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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Die militär-politische Tage in Polen

Zwischen den Rechts- und Linksparteier. klafft eine breite, tiefe Kluft. Die
Rechtsparteien sind die Hauptvertreter des polnischen Imperialismus und erfreuen
sich dementsprechend der besonderen Gunst Frankreichs. Sie sind etwa gleich stark
wie die Mittel' und Linksparteien zusammen und suchen dem polnischen Staats¬
leben einen rechtsgerichteten.Kurs für die Zukunft zu geben. Ihre Haltung
stützt sich vor allen Dingen auf die ehemals preußischen Teilgebiete, in denen die
Autonomiebewegung in der letzten Zeit wieder bedenklich ausgelebt ist. Diese
erstrebt nicht etwa aber die Rückkehr der Provinzen zu Deutschland, im Gegenteil
die Nationaldemokraten sind die größten Deutschenfeinde, sondern die Verlegung
des Schwergewichts des polnischen Staatslebens von Warschau nach Posen unter
Anschluß Oberschlesiens an die früheren preußischen Teilgebiete. Man sieht in
diesen den Stammsitz des großpolnischeu Gedankens, die Hauptstütze des polnischen
Staates und erblickt daher nur in einer solchen Losung eine Gefahr für dessen
Bestand. Für uns sind diese Bestrebungen von allergrößten Interesse angesichts
der Schlußfolgerungen, die sich daraus für Oberschlesien ergeben. Einst waren
Posen und Westpreußen die Quellen, an denen das gänzlich heruntergekommene
Polen gesunden sollte, heute ist es Oberschlesien in verstärktem Maße.

Durch die Ausdehnung nach Westen und Osten hat sich die 17--18 Millionen
zählende Bevölkerung des -polnischen Kerngebiets auf 24--25 Millionen ver¬
größert. Von diesen sind jedoch nur etwa 13 Millionen Polen. Zwei Millionen
sind Deutsche, 2-3 Millionen Juden. 4,2 Millionen Ukrainer, 2 Millionen
Weißrussen und V" Million Litauer. Polen hat demnach in der Zusammensetzung
der Bevölkerung eine große Ähnlichkeit mit dem österreichisch-ungarischen Staat
angenommen. Darin liegt für das heutige Polen eine außerordentliche Gefahr.

Zusammenfassend läßt sich über die militärisch-politische Lage in Polen
sagen: In seinem Innern durch Partei- und völkische Gegensätze zerrissen, wirt¬
schaftlich und finanziell heruntergekommen, dabei dank französischem Einfluß von
einem grenzenlosen Militarismus und Imperialismus liegt das heutige Polen
eingeengt zwischen zwei augenblicklich zwar dank Revolution und Umsturz wehr¬
lose, aber der Zahl nach doch große Völker, mit denen es dank polnischer Hab¬
gier trotz aller gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen durch territoriale und
völkische Gegensätze -- und sie sind die entscheidenden im Völkerleben -- auf
Leben und Tod verfeindet ist. Das kann -- ohne prophezeien zu wollen -- auf
die Dauer nicht zum Guten führen.




Die militär-politische Tage in Polen

Zwischen den Rechts- und Linksparteier. klafft eine breite, tiefe Kluft. Die
Rechtsparteien sind die Hauptvertreter des polnischen Imperialismus und erfreuen
sich dementsprechend der besonderen Gunst Frankreichs. Sie sind etwa gleich stark
wie die Mittel' und Linksparteien zusammen und suchen dem polnischen Staats¬
leben einen rechtsgerichteten.Kurs für die Zukunft zu geben. Ihre Haltung
stützt sich vor allen Dingen auf die ehemals preußischen Teilgebiete, in denen die
Autonomiebewegung in der letzten Zeit wieder bedenklich ausgelebt ist. Diese
erstrebt nicht etwa aber die Rückkehr der Provinzen zu Deutschland, im Gegenteil
die Nationaldemokraten sind die größten Deutschenfeinde, sondern die Verlegung
des Schwergewichts des polnischen Staatslebens von Warschau nach Posen unter
Anschluß Oberschlesiens an die früheren preußischen Teilgebiete. Man sieht in
diesen den Stammsitz des großpolnischeu Gedankens, die Hauptstütze des polnischen
Staates und erblickt daher nur in einer solchen Losung eine Gefahr für dessen
Bestand. Für uns sind diese Bestrebungen von allergrößten Interesse angesichts
der Schlußfolgerungen, die sich daraus für Oberschlesien ergeben. Einst waren
Posen und Westpreußen die Quellen, an denen das gänzlich heruntergekommene
Polen gesunden sollte, heute ist es Oberschlesien in verstärktem Maße.

