Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Bücher ans Österreich

Eine Persönlichkeit reichster Eigenart strahlt aus den Werken MaxMells,
der nach jahrelangem Schweigen nun wieder mit einigen schmalen Bänden hervor¬
getreten ist. Da ist einmal "Das Wiener Kripperl von 1919". In Form eines
KriPPensvielcs hat hier Max Meil sowohl ein dichterisches als menschlich hoch¬
stehendes Werk gegeben. Die ganze Not der Wiener Bevölkerung, die ganze
schreckliche Nachkriegszeit wird hier in erschütterter Weise gestaltet. (Verlag der
Wila, Wien.) In einem anderen österreichischen Verlage (Eduard Strande) erschien
von dem gleichen Verfasser eine schmale Erzählung //Hans Hochgedacht und
sein Weib"/ die man ruhig unter die Perlen deutscher Novellistik reihen darf.
Niemand wird ohne tiefe Ergriffenheit diese ländliche Ehegeschichte lesen/ die neben
einem reinen klaren Stile auch den Vorzug reinlicher Psychologie besitzt. Der
Musarion-Verlag in München brachte eben auch eine Novelle in Versen //Die
Osterfeier" und ein schmales Bändchen "Gedichte" von Max Meil. Die
"Osterfeier" das ist eine stille/ feine Geschichte voll heimlicher Reize, in einem
ruhigen freundlichen Tone erzählt in behaglicher epischer Breite und doch reich an
dramatischen Augenblicken. Nur schade/ daß manchmal der Fluß der Verse gestört
ist. In den "Gedichten" schließlich sind einzelne köstliche Stücke enthalten, so vor
allem "Hochsvmmernacht".

Ich liege wach und lausche.
Ich weiß, es ist schon spät,
Ich horch' auf die Musik hinaus,
Die in den Wiesen geht.
Die Sonne, die sie tranken,
Hat tief sie aufgeregt,
Daß lang noch an der Last des Lichts
Ihr Puls im dunkeln trägt.

Härter, männlicher vielleicht, ist Mirko Jelusich in seinem Romane
"Der Thyrsosstab" (Leonhardt-Verlag, Wien). Eine bedeutende Gestaltung
des Don-Juan-Problems stellt dieser Roman dar in einer Vertiefung, wie sie
dieser Stoff noch selten erfuhr. Gewagte, Szenen finden sich in dem Romane,
aber gerade diese sind von einer großen innerlichen Reinheit erfüllt, da sie von
der ernsten künstlerischen Absicht getragen sind, eine restlose Darstellung des
Menschen zu geben. Die Gestalt des Erotikers in Reinkultur beherrscht den Roman,
dessen unfehlbarer Zusammenbruch aber ist niemals zweifelhaft, an der Beschränktheit
des einzigen Wunsches dieses Daseins zerbricht es. Das macht das hohe Ethos
dieses Romans aus, der auch technisch auf einer ansehnlichen Höhe steht.

Den Beschluß dieser bunten Reihe möge die Erzählung eines der' ersten
deutschen Lyriker bilden, "Die einzige Sünde" von Franz Karl Ginzkey.
(Verlag, L. Staakmann, Leipzig.) sprachlich allein schon ist diese Novelle dem
"Ketzer von Socmci" Gerhart Hauptmanns gleichzustellen. Ginzkey ist einer von
denen, die jahrelang schweigen, um dann plötzlich mit einer so feinen, reifen Gabe
wieder hervorzutreten. Die einzige Sünde, das ist die Sünde im Geiste. Major
Degenhart erzählt dem Verfasser während eines nächtlichen Spazierganges in der
herrlichen Gebirgswelc Südtirols die Geschichte einer Liebe, die Geschichte einer
Frau von überirdischer Reinheit und Milde. Selten wurde ein so reines, kristall-


