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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und England

DcutsHer?" wurde von den französischen Nberwachungsbeamtcn in Hast abgeführt.
Augenscheinlich war auch seine Frage grundlos. Denn gerade mir, weil Gerlach
ein Deutscher zu sein scheint, kann und darf er so sprechen. Man stelle sich nur
einmal, die Frage, ob Gerlach, wenn er ein Türke wäre, in Kleinasien so geehrt
und unbehelligt sein Wiesbadener Honorar verzehren könnte wie in Berlin. Ob
Oppcrsdorff für die den Polen zugeftthrten Stimmen den Frieden des russischen
Reiches genießen würde? Ob die unter Verrat ihrer Fabrikgcheimnisse kontrakt¬
brüchig nach Amerika geflohenen deutschen Chemiker, wenn sie Iren wären,
drüben viel Freude an ihren Dollars erleben würden? Die deutsche Gesellschaft
befindet sich seit dem UberM auf Düsseldorf und dem Vertragsbruch von London
im Kriegszustand mit der Entente. Sie wird auch die Lügner und Verräter im
eigenen Land, wie es den Anforderungen des Kriegszustandes entspricht, in gesell¬
schaftlichen Ausnahmezustand versetzen lernen. Denn nur dann bilden wir wieder
einen geschlossenen Willen, der im Krieg der passiven Resistenz die einzige, aber
auch die unbedingt erfolgreiche Waffe ist.




Deutschland und England
Glossen zur deutschen Politik vor dem Weltkrieg
Dux von

l'Miismarck sagte gelegentlich in seinem Alter, noch schwerer als mit
des Geschickes Mächten im allgemeinen sei es, mit England einen
Bund zu flechten. Er hatte darin seine eigenen Erfahrungen
gemacht, z. B. im Jahre 1887, als Salisbury auf den bekannten,
von Hammann veröffentlichten Bismarckschen Liebesbrief die kalte
Schulter zeigte. Bismarck hatte dem englischen Premierminister damals ein
Bündnis vorgeschlagen, und zwar ungefähr gleichzeitig mit dem Rückversicherungs-
vertrag, der eine Kriegsgefahr zwischen Rußland und Deutschland ausschließen sollte.
Es ist wohl nicht richtig, zu behaupten, Bismarck hätte den RückVersicherungsvertrag
nur als "pis lutin-" angesehen, weil ihm England ein Bündnis vorenthielt:
Bismarck wollte den RückVersicherungsvertrag um seiner selbst willen, aber in
seiner genialen Art wollte er mit drei Pferden fahren, mit dem Dreibund, dem
RückVersicherungsvertrag und England. Deutschland, dem der Weltfrieden alles
gab, was es brauchte, mußte versuchen, Europa zu binden und sein Auseinander¬
fallen in getrennte Heerlager zu verhindern.

Es blieb also auch 1887 bei dem Wort, das Bismarck 1857 an Gerlach
geschrieben hatte: "Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur
für England und seine Bewohner Sympathie gehabt und bin stundenweis noch
nicht frei davon. Aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen."

Da der Deutsche gern Schuld und Fehler bei sich selber sucht (indes
meistens an anderen Punkten, als wo sie wirklich liegen), so hat sich heute bei
uns die Meinung verbreiten lassen, wir hätten um die Jahrhundertwende ein


Deutschland und England

DcutsHer?" wurde von den französischen Nberwachungsbeamtcn in Hast abgeführt.
Augenscheinlich war auch seine Frage grundlos. Denn gerade mir, weil Gerlach
ein Deutscher zu sein scheint, kann und darf er so sprechen. Man stelle sich nur
einmal, die Frage, ob Gerlach, wenn er ein Türke wäre, in Kleinasien so geehrt
und unbehelligt sein Wiesbadener Honorar verzehren könnte wie in Berlin. Ob
Oppcrsdorff für die den Polen zugeftthrten Stimmen den Frieden des russischen
Reiches genießen würde? Ob die unter Verrat ihrer Fabrikgcheimnisse kontrakt¬
brüchig nach Amerika geflohenen deutschen Chemiker, wenn sie Iren wären,
drüben viel Freude an ihren Dollars erleben würden? Die deutsche Gesellschaft
befindet sich seit dem UberM auf Düsseldorf und dem Vertragsbruch von London
im Kriegszustand mit der Entente. Sie wird auch die Lügner und Verräter im
eigenen Land, wie es den Anforderungen des Kriegszustandes entspricht, in gesell¬
schaftlichen Ausnahmezustand versetzen lernen. Denn nur dann bilden wir wieder
einen geschlossenen Willen, der im Krieg der passiven Resistenz die einzige, aber
auch die unbedingt erfolgreiche Waffe ist.




