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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Die militär-xolitische Lage in Polen

damit in der Haltung der tschechischen Presse, die bisher fast ohne Ausnahme
polenfeindlich, nun auf einmal in das Gegenteil umgefallen ist.

Die Gründe für den Umschwung in der tschechischen Polen- und Ober-
schlesien-Politik sind klar. Einmal würde die Tschecho-Slowakei im Falle einer
für Polen günstigen Abstimmung nach dem Friedensvertrag außer dem Hultschiner-
Ländchen, auch noch den südlichen Teil des Kreises Leobschütz erhalten -- man
steht, wie glänzend die französische Politik im Frühjahr 1919 vorgearbeitet hat --
dann aber fürchtete Herr Benesch anscheinend im Falle einer für Polen ungünstigen
Abstimmung ein Wiederaufleben des polnischen Appetites auf die seinerzeit durch
Entente-Schiedsspruch der Tschecho-Slowakei zugesprochenen Kohlengebiete von
Mührisch-Ostrau. Schließlich soll Warschau den Tschechen für den Fall einer
Besitzergreifung Oberschlesiens die Grafschaft Glatz, ja sogar das linke Oder-Ufer
mit den Städten Kösel, Leobschütz und Rcitibor unter der Bedingung versprochen
haben, daß die Tschecho-Slowatei dafür die südliche Ecke Karpatho-Nuthemens an
Ungarn abtritt und Polen damit zu einer gemeinsamen Grenze mit Ungarn ver¬
hilft, wofür dieses endgültig auf die Slowakei verzichtet. Diese Nachricht klingt
nicht unwahrscheinlich angesichts der Rede des tschechischen Außenministers im
Parlament: "Mit Rücksicht auf die Aussichten im Osten und in Deutschland
müssen wir im Süden Ruhe und Frieden haben. Das bedeutet definitive Ver¬
einbarungen zwischen uns und den anderen Nachfolgestaaten. Wir werden in
dieser oder jener Hinsicht gewisse Opfer bringen müssen, die aber bestimmt sind,
mit anderen kompensiert zu werden." --

Das polnische Verhältnis zu Rumänien lag bereits seit dem vorigen Sommer
klar. Die gemeinsame Bolschewistengefahr hatte beide Länder zusammengebracht
und die ihnen gemeinsame Freundschaft Frankreichs das übrige getan. Zwischen
Polen und Rumänien sehen wir nunmehr als unmittelbare Folge der französisch-
polnischen Verhandlungen im Verfolg der bisherigen Beziehungen den Abschluß
eines regelrechten Bündnisses, das in eine Militärkonvention und ein Handels¬
abkommen zerfällt. Es soll sich angeblich nur gegen den Bolschewismus richten.

In dem Gesamtbild der polnisch-französischen Außen- bzw. Deutschland-
Rußland-Politik fehlen noch Ungarn und Bulgarien. Was dem Anschluß dieser
beiden Staaten an das große, unter polnischer Führung stehende Bündnis ent¬
gegensteht, das sind ihre Gegensätze zu Rumänien und Südslawien. In dieser
dürfte aber ein Ausgleich Nur noch eine Frage der Zeit sein.

So sehen wir Polen auf der ganzen Linie feiner Außenpolitik als den ge¬
schäftigen Vasallen Frankreichs. Die gesamte polnische Außenpolitik steht im
Zeichen der französisch-polnischen Entente.

Voraussetzung für eine in dieser Linie sich bewegende polnische Außenpolitik
war und ist eine starke polnische Armee, und so waren Frankreich und Polen
sofort nach dem Zusammenbruch Deutschlands bemüht, eine solche für Polen zu
schaffen.
'

Heute hat das kaum 25 Millionen Menschen zählende Polenreich eine
Armee von über 600 000 Mann. Sie besteht aus etwa 25 Jnfanteridivisionen
und 9 Kavalleriebrigaden und ist hervorgegangen aus den kongreßpolnischen, den
ehemaligen Haller- und den Posener Truppen, drei völlig voneinander ver¬
schiedenen Gruppen, die im Herbst 1919 miteinander verschmolzen wurden. An


Die militär-xolitische Lage in Polen

damit in der Haltung der tschechischen Presse, die bisher fast ohne Ausnahme
polenfeindlich, nun auf einmal in das Gegenteil umgefallen ist.

