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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Bürokraten-Briefe

Erdhütte sich Ihnen hier die Tendenz noch nicht deutlich genug, wollen Sie
eine offenkundig falsche Verdächtigung der alten Negierung von amtlicher Stelle, sö-
hnte ich Sie, sich der Ministerrede zu erinnern, der, wie schon erwähnt, die Ehre
der öffentlichen Verbreitung zugebilligt worden ist -- eine Ehrung, die zu voll¬
ziehen man sich schließlich allerdings aus triftigen Grunde doch gescheut hat. Es
war der Neichsfinanzminister Matthias Erzberger, der im Sommer vorigen Jahres
von der Tribüne der Nationalversammlung die frühere Regierung vor der Welt
der Hintertreibung einer Friedensmöglichkeit beschuldigte. Die Lage wird Ihnen
gegenwärtig sein, Herr Erzberger, durch unbequeme Angriffe bedrängt, lenkte die
Aufmerksamkeit von seiner Person ab, indem er die ungeheures Aufsehen erregende
Enthüllung unter die versammelten Volksvertreter schleuderte, die kaiserliche Ne¬
gierung habe im Sommer 1.917 einen von der Kurie vermittelten englischen Friedens¬
fühler zunächst vier Wochen verschleppt und dann durch ablehnende Haltung ver¬
eitelt. Der Wortlaut und sogar der genaue Inhalt des Schriftwechsels wurde wohl¬
weislich verschwiegen. Als sich seine Bekanntgabe nicht mehr vermeiden lies;,
schrumpften nicht allein die vier Wochen, die der damalige Kanzler zur Antwort
gebraucht haben sollte, auf etwa die Hälfte zusammen -- das englische Friedens¬
angebot selbst enthüllte sich als unverbindliche Anregung eines englischen Gesandten,
und zwar als ein ziemlich plumper Versuch, ohne jedes Entgegenkommen von feiten
der Entente, ja" unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der von ihr auf unser
Friedensangebot bekannt gegebenen vernichtenden Kriegszicle, Deutschland ein ein¬
seitiges Zugeständnis über Belgien zu entlocken; als eine Falle mithin, in der sich
fangen zu lassen zum mindesten die Harmlosigkeit und Leichthcrzigkeit des Herrn
Erzberger selbst von nöten gewesen wäre, Erzbergcrs Enthüllung erwies sich also,,
gelinde gesagt, als eine Vergewaltigung der Tatsachen, mit dem Ziele, die kaiserliche
Regierung zu inncrpolitischen Zwecken vor dem Volke -- und damit vor aller Welt --
im Sinne der feindlichen Beschuldigungen, als Friedensgegnerin bloßzustellen! Bis
die Wahrheit ans Licht kam, konnte er und die von ihm so würdig vertretene Regierung
sich eines vollen Erfolges der Überrumpelung erfreuen. Aber um welchen Preis!
Ich wollte, Sie hätten, wie ich in jenen Tagen, Gelegenheit gehabt, mit deutsch¬
freundlichen Ausländern über diesen Erfolg zu sprechen, Sie können sich nicht vor¬
stellen, mit welcher Verachtung diese -- ausgesprochen demokratisch gerichteten --
Männer sich über solche Beschmutzung des eigenen Nestes aussprachen, mit welcher
Bitterkeit sie sich darüber beklagten, daß auf diese Weise ihre Bemühungen, Deutsch¬
sand zu gerechter Beurteilung zu verhelfen, immer' wieder von deutscher Seite durch¬
kreuzt würden.

Begreifen Sie jetzt, warum meine Gedanken von diesen Dingen nicht los¬
kommen, warum es mich drängt, dies Unheil vor Ihren Augen zu zergliedern, bis
in seine letzten Wurzeln und geilsten Triebe zu verfolgen? Ich sehe in dieser Zer-
setzungserscheinung die Todeskrankheit Deutschlands, tödlicher als alles, was sonst
an seinem Leben zehrt. Wir können die Natur nicht verbessern, Sie hat die Laune
gehabt, dem Deutschen ein Nationalgefühl von der Empfindlichkeit und dem Stolze,,
wie sie es anderen Völkern schenkte, zu versagen. Damit müssen wir uns abfinden.,
Es ist der Schatten unserer Vorzüge, Aber wenn uns die furchtbare Prüfung dieser
Zeit nicht wenigstens jene selbstverständliche Pflicht der Kameradschaft lehrt, die ich
neulich dem nationalen Schwunge als bescheidene Mindestforderung des Patriotismus


