Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand schiedenen antibolschewistischen Zug, aus dem heraus sie den Polen nicht ungern Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand schiedenen antibolschewistischen Zug, aus dem heraus sie den Polen nicht ungern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338981"/> <fw type="header" place="top"> Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand</fw><lb/> <p xml:id="ID_616" prev="#ID_615"> schiedenen antibolschewistischen Zug, aus dem heraus sie den Polen nicht ungern<lb/> einen gewissen Imperialismus zugesteht. Frankreichs zäher Kampf gegen das<lb/> bolschewistische Rußland, in dem die Polen nichts weiter waren als ein für<lb/> französische Interessen kämpfender und blutender Stoßtrupp, verleitete die Polen<lb/> zu dem Glauben, der große Bruder im Westen billige den polnischen Imperialis¬<lb/> mus, während doch in Wahrheit Frankreich durch Niederwerfung des Bolschewis¬<lb/> mus nichts anderes erstrebte als die Wiederaufrichtung eines starken Rußlands,<lb/> um einen mächtigen Bundesgenossen gegen Deutschland zu haben. So zeigte es<lb/> in den letzten Jahren auch durchaus keine antirussische Tendenz (nur eine anti¬<lb/> bolschewistische!), was bei der typisch antideutschen Einstellung der französischen<lb/> Politik ja auch nicht verständlich wäre. Natürlich werden diese nationalistischen<lb/> französischen Interessen geschickt maskiert mit Redewendungen vom Kampfe um<lb/> die Kultur usw. Man müsse, sagte Cl6menceau am 23. Dezember 1919, einen<lb/> Stacheldraht um das bolschewistische Rußland ziehen und denkt dabei neben einem<lb/> starken Polen, das er ausdrücklich erwähnt, an die Reihe der anderen Raubstaaten.<lb/> Polen erscheint in diesem ganzen Spiele als ein raffiniert gesetzter, außerordentlich<lb/> wichtiger Stein, der Frankreichs offene Flanke im Osten decken sollte. Die<lb/> Anzeichen mehren sich, daß Polens hochpolitische Rolle, die es für Frankreich seit<lb/> dem Waffenstillstand gespielt hat, zu Ende geht. Pilsudskis Mißerfolg in Paris<lb/> und die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen zu Sowjetrußland künden eine<lb/> Neuorientierung der französischen Politik im Osten an. Gewiß haben die Polen<lb/> durch ihre sinnlose imperialistische Politik, durch Extratouren, wie den Überfall<lb/> Wilnas im Oktober v. I. durch General ZeligorSki, sich manche Sympathien in<lb/> Frankreich verscherzt, aber bestimmend für Frankreich ist eben doch sein eigenes<lb/> Interesse. Die doppelte Tendenz der französischen Polenpolitik seit dem<lb/> November 1918, antideutsch und antibolschewistisch, herausgeboren aus einer<lb/> völlig unklaren Lage im Osten, wie sie der Zusammenbruch Rußlands gebracht<lb/> hatte, war auf die Dauer unmöglich. Die Klärung der östlichen Verhältnisse hat<lb/> auch am Quai d'Orsai klärend gewirkt: die bisherige antideutsche und anti-<lb/> bolschewistische Polenpolitik ist im Begriff, sich umzustellen zu einer reinen anti¬<lb/> deutschen Ostpolitik Frankreichs.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand
schiedenen antibolschewistischen Zug, aus dem heraus sie den Polen nicht ungern
einen gewissen Imperialismus zugesteht. Frankreichs zäher Kampf gegen das
bolschewistische Rußland, in dem die Polen nichts weiter waren als ein für
französische Interessen kämpfender und blutender Stoßtrupp, verleitete die Polen
zu dem Glauben, der große Bruder im Westen billige den polnischen Imperialis¬
mus, während doch in Wahrheit Frankreich durch Niederwerfung des Bolschewis¬
mus nichts anderes erstrebte als die Wiederaufrichtung eines starken Rußlands,
um einen mächtigen Bundesgenossen gegen Deutschland zu haben. So zeigte es
in den letzten Jahren auch durchaus keine antirussische Tendenz (nur eine anti¬
bolschewistische!), was bei der typisch antideutschen Einstellung der französischen
Politik ja auch nicht verständlich wäre. Natürlich werden diese nationalistischen
französischen Interessen geschickt maskiert mit Redewendungen vom Kampfe um
die Kultur usw. Man müsse, sagte Cl6menceau am 23. Dezember 1919, einen
Stacheldraht um das bolschewistische Rußland ziehen und denkt dabei neben einem
starken Polen, das er ausdrücklich erwähnt, an die Reihe der anderen Raubstaaten.
Polen erscheint in diesem ganzen Spiele als ein raffiniert gesetzter, außerordentlich
wichtiger Stein, der Frankreichs offene Flanke im Osten decken sollte. Die
Anzeichen mehren sich, daß Polens hochpolitische Rolle, die es für Frankreich seit
dem Waffenstillstand gespielt hat, zu Ende geht. Pilsudskis Mißerfolg in Paris
und die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen zu Sowjetrußland künden eine
Neuorientierung der französischen Politik im Osten an. Gewiß haben die Polen
durch ihre sinnlose imperialistische Politik, durch Extratouren, wie den Überfall
Wilnas im Oktober v. I. durch General ZeligorSki, sich manche Sympathien in
Frankreich verscherzt, aber bestimmend für Frankreich ist eben doch sein eigenes
Interesse. Die doppelte Tendenz der französischen Polenpolitik seit dem
November 1918, antideutsch und antibolschewistisch, herausgeboren aus einer
völlig unklaren Lage im Osten, wie sie der Zusammenbruch Rußlands gebracht
hatte, war auf die Dauer unmöglich. Die Klärung der östlichen Verhältnisse hat
auch am Quai d'Orsai klärend gewirkt: die bisherige antideutsche und anti-
bolschewistische Polenpolitik ist im Begriff, sich umzustellen zu einer reinen anti¬
deutschen Ostpolitik Frankreichs.
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