Die Gründe für den Umschwung in der tschechischen Polen- und Ober-
schlesien-Politik sind klar. Einmal würde die Tschecho-Slowakei im Falle einer
für Polen günstigen Abstimmung nach dem Friedensvertrag außer dem Hultschiner-
Ländchen, auch noch den südlichen Teil des Kreises Leobschütz erhalten — man
steht, wie glänzend die französische Politik im Frühjahr 1919 vorgearbeitet hat —
dann aber fürchtete Herr Benesch anscheinend im Falle einer für Polen ungünstigen
Abstimmung ein Wiederaufleben des polnischen Appetites auf die seinerzeit durch
Entente-Schiedsspruch der Tschecho-Slowakei zugesprochenen Kohlengebiete von
Mührisch-Ostrau. Schließlich soll Warschau den Tschechen für den Fall einer
Besitzergreifung Oberschlesiens die Grafschaft Glatz, ja sogar das linke Oder-Ufer
mit den Städten Kösel, Leobschütz und Rcitibor unter der Bedingung versprochen
haben, daß die Tschecho-Slowatei dafür die südliche Ecke Karpatho-Nuthemens an
Ungarn abtritt und Polen damit zu einer gemeinsamen Grenze mit Ungarn ver¬
hilft, wofür dieses endgültig auf die Slowakei verzichtet. Diese Nachricht klingt
nicht unwahrscheinlich angesichts der Rede des tschechischen Außenministers im
Parlament: „Mit Rücksicht auf die Aussichten im Osten und in Deutschland
müssen wir im Süden Ruhe und Frieden haben. Das bedeutet definitive Ver¬
einbarungen zwischen uns und den anderen Nachfolgestaaten. Wir werden in
dieser oder jener Hinsicht gewisse Opfer bringen müssen, die aber bestimmt sind,
mit anderen kompensiert zu werden." —

Das polnische Verhältnis zu Rumänien lag bereits seit dem vorigen Sommer
klar. Die gemeinsame Bolschewistengefahr hatte beide Länder zusammengebracht
und die ihnen gemeinsame Freundschaft Frankreichs das übrige getan. Zwischen
Polen und Rumänien sehen wir nunmehr als unmittelbare Folge der französisch-
polnischen Verhandlungen im Verfolg der bisherigen Beziehungen den Abschluß
eines regelrechten Bündnisses, das in eine Militärkonvention und ein Handels¬
abkommen zerfällt. Es soll sich angeblich nur gegen den Bolschewismus richten.

In dem Gesamtbild der polnisch-französischen Außen- bzw. Deutschland-
Rußland-Politik fehlen noch Ungarn und Bulgarien. Was dem Anschluß dieser
beiden Staaten an das große, unter polnischer Führung stehende Bündnis ent¬
gegensteht, das sind ihre Gegensätze zu Rumänien und Südslawien. In dieser
dürfte aber ein Ausgleich Nur noch eine Frage der Zeit sein.

So sehen wir Polen auf der ganzen Linie feiner Außenpolitik als den ge¬
schäftigen Vasallen Frankreichs. Die gesamte polnische Außenpolitik steht im
Zeichen der französisch-polnischen Entente.

Voraussetzung für eine in dieser Linie sich bewegende polnische Außenpolitik
war und ist eine starke polnische Armee, und so waren Frankreich und Polen
sofort nach dem Zusammenbruch Deutschlands bemüht, eine solche für Polen zu
schaffen.
'

Heute hat das kaum 25 Millionen Menschen zählende Polenreich eine
Armee von über 600 000 Mann. Sie besteht aus etwa 25 Jnfanteridivisionen
und 9 Kavalleriebrigaden und ist hervorgegangen aus den kongreßpolnischen, den
ehemaligen Haller- und den Posener Truppen, drei völlig voneinander ver¬
schiedenen Gruppen, die im Herbst 1919 miteinander verschmolzen wurden. An