Bürokraten-Briefe

Erdhütte sich Ihnen hier die Tendenz noch nicht deutlich genug, wollen Sie
eine offenkundig falsche Verdächtigung der alten Negierung von amtlicher Stelle, sö-
hnte ich Sie, sich der Ministerrede zu erinnern, der, wie schon erwähnt, die Ehre
der öffentlichen Verbreitung zugebilligt worden ist — eine Ehrung, die zu voll¬
ziehen man sich schließlich allerdings aus triftigen Grunde doch gescheut hat. Es
war der Neichsfinanzminister Matthias Erzberger, der im Sommer vorigen Jahres
von der Tribüne der Nationalversammlung die frühere Regierung vor der Welt
der Hintertreibung einer Friedensmöglichkeit beschuldigte. Die Lage wird Ihnen
gegenwärtig sein, Herr Erzberger, durch unbequeme Angriffe bedrängt, lenkte die
Aufmerksamkeit von seiner Person ab, indem er die ungeheures Aufsehen erregende
Enthüllung unter die versammelten Volksvertreter schleuderte, die kaiserliche Ne¬
gierung habe im Sommer 1.917 einen von der Kurie vermittelten englischen Friedens¬
fühler zunächst vier Wochen verschleppt und dann durch ablehnende Haltung ver¬
eitelt. Der Wortlaut und sogar der genaue Inhalt des Schriftwechsels wurde wohl¬
weislich verschwiegen. Als sich seine Bekanntgabe nicht mehr vermeiden lies;,
schrumpften nicht allein die vier Wochen, die der damalige Kanzler zur Antwort
gebraucht haben sollte, auf etwa die Hälfte zusammen — das englische Friedens¬
angebot selbst enthüllte sich als unverbindliche Anregung eines englischen Gesandten,
und zwar als ein ziemlich plumper Versuch, ohne jedes Entgegenkommen von feiten
der Entente, ja» unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der von ihr auf unser
Friedensangebot bekannt gegebenen vernichtenden Kriegszicle, Deutschland ein ein¬
seitiges Zugeständnis über Belgien zu entlocken; als eine Falle mithin, in der sich
fangen zu lassen zum mindesten die Harmlosigkeit und Leichthcrzigkeit des Herrn
Erzberger selbst von nöten gewesen wäre, Erzbergcrs Enthüllung erwies sich also,,
gelinde gesagt, als eine Vergewaltigung der Tatsachen, mit dem Ziele, die kaiserliche
Regierung zu inncrpolitischen Zwecken vor dem Volke — und damit vor aller Welt —
im Sinne der feindlichen Beschuldigungen, als Friedensgegnerin bloßzustellen! Bis
die Wahrheit ans Licht kam, konnte er und die von ihm so würdig vertretene Regierung
sich eines vollen Erfolges der Überrumpelung erfreuen. Aber um welchen Preis!
Ich wollte, Sie hätten, wie ich in jenen Tagen, Gelegenheit gehabt, mit deutsch¬
freundlichen Ausländern über diesen Erfolg zu sprechen, Sie können sich nicht vor¬
stellen, mit welcher Verachtung diese — ausgesprochen demokratisch gerichteten —
Männer sich über solche Beschmutzung des eigenen Nestes aussprachen, mit welcher
Bitterkeit sie sich darüber beklagten, daß auf diese Weise ihre Bemühungen, Deutsch¬
sand zu gerechter Beurteilung zu verhelfen, immer' wieder von deutscher Seite durch¬
kreuzt würden.

Begreifen Sie jetzt, warum meine Gedanken von diesen Dingen nicht los¬
kommen, warum es mich drängt, dies Unheil vor Ihren Augen zu zergliedern, bis
in seine letzten Wurzeln und geilsten Triebe zu verfolgen? Ich sehe in dieser Zer-
setzungserscheinung die Todeskrankheit Deutschlands, tödlicher als alles, was sonst
an seinem Leben zehrt. Wir können die Natur nicht verbessern, Sie hat die Laune
gehabt, dem Deutschen ein Nationalgefühl von der Empfindlichkeit und dem Stolze,,
wie sie es anderen Völkern schenkte, zu versagen. Damit müssen wir uns abfinden.,
Es ist der Schatten unserer Vorzüge, Aber wenn uns die furchtbare Prüfung dieser
Zeit nicht wenigstens jene selbstverständliche Pflicht der Kameradschaft lehrt, die ich
neulich dem nationalen Schwunge als bescheidene Mindestforderung des Patriotismus


