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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Aus neuen Büchern

Aus neuen Büchern
Kakuzo-Okakura. Das Buch vom Tee. Aus dem Englischen von Marguerite und
Ulrich Steindorff. (Inselverlag, Leipzig, Insel-Bücherei Ur. 274.)

Die Hinwendung unserer Zeit zum Mittelalter bedingt auch die Verherrlichung
Asiens, und das berechtigte Mißfallen des Europäers am heutigen Europa begünstigt
diese Richtung. "Asien als Erzieher" wurde zum Schlagwort. Unsere lärmende,
massive, materialistische Art ist freilich nicht immer imstande, den richtigen Zugang
zu der leise abgetöntem östlichen Kultur zu finden, in der das Verwischen der
egoistischen Konturen die erste Borbedingung ist. Asien will gar nicht als an¬
spruchsvoller Erzieher uns gegenüber auftreten, sondern als alter Freund, der uns
stürmische und zur Zeit etwas bankerotte jüngere Vettern in die Köstlichkeit des
einfachen und doch durchgeistigten Lebens einzuführen bereit ist. Ein solcher Führer
ist Okakura-Kakuzo. Man trifft das Wesen Asiens nicht, wenn man von Haupt-
und Staatsaktionen ausgeht, sondern wenn man den Geschmack auch im schlichtesten,
die wählerische Genügsamkeit edler Gesellschaft, die heitere Beziehung des Alltäg¬
lichen auf das Letzte, die tröstliche Ironie zarten unpersönlichen Humors aufsucht.
Dies alles und vam einen geschmackvoll gewundenen Strauß kultivierter Über¬
lieferungen aus Philosophie, Kunst und Geschichte kredenzt dieser Japaner uns --
mit einer Schale Tee. Im Teekult liegt der Inbegriff jener Verbindung des
Kleinsten mit dem Größten, er ist "die Kunst, Schönheit zu verbergen, auf daß
Man sie entdecke, und anzudeuten, was man nicht zu enthüllen wagt". Wir sind
natürlich geneigt, diesen japanischen Teephilosophen erst skeptisch zu betrachten) bald
liber gewahren wir, daß er Grund hat, über uns Europäer zu lächeln, und wir
genießen von Kapitel zu Kapitel williger diese Philosophie des Tees, der "unsere
Seele unmittelbar wie eine Stimme überflutet und dessen feine Bitterkeit an den
Nachgeschmack eines guten Rates erinnert", um mit dem alten chinesischen Weisen
Wang M-es'eng 5" sprechen. K.


Geist und Leben bei BonsclS. W. Bonsels, "Eros und die Evangelien",
(Frankfurt a. M., Rütten K Loening).

^ Die hauptsächliche Erkenntnis des Buches findet sich gegen den Schluß:
AM der Welt ist es wie eine Nacht in der Nacht, und es gibt zwei Morgen,
^er eine bricht aus dem Blut hervor, der andere aus dem Geist, verstehe es,
'^er Mag/ Gott ist in beiden, denn in beiden sind Lust und Heimweh, auch
Zuversicht der Wiederkehr, der Dauer, der Ewigkeit und Freiheit. Wie soll das
Herz sich entscheiden? Ist das nicht unser einziges Leid?" Der Held des Buches
^rd nacheinander von der himmlischen Liebe und von der Liebe zum Erdgeist
^griffen. Die sterbende Asja lehrt ihn das Glück der geistigen Lösung vom
^ben: "Krank zu werden ist viel schmerzlicher als krank zu sein, denn zu Anfang
lUhlt sich unsere Seele noch an die Welt der Sinne gebunden, in der sie gefangen
6g/ und wir verstehen ihre neue Freiheit nur langsam. Aber sie stellt sich wider
^?ern Willen ein, und mehr und mehr gelangen wir aus den Regionen des
A/gänglichen in die Bereiche des Unvergänglichen. Alle .Krankheiten sind Ent-
Mungen der Seele aus der Welt der Sinne. Ich glaube, daß der Tod der
AUste Wipfel dieser Höhen der Freiheit für unser Bewußtsein zu werden vermag."
^ !se für unsere Zeit bezeichnend, daß Literaten von Bonsels Art sich M't
derartigen Problemstellungen beschäftigen. Es führt nicht gerade sehr in die Tiefe
ö" neuen Symbolen, wenn Bonsels seine Asja die Dreieinigkeit so erklaren
in5 ."In der Liebe ist alles beschlossen, der Vater, das ist der Gehorsam in
^s,- der Sohn, das ist die Offenbarung in uns, und der Geist, das lst die
^Aemschaft." Und so ist noch viel krause Theologie und Mystik in das weiche,
sjjMo.se, zum Teil wenig erlebte Asthetentum dieses Buchs verwoben. Aber man
ans s Kne uralte Symbole auch wieder durch die Dunstkreise unklarer Welt-
'miauung hindurchzuschimmern beginnen. Satan ist für Asja die Mischung des


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Kakuzo-Okakura. Das Buch vom Tee. Aus dem Englischen von Marguerite und
Ulrich Steindorff. (Inselverlag, Leipzig, Insel-Bücherei Ur. 274.)