Deutschland und England
Glossen zur deutschen Politik vor dem Weltkrieg
Dux von

l'Miismarck sagte gelegentlich in seinem Alter, noch schwerer als mit
des Geschickes Mächten im allgemeinen sei es, mit England einen
Bund zu flechten. Er hatte darin seine eigenen Erfahrungen
gemacht, z. B. im Jahre 1887, als Salisbury auf den bekannten,
von Hammann veröffentlichten Bismarckschen Liebesbrief die kalte
Schulter zeigte. Bismarck hatte dem englischen Premierminister damals ein
Bündnis vorgeschlagen, und zwar ungefähr gleichzeitig mit dem Rückversicherungs-
vertrag, der eine Kriegsgefahr zwischen Rußland und Deutschland ausschließen sollte.
Es ist wohl nicht richtig, zu behaupten, Bismarck hätte den RückVersicherungsvertrag
nur als „pis lutin-" angesehen, weil ihm England ein Bündnis vorenthielt:
Bismarck wollte den RückVersicherungsvertrag um seiner selbst willen, aber in
seiner genialen Art wollte er mit drei Pferden fahren, mit dem Dreibund, dem
RückVersicherungsvertrag und England. Deutschland, dem der Weltfrieden alles
gab, was es brauchte, mußte versuchen, Europa zu binden und sein Auseinander¬
fallen in getrennte Heerlager zu verhindern.

Es blieb also auch 1887 bei dem Wort, das Bismarck 1857 an Gerlach
geschrieben hatte: „Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur
für England und seine Bewohner Sympathie gehabt und bin stundenweis noch
nicht frei davon. Aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen."

Da der Deutsche gern Schuld und Fehler bei sich selber sucht (indes
meistens an anderen Punkten, als wo sie wirklich liegen), so hat sich heute bei
uns die Meinung verbreiten lassen, wir hätten um die Jahrhundertwende ein


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[0017] Deutschland und England DcutsHer?" wurde von den französischen Nberwachungsbeamtcn in Hast abgeführt. Augenscheinlich war auch seine Frage grundlos. Denn gerade mir, weil Gerlach ein Deutscher zu sein scheint, kann und darf er so sprechen. Man stelle sich nur einmal, die Frage, ob Gerlach, wenn er ein Türke wäre, in Kleinasien so geehrt und unbehelligt sein Wiesbadener Honorar verzehren könnte wie in Berlin. Ob Oppcrsdorff für die den Polen zugeftthrten Stimmen den Frieden des russischen Reiches genießen würde? Ob die unter Verrat ihrer Fabrikgcheimnisse kontrakt¬ brüchig nach Amerika geflohenen deutschen Chemiker, wenn sie Iren wären, drüben viel Freude an ihren Dollars erleben würden? Die deutsche Gesellschaft befindet sich seit dem UberM auf Düsseldorf und dem Vertragsbruch von London im Kriegszustand mit der Entente. Sie wird auch die Lügner und Verräter im eigenen Land, wie es den Anforderungen des Kriegszustandes entspricht, in gesell¬ schaftlichen Ausnahmezustand versetzen lernen. Denn nur dann bilden wir wieder einen geschlossenen Willen, der im Krieg der passiven Resistenz die einzige, aber auch die unbedingt erfolgreiche Waffe ist. Deutschland und England Glossen zur deutschen Politik vor dem Weltkrieg Dux von l'Miismarck sagte gelegentlich in seinem Alter, noch schwerer als mit des Geschickes Mächten im allgemeinen sei es, mit England einen Bund zu flechten. Er hatte darin seine eigenen Erfahrungen gemacht, z. B. im Jahre 1887, als Salisbury auf den bekannten, von Hammann veröffentlichten Bismarckschen Liebesbrief die kalte Schulter zeigte. Bismarck hatte dem englischen Premierminister damals ein Bündnis vorgeschlagen, und zwar ungefähr gleichzeitig mit dem Rückversicherungs- vertrag, der eine Kriegsgefahr zwischen Rußland und Deutschland ausschließen sollte. Es ist wohl nicht richtig, zu behaupten, Bismarck hätte den RückVersicherungsvertrag nur als „pis lutin-" angesehen, weil ihm England ein Bündnis vorenthielt: Bismarck wollte den RückVersicherungsvertrag um seiner selbst willen, aber in seiner genialen Art wollte er mit drei Pferden fahren, mit dem Dreibund, dem RückVersicherungsvertrag und England. Deutschland, dem der Weltfrieden alles gab, was es brauchte, mußte versuchen, Europa zu binden und sein Auseinander¬ fallen in getrennte Heerlager zu verhindern. Es blieb also auch 1887 bei dem Wort, das Bismarck 1857 an Gerlach geschrieben hatte: „Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur für England und seine Bewohner Sympathie gehabt und bin stundenweis noch nicht frei davon. Aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen." Da der Deutsche gern Schuld und Fehler bei sich selber sucht (indes meistens an anderen Punkten, als wo sie wirklich liegen), so hat sich heute bei uns die Meinung verbreiten lassen, wir hätten um die Jahrhundertwende ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/17>, abgerufen am 27.11.2024.