Neue Bücher ans Österreich

Eine Persönlichkeit reichster Eigenart strahlt aus den Werken MaxMells,
der nach jahrelangem Schweigen nun wieder mit einigen schmalen Bänden hervor¬
getreten ist. Da ist einmal „Das Wiener Kripperl von 1919". In Form eines
KriPPensvielcs hat hier Max Meil sowohl ein dichterisches als menschlich hoch¬
stehendes Werk gegeben. Die ganze Not der Wiener Bevölkerung, die ganze
schreckliche Nachkriegszeit wird hier in erschütterter Weise gestaltet. (Verlag der
Wila, Wien.) In einem anderen österreichischen Verlage (Eduard Strande) erschien
von dem gleichen Verfasser eine schmale Erzählung //Hans Hochgedacht und
sein Weib"/ die man ruhig unter die Perlen deutscher Novellistik reihen darf.
Niemand wird ohne tiefe Ergriffenheit diese ländliche Ehegeschichte lesen/ die neben
einem reinen klaren Stile auch den Vorzug reinlicher Psychologie besitzt. Der
Musarion-Verlag in München brachte eben auch eine Novelle in Versen //Die
Osterfeier" und ein schmales Bändchen „Gedichte" von Max Meil. Die
„Osterfeier" das ist eine stille/ feine Geschichte voll heimlicher Reize, in einem
ruhigen freundlichen Tone erzählt in behaglicher epischer Breite und doch reich an
dramatischen Augenblicken. Nur schade/ daß manchmal der Fluß der Verse gestört
ist. In den „Gedichten" schließlich sind einzelne köstliche Stücke enthalten, so vor
allem „Hochsvmmernacht".

Ich liege wach und lausche.
Ich weiß, es ist schon spät,
Ich horch' auf die Musik hinaus,
Die in den Wiesen geht.
Die Sonne, die sie tranken,
Hat tief sie aufgeregt,
Daß lang noch an der Last des Lichts
Ihr Puls im dunkeln trägt.

Härter, männlicher vielleicht, ist Mirko Jelusich in seinem Romane
„Der Thyrsosstab" (Leonhardt-Verlag, Wien). Eine bedeutende Gestaltung
des Don-Juan-Problems stellt dieser Roman dar in einer Vertiefung, wie sie
dieser Stoff noch selten erfuhr. Gewagte, Szenen finden sich in dem Romane,
aber gerade diese sind von einer großen innerlichen Reinheit erfüllt, da sie von
der ernsten künstlerischen Absicht getragen sind, eine restlose Darstellung des
Menschen zu geben. Die Gestalt des Erotikers in Reinkultur beherrscht den Roman,
dessen unfehlbarer Zusammenbruch aber ist niemals zweifelhaft, an der Beschränktheit
des einzigen Wunsches dieses Daseins zerbricht es. Das macht das hohe Ethos
dieses Romans aus, der auch technisch auf einer ansehnlichen Höhe steht.