Die Hinwendung unserer Zeit zum Mittelalter bedingt auch die Verherrlichung
Asiens, und das berechtigte Mißfallen des Europäers am heutigen Europa begünstigt
diese Richtung. „Asien als Erzieher" wurde zum Schlagwort. Unsere lärmende,
massive, materialistische Art ist freilich nicht immer imstande, den richtigen Zugang
zu der leise abgetöntem östlichen Kultur zu finden, in der das Verwischen der
egoistischen Konturen die erste Borbedingung ist. Asien will gar nicht als an¬
spruchsvoller Erzieher uns gegenüber auftreten, sondern als alter Freund, der uns
stürmische und zur Zeit etwas bankerotte jüngere Vettern in die Köstlichkeit des
einfachen und doch durchgeistigten Lebens einzuführen bereit ist. Ein solcher Führer
ist Okakura-Kakuzo. Man trifft das Wesen Asiens nicht, wenn man von Haupt-
und Staatsaktionen ausgeht, sondern wenn man den Geschmack auch im schlichtesten,
die wählerische Genügsamkeit edler Gesellschaft, die heitere Beziehung des Alltäg¬
lichen auf das Letzte, die tröstliche Ironie zarten unpersönlichen Humors aufsucht.
Dies alles und vam einen geschmackvoll gewundenen Strauß kultivierter Über¬
lieferungen aus Philosophie, Kunst und Geschichte kredenzt dieser Japaner uns —
mit einer Schale Tee. Im Teekult liegt der Inbegriff jener Verbindung des
Kleinsten mit dem Größten, er ist „die Kunst, Schönheit zu verbergen, auf daß
Man sie entdecke, und anzudeuten, was man nicht zu enthüllen wagt". Wir sind
natürlich geneigt, diesen japanischen Teephilosophen erst skeptisch zu betrachten) bald
liber gewahren wir, daß er Grund hat, über uns Europäer zu lächeln, und wir
genießen von Kapitel zu Kapitel williger diese Philosophie des Tees, der „unsere
Seele unmittelbar wie eine Stimme überflutet und dessen feine Bitterkeit an den
Nachgeschmack eines guten Rates erinnert", um mit dem alten chinesischen Weisen
Wang M-es'eng 5" sprechen. K.


Geist und Leben bei BonsclS. W. Bonsels, „Eros und die Evangelien",
(Frankfurt a. M., Rütten K Loening).

^ Die hauptsächliche Erkenntnis des Buches findet sich gegen den Schluß:
AM der Welt ist es wie eine Nacht in der Nacht, und es gibt zwei Morgen,
^er eine bricht aus dem Blut hervor, der andere aus dem Geist, verstehe es,
'^er Mag/ Gott ist in beiden, denn in beiden sind Lust und Heimweh, auch
Zuversicht der Wiederkehr, der Dauer, der Ewigkeit und Freiheit. Wie soll das
Herz sich entscheiden? Ist das nicht unser einziges Leid?" Der Held des Buches
^rd nacheinander von der himmlischen Liebe und von der Liebe zum Erdgeist
^griffen. Die sterbende Asja lehrt ihn das Glück der geistigen Lösung vom
^ben: „Krank zu werden ist viel schmerzlicher als krank zu sein, denn zu Anfang
lUhlt sich unsere Seele noch an die Welt der Sinne gebunden, in der sie gefangen
6g/ und wir verstehen ihre neue Freiheit nur langsam. Aber sie stellt sich wider
^?ern Willen ein, und mehr und mehr gelangen wir aus den Regionen des
A/gänglichen in die Bereiche des Unvergänglichen. Alle .Krankheiten sind Ent-
Mungen der Seele aus der Welt der Sinne. Ich glaube, daß der Tod der
AUste Wipfel dieser Höhen der Freiheit für unser Bewußtsein zu werden vermag."
^ !se für unsere Zeit bezeichnend, daß Literaten von Bonsels Art sich M't
derartigen Problemstellungen beschäftigen. Es führt nicht gerade sehr in die Tiefe
ö" neuen Symbolen, wenn Bonsels seine Asja die Dreieinigkeit so erklaren
in5 ."In der Liebe ist alles beschlossen, der Vater, das ist der Gehorsam in
^s,- der Sohn, das ist die Offenbarung in uns, und der Geist, das lst die
^Aemschaft." Und so ist noch viel krause Theologie und Mystik in das weiche,
sjjMo.se, zum Teil wenig erlebte Asthetentum dieses Buchs verwoben. Aber man
ans s Kne uralte Symbole auch wieder durch die Dunstkreise unklarer Welt-
'miauung hindurchzuschimmern beginnen. Satan ist für Asja die Mischung des


