Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.Parlamentarismus und berufsständischer Gedanke siegten, unter eifriger Beihilfe des Sozialismus, über den einfachen und natür¬ Parlamentarismus und berufsständischer Gedanke siegten, unter eifriger Beihilfe des Sozialismus, über den einfachen und natür¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339106"/> <fw type="header" place="top"> Parlamentarismus und berufsständischer Gedanke</fw><lb/> <p xml:id="ID_1046" prev="#ID_1045" next="#ID_1047"> siegten, unter eifriger Beihilfe des Sozialismus, über den einfachen und natür¬<lb/> lichen Gedanken, daß ein großes Staatswesen den realen Volkskräften nur dienen<lb/> kann, wenn es sie sich selbständig entfalten läßt. Daher liegt das Schwergewicht<lb/> der ganzen Frage berufsständischer Vertretungen, wie sie sich uns heute darstellt,<lb/> zu mindest im Stadium des Aufbaues, nicht in der Spitze, sondern in den<lb/> unteren Stufen. Die wiederaufbauende Arbeit des berufsständischen<lb/> Gedankens nutz den umgekehrten Weg gehen, wie die zersetzende<lb/> des Parlamentarismus. Der Parlamentarismus hat sich von der Spitze<lb/> nach unten fortgesetzt, hat alles in Parteien gespalten und in Debattierklubs auf¬<lb/> gelöst. Die produktive Arbeit, gerade auch die auf politischem Gebiete in den<lb/> unteren Stellen, wie Gemeinde- und Kommunalverbänden, ist darüber zum Teufel<lb/> gegangen. Ist der berufsständische Gedanke ein Mittel dafür, daß die dem Staate<lb/> entfremdeten produktiven Volkskräfte den Staat wieder als ihren Staat empfinden<lb/> lernen, so muß er sich von unten nach oben fortsetzen. Wir haben in der unteren<lb/> Stufe genügend berufliche Organe, wir brauchen keine neuen, ganz besonders<lb/> nicht, wenn man sich entschließt, die großen Berussverbände, die sich mit monopol¬<lb/> artiger Tendenz durchgesetzt haben, zu legalisieren und nur insoweit zu ergänzen,<lb/> als auch die in ihnen nicht vertretenen Schichten eine angemessene Vertretung<lb/> erhalten müssen. Was aber not tut, ist alle diese Organe, so wie sie natürlich<lb/> entstanden sind, nunmehr auch in natürlicher Weise zu verbinden und sie nicht<lb/> durch ein neues Schema von oben wieder zu durchkreuzen. Das kann nur dadurch<lb/> geschehen, daß zwischen ihnen als Gliedern einer höheren Einheit eine reinliche<lb/> Arbeitsteilung stattfindet. Man hat es als Vorzug des Parlamentarismus ge¬<lb/> priesen, daß er die früher so strenge Teilung zwischen Gesetzgebung und Ver¬<lb/> waltung beseitigt hat; das „Volk" habe dadurch seinen Einfluß bis in die letzten<lb/> Ecken staatlichen Wirkens ausgedehnt. Über Berechtigung und Zweckmäßigkeit<lb/> dieses Grundsatzes läßt sich streiten. In Deutschland hat man seine Vorzüge<lb/> jedenfalls schwächer empfunden als seine Nachteile. Setzt er sich neben dem<lb/> berufsständischen Gedanken weiter durch, so kann die durch die berufsständische<lb/> Gliederung bedingte Teilung zwischen den Interessensphären des Staates und der<lb/> Berufsstände nur dadurch erfolgen, daß dem Gedanken der Selbstverwaltung<lb/> wieder weiter Raum gegeben wird, nicht nur auf dem Gebiets der eigent¬<lb/> lichen Verwaltung fertiger Gebilde, sondern gerade auch auf dem gesetzgeberischen<lb/> der Einrichtung und Ausgestaltung ihrer Gliederung. Das bedeutet eine Ein¬<lb/> engung der Staatsgewalt auf organisatorischem Gebiete. Selbst der<lb/> Sozialismus wird zugeben müssen, daß die schlechten Erfahrungen,, die der Staat<lb/> in den letzten Jahren mit seiner zentralistischen Organisationstätigkeit gemacht hat<lb/> einer Abkehr von ihr das Wort reden. Die Selbstverwaltung der großen Berufs-<lb/> stände muß aber irgendwie räumlich Wurzel schlagen, sie muß „bodenständig"<lb/> ein. Sie hat weiter nur Sinn, wenn die produktive Struktur der Berufe, insbe-<lb/> sondere der Industrie so grundlegend berücksichtigt wird, wie sie sich nun einmal<lb/> in Kartellen. 'Syndikaten, Interessengemeinschaften, gemeinwirischaftlichen und ge¬<lb/> mischtwirtschaftlichen Unternehmen und dergleichen entwickelt hat. Diese produktive<lb/> Struktur ist vielfach räumlich über den Bezirk der alten politischen Selbstver¬<lb/> waltungskörper hinausgewachsen. Der Begriff „Wirtschaftsprovinzen" wurde ge¬<lb/> prägt und beginnt aller Widerstände ungeachtet sich Geltung zu verschaffen; das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0305]
