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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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lveltsxiegel

Kaufmann ..

Ich meine, was Sie für eine Nationalität haben? Sind Sie Franzose?

Kopfschütteln des Dicken.

Deutscher?

Kopfschütteln.

Saers noir, ich frage, ob Sie Türke, Araber oder Indianer sind?

Ich bin Elsässer, erwidert der Dicke gemütlich ...

Ein grimmig verächtlicher Blick mißt ihn vom Kopf bis zu den Zehen.

^1Savi<zu! Und kann nicht einmal Französisch! Er läßt ihn stehen, seinen
Landsmann, diesen Elsässer, der kein Franzose sein will.

Eine ganze Landesgeschichte kann man erleben in einer Viertelstunde da
unten in meiner Heimat ...

So nun geht's nach Deutschland, sagt aufatmend mein Nachbar, als sich
endlich der Zug lMter Türkismühle in Bewegung setzt.




Weltspiegel

Zwischen London und X... "Liebe Kinder! Ich stehe ein bißchen schüchtern
vor euch da. Ich bin gewohnt, mit Männern zusammen zu sein, die nicht meiner
Meinung sind und die nicht glauben wollen, was ich ihnen sage. Und dann
werde ich böse und fange an zu schreien. Aber euch, was wollt ihr, daß ein
alter müder Mann, der bald im Jenseits wird Rechnung ablegen müssen, euch
sage? Ich habe Kinder sehr lieb. Ich bin sehr gerührt über eure Kundgebung
und danke der Oberin dafür. Ich sehe, daß man euch hier lieb hat und daß
die Oberin das Geheimnis besitzt, sich Gehorsam zu schaffen, ohne daß sie böse
zu werden braucht, ohne böse Augen zu machen oder immerfort zu drohen. Der
Oberin gehorcht man auch auf ein Lächeln hin und ihre Autorität beruht auf
Sanftheit, Wohlwollen und Adel der Seele. Wenn ihr groß werdet und in die
Welt kommt, werdet ihr sehen, daß es da anders zugeht .... Ich hatte die
Ehre, fast mein ganzes Leben in der Negierung zuzubringen, und wir haben immer
für Frankreich gearbeitet. Es rührt mich zu sehen, wie hier die Ordensbrüder
und Schwestern das gleiche tun. Wir sind nicht immer Freunde gewesen, aber
eigentlich freue ich mich darüber, weil uns das nämlich Gelegenheit gegeben hat,
hinterdrein viel bessere Freunde zu werden .... Ich bitte um Verzeihung,
wenn ich euch von all diesen ernsten Dingen spreche, ihr werdet sie besser verstehen,
wenn ihr groß geworden seid. Nach ein paar Jahren, nach ein paar Monaten
werdet ihr vielleicht hören, daß ich gestorben bin, dann bitte ich euch, an diesem
Tage einmal an mich zu denken . . .elöte

Diese milde, weiche, ein wenig unbeholfene und menschlich ganz gs
Rede stammt von einem sehr bösen alten Mann, den seine Freunde und Feinde
mit einem Tier verglichen haben, das allgemein als Verkörperung blutdürstiger
Grausamkeit gilt. Sie wurde im Oktober vor den Kindern der ftanzosischen
Klosterschule in Singapur gehalten, und zwar von -- Clemenceau. Vom Tiger.
Vom Henker Deutschlands, vom Mitverfasser des Friedensvertrags.
e

Weshalb ich diese Rede hersetze? Man soll auch von smen Feinden
lernen. Nämlich dies, daß es nicht in allen Momenten des Lebens und nicht
einmal immer bei offiziellen Anlässen darauf ankommt, Staatsmann zu sein oder


lveltsxiegel

Kaufmann ..

Ich meine, was Sie für eine Nationalität haben? Sind Sie Franzose?

Kopfschütteln des Dicken.

Deutscher?

Kopfschütteln.

Saers noir, ich frage, ob Sie Türke, Araber oder Indianer sind?

Ich bin Elsässer, erwidert der Dicke gemütlich ...

Ein grimmig verächtlicher Blick mißt ihn vom Kopf bis zu den Zehen.

^1Savi<zu! Und kann nicht einmal Französisch! Er läßt ihn stehen, seinen
Landsmann, diesen Elsässer, der kein Franzose sein will.

Eine ganze Landesgeschichte kann man erleben in einer Viertelstunde da
unten in meiner Heimat ...

So nun geht's nach Deutschland, sagt aufatmend mein Nachbar, als sich
endlich der Zug lMter Türkismühle in Bewegung setzt.