Den Beschluß dieser bunten Reihe möge die Erzählung eines der' ersten
deutschen Lyriker bilden, „Die einzige Sünde" von Franz Karl Ginzkey.
(Verlag, L. Staakmann, Leipzig.) sprachlich allein schon ist diese Novelle dem
„Ketzer von Socmci" Gerhart Hauptmanns gleichzustellen. Ginzkey ist einer von
denen, die jahrelang schweigen, um dann plötzlich mit einer so feinen, reifen Gabe
wieder hervorzutreten. Die einzige Sünde, das ist die Sünde im Geiste. Major
Degenhart erzählt dem Verfasser während eines nächtlichen Spazierganges in der
herrlichen Gebirgswelc Südtirols die Geschichte einer Liebe, die Geschichte einer
Frau von überirdischer Reinheit und Milde. Selten wurde ein so reines, kristall-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339051"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Bücher ans Österreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_866"> Eine Persönlichkeit reichster Eigenart strahlt aus den Werken MaxMells,<lb/>
der nach jahrelangem Schweigen nun wieder mit einigen schmalen Bänden hervor¬<lb/>
getreten ist. Da ist einmal &#x201E;Das Wiener Kripperl von 1919". In Form eines<lb/>
KriPPensvielcs hat hier Max Meil sowohl ein dichterisches als menschlich hoch¬<lb/>
stehendes Werk gegeben. Die ganze Not der Wiener Bevölkerung, die ganze<lb/>
schreckliche Nachkriegszeit wird hier in erschütterter Weise gestaltet. (Verlag der<lb/>
Wila, Wien.) In einem anderen österreichischen Verlage (Eduard Strande) erschien<lb/>
von dem gleichen Verfasser eine schmale Erzählung //Hans Hochgedacht und<lb/>
sein Weib"/ die man ruhig unter die Perlen deutscher Novellistik reihen darf.<lb/>
Niemand wird ohne tiefe Ergriffenheit diese ländliche Ehegeschichte lesen/ die neben<lb/>
einem reinen klaren Stile auch den Vorzug reinlicher Psychologie besitzt. Der<lb/>
Musarion-Verlag in München brachte eben auch eine Novelle in Versen //Die<lb/>
Osterfeier" und ein schmales Bändchen &#x201E;Gedichte" von Max Meil. Die<lb/>
&#x201E;Osterfeier" das ist eine stille/ feine Geschichte voll heimlicher Reize, in einem<lb/>
ruhigen freundlichen Tone erzählt in behaglicher epischer Breite und doch reich an<lb/>
dramatischen Augenblicken. Nur schade/ daß manchmal der Fluß der Verse gestört<lb/>
ist. In den &#x201E;Gedichten" schließlich sind einzelne köstliche Stücke enthalten, so vor<lb/>
allem &#x201E;Hochsvmmernacht".</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_9" type="poem">
            <l> Ich liege wach und lausche.<lb/>
Ich weiß, es ist schon spät,<lb/>
Ich horch' auf die Musik hinaus,<lb/>
Die in den Wiesen geht.</l>
            <l> Die Sonne, die sie tranken,<lb/>
Hat tief sie aufgeregt,<lb/>
Daß lang noch an der Last des Lichts<lb/>
Ihr Puls im dunkeln trägt.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_867"> Härter, männlicher vielleicht, ist Mirko Jelusich in seinem Romane<lb/>
&#x201E;Der Thyrsosstab" (Leonhardt-Verlag, Wien). Eine bedeutende Gestaltung<lb/>
des Don-Juan-Problems stellt dieser Roman dar in einer Vertiefung, wie sie<lb/>
dieser Stoff noch selten erfuhr. Gewagte, Szenen finden sich in dem Romane,<lb/>
aber gerade diese sind von einer großen innerlichen Reinheit erfüllt, da sie von<lb/>
der ernsten künstlerischen Absicht getragen sind, eine restlose Darstellung des<lb/>
Menschen zu geben. Die Gestalt des Erotikers in Reinkultur beherrscht den Roman,<lb/>
dessen unfehlbarer Zusammenbruch aber ist niemals zweifelhaft, an der Beschränktheit<lb/>
des einzigen Wunsches dieses Daseins zerbricht es. Das macht das hohe Ethos<lb/>
dieses Romans aus, der auch technisch auf einer ansehnlichen Höhe steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868" next="#ID_869"> Den Beschluß dieser bunten Reihe möge die Erzählung eines der' ersten<lb/>
deutschen Lyriker bilden, &#x201E;Die einzige Sünde" von Franz Karl Ginzkey.<lb/>
