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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und England

würde Mr. Chcunberlain Bülow aufsuchen. Von Chamberlain hieß es in dem
Briefe weiter, er wäre ein interessanter und geistvoller Mann, der aber nur für
sich selber spreche und nicht für das Kabinett.

Chamberlain hatte im Schlosse Windsor eine Unterredung mit Bülow. Er
entwickelte ihm als Ideal ein Zusammengehen von Deutschland, England und
Amerika, wie er dies später auch öffentlich tat. Bülow erwiderte, auch ihm wäre
diese Kombination die sympathischste. Deutschland müßte aber zwei Boraussetzungen
daran knüpfen:

1. Deutschland wolle den Frieden. Deshalb dürfe ein deutsch-englisches
Zusammengehen keine Spitze gegen andere Mächte nehmen?
2. müßte eine solche Annäherung, um wirkliches Leben zu erhalten, von
der öffentlichen Meinung der beiden Länder getragen sein.

Chamberlain warf ein, eine maßgebende öffentliche Meinung gäbe es ja irr
Deutschland gar nicht. Graf Bülow erwiderte: "Die i"ni>1i<z oiumon ist bei uns
allerdings politisch nicht so erfahren und instinktsicher wie in England, dennoch ist
sie eine Macht. Man ist in Deutschland erregt gegen England wegen der Ver¬
gewaltigung der Buren, und die englische öffentliche Meinung zeigt sich mehr und
mehr eifersüchtig auf den deutschen Handel."*)

Die englische Regierung möge also, um zu dem erwünschten engen Ein¬
vernehmen zu gelangen, vor allem unterlassen, was die Stimmung in Deutschland
reizen könne.

Es ist ja allgemein bekannt, wie geschickt seit 30 Jahren und länger
das friedliebende englische Publikum durch die Drahtzieher der auswärtigen Politik
in feindselige Stimmung gegen Deutschland versetzt worden ist. Durch Presse,
Wochenschriften, Romane, Theater, Ausstellungen, Kinos, Vereine und unzählige
andere Kanäle wurde der englische Spießbürger in den Glauben versetzt, daß
Deutschland einen Angriff auf den englischen Besitzstand plane. Die Macher dieser
Bewegung waren sich nie darüber im Zweifel, daß der deutsche Angriffswille nur
in ihrer Einbildung bestünde,' aber gerade diese Einbildung mit allen Hilfsmitteln
einer alten politischen Schulung in den Köpfen der Engländer zu verbreiten,
war ihr Ziel.

Wenn man diese systematische Bearbeitung der öffentlichen Meinung neben die
Chamberlainschen Anregungen stellt, kann man den prekären Wert der letzteren
nachfühlen.

England befand sich damals in der schwierigsten Phase des Burenkricges,
und Chamberlain hatte als Urheber desselben persönlich den stärksten Anlaß, die
diplomatische Lage seiner Regierung nach allen Seiten zu erleichtern. Eine Inter¬
vention Frankreichs und Rußlands drohte. England hatte in diesem Augenblick
das dringende Interesse, die russischen und französischen Bajonette gegen Deutsch¬
land zu kehren. Eine enge Verbindung Deutschlands mit England würde unsere
Beziehungen zu Nußland sehr erschwert haben. Andererseits hätte Chamberlain,
der doch nicht aus Liebe zu uns und nicht aus dem Wunsch, unsere Weltstellung
und unseren Welthandel zu fördern, mit uns anbändelte, sich wohl bald wieder



Von der deutschen Flotte war damals noch nicht die Rede, das zweite Flottengesetz
war noch nicht eingebracht.
Deutschland und England

würde Mr. Chcunberlain Bülow aufsuchen. Von Chamberlain hieß es in dem
Briefe weiter, er wäre ein interessanter und geistvoller Mann, der aber nur für
sich selber spreche und nicht für das Kabinett.

Chamberlain hatte im Schlosse Windsor eine Unterredung mit Bülow. Er
entwickelte ihm als Ideal ein Zusammengehen von Deutschland, England und
Amerika, wie er dies später auch öffentlich tat. Bülow erwiderte, auch ihm wäre
diese Kombination die sympathischste. Deutschland müßte aber zwei Boraussetzungen
daran knüpfen:

1. Deutschland wolle den Frieden. Deshalb dürfe ein deutsch-englisches
Zusammengehen keine Spitze gegen andere Mächte nehmen?
2. müßte eine solche Annäherung, um wirkliches Leben zu erhalten, von
der öffentlichen Meinung der beiden Länder getragen sein.

Chamberlain warf ein, eine maßgebende öffentliche Meinung gäbe es ja irr
Deutschland gar nicht. Graf Bülow erwiderte: „Die i»ni>1i<z oiumon ist bei uns
allerdings politisch nicht so erfahren und instinktsicher wie in England, dennoch ist
sie eine Macht. Man ist in Deutschland erregt gegen England wegen der Ver¬
gewaltigung der Buren, und die englische öffentliche Meinung zeigt sich mehr und
mehr eifersüchtig auf den deutschen Handel."*)

Die englische Regierung möge also, um zu dem erwünschten engen Ein¬
vernehmen zu gelangen, vor allem unterlassen, was die Stimmung in Deutschland
reizen könne.

Es ist ja allgemein bekannt, wie geschickt seit 30 Jahren und länger
das friedliebende englische Publikum durch die Drahtzieher der auswärtigen Politik
in feindselige Stimmung gegen Deutschland versetzt worden ist. Durch Presse,
Wochenschriften, Romane, Theater, Ausstellungen, Kinos, Vereine und unzählige
andere Kanäle wurde der englische Spießbürger in den Glauben versetzt, daß
Deutschland einen Angriff auf den englischen Besitzstand plane. Die Macher dieser
Bewegung waren sich nie darüber im Zweifel, daß der deutsche Angriffswille nur
in ihrer Einbildung bestünde,' aber gerade diese Einbildung mit allen Hilfsmitteln
einer alten politischen Schulung in den Köpfen der Engländer zu verbreiten,
war ihr Ziel.

Wenn man diese systematische Bearbeitung der öffentlichen Meinung neben die
Chamberlainschen Anregungen stellt, kann man den prekären Wert der letzteren
nachfühlen.

England befand sich damals in der schwierigsten Phase des Burenkricges,
und Chamberlain hatte als Urheber desselben persönlich den stärksten Anlaß, die
diplomatische Lage seiner Regierung nach allen Seiten zu erleichtern. Eine Inter¬
vention Frankreichs und Rußlands drohte. England hatte in diesem Augenblick
das dringende Interesse, die russischen und französischen Bajonette gegen Deutsch¬
land zu kehren. Eine enge Verbindung Deutschlands mit England würde unsere
Beziehungen zu Nußland sehr erschwert haben. Andererseits hätte Chamberlain,
der doch nicht aus Liebe zu uns und nicht aus dem Wunsch, unsere Weltstellung
und unseren Welthandel zu fördern, mit uns anbändelte, sich wohl bald wieder



Von der deutschen Flotte war damals noch nicht die Rede, das zweite Flottengesetz
war noch nicht eingebracht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/19>, abgerufen am 22.07.2024.