Durch die Ausdehnung nach Westen und Osten hat sich die 17—18 Millionen
zählende Bevölkerung des -polnischen Kerngebiets auf 24—25 Millionen ver¬
größert. Von diesen sind jedoch nur etwa 13 Millionen Polen. Zwei Millionen
sind Deutsche, 2-3 Millionen Juden. 4,2 Millionen Ukrainer, 2 Millionen
Weißrussen und V» Million Litauer. Polen hat demnach in der Zusammensetzung
der Bevölkerung eine große Ähnlichkeit mit dem österreichisch-ungarischen Staat
angenommen. Darin liegt für das heutige Polen eine außerordentliche Gefahr.

Zusammenfassend läßt sich über die militärisch-politische Lage in Polen
sagen: In seinem Innern durch Partei- und völkische Gegensätze zerrissen, wirt¬
schaftlich und finanziell heruntergekommen, dabei dank französischem Einfluß von
einem grenzenlosen Militarismus und Imperialismus liegt das heutige Polen
eingeengt zwischen zwei augenblicklich zwar dank Revolution und Umsturz wehr¬
lose, aber der Zahl nach doch große Völker, mit denen es dank polnischer Hab¬
gier trotz aller gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen durch territoriale und
völkische Gegensätze — und sie sind die entscheidenden im Völkerleben — auf
Leben und Tod verfeindet ist. Das kann — ohne prophezeien zu wollen — auf
die Dauer nicht zum Guten führen.




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[0320] Die militär-politische Tage in Polen Zwischen den Rechts- und Linksparteier. klafft eine breite, tiefe Kluft. Die Rechtsparteien sind die Hauptvertreter des polnischen Imperialismus und erfreuen sich dementsprechend der besonderen Gunst Frankreichs. Sie sind etwa gleich stark wie die Mittel' und Linksparteien zusammen und suchen dem polnischen Staats¬ leben einen rechtsgerichteten.Kurs für die Zukunft zu geben. Ihre Haltung stützt sich vor allen Dingen auf die ehemals preußischen Teilgebiete, in denen die Autonomiebewegung in der letzten Zeit wieder bedenklich ausgelebt ist. Diese erstrebt nicht etwa aber die Rückkehr der Provinzen zu Deutschland, im Gegenteil die Nationaldemokraten sind die größten Deutschenfeinde, sondern die Verlegung des Schwergewichts des polnischen Staatslebens von Warschau nach Posen unter Anschluß Oberschlesiens an die früheren preußischen Teilgebiete. Man sieht in diesen den Stammsitz des großpolnischeu Gedankens, die Hauptstütze des polnischen Staates und erblickt daher nur in einer solchen Losung eine Gefahr für dessen Bestand. Für uns sind diese Bestrebungen von allergrößten Interesse angesichts der Schlußfolgerungen, die sich daraus für Oberschlesien ergeben. Einst waren Posen und Westpreußen die Quellen, an denen das gänzlich heruntergekommene Polen gesunden sollte, heute ist es Oberschlesien in verstärktem Maße. Durch die Ausdehnung nach Westen und Osten hat sich die 17—18 Millionen zählende Bevölkerung des -polnischen Kerngebiets auf 24—25 Millionen ver¬ größert. Von diesen sind jedoch nur etwa 13 Millionen Polen. Zwei Millionen sind Deutsche, 2-3 Millionen Juden. 4,2 Millionen Ukrainer, 2 Millionen Weißrussen und V» Million Litauer. Polen hat demnach in der Zusammensetzung der Bevölkerung eine große Ähnlichkeit mit dem österreichisch-ungarischen Staat angenommen. Darin liegt für das heutige Polen eine außerordentliche Gefahr. Zusammenfassend läßt sich über die militärisch-politische Lage in Polen sagen: In seinem Innern durch Partei- und völkische Gegensätze zerrissen, wirt¬ schaftlich und finanziell heruntergekommen, dabei dank französischem Einfluß von einem grenzenlosen Militarismus und Imperialismus liegt das heutige Polen eingeengt zwischen zwei augenblicklich zwar dank Revolution und Umsturz wehr¬ lose, aber der Zahl nach doch große Völker, mit denen es dank polnischer Hab¬ gier trotz aller gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen durch territoriale und völkische Gegensätze — und sie sind die entscheidenden im Völkerleben — auf Leben und Tod verfeindet ist. Das kann — ohne prophezeien zu wollen — auf die Dauer nicht zum Guten führen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/320>, abgerufen am 23.11.2024.