(Verlag, L. Staakmann, Leipzig.) sprachlich allein schon ist diese Novelle dem<lb/>
&#x201E;Ketzer von Socmci" Gerhart Hauptmanns gleichzustellen. Ginzkey ist einer von<lb/>
denen, die jahrelang schweigen, um dann plötzlich mit einer so feinen, reifen Gabe<lb/>
wieder hervorzutreten. Die einzige Sünde, das ist die Sünde im Geiste. Major<lb/>
Degenhart erzählt dem Verfasser während eines nächtlichen Spazierganges in der<lb/>
herrlichen Gebirgswelc Südtirols die Geschichte einer Liebe, die Geschichte einer<lb/>
Frau von überirdischer Reinheit und Milde. Selten wurde ein so reines, kristall-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Neue Bücher ans Österreich Eine Persönlichkeit reichster Eigenart strahlt aus den Werken MaxMells, der nach jahrelangem Schweigen nun wieder mit einigen schmalen Bänden hervor¬ getreten ist. Da ist einmal „Das Wiener Kripperl von 1919". In Form eines KriPPensvielcs hat hier Max Meil sowohl ein dichterisches als menschlich hoch¬ stehendes Werk gegeben. Die ganze Not der Wiener Bevölkerung, die ganze schreckliche Nachkriegszeit wird hier in erschütterter Weise gestaltet. (Verlag der Wila, Wien.) In einem anderen österreichischen Verlage (Eduard Strande) erschien von dem gleichen Verfasser eine schmale Erzählung //Hans Hochgedacht und sein Weib"/ die man ruhig unter die Perlen deutscher Novellistik reihen darf. Niemand wird ohne tiefe Ergriffenheit diese ländliche Ehegeschichte lesen/ die neben einem reinen klaren Stile auch den Vorzug reinlicher Psychologie besitzt. Der Musarion-Verlag in München brachte eben auch eine Novelle in Versen //Die Osterfeier" und ein schmales Bändchen „Gedichte" von Max Meil. Die „Osterfeier" das ist eine stille/ feine Geschichte voll heimlicher Reize, in einem ruhigen freundlichen Tone erzählt in behaglicher epischer Breite und doch reich an dramatischen Augenblicken. Nur schade/ daß manchmal der Fluß der Verse gestört ist. In den „Gedichten" schließlich sind einzelne köstliche Stücke enthalten, so vor allem „Hochsvmmernacht". Ich liege wach und lausche. Ich weiß, es ist schon spät, Ich horch' auf die Musik hinaus, Die in den Wiesen geht. Die Sonne, die sie tranken, Hat tief sie aufgeregt, Daß lang noch an der Last des Lichts Ihr Puls im dunkeln trägt. Härter, männlicher vielleicht, ist Mirko Jelusich in seinem Romane „Der Thyrsosstab" (Leonhardt-Verlag, Wien). Eine bedeutende Gestaltung des Don-Juan-Problems stellt dieser Roman dar in einer Vertiefung, wie sie dieser Stoff noch selten erfuhr. Gewagte, Szenen finden sich in dem Romane, aber gerade diese sind von einer großen innerlichen Reinheit erfüllt, da sie von der ernsten künstlerischen Absicht getragen sind, eine restlose Darstellung des Menschen zu geben. Die Gestalt des Erotikers in Reinkultur beherrscht den Roman, dessen unfehlbarer Zusammenbruch aber ist niemals zweifelhaft, an der Beschränktheit des einzigen Wunsches dieses Daseins zerbricht es. Das macht das hohe Ethos dieses Romans aus, der auch technisch auf einer ansehnlichen Höhe steht. Den Beschluß dieser bunten Reihe möge die Erzählung eines der' ersten deutschen Lyriker bilden, „Die einzige Sünde" von Franz Karl Ginzkey. (Verlag, L. Staakmann, Leipzig.) sprachlich allein schon ist diese Novelle dem „Ketzer von Socmci" Gerhart Hauptmanns gleichzustellen. Ginzkey ist einer von denen, die jahrelang schweigen, um dann plötzlich mit einer so feinen, reifen Gabe wieder hervorzutreten. Die einzige Sünde, das ist die Sünde im Geiste. Major Degenhart erzählt dem Verfasser während eines nächtlichen Spazierganges in der herrlichen Gebirgswelc Südtirols die Geschichte einer Liebe, die Geschichte einer Frau von überirdischer Reinheit und Milde. Selten wurde ein so reines, kristall-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/250>, abgerufen am 27.11.2024.