Parlamentarismus und berufsständischer Gedanke
siegten, unter eifriger Beihilfe des Sozialismus, über den einfachen und natür¬
lichen Gedanken, daß ein großes Staatswesen den realen Volkskräften nur dienen
kann, wenn es sie sich selbständig entfalten läßt. Daher liegt das Schwergewicht
der ganzen Frage berufsständischer Vertretungen, wie sie sich uns heute darstellt,
zu mindest im Stadium des Aufbaues, nicht in der Spitze, sondern in den
unteren Stufen. Die wiederaufbauende Arbeit des berufsständischen
Gedankens nutz den umgekehrten Weg gehen, wie die zersetzende
des Parlamentarismus. Der Parlamentarismus hat sich von der Spitze
nach unten fortgesetzt, hat alles in Parteien gespalten und in Debattierklubs auf¬
gelöst. Die produktive Arbeit, gerade auch die auf politischem Gebiete in den
unteren Stellen, wie Gemeinde- und Kommunalverbänden, ist darüber zum Teufel
gegangen. Ist der berufsständische Gedanke ein Mittel dafür, daß die dem Staate
entfremdeten produktiven Volkskräfte den Staat wieder als ihren Staat empfinden
lernen, so muß er sich von unten nach oben fortsetzen. Wir haben in der unteren
Stufe genügend berufliche Organe, wir brauchen keine neuen, ganz besonders
nicht, wenn man sich entschließt, die großen Berussverbände, die sich mit monopol¬
artiger Tendenz durchgesetzt haben, zu legalisieren und nur insoweit zu ergänzen,
als auch die in ihnen nicht vertretenen Schichten eine angemessene Vertretung
erhalten müssen. Was aber not tut, ist alle diese Organe, so wie sie natürlich
entstanden sind, nunmehr auch in natürlicher Weise zu verbinden und sie nicht
durch ein neues Schema von oben wieder zu durchkreuzen. Das kann nur dadurch
geschehen, daß zwischen ihnen als Gliedern einer höheren Einheit eine reinliche
Arbeitsteilung stattfindet. Man hat es als Vorzug des Parlamentarismus ge¬
priesen, daß er die früher so strenge Teilung zwischen Gesetzgebung und Ver¬
waltung beseitigt hat; das „Volk" habe dadurch seinen Einfluß bis in die letzten
Ecken staatlichen Wirkens ausgedehnt. Über Berechtigung und Zweckmäßigkeit
dieses Grundsatzes läßt sich streiten. In Deutschland hat man seine Vorzüge
jedenfalls schwächer empfunden als seine Nachteile. Setzt er sich neben dem
berufsständischen Gedanken weiter durch, so kann die durch die berufsständische
Gliederung bedingte Teilung zwischen den Interessensphären des Staates und der
Berufsstände nur dadurch erfolgen, daß dem Gedanken der Selbstverwaltung
wieder weiter Raum gegeben wird, nicht nur auf dem Gebiets der eigent¬
lichen Verwaltung fertiger Gebilde, sondern gerade auch auf dem gesetzgeberischen
der Einrichtung und Ausgestaltung ihrer Gliederung. Das bedeutet eine Ein¬
engung der Staatsgewalt auf organisatorischem Gebiete. Selbst der
Sozialismus wird zugeben müssen, daß die schlechten Erfahrungen,, die der Staat
in den letzten Jahren mit seiner zentralistischen Organisationstätigkeit gemacht hat
einer Abkehr von ihr das Wort reden. Die Selbstverwaltung der großen Berufs-
stände muß aber irgendwie räumlich Wurzel schlagen, sie muß „bodenständig"
ein. Sie hat weiter nur Sinn, wenn die produktive Struktur der Berufe, insbe-
sondere der Industrie so grundlegend berücksichtigt wird, wie sie sich nun einmal
in Kartellen. 'Syndikaten, Interessengemeinschaften, gemeinwirischaftlichen und ge¬
mischtwirtschaftlichen Unternehmen und dergleichen entwickelt hat. Diese produktive
Struktur ist vielfach räumlich über den Bezirk der alten politischen Selbstver¬
waltungskörper hinausgewachsen. Der Begriff „Wirtschaftsprovinzen" wurde ge¬
prägt und beginnt aller Widerstände ungeachtet sich Geltung zu verschaffen; das
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