_165"> &#x201E;Die britische Regierung verpflichtet sich, an keiner Maßnahme teilzunehmen oder sie<lb/>
zu unterstützen, die darauf ausgeht oder auszugehen sucht, russische Schiffe in der Ausübung<lb/>
der, Schiffen anderer Nationen zustehenden, Rechte freier Schiffahrt auf offenem Meer, in Meer¬<lb/>
engen und Wasserwegen einzuschrauben oder zu hemmen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_166"> Damit ist die freie Dardanellcndurchfahrt für Rußland gesichert und diesem<lb/>
die Möglichkeit gegeben, später in der im Vertrag von Sövres vorgesehenen<lb/>
Mecrengcnkvnnnissivn seinen Platz einzunehmen. Die zweite wichtige Bestimmung<lb/>
ist die des Artikels IX, daß russische Zahlungsmittel, einerlei, ob sie in Gold,<lb/>
Sicherheiten oder Papieren bestehen, nicht beschlagnahmt werden sollen. Damit<lb/>
wird also, wenn auch nach Artikel X das bereits in England befindliche Eigentum<lb/>
der früheren zaristischen Regierung dem Zugriff der 'Sowjctregierung entzogen<lb/>
sein soll &#x2014; eine kleine, durch die Vorgänge nur allzu berechtigte Konzession &#x2014;,<lb/>
die augenblickliche Regierung tatsächlich als legale NcchtSnachfolgerin der Zaren-<lb/>
regierung anerkannt. Bezeichnend für das gegenseitige Mißtrauen ist dann noch<lb/>
die Bestimmung des Artikels XIII, daß bei einseitigem Bruch des Abkommens<lb/>
auch die Gegenseite sogleich ihrer Verpflichtungen ledig sein soll, wenn man sich<lb/>
auch freundlicherweise zugesteht, daß, bevor ein aktiver, und den, Ablonnnen unver¬<lb/>
einbarer Schritt gegen den Partner unternommen wird, der bclcMgte All dem<lb/>
anderen vernünftige Gelegenheit geben soll, seine Verfehlung zu erklaren oder<lb/>
ihrer Auswirkung abzuhelfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_167" next="#ID_168"> Den Augenblick des Abschlusses hat Lloyd George mit außerordentlicher<lb/>
Geschicklichkeit,' allerdings auch von seinem sprichwörtlichen Glück begünstigt,<lb/>
gewählt.  Die französische Presse, die, ans begreiflichen Gründen, besonders</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Weltspiegel Zamal Pascha hat den Führern noch größere Mengen an Munition versprochen, Mahendra Partap, der während des Krieges deutscher Agent war, hat unter den Stämmen weiter nördlich in Chitral, Waldau und Pamir agitiert. Die Bolschewisten beschäftigen noch andere frühere deutsche Agenten, z, B. Barkatallah, der den ersten bolschewistischen Gesandten Bravin nach Kabul begleitete, Ascharigcch und Abbur Nab, die mit Suritz nach Kabul kamen, Mookerjce, der in der Moskaner Zentrale sitzt und Marabindra Nada Reh, der von Taschkend in Turkestan die Verbindung mit aufrührerischen Elementen in Indien aufgenommen hat. In Taschkend befindet sich die Bastei der Jndienpropaganda mit einer politischen Abteilung und einem militärischen Zentrum, hier werden alle nach Turkestan kommenden Inder in revolutionärer Taktik unterrichtet und Emissäre durch Afghanistan nach Indien ausgesandt. Die Absicht der Sowjetregierung, dies Zentrum von Taschkend sobald wie möglich nach Kabul zu verlegen, kann nicht abgeleugnet werden. Suritz hat versucht, Druckereien in Kabul zu errichten, und es ist unbestreitbar, daß Propaganda in Indien eine der Hauptbeschäftigungen der Konsulate bilden würde, die man in Kandahar, Ghazni und Jalalabad einzurichten beabsichtigt. Die englische Regierung hat