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[0129] Aus neuen Büchern Aus neuen Büchern Kakuzo-Okakura. Das Buch vom Tee. Aus dem Englischen von Marguerite und Ulrich Steindorff. (Inselverlag, Leipzig, Insel-Bücherei Ur. 274.) Die Hinwendung unserer Zeit zum Mittelalter bedingt auch die Verherrlichung Asiens, und das berechtigte Mißfallen des Europäers am heutigen Europa begünstigt diese Richtung. „Asien als Erzieher" wurde zum Schlagwort. Unsere lärmende, massive, materialistische Art ist freilich nicht immer imstande, den richtigen Zugang zu der leise abgetöntem östlichen Kultur zu finden, in der das Verwischen der egoistischen Konturen die erste Borbedingung ist. Asien will gar nicht als an¬ spruchsvoller Erzieher uns gegenüber auftreten, sondern als alter Freund, der uns stürmische und zur Zeit etwas bankerotte jüngere Vettern in die Köstlichkeit des einfachen und doch durchgeistigten Lebens einzuführen bereit ist. Ein solcher Führer ist Okakura-Kakuzo. Man trifft das Wesen Asiens nicht, wenn man von Haupt- und Staatsaktionen ausgeht, sondern wenn man den Geschmack auch im schlichtesten, die wählerische Genügsamkeit edler Gesellschaft, die heitere Beziehung des Alltäg¬ lichen auf das Letzte, die tröstliche Ironie zarten unpersönlichen Humors aufsucht. Dies alles und vam einen geschmackvoll gewundenen Strauß kultivierter Über¬ lieferungen aus Philosophie, Kunst und Geschichte kredenzt dieser Japaner uns — mit einer Schale Tee. Im Teekult liegt der Inbegriff jener Verbindung des Kleinsten mit dem Größten, er ist „die Kunst, Schönheit zu verbergen, auf daß Man sie entdecke, und anzudeuten, was man nicht zu enthüllen wagt". Wir sind natürlich geneigt, diesen japanischen Teephilosophen erst skeptisch zu betrachten) bald liber gewahren wir, daß er Grund hat, über uns Europäer zu lächeln, und wir genießen von Kapitel zu Kapitel williger diese Philosophie des Tees, der „unsere Seele unmittelbar wie eine Stimme überflutet und dessen feine Bitterkeit an den Nachgeschmack eines guten Rates erinnert", um mit dem alten chinesischen Weisen Wang M-es'eng 5" sprechen. K. Geist und Leben bei BonsclS. W. Bonsels, „Eros und die Evangelien", (Frankfurt a. M., Rütten K Loening). ^ Die hauptsächliche Erkenntnis des Buches findet sich gegen den Schluß: AM der Welt ist es wie eine Nacht in der Nacht, und es gibt zwei Morgen, ^er eine bricht aus dem Blut hervor, der andere aus dem Geist, verstehe es, '^er Mag/ Gott ist in beiden, denn in beiden sind Lust und Heimweh, auch Zuversicht der Wiederkehr, der Dauer, der Ewigkeit und Freiheit. Wie soll das Herz sich entscheiden? Ist das nicht unser einziges Leid?" Der Held des Buches ^rd nacheinander von der himmlischen Liebe und von der Liebe zum Erdgeist ^griffen. Die sterbende Asja lehrt ihn das Glück der geistigen Lösung vom ^ben: „Krank zu werden ist viel schmerzlicher als krank zu sein, denn zu Anfang lUhlt sich unsere Seele noch an die Welt der Sinne gebunden, in der sie gefangen 6g/ und wir verstehen ihre neue Freiheit nur langsam. Aber sie stellt sich wider ^?ern Willen ein, und mehr und mehr gelangen wir aus den Regionen des A/gänglichen in die Bereiche des Unvergänglichen. Alle .Krankheiten sind Ent- Mungen der Seele aus der Welt der Sinne. Ich glaube, daß der Tod der AUste Wipfel dieser Höhen der Freiheit für unser Bewußtsein zu werden vermag." ^ !se für unsere Zeit bezeichnend, daß Literaten von Bonsels Art sich M't derartigen Problemstellungen beschäftigen. Es führt nicht gerade sehr in die Tiefe ö" neuen Symbolen, wenn Bonsels seine Asja die Dreieinigkeit so erklaren in5 ."In der Liebe ist alles beschlossen, der Vater, das ist der Gehorsam in ^s,- der Sohn, das ist die Offenbarung in uns, und der Geist, das lst die ^Aemschaft." Und so ist noch viel krause Theologie und Mystik in das weiche, sjjMo.se, zum Teil wenig erlebte Asthetentum dieses Buchs verwoben. Aber man ans s Kne uralte Symbole auch wieder durch die Dunstkreise unklarer Welt- 'miauung hindurchzuschimmern beginnen. Satan ist für Asja die Mischung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/129>, abgerufen am 23.11.2024.