Weltspiegel

Zwischen London und X... „Liebe Kinder! Ich stehe ein bißchen schüchtern
vor euch da. Ich bin gewohnt, mit Männern zusammen zu sein, die nicht meiner
Meinung sind und die nicht glauben wollen, was ich ihnen sage. Und dann
werde ich böse und fange an zu schreien. Aber euch, was wollt ihr, daß ein
alter müder Mann, der bald im Jenseits wird Rechnung ablegen müssen, euch
sage? Ich habe Kinder sehr lieb. Ich bin sehr gerührt über eure Kundgebung
und danke der Oberin dafür. Ich sehe, daß man euch hier lieb hat und daß
die Oberin das Geheimnis besitzt, sich Gehorsam zu schaffen, ohne daß sie böse
zu werden braucht, ohne böse Augen zu machen oder immerfort zu drohen. Der
Oberin gehorcht man auch auf ein Lächeln hin und ihre Autorität beruht auf
Sanftheit, Wohlwollen und Adel der Seele. Wenn ihr groß werdet und in die
Welt kommt, werdet ihr sehen, daß es da anders zugeht .... Ich hatte die
Ehre, fast mein ganzes Leben in der Negierung zuzubringen, und wir haben immer
für Frankreich gearbeitet. Es rührt mich zu sehen, wie hier die Ordensbrüder
und Schwestern das gleiche tun. Wir sind nicht immer Freunde gewesen, aber
eigentlich freue ich mich darüber, weil uns das nämlich Gelegenheit gegeben hat,
hinterdrein viel bessere Freunde zu werden .... Ich bitte um Verzeihung,
wenn ich euch von all diesen ernsten Dingen spreche, ihr werdet sie besser verstehen,
wenn ihr groß geworden seid. Nach ein paar Jahren, nach ein paar Monaten
werdet ihr vielleicht hören, daß ich gestorben bin, dann bitte ich euch, an diesem
Tage einmal an mich zu denken . . .elöte

Diese milde, weiche, ein wenig unbeholfene und menschlich ganz gs
Rede stammt von einem sehr bösen alten Mann, den seine Freunde und Feinde
mit einem Tier verglichen haben, das allgemein als Verkörperung blutdürstiger
Grausamkeit gilt. Sie wurde im Oktober vor den Kindern der ftanzosischen
Klosterschule in Singapur gehalten, und zwar von — Clemenceau. Vom Tiger.
Vom Henker Deutschlands, vom Mitverfasser des Friedensvertrags.
e

Weshalb ich diese Rede hersetze? Man soll auch von smen Feinden
lernen. Nämlich dies, daß es nicht in allen Momenten des Lebens und nicht
einmal immer bei offiziellen Anlässen darauf ankommt, Staatsmann zu sein oder


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[0359] lveltsxiegel Kaufmann .. Ich meine, was Sie für eine Nationalität haben? Sind Sie Franzose? Kopfschütteln des Dicken. Deutscher? Kopfschütteln. Saers noir, ich frage, ob Sie Türke, Araber oder Indianer sind? Ich bin Elsässer, erwidert der Dicke gemütlich ... Ein grimmig verächtlicher Blick mißt ihn vom Kopf bis zu den Zehen. ^1Savi<zu! Und kann nicht einmal Französisch! Er läßt ihn stehen, seinen Landsmann, diesen Elsässer, der kein Franzose sein will. Eine ganze Landesgeschichte kann man erleben in einer Viertelstunde da unten in meiner Heimat ... So nun geht's nach Deutschland, sagt aufatmend mein Nachbar, als sich endlich der Zug lMter Türkismühle in Bewegung setzt. Weltspiegel Zwischen London und X... „Liebe Kinder! Ich stehe ein bißchen schüchtern vor euch da. Ich bin gewohnt, mit Männern zusammen zu sein, die nicht meiner Meinung sind und die nicht glauben wollen, was ich ihnen sage. Und dann werde ich böse und fange an zu schreien. Aber euch, was wollt ihr, daß ein alter müder Mann, der bald im Jenseits wird Rechnung ablegen müssen, euch sage? Ich habe Kinder sehr lieb. Ich bin sehr gerührt über eure Kundgebung und danke der Oberin dafür. Ich sehe, daß man euch hier lieb hat und daß die Oberin das Geheimnis besitzt, sich Gehorsam zu schaffen, ohne daß sie böse zu werden braucht, ohne böse Augen zu machen oder immerfort zu drohen. Der Oberin gehorcht man auch auf ein Lächeln hin und ihre Autorität beruht auf Sanftheit, Wohlwollen und Adel der Seele. Wenn ihr groß werdet und in die Welt kommt, werdet ihr sehen, daß es da anders zugeht .... Ich hatte die Ehre, fast mein ganzes Leben in der Negierung zuzubringen, und wir haben immer für Frankreich gearbeitet. Es rührt mich zu sehen, wie hier die Ordensbrüder und Schwestern das gleiche tun. Wir sind nicht immer Freunde gewesen, aber eigentlich freue ich mich darüber, weil uns das nämlich Gelegenheit gegeben hat, hinterdrein viel bessere Freunde zu werden .... Ich bitte um Verzeihung, wenn ich euch von all diesen ernsten Dingen spreche, ihr werdet sie besser verstehen, wenn ihr groß geworden seid. Nach ein paar Jahren, nach ein paar Monaten werdet ihr vielleicht hören, daß ich gestorben bin, dann bitte ich euch, an diesem Tage einmal an mich zu denken . . .elöte Diese milde, weiche, ein wenig unbeholfene und menschlich ganz gs Rede stammt von einem sehr bösen alten Mann, den seine Freunde und Feinde mit einem Tier verglichen haben, das allgemein als Verkörperung blutdürstiger Grausamkeit gilt. Sie wurde im Oktober vor den Kindern der ftanzosischen Klosterschule in Singapur gehalten, und zwar von — Clemenceau. Vom Tiger. Vom Henker Deutschlands, vom Mitverfasser des Friedensvertrags. e Weshalb ich diese Rede hersetze? Man soll auch von smen Feinden lernen. Nämlich dies, daß es nicht in allen Momenten des Lebens und nicht einmal immer bei offiziellen Anlässen darauf ankommt, Staatsmann zu sein oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/359>, abgerufen am 04.07.2024.