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[0064] Bürokraten-Briefe Erdhütte sich Ihnen hier die Tendenz noch nicht deutlich genug, wollen Sie eine offenkundig falsche Verdächtigung der alten Negierung von amtlicher Stelle, sö- hnte ich Sie, sich der Ministerrede zu erinnern, der, wie schon erwähnt, die Ehre der öffentlichen Verbreitung zugebilligt worden ist — eine Ehrung, die zu voll¬ ziehen man sich schließlich allerdings aus triftigen Grunde doch gescheut hat. Es war der Neichsfinanzminister Matthias Erzberger, der im Sommer vorigen Jahres von der Tribüne der Nationalversammlung die frühere Regierung vor der Welt der Hintertreibung einer Friedensmöglichkeit beschuldigte. Die Lage wird Ihnen gegenwärtig sein, Herr Erzberger, durch unbequeme Angriffe bedrängt, lenkte die Aufmerksamkeit von seiner Person ab, indem er die ungeheures Aufsehen erregende Enthüllung unter die versammelten Volksvertreter schleuderte, die kaiserliche Ne¬ gierung habe im Sommer 1.917 einen von der Kurie vermittelten englischen Friedens¬ fühler zunächst vier Wochen verschleppt und dann durch ablehnende Haltung ver¬ eitelt. Der Wortlaut und sogar der genaue Inhalt des Schriftwechsels wurde wohl¬ weislich verschwiegen. Als sich seine Bekanntgabe nicht mehr vermeiden lies;, schrumpften nicht allein die vier Wochen, die der damalige Kanzler zur Antwort gebraucht haben sollte, auf etwa die Hälfte zusammen — das englische Friedens¬ angebot selbst enthüllte sich als unverbindliche Anregung eines englischen Gesandten, und zwar als ein ziemlich plumper Versuch, ohne jedes Entgegenkommen von feiten der Entente, ja» unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der von ihr auf unser Friedensangebot bekannt gegebenen vernichtenden Kriegszicle, Deutschland ein ein¬ seitiges Zugeständnis über Belgien zu entlocken; als eine Falle mithin, in der sich fangen zu lassen zum mindesten die Harmlosigkeit und Leichthcrzigkeit des Herrn Erzberger selbst von nöten gewesen wäre, Erzbergcrs Enthüllung erwies sich also,, gelinde gesagt, als eine Vergewaltigung der Tatsachen, mit dem Ziele, die kaiserliche Regierung zu inncrpolitischen Zwecken vor dem Volke — und damit vor aller Welt — im Sinne der feindlichen Beschuldigungen, als Friedensgegnerin bloßzustellen! Bis die Wahrheit ans Licht kam, konnte er und die von ihm so würdig vertretene Regierung sich eines vollen Erfolges der Überrumpelung erfreuen. Aber um welchen Preis! Ich wollte, Sie hätten, wie ich in jenen Tagen, Gelegenheit gehabt, mit deutsch¬ freundlichen Ausländern über diesen Erfolg zu sprechen, Sie können sich nicht vor¬ stellen, mit welcher Verachtung diese — ausgesprochen demokratisch gerichteten — Männer sich über solche Beschmutzung des eigenen Nestes aussprachen, mit welcher Bitterkeit sie sich darüber beklagten, daß auf diese Weise ihre Bemühungen, Deutsch¬ sand zu gerechter Beurteilung zu verhelfen, immer' wieder von deutscher Seite durch¬ kreuzt würden. Begreifen Sie jetzt, warum meine Gedanken von diesen Dingen nicht los¬ kommen, warum es mich drängt, dies Unheil vor Ihren Augen zu zergliedern, bis in seine letzten Wurzeln und geilsten Triebe zu verfolgen? Ich sehe in dieser Zer- setzungserscheinung die Todeskrankheit Deutschlands, tödlicher als alles, was sonst an seinem Leben zehrt. Wir können die Natur nicht verbessern, Sie hat die Laune gehabt, dem Deutschen ein Nationalgefühl von der Empfindlichkeit und dem Stolze,, wie sie es anderen Völkern schenkte, zu versagen. Damit müssen wir uns abfinden., Es ist der Schatten unserer Vorzüge, Aber wenn uns die furchtbare Prüfung dieser Zeit nicht wenigstens jene selbstverständliche Pflicht der Kameradschaft lehrt, die ich neulich dem nationalen Schwunge als bescheidene Mindestforderung des Patriotismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/64>, abgerufen am 29.12.2024.