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[0317] Die militär-xolitische Lage in Polen damit in der Haltung der tschechischen Presse, die bisher fast ohne Ausnahme polenfeindlich, nun auf einmal in das Gegenteil umgefallen ist. Die Gründe für den Umschwung in der tschechischen Polen- und Ober- schlesien-Politik sind klar. Einmal würde die Tschecho-Slowakei im Falle einer für Polen günstigen Abstimmung nach dem Friedensvertrag außer dem Hultschiner- Ländchen, auch noch den südlichen Teil des Kreises Leobschütz erhalten — man steht, wie glänzend die französische Politik im Frühjahr 1919 vorgearbeitet hat — dann aber fürchtete Herr Benesch anscheinend im Falle einer für Polen ungünstigen Abstimmung ein Wiederaufleben des polnischen Appetites auf die seinerzeit durch Entente-Schiedsspruch der Tschecho-Slowakei zugesprochenen Kohlengebiete von Mührisch-Ostrau. Schließlich soll Warschau den Tschechen für den Fall einer Besitzergreifung Oberschlesiens die Grafschaft Glatz, ja sogar das linke Oder-Ufer mit den Städten Kösel, Leobschütz und Rcitibor unter der Bedingung versprochen haben, daß die Tschecho-Slowatei dafür die südliche Ecke Karpatho-Nuthemens an Ungarn abtritt und Polen damit zu einer gemeinsamen Grenze mit Ungarn ver¬ hilft, wofür dieses endgültig auf die Slowakei verzichtet. Diese Nachricht klingt nicht unwahrscheinlich angesichts der Rede des tschechischen Außenministers im Parlament: „Mit Rücksicht auf die Aussichten im Osten und in Deutschland müssen wir im Süden Ruhe und Frieden haben. Das bedeutet definitive Ver¬ einbarungen zwischen uns und den anderen Nachfolgestaaten. Wir werden in dieser oder jener Hinsicht gewisse Opfer bringen müssen, die aber bestimmt sind, mit anderen kompensiert zu werden." — Das polnische Verhältnis zu Rumänien lag bereits seit dem vorigen Sommer klar. Die gemeinsame Bolschewistengefahr hatte beide Länder zusammengebracht und die ihnen gemeinsame Freundschaft Frankreichs das übrige getan. Zwischen Polen und Rumänien sehen wir nunmehr als unmittelbare Folge der französisch- polnischen Verhandlungen im Verfolg der bisherigen Beziehungen den Abschluß eines regelrechten Bündnisses, das in eine Militärkonvention und ein Handels¬ abkommen zerfällt. Es soll sich angeblich nur gegen den Bolschewismus richten. In dem Gesamtbild der polnisch-französischen Außen- bzw. Deutschland- Rußland-Politik fehlen noch Ungarn und Bulgarien. Was dem Anschluß dieser beiden Staaten an das große, unter polnischer Führung stehende Bündnis ent¬ gegensteht, das sind ihre Gegensätze zu Rumänien und Südslawien. In dieser dürfte aber ein Ausgleich Nur noch eine Frage der Zeit sein. So sehen wir Polen auf der ganzen Linie feiner Außenpolitik als den ge¬ schäftigen Vasallen Frankreichs. Die gesamte polnische Außenpolitik steht im Zeichen der französisch-polnischen Entente. Voraussetzung für eine in dieser Linie sich bewegende polnische Außenpolitik war und ist eine starke polnische Armee, und so waren Frankreich und Polen sofort nach dem Zusammenbruch Deutschlands bemüht, eine solche für Polen zu schaffen. ' Heute hat das kaum 25 Millionen Menschen zählende Polenreich eine Armee von über 600 000 Mann. Sie besteht aus etwa 25 Jnfanteridivisionen und 9 Kavalleriebrigaden und ist hervorgegangen aus den kongreßpolnischen, den ehemaligen Haller- und den Posener Truppen, drei völlig voneinander ver¬ schiedenen Gruppen, die im Herbst 1919 miteinander verschmolzen wurden. An

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/317>, abgerufen am 24.11.2024.