gegen Abkommen zwischen der afghanischen und der Sowjctregierung, die in der üblichen Weise nachbarliche und Handelsbeziehungen regeln, nichts einzuwenden, obgleich selbst, die russische Zarenregierung anerkannt hat, daß Afghanistan außerhalb ihrer Einflußzone läge. Aber die jüngsten afghanisch-russischen Verhandlungen gehen unter anderen: auf Lieferung von Geld, Munition und Flugzeugen an die afghanische Regierung und auf die Errichtung von Sowjetkonsulaten an den östlichen Grenzen von Afghanistan, und unter den gegenwärtigen Umständen und in Anbetracht, daß Nußland in Ostafghanistan keinerlei Handelsinteressen wahrzunehmen hat, kann die britische Regierung solche Unterhandlungen nicht anders denn als antibritisch bezeichnen und muß auf ihrer Einstellung bestehen." Auch der mildeste Optimist wird nicht behaupten wollen, daß ein derartiges Schreiben gerade der reinste Ausdruck beiderseitigen Wunsches nach „friedlichen Handelsbeziehungen" sei, und die Engländer selbst werden die letzten sein, die sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß nun mit der Unterzeichnung des Abkommens die Sowjctprvpaganda in Asien mit einem Schlage aufhören werde. Sie müssen sich eben damit begnügen, diese Propaganda ein wenig erschwert zu haben und aus dem mehr oder weniger erwiesenen Bruch des Abkommens von selten der Sowjets einen Vorwand herleiten zu können, auch ihrerseits, wenn nötig, das Abkommen zu verletzen. Von noch größerer Wichtigkeit sind zwei weitere Bestimmungen des Ab¬ kommens : „Die britische Regierung verpflichtet sich, an keiner Maßnahme teilzunehmen oder sie zu unterstützen, die darauf ausgeht oder auszugehen sucht, russische Schiffe in der Ausübung der, Schiffen anderer Nationen zustehenden, Rechte freier Schiffahrt auf offenem Meer, in Meer¬ engen und Wasserwegen einzuschrauben oder zu hemmen." Damit ist die freie Dardanellcndurchfahrt für Rußland gesichert und diesem die Möglichkeit gegeben, später in der im Vertrag von Sövres vorgesehenen Mecrengcnkvnnnissivn seinen Platz einzunehmen. Die zweite wichtige Bestimmung ist die des Artikels IX, daß russische Zahlungsmittel, einerlei, ob sie in Gold, Sicherheiten oder Papieren bestehen, nicht beschlagnahmt werden sollen. Damit wird also, wenn auch nach Artikel X das bereits in England befindliche Eigentum der früheren zaristischen Regierung dem Zugriff der 'Sowjctregierung entzogen sein soll — eine kleine, durch die Vorgänge nur allzu berechtigte Konzession —, die augenblickliche Regierung tatsächlich als legale NcchtSnachfolgerin der Zaren- regierung anerkannt. Bezeichnend für das gegenseitige Mißtrauen ist dann noch die Bestimmung des Artikels XIII, daß bei einseitigem Bruch des Abkommens auch die Gegenseite sogleich ihrer Verpflichtungen ledig sein soll, wenn man sich auch freundlicherweise zugesteht, daß, bevor ein aktiver, und den, Ablonnnen unver¬ einbarer Schritt gegen den Partner unternommen wird, der bclcMgte All dem anderen vernünftige Gelegenheit geben soll, seine Verfehlung zu erklaren oder ihrer Auswirkung abzuhelfen. Den Augenblick des Abschlusses hat Lloyd George mit außerordentlicher Geschicklichkeit,' allerdings auch von seinem sprichwörtlichen Glück begünstigt, gewählt. Die französische Presse, die, ans begreiflichen Gründen, besonders

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/45>, abgerufen am 23.11.2024.